Ein langer Arbeitstag neigt sich dem Ende zu. Man beschließt, sich noch mit einem Stück Schokolade zu verwöhnen. Schließlich hat man gerade den Computer runtergefahren. Und auch kleine Handgriffe sollen belohnt werden. Wir gehen also zur „Schoko-Lade“ … und müssen selbst über unseren geistreichen Einfall schmunzeln. Eine Lade, in der diese zart schmelzende Süßigkeit untergebracht ist – das müssen wir gleich auf Facebook posten.
Mit dieser Grundhaltung kann man ganze Tage und Wochen überstehen. Tagsüber belohnen wir uns mit einem Blick auf das Smartphone und holen uns den kleinen Klick für Zwischendurch, man kann ja nicht schon in der Früh damit anfangen, sich Süßigkeiten in den Mund zu stecken. Also: Haben wir eine E-Mail erhalten? Hat uns die neue Arbeitskollegin bei „LinkedIn“ akzeptiert? Sollen wir sie auch gleich bei XING als Kontakt hinzufügen? Und haben wir heute schon unsere tägliche „Diamantenjagd“ gespielt?
Das Mittagessen mit Geschäftspartnern verlief sehr gut – vielleicht ein Gläschen Wein zum krönenden Abschluss? Aber rot oder weiß? Wir hatten ein Gulasch und ein Stück Obstkuchen, was passt da jetzt? Das ist ein Fall für die WhatsApp-Freunde! Dort wird der Antwortreigen auch noch um Bier, Schnaps und Milch erweitert. Während die Kollegen trinken, diskutieren wir im Netz darüber, dass Milch ja eigentlich kein Getränk ist, sondern eher ein Nahrungsmittel, da sie ja so nahrhaft ist. Unsere Kollegen erinnern uns freundlicherweise daran, dass wir unsere Konsumation noch bezahlen müssen und verabschieden sich.
Unterwegs im Zug zum nächsten Termin setzen wir uns ins Bordrestaurant, bestellen einen Kaffee und surfen durch die Welt der Computerspiele. Nur passiv natürlich, rein, um uns zu informieren, sind wir diesbezüglich noch sehr skeptisch. Man liest schließlich von Onlinespielern, die wie Junkies vor dem Gerät verfallen. Die tagelang ihre künstlichen Charaktere auf dem Bildschirm vervollkommnen, mit den besten Waffen und Zaubertränken ausstatten, während sie selbst dehydrieren, weil sie auf das Trinken vergessen. Was sie ihrem Alter Ego in der digitalen Welt an Energie und Ressourcen, an Triumph und Erfolg zukommen lassen, verwehren sie sich selbst. „Free to Play“-Spiele senken die Zugangsschwelle, da man ohne Anfangsinvestition einsteigen kann. Je länger man spielt, desto mehr Geld steckt man in Ausrüstungen, um in angemessener Zeit den nächsten Level zu erreichen. Kurz vor dem Aussteigen bemerken wir, dass wir unseren Kaffee gar nicht angerührt haben.
Und am Abend, zu Hause, bewegen wir uns wie gewohnt zur „Schoko-Lade“, wieder müssen wir schmunzeln! Unser Lebenspartner fragt, was wir da wollen. „Schoko-Lade“, antworten wir lachend. Aber dort sei schon lange nichts Süßes mehr zu finden, bekommen wir als Antwort. Anscheinend gehen wir allabendlich zur Lade, zücken das Handy und machen kurz vorher kehrt.
Kopfschüttelnd setzen wir uns in den Lehnstuhl, wir könnten ja endlich das Buch lesen, das wir zum Geburtstag bekommen haben. Es liegt auf dem Nachtkästchen neben dem Bett. Die Entfernung beträgt in der Luftlinie doch an die sieben Meter … und nehmen den Laptop auf den Schoß! Wo kommt der plötzlich her? Wie praktisch, dass er gleich zur Hand ist.
Als wir am nächsten Abend auf einer Party, bei der ein Joint herumgereicht wird, unser Smartphone zum Mund führen wollen, halten wir inne. Wir leiden offensichtlich unter Kontrollverlust und greifen ständig zur Droge. Das ist doch ein Anzeichen für Sucht, wenn man bei Fragestellungen nur eine Antwort kennt? Die Droge nämlich. Sie hat anscheinend längst unser Gehirn erreicht und beeinflusst unser Medienverhalten. Wir können nicht nur keine längeren Texte konzentriert zu Ende schreiben, wir schaffen es nicht einmal mehr, welche zu lesen. Was auch immer als Situation im Lebenshorizont auftaucht, wird mit schnellen Reizen begrüßt oder abgewehrt. Reize, die wir uns aus unserer Handfläche holen, in denen unser verlässlicher Freudenspender liegt. Wir kennen keinen Anfang und kein Ende mehr. Bei Sonnenaufgang wie bei Sonnenuntergang überzeugen wir uns auf dem Bildschirm von der Tageszeit. Seit einigen Wochen haben wir festgestellt, dass wir auch damit schlafen können. Nicht im sexuellen Sinn. Noch nicht.
Bevor uns die digitale Demenz dahinrafft, setzen wir einen Akt des Widerstandes. Wir beschließen, uns einen Termin mit einem Psychiater auszumachen.
Kennt jemand einen guten Seelenklempner?
Die Eingabe bei Facebook geht wie im Schlaf. Beruhigt wischen die Finger über den Screen. Beim Aufleuchten des Gerätes bildet sich ein Sog, der unsere Aufmerksamkeit bannt und sie in den Weiten des Netzes wirkungslos verpuffen lässt. Wir fühlen uns wie ein Hund, der auf der Paradieswiese Hunderten Stöckchen gleichzeitig hinterherhecheln darf.
Glücklich wedeln wir mit dem Schwanz. An dem Ort, wo uns die Depression nicht nachkommt.