Unfallvögel

Vogel oder Flugzeug – Wem gehört der Himmel?

Seit die Menschen das Fliegen gelernt haben, kommt es auch immer wieder zu Zusammenstößen von Fluggeräten und Vögeln – mit oft fatalen Folgen. Eine Verbindung zwischen Kriminaltechnik und Ornithologie soll helfen, den Luftraum sicherer zu machen. Und wirft ungewohnte Fragen auf

Von Johanna Romberg

Den Namen „Indianergoldhähnchen“ haben Sie vermutlich noch nie gehört. Er bezeichnet einen kaum meisengroßen Singvogel mit gelbem Scheitelstreif, der in den Nadelwäldern Nord- und Zentralamerikas brütet. Ich gebe zu, dass ich diesen Vogel bis vor Kurzem auch nicht kannte. Aber ich werde seinen Namen so schnell nicht vergessen. Es war nämlich ein Indianergoldhähnchen, das vor wenigen Jahren beinahe einen Überschall-Jet der US-Luftwaffe lahmgelegt hätte. Es entstand ein Schaden von mehreren Zehntausend Dollar.

Die Frau, die mir dies erzählte, heißt Carla Dove. „Dove“ heißt auf Englisch „Taube“, und der Name passt perfekt zu ihrer Tätigkeit: Die studierte Biologin arbeitet in der ornithologischen Sammlung des ehrwürdigen Smithsonian-Museums für Naturkunde in Washington, D.C.; sie leitet dort das „Labor für Federidentifikation“. Das klingt eher nach Kriminalistik als nach Biologie, und tatsächlich hat das, was Dove und ihre drei Kollegen tun, viel mit Polizeiarbeit gemeinsam: Spuren analysieren, Unfallhergänge rekonstruieren, Schadensverursacher identifizieren – und dadurch nicht nur künftige Schäden abwenden, sondern womöglich Leben retten.

Carla Dove beobachtet auch in ihrer Freizeit gern Vögel. Diese Leidenschaft teilt sie mit mir. Auch ich reise seit vielen Jahren am liebsten mit Fernglas im Gepäck. Seit der Begegnung mit der Federforscherin betrachte ich Vögel jedoch mit anderen Augen, vor allem dann, wenn ich sie aus dem Fenster eines Flugzeugs sichte. Beim Anblick von größeren Möwen oder Greifvögeln wird mir besonders mulmig, denn dann denke ich an eine Zahl, die Dove mir genannt hat. 1,8 Kilogramm – das ist, laut internationalem Standard, die Masse, die ein modernes Düsentriebwerk gerade noch „verdauen“ kann, wenn es bei voller Drehzahl von einem weichen Flugobjekt getroffen wird. Das entspricht etwa einer sehr großen Möwe. Größere Vögel können ein Triebwerk binnen Sekunden lahmlegen.

Welche Schurken stecken hinter dem Wunder vom Hudson?

Vögel gehören zu den am wenigsten bekannten und doch allgegenwärtigsten Störfaktoren in der zivilen wie militärischen Luftfahrt. Seit 1988 sind weltweit über 220 Flugzeuge durch Kollisionen mit Natur-Fliegern zerstört worden, mindestens 229 Menschen kamen dabei ums Leben. Nach Schätzungen von Experten verursachen Vogelschläge allein in der zivilen Luftfahrt jedes Jahr rund 1,3 Milliarden US-Dollar Schäden – durch zerstörte Triebwerke und beschädigte Radarsensoren, durch Verspätungen, Notlandungen und Flugausfälle.

Der wohl spektakulärste Vogelschlag-Unfall der letzten Jahre ereignete sich am 15. Januar 2009 in New York: Gut zwei Minuten nach dem Start registrierte die Besatzung des Flugs 1549 der Fluggesellschaft US Airways den Ausfall beider Triebwerke; dem Piloten gelang es gerade noch, auf dem Hudson River notzuwassern. Selbst wenn Sie sich weder für Luftfahrt noch für Vogelkunde interessieren – an diese Bilder werden Sie sich erinnern: der zwischen Wolkenkratzern hinabgleitende Airbus, der halb versunkene Flugzeugrumpf, auf dessen Tragflächen sich die geretteten Passagiere drängten. Wie durch ein Wunder überlebten alle 155 Insassen. Der Pilot Chesley B. Sullenberger wurde wegen seines virtuosen Landemanövers als Held gefeiert.

Nur die Schurken, die Verursacher der Beinahe-Katastrophe, blieben zunächst unbekannt. Ihre Überreste wurde erst nach Tagen aus dem Hudson geborgen, zusammen mit den zerstörten Triebwerken. Wenig später landeten sie auf dem Arbeitstisch von Carla Dove.

Die Vogelschwärme wachsen. Genau wie die Unfallzahlen

Wenn irgendwo über den USA natürliche und menschengemachte Flieger folgenschwer aufeinandertreffen, erhält das Federlabor des Smithsonian-Museums meist kurz darauf Post. Die Umschläge sind in der Regel unauffällig, nicht größer als eine Büchersendung; ihr Inhalt ist eher unappetitlich: zerknüllte Papiertücher mit schwärzlich-braunen Anhaftungen, Haftstreifen mit DNS-Proben, gelegentlich ein paar öl- und blutverkrustete Daunen, seltener eine größere Feder. Absender sind Piloten oder auch Wartungskräfte, die das Material bei der Inspektion der Maschine sichergestellt haben.

Pro Tag erhält das Labor für Federidentifikation etwa 14 solcher Sendungen; im Frühjahr und Herbst, zur Hochsaison des Vogelzugs, sind es deutlich mehr. Nur wenige Sendungen haben eine so dramatische Vorgeschichte wie jene, die nach dem 15. Januar 2009 angeliefert wurde. Viele Kollisionen werden weder von Piloten noch von Passagieren registriert. Doch die Zahl der gemeldeten Fälle steigt ständig, und darin steckt, so paradox das klingt, auch eine gute Nachricht: Die Bestände einiger Vogelarten sind im Laufe der vergangenen Jahrzehnte deutlich gewachsen, dank wirksamer Schutzmaßnahmen, geringerem Pestizideinsatz und strikter Jagdbeschränkungen. Die schlechte Nachricht: Es sind vor allem die großen, schweren Vögel, deren Zahl zunimmt – wie etwa Möwen, Greifvögel, Enten und Gänse.

Die Tatverdächtigen flogen in mustergültiger Formation

Manchmal zieht Carla Dove aus einem der Umschläge eine saubere, markant gefärbte Feder. Dann freut sie sich, denn sie weiß, dass der Fall im Handumdrehen gelöst sein wird. Sie muss nur die richtige Schublade der ornithologischen Sammlung aufziehen – die, in der sich das exakte Gegenstück zur gefundenen Feder befindet. Und das findet sich, immer.

Die vogelkundliche Sammlung des Smithsonian-Museums ist die drittgrößte der Welt; sie umfasst etwa 80 Prozent aller rund 10.000 bekannten Vogelarten, die auf der Erde heimisch sind, dazu etliche bereits ausgestorbene. Die mehr als 640.000 Objekte der Kollektion – präparierte Vögel, Skelette, Nester und Eier – lagern in vier mächtigen Schrankreihen, die einen Raum von der Größe einer Turnhalle ausfüllen.

„Sind sie nicht cool?“, sagte Carla Dove bewundernd, während sie mir den Inhalt einer geöffneten Schublade zeigte. Da lag, Flügel an Flügel aufgereiht, ein Sortiment der Gattung Paradisaea – Paradiesvögel aus Neuguinea. So stumm, so steif, und doch immer noch so farbenfroh, als wären sie gerade von einem Urwaldbaum gefallen. In den Schubladen daneben weitere Kostbarkeiten und Kuriosa aus der Vogelwelt: sperlingsgroße Finkenfälkchen aus Südostasien, tropische Kolibris mit krummdolchähnlichen Schnäbeln zum Ausschlürfen von Orchideenblüten, kunstvoll gewobene Webervogelnester und das zarte Gelege eines Rubinkehlkolibris: fünf Kügelchen, kaum größer als Kidneybohnen.

Je mehr Schubladen Carla Dove aufzog, desto mehr begriff ich, weshalb die Sammlung rund 60-mal so viele Objekte enthält, wie es Vogelarten auf der Welt gibt. Vögel sind unglaublich wandelbar: Männchen sehen anders aus als Weibchen, Jungvögel anders als erwachsene, frisch gemauserte anders als solche, die während der Frühjahrsbalz erlegt wurden. Und als wäre das nicht genug, sind die nördlichen Vertreter einer Spezies oft auch noch deutlich größer oder anders gefärbt als ihre südlichen Verwandten.

Wie behält man in dieser Vielfalt den Überblick, wenn man nichts in der Hand hat als eine einzige Feder? „Erfahrung“, sagte Carla Dove schlicht. Und natürlich helfe das Fallprotokoll, das jeder Sendung beiliegt, die Zahl der „Verdächtigen“ einzugrenzen – auf jene Arten, die zur fraglichen Zeit schon einmal im Umkreis des Unfallorts beobachtet wurden.

Es kommt sogar vor, dass die Unfallverursacher unmittelbar vor dem Einschlag gesichtet werden. Der Kopilot des US-Airways-Flugs 1549 hatte kurz nach dem Start einen Schwarm großer Vögel auf den Airbus zufliegen sehen. Allerdings nicht lange genug, um sie zu identifizieren: Sekunden später war ein Schwall dunkelbrauner Masse auf der Frontscheibe des Cockpits aufgeschlagen.

Was sucht der Bussard auf der Betonpiste?

Die ältesten Fundstücke der ornithologischen Sammlung des Smithsonian stammen aus dem frühen 19. Jahrhundert, einer Zeit also, da selbst entschiedene Naturliebhaber Vögel zur Bestimmung noch routinemäßig mit der Flinte abschossen. Solch exzessives Jagen und Sammeln hat manche Arten empfindlich dezimiert – und ist heute natürlich längst nicht mehr üblich. Zumindest in den USA und in Mitteleuropa sind die meisten Vogelarten ganzjährig geschützt, und das Erlegen von Vögeln zu wissenschaftlichen Zwecken folgt strengen Auflagen.

Doch natürlich profitiert auch die moderne Ornithologie noch immer von dem Schatz, den Vogelsammler vergangener Generationen ihr hinterlassen haben. Mithilfe der präparierten Trophäen können Wissenschaftler nicht nur die genetische Entwicklung lebender Arten genau verfolgen – und etwa feststellen, ob isolierte Populationen einer Art eigenständige Unterarten herausgebildet haben. Sie können auch jahrhundertealte historische Funde exakt zuordnen: So untersuchten die Federexperten einige Objekte, die Teilnehmer der Lewis-und-Clark-Expedition 1804 bis 1806 vom Missouri mitgebracht hatten. Und stellten fest, dass es sich um Federn des mittlerweile ausgestorbenen Elfenbeinspechts handelte.

Die Schubfächer mit den verlorenen Arten und seltenen Paradiesvögeln bleiben meistens zu. Denn in der Regel haben es die Federdetektive mit „Allerweltsarten“ zu tun – solchen, die in der Nähe des Menschen ihre ökologischen Nischen gefunden haben. Dazu gehören Spatzen, Stare, Tauben, Möwen, aber auch Reiher, Pelikane, Adler und Geier – Letztere alle schwerer als 1,8 Kilo.

Und wer nun hoffnungsvoll vermutet, dass wenigstens kleinere Vögel grundsätzlich ungefährlich sind, dem erzählt Carla Dove die Geschichte von dem knapp sechs Gramm schweren Indianergoldhähnchen, das vor einigen Jahren ein Überschall-Trainingsflugzeug der U.S. Air Force beschädigte – weil es bei der Kollision mit der Maschine ein Triebwerk zerstört hatte.

Das klingt zunächst nach einer David-und-Goliath-Fabel. Doch physikalisch ist der Unfall leicht zu erklären: Bei hohen Aufprallgeschwindigkeiten entwickeln selbst zarte Federbällchen eine gewaltige Durchschlagskraft. Kniffliger sind die biologischen Fragen, die solche Kollisionen aufwerfen. Was treibt ein Goldhähnchen aus seinen heimatlichen Kiefernwäldern in die Nähe eines Militärflughafens? Wie gerät ein Entenschwarm in die Flugbahn eines Interkontinentalfliegers? Wieso zieht es Möwen, Bussarde, sogar seltene Watvögel in auffallend hoher Zahl in die Nähe baumloser Betonwüsten, über denen brüllende, stinkende Riesenflieger kreisen?

Diese Fragen interessieren Flugsicherheitsexperten brennend. Denn wer Unfälle verhindern will, muss zuerst die Unfallverursacher so genau wie möglich kennenlernen – ihre Futtervorlieben, ihr Flucht- und Brutverhalten, ihre Zugrouten und -zeiten. Das sagt sich leichter, als es ist. Vögel gehören zwar seit jeher zu den beliebtesten Beobachtungsobjekten von Forschern und Naturliebhabern, doch die Untersuchungsdaten der Federexperten zeigen auch: Sie sind, in vieler Hinsicht, immer noch rätselhafte Wesen. Niemand weiß bis heute genau, auf welchen Wegen sie sich durch die Luft bewegen. Und ihre Anpassungsfähigkeit, ihre Fähigkeit, neue Lebensräume zu erobern, versetzen selbst erfahrene Ornithologen immer wieder in Staunen.

Ein Sperbergeier hält den Höhenrekord

Ausgerechnet Flughäfen haben sich für viele Vogelarten zu unwiderstehlichen Anziehungspunkten entwickelt. Aus Menschensicht mögen Airports öde, lärmige Niemandsorte sein; aus der Vogelperspektive haben sie fast nur Vorzüge: Weite, kurz geschorene Rasenflächen bieten beste Übersicht und daher Schutz vor Feinden. Die weitgehende Abwesenheit von Menschen und frei laufenden Hunden schafft Ruhe zum Futtersuchen. Und Futter gibt es reichlich: Bei Regen bilden sich auf Gras und Pisten schnell Pfützen, in denen sich vor allem an warmen Tagen nahrhafte Kleinfauna ansammelt. Und auf dem trockenen, besonnten Beton kann man sich an kühlen Abenden wunderbar wärmen.

Flexibel, wie Vögel sind, entdecken sie immer neue Wege, menschliche Bauten für ihre Zwecke zu nutzen. Am New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen etwa nutzen Möwen die Start- und Landepisten, um Muscheln darauf aufzubrechen, die sie aus großer Höhe fallen lassen. Der Rastplatz der Taxifahrer dient als beliebte Futterquelle, und auf den schwer zugänglichen Radarantennen errichten gelegentlich Fischadler ihre Horste.

An Lärm und Kerosingestank gewöhnen sich viele Vögel erstaunlich schnell, und die startenden und landenden Maschinen selbst nehmen sie kaum als feindliche Flugobjekte wahr. Obwohl sie allen Grund dazu hätten: 90 Prozent aller Vogelschläge ereignen sich während der Start- und Landephasen – auf Höhen bis 1000 Meter.

Kollisionen in höheren Lagen sind selten, aber auch die gibt es: Carla Dove hat in den vergangenen Jahren mehrmals Überreste von Enten- und Watvögelschwärmen identifiziert, die auf 4000 bis 7000 Meter Höhe unterwegs waren. Den absoluten Höhenrekord hält ein Sperbergeier, der gut 11.000 Meter über der Elfenbeinküste von einem Passagierflugzeug erfasst wurde und dieses zur Notlandung zwang.

Was verschlägt Vögel in solch eisige, sauerstoffarme Höhen? Selbst die erfahrenen Ornithologen des Smithsonian wissen es nicht. „Viele Leute glauben, Zugvögel bewegten sich entlang schnurgerader, immer gleicher ‚Vogelfluglinien‘“, sagt Carla Dove. „Aber das stimmt nicht. Sie fliegen im Zickzackkurs und in Wellen, sie machen lange Pausen oder legen aus unerklärbaren Gründen weite Umwege zurück.“

Und, auch das zeigten die Unfalldaten des Federlabors: Sie bilden oft seltsame FlugGesellschaften. In den Spuren einiger Schwarm-Kollisionen haben Dove und ihre Kollegen bis zu einem Dutzend verschiedene Arten aus unterschiedlichen Biotopen identifiziert – darunter nicht nur Vögel, sondern gelegentlich auch Fledermäuse.

Wie der Weißwedelhirsch das Fliegen lernte

Es gibt Spuren, die lassen die Frage aufkommen, ob zwischen Himmel und Erde noch alles mit rechten Dingen zugeht. Da war, vor einigen Jahren, jenes unidentifizierte Großtier, das ein 20.000 Dollar teures Loch in den Flügel eines Kleinflugzeugs gerissen hatte. Der Pilot versicherte, es sei ein Vogel gewesen – er hatte auf 500 Meter Flughöhe einen heftigen Schlag registriert. Doch das Ergebnis des DNS-Tests lautete: Weißwedelhirsch.

Dass Vierbeiner und Flugzeuge zusammenstoßen, kommt vor. Hirsche, Rehe, Elche, sogar Kühe verirren sich gelegentlich auf Start- und Landepisten kleinerer Flughäfen. Hirsche sind zudem bekannt für ihre Sprungkraft; sie überwinden sogar drei Meter hohe Zäune. Aber fliegen können sie natürlich nicht.

Doves Kollegin sah sich die Spuren noch einmal genau an. Und entdeckte winzige Federreste, die sie schließlich einem Rabengeier zuordnen konnte. Der Vogel hatte vor der Kollision offenbar einen Wildkadaver ausgeweidet, und der Inhalt seines Magens hatte sich im Testergebnis so stark niedergeschlagen, dass sein eigenes Gewebe kaum noch nachzuweisen war.

DNS-Tests sind aufwendig. Deshalb wenden die Federexperten sie nur an, wenn sich in einer Spur keine verwertbaren Federreste finden. Meist reichen ihnen schon einige winzige Daunen. Dove zeigte mir Mikroskopaufnahmen, auf denen ich selbst mit ungeübtem Auge sofort verschiedene Vogelfamilien unterscheiden konnte: Entendaunen etwa tragen kleine herzförmige Spitzen; Singvogeldaunen sehen aus wie mit winzigen Perlen bestückt.

Die Indizien des Vorfalls vom 15. Januar 2009 führten schnell zu einem Vogel aus der Gattung der Meergänse. Branta canadensis, die Kanadagans, gehört im doppelten Sinne zu den Schwergewichten der Unfallstatistik: zum einen, weil sie mehr als sechs Kilo wiegen kann; zum anderen, weil sie, mit einer Population von etwa 3,9 Millionen allein in den USA, die häufigste Gans der Welt ist. Zudem hat sie die flugsicherheitstechnisch fatale Angewohnheit, meist in größeren Formationen zu fliegen.

Falken und Feuerwerk halten Startbahnen vogelfrei

Wenn die Experten des Federlabors eine eingesandte Probe identifiziert haben, schicken sie an den Absender einen Namen. Nichts weiter. Sie erteilen keine Ratschläge, geben keine Empfehlungen zur Flugsicherheit oder gar zu wirksamen Abwehrmaßnahmen. Das ist Sache der staatlichen Luftfahrtbehörden, der Fluggesellschaften und, vor allem, der Flughafenbetreiber.

Es gibt in den USA, anders als etwa in Deutschland, keine Pflicht, Vogelschläge zu melden. Dove schätzt, dass nur in jedem vierten Fall Spuren ans Federlabor geschickt werden. Dennoch registrieren sie und ihre Kollegen, dass ihre Arbeit zunehmend Wirkung zeigt.

Lange Zeit versuchten Flughafenbetreiber, lästige Störflieger vor allem mit mehr oder weniger schwerem Geschütz auf Abstand zu halten. Sie ließen Feuerwerkskörper zünden, Schreckschüsse abfeuern, Tonbänder mit Schreien gestresster Artgenossen abspielen. Vielerorts wurden Jäger und Falkner engagiert, um hartnäckige Schwärme gezielt aufzuscheuchen. An US-Flughäfen wird auch heute noch häufig scharf geschossen: Das „Wildlife Management Team“ des New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafens brachte allein 2009 über 1000 Vögel zur Strecke.

Solche Radikalmaßnahmen wirken zwar sofort, aber nie nachhaltig. Denn solange der Flughafen, aus der Vogelperspektive, einen attraktiven Lebensraum darstellt, zieht er früher oder später neue Zuzügler an.

Deswegen wählen immer mehr Flughäfen eine sanftere und zugleich wirksamere Strategie, um Vögel auf Distanz zu halten: Sie gestalten das gesamte Ökosystem Flughafen so um, dass es unattraktiv wird. Nicht für alle Vogelarten. Sondern gezielt für jene, die den Flugbetrieb gefährden. Manchmal reicht es schon, das Gras rund um die Pisten etwas länger wachsen zu lassen. Das verschreckt vor allem Möwen und Gänse, die es gern übersichtlich haben.

Ausweichrouten für Jagdbomber – den Zugvögeln zuliebe

Gras braucht seine Zeit, um zu wachsen. Nach der Beinahe-Katastrophe auf dem Hudson River aber entschieden die US-Behörden, schnell und radikal zu reagieren. Das US-Landwirtschaftsministerium erklärte alle Flächen im Umkreis von sieben Meilen um die Flughäfen John F. Kennedy und La Guardia zur „Gänse-Verminderungszone“. Fangtrupps wurden ausgesandt, um insgesamt 1235 Vögel in Fallen zu treiben und anschließend mit Kohlendioxid – nun ja, zu vergasen. Diese Tötungsmethode gilt als schonend für Vögel, aber sie weckt natürlich ungute Assoziationen. Viele tierliebende New Yorker reagierten entsetzt; eine Organisation namens „Geese Peace“ organisierte sogar Mahnwachen im Prospect Park von Brooklyn, einem Stadtbezirk, in dem besonders viele liberal denkende, umweltbewusste Intellektuelle wohnen. Vor allem dort wurden Fragen laut: War diese Massentötung wirklich eine unumgängliche Sicherheitsmaßnahme – oder nicht eher ein Racheakt? Waren es überhaupt New Yorker Gänse gewesen, die den Absturz verursacht hatten – oder handelte es sich bei den Unglücksfliegern womöglich um Durchzügler aus anderen Landesteilen?

Die Federexperten des Smithsonian-Museums in Washington untersuchten die Spuren aus dem Airbus ein weiteres Mal – mit einer neuen kriminaltechnischen Methode, die es möglich macht, die jüngsten Aufenthaltsorte eines Verdächtigen zu ermitteln. Man braucht dazu keinerlei Überwachungselektronik, sondern nur ein möglichst langes Haar oder auch einige Federn. Darin sind bestimmte Isotope des Elements Wasserstoff gespeichert, an deren Menge sich ablesen lässt, wo sich das dazugehörige Tier während der Brut- und Mauserperiode ernährt hat. So lassen sich, beispielsweise, verschiedene regionale Vogelpopulationen der gleichen Art sicher voneinander unterscheiden.

Die Analyse ergab eindeutig: Bei den Unfallvögeln handelte es sich, im Wortsinn, um Kanadagänse aus dem nördlichen Nachbarland. Damit war der Fall des Flugs Nr. 1549 gelöst. Doch das bedeutete durchaus keinen Freispruch für die Gänse von New York. Im Gegenteil.

Die staatlichen Jäger haben auch in den Sommern 2010 und 2011 wieder Hunderte Vögel zur Strecke gebracht, und sie sind entschlossen, ihre Kampagne fortzusetzen. Dabei können sie sich durchaus auf harte Zahlen berufen: Branta canadensis hat allein seit 1995 im Luftraum über New York elf schwere, kostenträchtige Kollisionen verursacht, und in mehreren Fällen konnten die Piloten nur mit viel Glück einen Absturz verhindern.

Das Problem mit den Gänsen ist: Es geht ihnen einfach zu gut in New York. Unbehelligt von natürlichen Feinden, mästen sie sich ganzjährig am gut gedüngten Hochleistungsrasen von Grünanlagen und Golfplätzen. Die wenigsten Stadtbewohner wissen, dass „ihre“ Gänse mehrheitlich von Vögeln abstammen, die in den 1950er Jahren von Jägern an der Ostküste ausgesetzt wurden. Innerhalb weniger Jahrzehnte sind die Bestandszahlen geradezu explodiert; allein in der Metropolregion New York leben bis zu 20.000 Vögel – und das sind eindeutig zu viele in einer Stadt mit drei Großflughäfen.

Langfristig soll der Gänsebestand auf 5000 reduziert werden, eine Zahl, die aus Sicht von Luftfahrtexperten als „verträglich“ gilt. Ganz ausschließen lässt sich das Kollisionsrisiko freilich auch so nicht – es sei denn, man wollte sämtliche Zugvögel vom Himmel holen.

Das will natürlich niemand. Und es zeigt sich zusehends, dass das auch nicht nötig ist.

In den USA ebenso wie in Europa werden derzeit Vorhersagesysteme erprobt, mit denen sich größere Vogelschwärme rechtzeitig lokalisieren lassen. Diese Systeme stützen sich teils auf langfristige Beobachtungsdaten und aktuelle Wetterprognosen, teils auf Messungen hochempfindlicher Radargeräte. Sie ermöglichen es Piloten, Zonen mit hoher Vogelkonzentration zu umfliegen. Oder, im äußersten Fall, bestimmte Routen ganz zu meiden.

Es gibt ein Land, das besonders eindrucksvoll demonstriert, wie friedliche Koexistenz zwischen Vögeln und Flugzeugen aussehen kann.

An kaum einem Ort drängt sich so viel Flugverkehr auf so engem Raum wie über Israel. Eine hochaktive Luftwaffe und zahlreiche zivile Flugzeuge teilen sich einen schmalen Korridor, durch den auch noch eine der wichtigsten Vogelzugrouten der Welt verläuft. Geschätzte 500 Millionen Vögel passieren sie pro Jahr – sowohl im Frühjahr als auch im Herbst. Mit der Folge, dass Bussarde, Störche und Adler seit den 1970er Jahren mehr israelische Kampfflugzeuge beschädigt und zerstört haben als die Luftstreitkräfte sämtlicher arabischer Nachbarstaaten.

1982 begann die Luftwaffe mit Ornithologen zu kooperieren, die während der Hauptsaison des Vogelzugs in Echtzeit Beobachtungsdaten liefern – nicht nur vom Boden, sondern auch von Paraglidern aus. Seitdem richten die Piloten Flugpläne und -routen an bestimmten Tagen konsequent nach den Vögeln. Mit dramatischem Erfolg: Die Zahl der Vogel-Flugzeug-Kollisionen ist innerhalb weniger Jahre um 76 Prozent gesunken. image

Aus GEO Nr. 04/2012