Clara
Als wir nach einer Fahrt auf dem Kettenkarussell und nachdem er für mich beim Schießen ein hässliches Plüschherz mit Armen gewonnen hat, zum Auto gehen, ist es schon ziemlich spät. Wie schafft er es nur immer wieder, dass ich so schnell die Zeit vergesse, wenn wir gemeinsam unterwegs sind?
Leon bleibt vor seinem Wagen, einem alten Lexus, stehen und dreht sich eine Zigarette. »Auch eine?«, fragt er und zündet sie sich an.
»Nein, danke.« Ich habe zuletzt mit vierzehn an einer Zigarette gezogen und dafür den Anschiss meines Lebens bekommen. Seitdem habe ich den Dingern abgeschworen.
Leon hat seine übliche Warte-Haltung eingenommen, dieses Mal lässig angelehnt an sein Auto, mit einem Fuß gegen den Vorderreifen gestützt und beobachtet mich, während er einen weiteren Zug nimmt. Das Plüschherz liegt auf dem Dach des Wagens. Irgendwie ist es ein trauriges Bild.
Leon lässt die Zigarette fallen und tritt sie aus. Ohne seinen Blick von mir abzuwenden, richtet er seine Lederjacke und kommt auf mich zu.
Was hat er vor? Wir stehen alleine auf dem Parkplatz, um uns der Wald. Nur Wald. Egal wo ich hinblicke, ich sehe nichts als Bäume und ein paar wenige Autos, die im dunklen stehen. Nicht einmal eine Beleuchtung gibt es hier. Ist es überhaupt ein offizieller Parkplatz oder nur eine Lichtung, die am Waldweg liegt?
Mein Herz schlägt schnell, die Haare auf meinem Körper stellen sich auf und meine Lippen werden ganz trocken. Ich gehe einen Schritt zurück – weg von ihm. Plötzlich fühlt sich seine Nähe falsch an und ich muss an Isabelles Worte denken. Meine Beine sind wie Wackelpudding −
so wie auf dem Schiff, als ich zu viel getrunken hatte.
Leon grinst und mein Rücken stößt gegen einen Baum. Sein Grinsen wird breiter, dann ist er bei mir. Sein herber Duft sticht wieder in meine Nase, dieses Mal intensiver als zu jedem anderen Moment an diesem Abend.
Als er seine Hand hebt, zucke ich zusammen. Alles in mir schreit lauf,
ohne dass ich sagen kann, wieso. War es sein Blick, der mich plötzlich so gefesselt anstarrte? Doch anstatt zu verschwinden, wird mein ganzer Körper taub und starr. Ich bleibe einfach nur stehen, während seine Hand meinem Gesicht näherkommt. Sein Blick ist gierig und gleichzeitig fragend. Als verwirre meine Angst ihn. Will er mir doch nichts antun?
Seine Hand streift meine Wange und ein Schauer überfällt mich. Dann legt sie sich auf mein Gesicht und er zieht mich zu sich. Seine Lippen berühren meinen Mund. Er schmeckt nach Rauch, nach diesen widerlichen Zigaretten.
Die Anspannung fällt von mir ab. Wie konnte ich nur denken, dass er mir etwas tun will? Er, mit dem ich studiere, der mich seine Notizen abschreiben lässt, meine Tasche trägt, wenn wir uns beeilen müssen und mich den ganzen Abend eingeladen hat? Vielleicht war es ja einfach dieser Ort und die Dunkelheit, die mir den Schrecken eingejagt haben.
Ich greife nach seinem Nacken und ziehe ihn näher an mich. Es ist nur ein Kuss, rede ich mir ein. Seine vollen Lippen sind so weich. Seine Zunge spielt mit meiner, während sein Körper mich gegen den Baumstamm drückt. Leons Hand beginnt, meinen Mantel aufzuknöpfen und darunter zu gehen. Ich streife sie zur Seite, als er meinen Pulli hochziehen will. »Nicht«, flüstere ich, doch er macht einfach weiter.
Seine Griffe werden fester, während seine Lippen immer wieder über meine gleiten. Jetzt hat er meinen BH erreicht und ich muss seine Hand erneut zwischen uns wegziehen, damit er mir nicht an die Brust fasst. »Ich sagte nein«, betone ich, bevor er mich wieder küsst und so zum Schweigen bringt. Doch er hört nicht auf. Sein Griff, mit dem er inzwischen mein eines Handgelenk gegen den rauen Stamm in meinem Rücken drückt, verfestigt sich und ich schaffe es kaum, meinen Arm zu bewegen.
»Ich will das nicht«, sage ich noch einmal deutlich, als seine Hand sich dem Knopf meiner Jeans nähert. Ich lehne mich gegen ihn und versuche, ihn von mir zu stoßen. Es gelingt mir nicht, er ist zu stark.
»Natürlich willst du, oder meinst du, ich gebe mir umsonst so viel Mühe?«
Meinen Protest erstickt er mit einem weiteren Kuss, doch der ist alles andere als schön. Meine Hose ist offen und seine Hand gleitet unter meine Unterwäsche, direkt zu meiner Mitte, die er begrabscht, als wäre nichts gewesen.
Als er versucht, mir erneut seine Zunge in den Rachen zu schieben, beiße ich zu. Es fühlt sich eklig an und ein eiserner Geschmack breitet sich in meinem Mund aus. Beinahe muss ich mich erbrechen, kann es jedoch gerade so herunterschlucken. Endlich schaffe ich es, mich aus seinem Griff zu befreien.
»Är du galen?« −
Spinnst du? −
Seine Stimme hallt laut in die Nacht herein, während ich loslaufe, mitten in den Wald hinein. »Hey, es tut mir leid! Ich wollte dich nicht erschrecken! Clara, komm zurück. Ich lass auch die Finger von dir.«
Ohne mich umzudrehen oder zu wissen, wohin, renne ich. »Du verläufst dich noch!«, ist das Letzte, was ich von ihm höre und ich weiß, dass er wahrscheinlich recht hat.
Ich sehe nichts. Irgendwo in der Ferne hinter mir ertönen noch leise die Geräusche des Festes, doch der Wald scheint alle Lichter der Umgebung zu verschlucken.