»Machst du mir auch die Augen?«, fragte Angeline in der Schlafzimmertür. »Wenn du Zeit hast?«
Zoe lächelte sie im Spiegel an und befeuchtete den winzigen Pinsel, mit dem sie Gold auf ihre Lider auftragen wollte. »Natürlich habe ich Zeit. Gib mir fünf Minuten.« Sie beugte sich vor und malte eine kleine Blume an den Rand ihres linken Auges, nahm mit einer Pinzette eine Paillette und klebte sie genau in die Mitte der Blütenblätter.
Sie liebte den Glitzer, die Art, wie er alles andere überstrahlte, einschließlich ihrer leicht schiefen Zähne, ihres runden Gesichts und ihrer Nase, die sie schon immer hässlich gefunden hatte. Stattdessen lenkte er den Blick der Menschen auf ihre Augen, die das Schönste an ihr waren.
Sie blickte zu Angeline. »Das Kleid ist hinreißend«, sagte sie.
Angeline strahlte und spannte den hellgrauen Samt zu einer Seite. Es gab nicht viel überschüssigen Stoff, selbst an Angelines schmächtiger Gestalt nicht. »Es ist von der Clothes Show im letzten Jahr. Fünfzehn Pfund.«
»O mein Gott«, sagte Zoe und trug am unteren Rand ihres Augenlids einen schmalen Bronzeschimmer auf. »Wie machst du das? Ich war zwei Tage dort und bin nur mit einem Haufen überteuerter Hautpflegeprodukte zurückgekommen, zu deren Kauf mich eine schreckliche Frau mit Drohungen genötigt hat.«
»Wir können dieses Jahr zusammen hingehen, wenn du magst«, sagte Angeline.
»Auf jeden Fall«, sagte Zoe und stand auf. »Okay. Jetzt bist du dran.«
Angeline nahm auf der gepolsterten Sitzbank vor dem Schminktisch Platz, und Zoe zog eine Schublade auf. »Was möchtest du? Ich denke, vielleicht silberne Töne, passend zum Kleid.« Sie betrachtete Angelines Gesicht und Figur. »Mit ein bisschen Blau?«
»Was immer du meinst!«, sagte Angeline achselzuckend.
Zoe lächelte und war froh, dass zwischen ihnen offenbar wieder alles normal war. Angeline hatte sich fast den ganzen letzten Monat nicht mit ihr treffen wollen. Sie war verletzt gewesen, weil Zoe ihr einen Vortrag darüber gehalten hatte, dass sie zu viel trank und sich der Gnade von Fremden auslieferte. Angeline hatte erwidert, dass Zoe nicht ihre Mutter sei, und war unter Tränen aus Zoes Wohnung gestürmt.
Zoe hatte befürchtet, sie könnte Angeline zu neuen Dummheiten getrieben haben. Sie hatte sich ausgemalt, dass sie Richie oder irgendeinen anderen Fremden mit schmutzigen Absichten anrufen würde. Sie hatte versucht, sie zu erreichen, doch Angeline war nicht ans Telefon gegangen und hatte nicht einmal ihre Nachrichten gelesen.
Zoe hatte sich darauf verlassen müssen, dass Maeve und Victor auf Angeline aufpassten, und es waren ein paar sorgenvolle Wochen gewesen. Aber am Ende hatte Angeline kapituliert, angerufen und leise gefragt, ob sie Aidan auch kennenlernen dürfe.
Zoe musterte ihre Freundin genauer und registrierte die dunklen Ringe unter Angelines Augen. Sie fragte sich, wie viel sie im vergangenen Monat geschlafen und wie viel sie getrunken hatte. Nun, Zoe konnte zumindest einige der Spuren überdecken. Sie zog ihr komplettes Set mit Metallicfarben heraus, das sie in einem Spezialgeschäft bestellt hatte, das normalerweise Varietétänzerinnen und Zirkusartisten belieferte. Allein der Anblick der schimmernden Silber-, Gold-, kräftigen Pink-, Blau- und Grüntöne ließ sie lächeln.
»Die«, sagte sie, nahm ein Silber, ein Eisblau und ein Mitternachtsblau heraus. »Aber als Erstes machen wir den Lidstrich.«
Sie hatte den Kajalstift und den Eyeliner schon bereitgelegt. Ohne sie begann Zoe nie einen Look. Es war der dunkle Konturstrich, der ihre Augen von gewöhnlich in phantastisch verwandelte, und die wenigen Male, als sie Freunde getroffen hatte, ohne ihn aufzutragen, hatten sie gefragt, ob sie sich unwohl fühlte. Sie war seufzend nach Hause gegangen und hatte sich einen Lidstrich gezogen, denn sie wollte die Illusion nicht zerstören, dass ihre großen Augen, zu denen ihr jeder Komplimente machte, natürlich waren.
Angelines Augen hingegen wirkten ganz von selbst riesig, eine Folge davon, dass sie kaum etwas aß. Ihr zartes Gesicht wurde von ihnen dominiert, sodass sie aussah wie eine Porzellanpuppe oder – wie Zoe es Aidan beschrieben hatte – wie Bambi, je nachdem, welches Make-up sie trug.
»Mach die Augen zu«, sagte sie und beugte sich vor, um ein wenig Eyeliner nachzutragen.
Angeline schloss lächelnd die Augen. »Geschminkt zu werden ist schön«, sagte sie. »Es fühlt sich an, als würde sich jemand um einen kümmern. Wie wenn meine Mum auf meinem Kopf nach Läusen gesucht hat.«
Zoe lachte kurz. »Muss ich das auch noch für dich machen?«
»Ich hoffe nicht«, sagte Angeline.
»Übernachtest du heute hier?«, fragte sie, während sie weiterarbeitete. »Du kannst in meinem Bett schlafen, wenn du möchtest.«
»Oh … nein, ich glaube nicht.« Zoe sah, wie Angeline die Stirn runzelte. »Ich gehe nach Hause.« Nach einer Pause fügte sie noch hinzu: »Ich sollte wahrscheinlich ein bisschen Wäsche erledigen und dann … arbeiten.«
»Sicher.« Zoe spürte unwillkürlich ein sorgenvolles Rumoren im Magen. Dass Angeline log, war ganz offensichtlich. Und Zoe hatte den Verdacht, dass sie ihr eine weitere Liaison verheimlichte, bei der Zoe eine Gänsehaut bekommen hätte.
Die Art, wie Maeve Aidan ansah, gefiel Zoe nicht. Es war ein kalter Blick, kritisch musterte sie ihn. Zoe ertappte sich dabei, unter dem Tisch mehrfach seine Hand zu drücken und einen Drink nach dem anderen zu bestellen.
Sie verstand nicht, wie Aidan so unbeeindruckt bleiben konnte. Zoe hatte das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben. Sie hätte nicht beide Freundinnen einladen sollen, sodass Aidan jetzt gleichzeitig Angeline Komplimente machen und mit Maeve diskutieren musste. Sie hätte auch keinen Tisch in einem beliebten Restaurant reservieren sollen, das total überlaufen war und dessen Personal permanent den Wunsch ausstrahlte, sie möchten sich beeilen und den Tisch frei machen.
Dabei hätten sie Ruhe gebraucht, eine Umgebung, in der Maeve Gelegenheit hatte, sich mit Aidan zu unterhalten und zu verstehen, wie er war, in der Angeline sich entspannen und aufhören konnte, ständig zusammenzuzucken. Und in der Zoe nicht das Gefühl hatte, sie müsse ihre Aufmerksamkeit in alle Richtungen gleichzeitig lenken.
Aber Aidan machte einfach alles mit und schien keine Schwierigkeiten zu bemerken. Er wischte elegant Maeves Drink auf, als sie ihn verschüttete, ohne Anstoß daran zu nehmen, dass ein Teil des Rotweins auf den Ärmel seines teuren blauen Jacketts gespritzt war. Er lächelte anerkennend und freundlich, während Maeve praktisch allem widersprach, was er sagte, und behandelte sie wie eine geschätzte Kontrahentin, ohne wütend zu werden.
Zoe fand ihn wundervoll. Hin und wieder legte er den Arm um sie, oft wandte er sich im Gespräch an sie und bezog alles auf sie, ohne sie unter Druck zu setzen. Sie hatte trotz des Schleiers aus Sorgen das Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen.
Zoe war unermesslich stolz auf ihn. Stolz, ihn in gewisser Weise zu besitzen, auch wenn dieser Gedanke gleich von neuen Sorgen getrübt wurde, weil Aidan ihr nicht wirklich gehörte. Noch nicht. Er war immer noch Gretas Mann, und sie beide genossen gewissermaßen eine gestohlene Jahreszeit. Scheidungspapiere und Hausverkäufe würden schnell genug kommen.
»Verdammt gutes Essen«, sagte Aidan nach dem Hauptgang. Angeline hatte natürlich den größten Teil ihres Essens auf Maeves Teller geschoben, aber ein paar Bissen hatte sie geschafft. »Einen Drink irgendjemand? Ich gehe an die Bar. Zoe darf nicht. Sonst bestellt sie wieder Jägerbombs.«
Zoe sah ihn dankbar an. Kurz zuvor hatte sie ihr Glas zum vierten Mal geleert, und je länger sie darauf gewartet hatte, dass jemand ihr Rioja nachschenkte, desto gereizter war sie geworden. Sie wollte nicht über irgendeine komplizierte Gruppendynamik nachdenken. Sie wollte diesen warmen Glimmer, der alle zu Freunden machte.
»Noch einen Gin Tonic, Maeve?«, fragte Aidan, als er sich am Tisch vorbeiquetschte.
»Danke, ja«, antwortete Maeve und lächelte diesmal tatsächlich ein bisschen. »Weißt du, was, ich komm mit und helf dir tragen.«
Aidan willigte lächelnd ein. Zoe fühlte sich irgendwie hintergangen, als hätte Maeve ihren Platz eingenommen. Angeline hingegen schien froh, dass sie neben Zoe rutschen konnte, sie legte einen Arm um ihre Hüfte und den Kopf an Zoes Schulter.
»Er ist lustig«, sagte sie leise. »Ich mag ihn. Und du bist glücklich mit ihm, oder?«
Zoe küsste sie auf den Kopf und empfand unendliche Dankbarkeit gegenüber ihrer zierlichen, zarten Freundin Angeline.
»Ja, das bin ich«, sagte sie und empfand keinen allzu großen Stich, als sie sofort wieder an Greta denken musste. »Ich hoffe bloß, er kann das mit seiner Scheidung bald klären.«
»Bestimmt«, erwiderte Angeline zuversichtlich. »Du bist wundervoll. Er will doch sicher jeden Tag mit dir verbringen.«
Zoe lachte, und ihr Blick wanderte zu der hell beleuchteten Bar. »Ich glaube, du bist vielleicht ein wenig voreingenommen. Aber ich hoffe es.« Sie drückte Angeline. »Geht es dir gut?«
Sie spürte, wie Angeline an ihrer Schulter nickte und leise schnaubte. Es erinnerte Zoe daran, wie King Charles, der Cocker Spaniel ihrer Eltern, sich an sie schmiegte, und sie musste grinsen. Ein Teil ihrer Sorgen verflog, obwohl sie gern gewusst hätte, worüber Maeve mit Aidan redete. Sie sah, wie ihre braunen Locken sein dunkles welliges Haar beinahe berührten, wenn sie sich vorbeugte, um etwas zu sagen. Zwei Haarmähnen, die aussahen, als könnten sie sich vereinigen.
Dann drehte Aidan sich um, sein Blick suchte sie. Als er sie fand, leuchtete seine Miene auf, und sie machte sich keine allzu großen Sorgen mehr darüber, was Maeve vielleicht sagte. Es war richtig. Sie beide waren richtig.
Erst viel später kam sie dazu, mit Maeve zu sprechen, während Aidan schon nach draußen gegangen war, um ein Taxi heranzuwinken, was schneller ging, als eins zu rufen, wie er behauptet hatte.
Maeve nahm einen großen Schluck von ihrem Gin, beugte sich vor und strich über Zoes Unterarm.
»Also gut. Er ist kein mieser verlogener Schleimbeutel«, sagte sie und verzog den Mund zu einem Lächeln. »Er ist ein guter Mensch, der in eine schwierige Situation geraten ist. Und ihr zwei seid hinreißend zusammen.«
Zoe kamen die Tränen, was wahrscheinlich zur Hälfte am Alkohol und zur anderen Hälfte an ihrer Erleichterung lag, doch in diesem Moment empfand sie eine große Zuneigung für ihre nervige Mitbewohnerin.
Jetzt würde alles leichter werden. Maeve mochte Aidan. Sie war einverstanden mit Aidan. Wen kümmerte es, dass sie nie darauf hörte, was Zoe ihr riet?
»Ich bin so froh, dass du das denkst«, sagte sie und verschränkte kurz ihre Finger mit Maeves.
»Ah, ganz ruhig«, sagte Maeve, zog ihre Hand weg, beugte sich vor und umarmte Zoe richtig. »Könntest du bloß … dafür sorgen, dass du es auch Victor erzählst?«, fragte sie.
Zoes Wohlgefühl ließ ein wenig nach, und sie löste sich aus der Umarmung. »Ja, natürlich«, sagte sie, obwohl sie die Aussicht bedrückend fand.
»Sonst ist er der Einzige, der es nicht weiß, oder?«, beharrte Maeve.
»Ich weiß.«
»Aber es wird bestimmt okay«, fügte Maeve hinzu, als könnte sie Zoes Gefühle nachempfinden. »Aidan ist so charmant. Er wird Victor schon für sich einnehmen.«
Zoe hörte einen Ruf von der Tür, drehte sich um und sah Aidan, der ihr triumphierend zuwinkte, nachdem er auf die altmodische Art tatsächlich ein Taxi für sie besorgt hatte.
»Selbst wenn er ein bisschen technikfeindlich ist«, fügte Maeve hinzu.
Zoe nahm ihren Mantel und ihre Tasche und verabschiedete sich eilig. »Bis morgen«, sagte sie zu Angeline, die die Füße auf ihren Stuhl gezogen hatte. In ihrer optimistischen Stimmung kam ihr die vorherige Sorge über irgendeinen Idioten, den Angeline auf Tinder kennengelernt hatte und von dem sie wahrscheinlich schon wieder gelangweilt war, mit einem Mal albern vor.
Sie wusste, dass ihre Freundinnen ihr nachsahen, als sie zu Aidan ging und ihn lange auf den Mund küsste, aber das war ihr egal. Er sah sie mit seinem kindlichen Lächeln an und legte kurz einen Arm um sie. »Lass uns nach Hause fahren«, sagte er und ließ seine Hand auf ihren Hintern gleiten.
Als er sich umdrehte und sie, den Arm immer noch um sie gelegt, nach draußen führte, hatte sie plötzlich das Gefühl, dass jetzt alles gut werden würde.