Oktober – dreizehn Monate vorher

Bei der Arbeit unterliefen ihr ständig Missgeschicke. Zweimal musste sie Getränke neu machen, weil sie statt Sojamilch Milch genommen hatte oder statt koffeinfreiem richtigen Kaffee. Mieke war zunächst sehr verständnisvoll gewesen, als Zoe ihr von der Trennung erzählt hatte, aber das war bei der vorletzten Schicht gewesen, und Zoe spürte, dass ihre Kollegin hinter ihrer freundlichen Fassade allmählich ungeduldig wurde.

Heute war es eigentlich auch gar nicht die Trennung, die sie ablenkte. Der Schmerz war im Hintergrund immer noch da, und jedes Mal wenn sie daran dachte, hätte sie am liebsten losgeheult, doch sie kam jetzt schon besser zurecht. Allmählich gelang es ihr wieder, an andere Dinge zu denken, und sie konnte sich schon fast vorstellen, sich mit anderen Männern zu treffen.

Heute war das Problem Angeline, die eben hereingekommen war, und zwar nicht allein. Sie hatte Zoe trotzig, ja beinahe triumphierend angelächelt, als sie mit Richie aufgekreuzt war. Zoe konnte ihn nicht ansehen, ohne daran zu denken, wie Angeline in der Bar am Hafen an ihm geklebt hatte.

Was machte sie mit ihm? Es war Zoe unbegreiflich. Er war einfach so … so schrecklich. Angefangen mit der Art, wie er fast jeden Satz, den er sagte, brüllte und den Blick durch das Café schweifen ließ, als wäre er ein verdammt harter Bursche. Und sie hasste es, wie er Angeline ansah, als wäre sie sein Besitz.

Ihr wurde bewusst, dass der nächste Gast auf sein Getränk wartete.

»Oh, hi«, sagte sie. Trotz allem besserte sich ihre Laune. »Wie geht’s? Ich hab dich viel zu lange nicht gesehen.«

»Gut«, sagte er und erwiderte ihr Lächeln. »Noch besser, jetzt wo ich dich sehe. Ich hatte bloß einen Infekt und wollte niemanden anstecken.«

»Sehr rücksichtsvoll. Ich hoffe nur, du hast mich vermisst.«

»Jede Sekunde.«

Grinsend wischte sie den Milchschäumer ab und bereitete Felix’ Flat White.

»Wie läuft es bei dir?«, fragte Felix. »Geht es Aidan gut?«

Zoe zuckte zusammen, bemühte sich jedoch, weiterzulächeln. »Oh, wir sind nicht mehr zusammen.«

Felix schien ehrlich überrascht. »Das tut mir sehr leid. Und ich muss gleich ins Fettnäpfchen treten. Wie kommst du zurecht?«

»Sehr gut«, sagte sie und fügte über dem Lärm der Kaffeemaschine hinzu: »Wie sich herausgestellt hat, war er doch nicht so getrennt von seiner Frau.«

»Ah«, sagte Felix. »Das ist … beschissen.«

Zoe nickte und zuckte die Schultern. Sie drehte den Milchschäumer ab und goss die Milch in Felix’ Kaffee. »Tja. Menschen sind halt manchmal beschissen.«

»Ich konnte ihn ohnehin nie leiden«, sagte Felix zwinkernd. »Du hast jemanden verdient, der nicht so viel schmollt.«

Zoe lachte, obwohl ihr eigentlich nicht danach zumute war. »Na, jetzt schmollt er auf jeden Fall. Er versucht ständig, mir über meine Freunde Nachrichten zukommen zu lassen, und taucht überall auf, wo ich bin. Ich musste schon meine Schicht tauschen, um ihm aus dem Weg zu gehen.«

»Bei dir zu Hause auch?«, fragte Felix.

»Manchmal«, antwortete Zoe.

Nach einer Pause sagte Felix: »Das ist wirklich nicht richtig.

»Es ist nicht wirklich …«

»Zoe, verdammt, ich war Polizist. Vertrau mir.«

Zoe zuckte die Achseln und nickte.

»Zweitens, wenn du umziehen willst, kann ich dir helfen. Ich muss meiner Mieterin kündigen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlt. Wenn du einziehen willst, würdest du mir einen Gefallen tun.«

Zoe blickte in seine gütige Miene und lächelte. »Danke. Das ist wirklich reizend von dir. Ich glaube … ich glaube, ein Umzug wäre im Moment zu viel für mich. Aber wenn die Wohnung in ein paar Wochen noch frei ist und ich es nicht mehr aushalte …«

»Sag einfach Bescheid«, erklärte Felix entschieden. »Ich habe es mit der Vermietung nicht eilig.« Er warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. »Niemand sollte das Gefühl haben, bei sich zu Hause nicht sicher zu sein.«

Zoe hatte ihre Schicht um sechs beendet und Mieke geholfen, den Laden abzuschließen, bevor sie die Hill Lane hinunter nach Hause geradelt war. Vor dem Haus ließ sie den Blick schweifen, um zu sehen, ob Aidan auf sie wartete, was offenbar nicht der Fall war. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie erleichtert war. Es fiel ihr schwer, ihn nicht zu vermissen, obwohl sie sich gleichzeitig nach Kräften bemühte, ihn aus ihrem Leben zu verbannen.

Zoe dachte wieder an Angeline und Richie und fragte sich, ob er ihre Freundin bedrängt hatte, bis sie nachgegeben hatte. Aber warum hatte Angeline nichts gesagt? Weil sie sich für ihn schämte, vermutlich.

Wie auch immer, dachte Zoe, als sie ihr Fahrrad hinter dem Tor neben dem Haus abstellte, es war Angelines Sache, mit wem sie ihre Zeit verbringen wollte. Zoe war nicht ihr Babysitter.

Hör auf, dir um alle anderen Sorgen zu machen. Sie sind alle erwachsen und kommen auch ohne dich klar.

Sie schloss die Wohnung auf und hoffte, das Maeve in ihrem Zimmer sein würde. Ihr war nach ein bisschen Ruhe und Frieden zumute.

Im Flur sah alles normal aus, kein zusätzlicher Mantel an der Garderobe. Nicht einmal Monkfish warnte sie vor. Er strich nur um ihre Beine wie immer und tapste dann in die Küche. Deshalb war nichts ungewöhnlich, bis Zoe das Wohnzimmer betrat, wo Aidan in ihrem Sessel saß und Maeve zusammengerollt auf dem Sofa gegenüber.

Als er sie sah, sprang er mit einem schrecklich beglückten Gesichtsausdruck auf, der schnell in Zweifel umschlug.

Sie sah ihn kopfschüttelnd an. »Was machst du hier?«, fragte sie möglichst kühl.

»Tut mir leid, Zoe«, sagte Maeve und entrollte sich langsam auf dem Sofa. Ihr Gesicht war knallpink, und Zoe fragte sich, wobei sie gestört hatte.

Maeve hastete aus dem Zimmer. Zoe wusste, dass sie ebenfalls auf dem Absatz kehrtmachen und gehen sollte.

Aber dann sagte Aidan: »Bitte.« Er sah sie mit einem so weichen, traurigen Ausdruck an, dass ihre Entschlossenheit bröckelte. Trotz allem wollte sie hören, was er zu sagen hatte.

Aber sie würde sich nicht setzen. Achselzuckend blieb sie vor ihm stehen und fragte: »Was willst du mir sagen?«

»Ich weiß, warum du getan hast, was du getan hast«, sagte er und sah sie mit ruhigem, festen Blick an. Sie konnte nicht umhin, die Ringe unter seinen Augen zu bemerken, und fragte sich, ob er genauso wenig geschlafen hatte wie sie. Und sie konnte auch nicht umhin, aufs Neue festzustellen, wie attraktiv er war.

Sie versuchte, den Blick abzuwenden, doch es fiel ihr nicht leicht. Vor allem, als er weitersprach.

»Ich weiß genau, warum. Weil alles aussah wie ein Haufen Lügen. Und bei manchem habe ich auch gelogen. Oder ich habe zumindest

»Wenn du mir zuerst erzählst, was du hier mit Maeve gemacht hast«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Mit Maeve?«, fragte er verwirrt. »Ich habe auf dich gewartet. Sie hat mich hereingelassen. Ich glaube, sie hatte Mitleid mit mir und … Hör mal, du darfst ihr keine Vorwürfe machen. Ich habe ihr alles erklärt, und sie hat verstanden, dass wir beide miteinander reden müssen. Und das tun wir ja jetzt.« Er beobachtete sie einen Moment lang ängstlich und sagte dann: »Ich mache dir einen Tee.«

Er ging in die Kochnische, schaltete den elektrischen Kessel ein, öffnete einen Schrank, machte ihn wieder zu und fand ihren blau gepunkteten Becher schließlich im Spülbecken. Zoe kam sich dumm vor, einfach so herumzustehen, deshalb setzte sie sich in ihren Sessel und versuchte, ihre Abwehr zu formieren. Sie rief sich das Bild von ihm und Greta vor Augen, das Gefühl der Übelkeit, das sie bei seiner Entdeckung überkommen hatte.

Sie versuchte, den Teil von sich zu unterdrücken, der verzweifelt eine nachvollziehbare Erklärung für alles hören wollte. Sie schüttelte rasch und entschieden den Kopf. Es gab keine nachvollziehbare Erklärung. Sie wusste, was sie gesehen hatte.

Aidan brachte ihr Tee, eine Hand am Henkel, die andere am Becherrand. Mit Genugtuung bemerkte sie, dass seine Hände zitterten, als er den Tee auf dem Tisch vor ihr abstellte. Es war so seltsam, ihn nach nicht einmal einem Monat wiederzusehen, hier, wo sie so viel Zeit miteinander verbracht hatten. Es fühlte sich irreal an.

»Lass mich damit anfangen, was ich dir nicht erzählt habe«, begann Aidan. »Ich habe dir nicht erzählt, dass Greta nicht möchte, dass ihre Eltern von der Trennung erfahren. Ich weiß, es klingt wie eine Ausrede, um es geheim zu halten, aber das glaube ich nicht. Von ihrer Seite gab es immer nur Verständnis. Sie weiß, dass es aus ist.«

»Es ist nicht aus«, erwiderte sie, so kühl sie konnte.

»Gretas und meine Ehe ist zu Ende«, erklärte er entschieden, »doch ich kann vollkommen verstehen, warum du glaubst, dass das nicht so ist. Auf dem Foto haben wir ausgesehen wie ein Paar im Urlaub. Und ich hatte dir auch nicht erzählt, dass sie trotzdem noch mitkommen würde. Sie hat das Ticket vor Monaten gekauft. Wir haben vergeblich versucht, es zu stornieren. Aber wir hatten getrennte Zimmer, und wir dachten beide, das wäre okay.«

»Es war aber verdammt noch mal nicht okay«, sagte Zoe. »Du bist mit deiner Frau in Urlaub gefahren. Daran ist absolut gar nichts okay. Und was ihr beide bei einem gemütlichen Plausch in eurem kleinen Häuschen besprecht, bedeutet eigentlich gar nichts.«

»Ich weiß«, sagte er verzweifelt. »Ich weiß. Ich wusste, dass es nicht okay war, deshalb habe ich es dir nicht erzählt. Ich wusste, dass du wütend werden würdest, aber ich dachte, ich könnte wenigstens nett zu ihr sein, wenn ich schon alles andere kaputt mache.«

»Warum musst du denn nett sein?«, fragte Zoe. »Wenn sie einverstanden ist. Das war doch eine Erleichterung, oder?«

»Herrgott noch mal«, herrschte Aidan sie plötzlich an und schien mit einem Mal unbehaglich nahe. Beängstigend. Zoe zuckte zurück, als er seinen Becher auf die Platte knallte. »Bist du wirklich so naiv?«

Sie starrte ihn mit heftig pochendem Herzen an. Was machte er hier? Warum hatte Maeve ihn hereingelassen? Er sollte nicht hier sein, geschweige denn sie mit so kalter Wut anschauen.

Und dann schien seine Wut zu verpuffen, und er sagte: »Es tut mir leid. Ich bin so ein verdammter Idiot. Ich … Es tut mir schrecklich leid.« Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht. »Natürlich weißt du nicht, wie es ist, sich von jemandem scheiden zu lassen. Selbst wenn man es will, bricht es einem das Herz. Sich von jemandem zu verabschieden, mit dem man achtzehn Jahre verbracht hat, ist trotz

Zoe starrte auf ihre Hände, bewegte einen Finger nach dem anderen, und war tief zerrissen zwischen Mitleid und Unversöhnlichkeit. Ihn in Tränen aufgelöst zu sehen war furchtbar. Er wurde normalerweise nie emotional, versteckte sich lieber hinter seinem Sarkasmus.

Aber er hatte ihr erklärt, dass sie der einzige Mensch sei, in dessen Gegenwart er sich verletzlich zeigen könne. Ihm die kalte Schulter zu zeigen, während er schluchzend vor ihr stand, war mehr, als sie ertragen konnte. Die Erinnerung an seine Wut und ihre Furcht war augenblicklich verflogen.

Sie schlang von hinten die Arme um ihn und schmiegte den Kopf an seinen Hals, dicht an sein Ohr.

»Nicht«, sagte sie. »Alles ist gut. Es ist nicht … Du hast mich nicht verloren. Wenn du einfach ehrlich zu mir bist, kann es funktionieren. Wir können es schaffen. Das verspreche ich dir.«

Als er sich umdrehte und sie für einen feuchten salzigen Kuss an sich zog, war es so wundervoll, dass es sich überhaupt nicht anfühlte wie eine Dummheit. Auch nicht, als sie die Augen öffnete und Maeve in der Tür stehen sah, die sie mit einem seltsamen konzentrierten Gesichtsausdruck beobachtete.