Kapitel 33

Polizeirevier in Canterbury
Montag, 17 . Dezember 2018

Als Lily auf dem Polizeirevier von Canterbury ankam, wartete Nelly Wilson bereits auf sie.

»Wir sind immer noch unterbesetzt«, entschuldigte sie sich dafür, dass kein Kriminalbeamter, sondern sie als einfache Police Constable Lilys Aussage aufnahm. »Und Sie haben ja sicher bereits vom Tod der alten Dame infolge eines Raubüberfalls gehört. Damit ist unsere gesamte CID im Augenblick vollauf beschäftigt.«

Lily nickte. In der vergangenen Woche, die sie in ihrer Wohnung verbracht hatte, hatte sie sich im Internet ausführlich über die Raubserie informiert. »Es ist mir sogar lieb, dass ich mit Ihnen zu tun habe, Nelly.« Als sie ihren Fauxpas bemerkte, schlug Lily sich leicht auf die Lippen.

Doch die junge Polizeibeamtin lächelte. »Wir können uns gerne mit Vornamen anreden«, bot sie an. »Sie waren doch mal eine von uns und wissen daher, dass es so üblich ist.« Dann musterte sie Lily intensiv. »Wie geht es Ihnen denn heute?«

Lily lächelte schwach. »Immerhin weitaus besser als an dem Tag, an dem Sie mich im Krankenhaus vernommen haben. Ich habe mich in der vergangenen Woche gründlich ausgeruht, viel geschlafen und wenig unternommen. Jetzt fühle ich mich zumindest wieder fit genug, um Auto zu fahren und meine Einkäufe selbst zu erledigen. Arbeiten werde ich allerdings erst wieder im neuen Jahr. Ich gehe davon aus, dass Sie bei den Ermittlungen, wer mich niedergeschlagen hat, noch nicht weitergekommen sind.«

»Da haben Sie leider recht, Lily. Erwartungsgemäß fanden sich keine Fingerabdrücke oder DNA auf dem Zettel, den man in Ihrer Jackentasche gefunden hat. Und in der stillen Seitenstraße, in der man Sie niederschlug, gab es keine Zeugen.«

»Also auch keine Erkenntnisse über den SUV

Nelly schüttelte den Kopf. »Keine aussagekräftigen. Allein in dieser Straße fahren drei Anwohner einen dunklen SUV . Damit kommen wir also nicht weiter, zumal wir ja gar nicht wissen, ob es sich dabei um eine echte Spur handelt.«

»Eigentlich habe ich auch nichts anderes erwartet«, sagte Lily resigniert. »Dann lassen Sie uns jetzt auf Vera Osmond kommen. Vielleicht verhilft meine Aussage ja dazu, dass die Polizei zumindest in diesem Fall weiter kommt als in meinem eigenen.«

Nelly hob erstaunt die Augenbrauen. »Eigentlich dachte ich, der Fall Vera Osmond wäre sonnenklar. Und Ihre heutige Aussage nur eine Formsache, damit wir ihn endgültig zu den Akten legen können.«

Lily straffte die Schultern und holte tief Luft. »Sie gehen also nach wie vor davon aus, dass Vera Osmond sich selbst von jenem Hochhaus gestürzt hat?«

Nelly betrachtete sie aufmerksam. »Was spricht aus Ihrer Sicht denn dagegen?«

»Ich hielt Vera Osmond für alles andere als selbstmordgefährdet, als ich zuletzt mit ihr sprach. Im Gegenteil, sie erschien mir vital und unternehmungslustig.«

Doch während sie Nelly Wilsons Fragen beantwortete, wurde Lily klar, dass auch Nelly einen Selbstmord für die wahrscheinlichste Lösung hielt. Deutlicher als je zuvor musste Lily sich eingestehen, dass es keinen objektiven Beweis dafür gab, dass Vera durch Fremdverschulden ums Leben gekommen war.

Im Gegenteil, die Tatsache, dass Vera auch nach dem Abschluss der scheinbar erfolgreichen Behandlung nach neuen Gesprächsterminen verlangt hatte, wirkte für Außenstehende wie ein Rückfall und Indiz für ihre fortbestehende Labilität.

So verzichtete sie auch darauf, Nelly von Veras Mordtheorie zu berichten. »Haben Sie denn objektive Beweise dafür gefunden, dass Vera Grund hatte, sich das Leben zu nehmen?«, fragte sie stattdessen.

An Nelly Wilsons Miene erkannte sie, dass es diese Beweise zu geben schien. Aber sie wich einer Antwort aus. »Liebe Lily, Sie wissen doch, dass ich Ihnen diese Frage nicht beantworten darf. Zumal die Ermittlungen noch nicht endgültig abgeschlossen sind. Außerdem wurden wir in Canterbury lediglich um Amtshilfe gebeten, um die örtlichen Zeugen zu befragen. Die Zuständigkeit liegt im Londoner Polizeibezirk Hackney.«

Lily wusste nur zu gut, dass Nelly sich lediglich an die Vorschriften hielt. Trotzdem presste sie frustriert die Lippen zusammen.

»Aber ich verstehe natürlich, wie sehr es Sie belastet, dass sich eine Ihrer Patientinnen das Leben genommen hat«, versuchte Nelly sie zu trösten.

Alles in Lily begehrte dagegen auf. Doch sie beherrschte sich. »Da haben Sie recht. Mich belastet das wirklich sehr. Und deshalb würde ich gern mit dem Londoner Leiter der Ermittlung einmal über den Fall sprechen und seine Einschätzung dazu hören. Wer ist es denn?«

Nelly zögerte kurz, gab dann aber nach einem Blick auf ihren Rechner Auskunft. »Es ist Chief Detective Inspector Jonathan Anderson. Er ist Leiter des CID in Hackney. Vielleicht ist er als ehemaliger Kollege von Ihnen bei der Londoner MET ja bereit zu einem Gespräch.«

Lily durchfuhr es heiß und kalt. Sie unterdrückte ein Stöhnen und hoffte, dass ihr ihre Gesichtszüge nicht entgleist waren.

Shit!, dachte sie. Ausgerechnet Jonathan Anderson! Mit ihm hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Denn er war seinerzeit in Southwark tätig gewesen, musste also inzwischen nach Hackney versetzt und auch noch befördert worden sein.

 

Auf dem Rückweg zu ihrer Wohnung versuchte Lily, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie genau ihre Auseinandersetzung mit Jonathan Anderson damals verlaufen war. Sie war dem Chief Detective Inspector im Zusammenhang mit ihren Ermittlungen über einen Cold Case in ihrer Zeit bei der MET begegnet. Und hatte daran nur die unangenehmsten Erinnerungen.

Der Fall lag zum Zeitpunkt, zu dem sich Lily damit beschäftigte, zehn Jahre zurück und drehte sich um den Mord an der zwölfjährigen Agnes Kerry, die man am Ufer der Themse in Southwark gefunden hatte. Das Mädchen war zuerst vergewaltigt worden. Der Täter musste dabei ein Kondom benutzt haben, denn die Rechtsmedizin konnte keine Spermaspuren an der Leiche entdecken. Um die Tat zu vertuschen, hatte der Mörder Agnes danach mit ihrem eigenen Halstuch erdrosselt.

Jonathan Anderson, zu jener Zeit noch Detective Sergeant, war Mitglied der Mordkommission gewesen und hatte jenes verhängnisvolle Verhör geführt, das die Ermittlungen nach Lilys Ansicht in eine völlig falsche Richtung gelenkt hatte.

Nach Aussage einiger Zeugen war Agnes zuletzt mit einem siebzehnjährigen Nachbarsjungen namens Arnie gesehen worden, der geistig leicht behindert war. Tatsächlich hatte man Faserspuren seiner Jacke an Agnes’ Leiche gefunden, jedoch keine DNA , die auf ihn als Vergewaltiger und Mörder hinwies.

Trotzdem hatte Anderson den jungen Mann in seinem Verhör so stark unter Druck gesetzt, dass der sich in immer mehr Widersprüche verwickelte. Für eine Verhaftung hatte die Beweislage zwar nicht gereicht, aber schon in der ersten Nacht nach dieser brutalen Vernehmung hatte sich Arnie mit seinem Gürtel erhängt.

Lily war damals entsetzt gewesen, als sie die perfiden Verhörmethoden dem Protokoll entnahm. Obwohl der Fall aufgrund eines fehlenden Geständnisses offiziell als ungelöst galt, waren die Ermittlungen nach Arnies Selbstmord eingestellt worden. Er galt dem CID offensichtlich als Täter.

Zehn Jahre später hatte Lilys Aufgabe darin bestanden, aus den wenigen vorhandenen Daten ein Täterprofil zu erstellen, das den Verdacht hinsichtlich Arnies Schuld untermauerte, um den Fall danach endgültig zu den Akten legen zu können.

Doch Lily war rasch zu der Überzeugung gelangt, dass Arnie gar nicht der Täter gewesen sein konnte. Den schlagenden Beweis dafür fand sie in einem ärztlichen Bericht über den geistig behinderten jungen Mann, der erst posthum zu den Akten gelangt war. Dort war dem Siebzehnjährigen nämlich auch eine schizophrene Psychose attestiert worden, die mit einem Neuroleptikum behandelt wurde.

Abgesehen davon, dass es dem jungen Mann mit seiner gleich doppelten Beeinträchtigung schwergefallen sein dürfte, die Leiche so gut zu verstecken, dass sie erst zwei Tage später gefunden wurde, und zudem alle DNA -Spuren zu vermeiden, machte dieses Neuroleptikum in der verabreichten Dosierung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit impotent.

Die Rechtsmedizin hatte jedoch keinen Zweifel daran gelassen, dass Agnes vergewaltigt worden war. Das Gutachten schienen die damaligen Ermittler nur oberflächlich gelesen zu haben. Denn auch im Rektum des Mädchens fanden sich deutliche Spuren eines früheren sexuellen Missbrauchs.

Damit stand für Lily fest, dass der wahre Mörder noch immer frei herumlief. Diese Ansicht teilte auch ihr damaliger Vorgesetzter bei Scotland Yard.

Lily fiel einer der Zeugen als Tatverdächtiger fast unmittelbar ins Auge. Es handelte sich um den damaligen Lebensgefährten von Agnes’ Mutter. Interessanterweise hatte er den Siebzehnjährigen als Erster beschuldigt, die Tat begangen zu haben. Der Lebensgefährte war allerdings nicht von Jonathan Anderson verhört worden, sondern von einem weiblichen Detective Constable. Diese hatte einen Vermerk über die offensichtliche Teilnahmslosigkeit des Stiefvaters während der Befragung gemacht und eine hochinteressante Beobachtung hinzugefügt.

Unmittelbar nachdem sie die Vernehmung beendet hatte, bemerkte die Polizistin aus den Augenwinkeln, dass der Mann einen Moment lang über das ganze Gesicht strahlte. Anders als die Ermittlerin konnte Lily mit dieser Beobachtung sofort etwas anfangen.

Dieses Phänomen nannte man bei der Täterprofil-Erstellung »Duping Delight«. Darunter verstand man eine der Situation vollkommen unangemessene freudige Mimik. Lügner zeigten sie häufig für wenige Sekunden, wenn sie eine Befragung als beendet betrachteten und sich daher nicht mehr darauf konzentrieren mussten, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Ihr Eindruck, erfolgreich gelogen zu haben, äußerte sich dann in diesem triumphierenden Gesichtsausdruck.

Mit diesen Indizien im Gepäck hatte Lily das Gespräch mit Jonathan Anderson gesucht. Er war inzwischen Detective Inspector und Leiter der Ermittlungen im Mordfall Agnes Kerry. Die Unterredung erwies sich für Lily von Anfang an als außerordentlich schwierig.

»Also, was kann ich denn für Sie tun, Miss Brown?« Schon mit der unangemessenen Anrede »Miss« zeigte Anderson Lily, dass er sie nicht für voll nahm.

Sie blieb ihm nichts schuldig. »Wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, können Sie mir Auskunft über einen Ihrer alten Fälle geben, my boy«, sagte sie, wohl wissend, dass Anderson mindestens fünfzehn Jahre älter war als sie.

Obwohl sich seine Miene vor Zorn verzerrte, hielt er sich noch bedeckt. »Dann lassen Sie mal hören, was Ihnen auf der Seele liegt, Miss!«

»Es geht um den Fall Agnes Kerry. Das hatte ich Ihnen ja bereits bei unserer Terminvereinbarung mitgeteilt. Erinnern Sie sich daran?«

Anderson schnaubte. »Selbstverständlich erinnere ich mich daran. Selbst einem hartgesottenen Polizisten wie mir geht ein solcher Kindermord nach.«

Lily nahm Anderson das zwar nicht ab, nutzte aber die Chance, die in seiner Antwort lag. »Dann ist es Ihnen doch sicher bis heute ein Herzensanliegen, den wahren Täter zu finden.«

Anderson zog grimmig die Augenbrauen zusammen. »Der wahre Täter hat sich selbst gerichtet«, behauptete er, offensichtlich immer noch davon überzeugt, der siebzehnjährige Arnie wäre der Schuldige.

»Umgebracht hat sich nur ein armer Bursche, der geistig behindert und darüber hinaus psychisch krank war. Wahrscheinlich weil er sich dem Druck nicht gewachsen fühlte, unter den Sie ihn damals gesetzt haben«, ging Lily in die Offensive. »Aber um den Täter handelte es sich bei ihm definitiv nicht.«

Anderson fixierte sie mit starrem Blick. »Und wie kommen Sie zu dieser interessanten Ansicht?«

Lily ließ sich nicht einschüchtern. »Bevor Sie den Jungen derart in die Mangel genommen haben, hätten Sie besser das medizinische Urteil über ihn abgewartet. Dann hätten Sie nämlich erfahren, dass er zusätzlich zu seiner geistigen Behinderung auch an einer psychischen Krankheit litt. Menschen mit solchen Beeinträchtigungen müssen behutsam befragt werden, am besten von Experten, die speziell dafür ausgebildet sind.«

»So wie Sie eine sind?« Der Sarkasmus in Andersons Stimme war nicht zu überhören.

»Ja, so wie ich eine bin. Aber es bedarf keineswegs meiner Spezialausbildung in Täter- und Opferpsychologie, um herauszufinden, dass dieser Junge zu gar keiner Vergewaltigung fähig war. Er nahm nämlich ein Medikament ein, das zu schweren Erektionsstörungen und damit Impotenz führt. Mit anderen Worten, da die Rechtsmedizin zweifelsfrei nachgewiesen hat, dass Agnes Opfer einer vollendeten Vergewaltigung wurde, wäre Arnie als Täter von vornherein ausgeschieden.«

Anderson starrte sie mit offenem Mund an.

»Selbst wenn er über die geistigen Fähigkeiten verfügt hätte, die Leiche so geschickt zu verstecken und seine Spuren so effektiv zu verwischen«, fügte sie hinzu. »Sie haben meiner Ansicht nach den Täter also an der völlig falschen Stelle gesucht.«

Jonathan Anderson schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dann polterte er los. »Was … Was fällt Ihnen überhaupt ein, Miss Neunmalklug? Sie waren doch gar nicht vor Ort und können die Lage daher überhaupt nicht beurteilen. Es gibt außerdem Zeugen, die ausgesagt haben, dass Arnie Agnes schon vorher sexuell belästigt hat. Er hat mehrmals versucht, ihre Brust zu betatschen.«

»Diese Aussagen halte ich für unbewiesene Behauptungen«, konterte Lily. »Sie gehören im Gegenteil für mich sogar zu den Indizien, die auf den wahren Mörder hinweisen.«

Anderson setzte ein höhnisches Grinsen auf. »Und wen haben Sie da im Blick?«

»Den damaligen Lebensgefährten der Mutter. Das Kind wies nämlich weitere Spuren von sexuellem Missbrauch auf sowie zahlreiche verheilte Verletzungen, die auf fortgesetzte Misshandlungen hindeuten. Das müssten Sie dem rechtsmedizinischen Gutachten doch entnommen haben.«

Jonathans Gesicht färbte sich puterrot. »Der Stiefvater hatte ein Alibi. Das müssten Sie ebenfalls wissen, wenn Sie die Akte sorgfältig gelesen hätten.«

»Das Alibi hat ihm die Mutter des Mädchens gegeben. Die zumindest gewusst haben muss, dass er Agnes misshandelt, ohne dies jemals zur Anzeige zu bringen.«

»Das sind doch haltlose Hypothesen. Aus der Luft gegriffene Behauptungen! Entspringen sie Ihrer weiblichen Intuition , oder haben Sie auch noch was Handfestes vorzuweisen?«

»Der Stiefvater selbst hat Arnie als Täter ins Spiel gebracht. Wohl wissend, dass er an jenem Tag Kontakt mit Agnes hatte, sodass bei dieser Gelegenheit die Faserspuren von seiner Jacke auf Agnes’ Pullover geraten sein können. Von ihm stammt auch die Behauptung, Agnes habe sich zu Hause über Arnies sexuelle Belästigungen beklagt.«

»Was Agnes’ Mutter ebenfalls bestätigt hat!«

»Zweifellos, um ihren Lebensgefährten zu decken. Möglicherweise war sie ihm hörig.«

»Wieder eine völlig unbewiesene Behauptung!«, schnappte Anderson. »Doch wenn Sie nicht mehr auf der Pfanne haben …« Er ließ die Worte im Raum stehen.

Lily holte tief Luft. »Man fand DNA -Spuren des Lebensgefährten der Mutter auf Agnes’ Wangen und Hals.«

Anderson blieb unbeeindruckt. »Natürlich, weil der Mann, der bei Agnes Vaterstelle eingenommen hat, ihr sicher ab und zu mal einen Kuss gegeben hat. Einen harmlosen Kuss.«

»Auf den Hals?«

Beide starrten sich unversöhnlich in die Augen.

Lily legte ihren letzten Trumpf auf den Tisch. »Außerdem hat die Beamtin, die den Stiefvater verhört hat, eine sehr interessante Beobachtung gemacht.«

Sie schilderte Anderson den nur Sekunden währenden verräterischen freudigen Gesichtsausdruck des Mannes unmittelbar nach dem Ende der Vernehmung.

Doch Anderson war in lautes Lachen ausgebrochen. »Verschonen Sie mich mit diesem Psychokram! Das sind doch alles Hirngespinste! Ich habe sowieso nie verstanden, wieso die MET Leute wie Sie überhaupt braucht. Von effektiver Ermittlungsarbeit habt ihr doch überhaupt keine Ahnung!«

Damit war das Gespräch ergebnislos zu Ende gegangen.

Lily hatte sich danach bei ihrem Vorgesetzten über Jonathan Anderson beschwert. Der hatte zwar dafür gesorgt, dass der Detective Inspector von seinem Chief Superintendent einen Rüffel erhielt. Der Aufklärung des Falls hatte dies allerdings nichts genutzt. Denn der Lebensgefährte hatte sich schon vor Jahren von Agnes’ Mutter getrennt und war mit unbekanntem Ziel verzogen. Und die Indizien gegen ihn reichten nicht aus, um eine Fahndung zu rechtfertigen. Dazu hatte maßgeblich beigetragen, dass Anderson nach wie vor beteuerte, dass er den Mann für vollkommen unschuldig hielt.

So blieb der Mord an der zwölfjährigen Agnes bis heute ungesühnt. Und genau mit dem Menschen, der das hauptsächlich zu verantworten hatte, sollte sich Lily jetzt über Vera Osmond unterhalten.

Noch bevor sie ihre Wohnung erreichte, wurde ihr allerdings klar, dass sie mit ihrer damaligen Gesprächsstrategie nichts erreichen würde, sollte Anderson überhaupt bereit sein, mit ihr über Vera zu sprechen.

Um an nützliche Informationen zu kommen, muss ich also wesentlich bescheidener und defensiver auftreten, beschloss sie grollend. Dass Anderson sich noch an sie erinnern oder sie zumindest wiedererkennen würde, bezweifelte sie keine Sekunde lang.