»Also Lily, ich halte das für keine gute Idee«, sagte Matt beschwörend. »Du wirst meiner Ansicht nach überhaupt nichts erreichen, begibst dich möglicherweise aber in große Gefahr.«
Lily verdrängte das Gefühl, dass Matt recht haben könnte. Sie saßen gemeinsam im Café M&S , das der Praxis am nächsten lag. Lily hatte Matt zum Lunch eingeladen.
»Aber irgendetwas muss ich doch tun«, erwiderte sie. »Vielleicht erhalte ich ja einen Hinweis, was mit Vera geschehen sein könnte, wenn ich persönlich mit Felicity spreche.«
»Selbst wenn es so wäre, was willst du denn damit anfangen?«
Lily überlegte kurz und entschloss sich dann, Matt in ihre Pläne einzuweihen. »Ich habe dir ja erzählt, dass Dan Baker einige wesentliche Informationen zum bisherigen Stand der Aufklärung beigesteuert hat. Ich hoffe daher, dass er – wenn ich weitere Indizien aus einem persönlichen Gespräch mit Felicity mitbringe – bereit ist, mit seinen Vorgesetzten bei der MET zu sprechen, damit offizielle Ermittlungen aufgenommen werden können. Weil zumindest ein Anfangsverdacht vorliegt.«
Matt runzelte skeptisch die Stirn. »Und was sagt Dan dazu?«
Lily seufzte. »Leider habe ich Dan heute noch nicht erreichen können.« Instinktiv spürte sie, dass auch er ihre Idee nicht gutheißen würde. Das wollte sie Matt jedoch nicht eingestehen.
Matt ließ nicht locker. »Und was würde er dazu sagen?«
Lily zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht.« Dann trat sie die Flucht nach vorn an. »Aber ich habe doch keine Wahl. Nächste Woche will und muss ich wieder mit meiner Arbeit in der Praxis beginnen. Schon allein weil ich das Geld brauche. Dann fehlt mir die Zeit für weitere Nachforschungen. Wenn meine ganze bisherige Mühe nicht umsonst gewesen sein soll, muss ich diese Woche noch irgendetwas erreichen.«
Matt schwieg und nahm einen Bissen von seiner Pasta.
»Ich bin doch keine Anfängerin. Ich habe schon in vielen Fällen ermittelt und mich dabei oft auf meine Intuition verlassen. Natürlich kann ich im Voraus nicht absehen, wie ein Gespräch mit Felicity verläuft. Aber es würde uns sicher weiterhelfen, selbst wenn ich nur psychologische Indizien mitbringe. So was wie das ›Duping Delight‹ zum Beispiel.«
Anders als dem ignoranten Chief Detective Inspector Anderson war Matt dieser Begriff natürlich geläufig. »Also wenn sich deine Verdächtige nach eurem Gespräch durch einen unbedachten Gesichtsausdruck verrät, der darauf hinweist, dass sie dich belogen hat.«
»So was in der Art meine ich. Vielleicht verwickelt sie sich auch in Widersprüche. Denn ich werde mich natürlich nicht als informelle Ermittlerin zu erkennen geben. Ich will dieselbe Strategie wie bei Rosie anwenden, nämlich mich als Veras Freundin ausgeben. Der sie kurz vor ihrem Tod verraten hat, dass sie Felicity aufsuchen wollte.«
»Und wie willst du ihr erklären, dass du erst nach zwei Monaten bei ihr auftauchst?«
Auch darüber hatte Lily nachgedacht. »Ich werde mir wieder mit der Lüge über eine Auslandsreise behelfen. Und diesmal behaupten, ich hätte die Information aus einem Brief Veras, den ich erst nach meiner Rückkehr gefunden habe.«
Matt sah immer noch außerordentlich skeptisch aus. »Ich merke schon, dass ich dir dein Vorhaben nicht ausreden kann. Was willst du also von mir? Jedenfalls nicht meinen ehrlich gemeinten Rat.«
»Dass du mir Rückendeckung gibst, Matt. Mir ist schon klar, dass ich ein Risiko eingehe. Deshalb möchte ich dich bitten, immer in der Nähe deines Handys zu sein. Ich verspreche dir, dich entweder einmal pro Stunde anzurufen oder dir eine WhatsApp zu schicken, damit du weißt, dass es mir gut geht.«
»Dann gehen wir einmal vom Worst Case aus. Was soll ich tun, wenn eine solche Nachricht ausbleibt?«
»Dann wende dich bitte zuerst an Dan!« Lily fischte einen Zettel aus ihrer Handtasche. »Hier habe ich dir seine Dienstnummer aufgeschrieben. Wenn er immer noch nicht erreichbar ist, informierst du die örtliche Polizei.«
Insgeheim hoffte Lily natürlich, dass das nicht nötig wäre. Denn zuständig für Hoxton und damit den Gebäudekomplex Arden Estate war ja jener höchst unangenehme Zeitgenosse, Chief DI Jonathan Anderson. Als Leiter des örtlichen CID würde er natürlich informiert werden, wenn Matt eine Vermisstenanzeige mit dem Hinweis »Gefahr im Verzug« aufgeben würde.
Matt machte einen letzten Versuch. »Gibt es irgendetwas, das ich noch einwenden könnte, was dich von deinem Vorhaben abbringt?«
»Nein!« Lily schüttelte den Kopf. »Um jetzt aufzugeben, habe ich viel zu viel investiert.«