„ Wir beginnen heute mit der Spezialtherapie, über die wir neulich gesprochen haben“, erklärte der Anstaltsleiter dem hageren, für seine 14 Jahre aber schon recht großgewachsenen Jungen.
„Zieh dein T-Shirt aus und leg dich hin.“
Der Junge befolgte widerspruchslos die ihm erteilte Anweisung, zog sein T-Shirt aus und legte sich rücklings auf die mit grauem Kunstleder überzogene medizinische Liege, die in der Mitte des kahlen, in grelles Neonlicht getauchten Raumes stand. Der Anstaltsleiter, ein schmächtiger älterer Mann im weißen Kittel mit blassem Gesicht, eingefallenen Wangen und tiefliegenden Augen, setzte sich auf einen Hocker neben der Liege und ergriff den rechten Arm des Jungen. Er drehte ihn leicht nach außen, sodass die Arminnenseite frei lag. Dann legte er ein Stauband am Oberarm an. Mit einer vorbereiteten Spritze injizierte er in die durch die Stauung hervorgetretene Vene eine aus mehreren Wirkstoffen bestehende, transparente Flüssigkeit, der unter anderem das starke Narkosemittel Propofol beigemischt war. „Es dauert jetzt etwa zehn Minuten, bis die Wirkung einsetzt, dann fangen wir an“, erklärte der Anstaltsleiter und blieb, ohne ein weiteres Wort zu sagen, neben dem Jungen sitzen und ließ seine Hand auf dem Unterarm des Jungen liegen. Tatsächlich dauerte es nur etwa zwei Minuten, bis der Junge zu schlafen schien. Der Anstaltsleiter prüfte den Zustand des Jungen durch ein paar Tests seiner Reaktionsfähigkeit. Als diese Tests das erwartete Ergebnis aufwiesen, ging er zu einem neben dem Eingang montierten Wandtelefon und wählte eine kurze interne Nummer. „Unser Patient ist soweit“, sagte er und legte direkt wieder auf. Wenig später betrat eine massige Gestalt den Raum, Mitte 30, mit langen, zum Zopf gebundenen roten Haaren und einem struppigen Bart. „Ist er für die Behandlung jetzt wirklich bereit?“, fragte der Fettleibige. „Ja, ganz sicher, ich habe ihn ausreichend medikamentiert und er ist bereit“, erwiderte der Anstaltsleiter. Sodann begann der Dicke unter den detaillierten Anweisungen des Anstaltsleiters mit der Prozedur der Spezialtherapie.
Nach etwa 30 Minuten kam der Junge wieder zu sich und konnte die ersten halbwegs klaren Gedanken fassen, fühlte sich aber noch sehr benommen und hatte Mühe, sich zu orientieren. Außerdem plagten ihn starke Kopf- und Gliederschmerzen. „Wie geht es dir?“, fragte ihn der Anstaltsleiter mit aufgesetzt fürsorglichem Tonfall. „Ja, geht so“, erwiderte dieser mit brüchiger Stimme. „Wir sind mit der ersten Sitzung sehr zufrieden“, erklärte der Anstaltsleiter und der Junge nahm erst jetzt wahr, dass noch eine weitere Person im Raum war. Er erkannte den fettleibigen Mann, der tief atmend mit schweißnasser Stirn etwas abseits stand und den Eindruck machte, als hätte er eben erst die Ziellinie eines Marathonlaufs passiert. Der Anstaltsleiter verabschiedete seinen Mitarbeiter mit Dank für seine Unterstützung und begleitete den Jungen zurück. In seinem Zimmer angekommen, ließ dieser sich kraftlos auf sein Bett fallen, kauerte sich eher instinktiv als bewusst in die Embryostellung und wollte nicht mehr, als alleine zu sein.