Sprich nicht mit rothaarigen Unbekannten

Zurück zu Hause begann die Großmutter plötzlich wieder, mich vor Unbekannten zu warnen, die mich auf der Straße ansprechen könnten. Manchmal waren es Zigeuner, manchmal amerikanische Päderasten, hin und wieder chinesische Organhändler, jedenfalls ging es immer schlecht aus.

Dabei hatte ich bereits den Eindruck gehabt, dass die Großmutter begonnen hatte, sich widerwillig zu entspannen. Sie hatte gestaunt, als ein südländisch aussehender Mann ein Nachbarskind, das sich verlaufen hatte, auf der Straße aufgelesen und bei bester Gesundheit ins Wohnheim zurückgebracht hatte. Ein anderer, ebenfalls die Züge einer gewalttätigen Ethnie im Gesicht, hatte große Anstrengungen unternommen, um der Großmutter das Portemonnaie zurückzugeben, das sie beim Einkaufen liegen gelassen und als heimtückisch gestohlen beklagt hatte. Er hatte einen Finderlohn

Als sie plötzlich erneut anfing, mich zu warnen, versuchte ich, mich blöd zu stellen: »Und wenn der Fremde einfach nach dem Weg fragt?«

»Schnell weitergehen. Vor allem wenn er deinen Namen kennt.«

»Wie kann ein Fremder meinen Namen kennen?«

»Woher soll ich das wissen?« Sie war trotz all der Übung immer noch keine gute Lügnerin.

»Und wenn es eine Frau ist?«

»Es wird keine Frau sein. Bei dir sowieso nie. In jedem Fall einfach weitergehen.«

»Aber dann wird sie doch denken, dass ich seltsam bin.«

»Das wird sie sowieso.«

»Und wenn sie sagt, dass ich eine Million geerbt habe?«

Der Gesichtsausdruck der Großmutter irritierte mich. Ich hatte schon ein bisschen vergessen, wie es war, wenn sie sich Sorgen um mich machte.

»Wie könnte er denn aussehen, dein Fremder, dem ich nicht antworten darf?«, fragte ich versöhnlich.

Sie wich meinem Blick aus. »Ich weiß doch nicht, wie er jetzt aussieht.«

»Jetzt? Wie sah er denn früher aus? Dieser Typ?«

»Du vergisst nie etwas.«

»Rote Haare«, sagte meine Großmutter resigniert. »Nase. Brille. Hässlich wie die Nacht. Lass mich in Ruhe, mehr weiß ich wirklich nicht.«