P oe konnte seine Freunde an einer Hand abzählen. Und dann war immer noch der Daumen übrig.
Bradshaw natürlich.
Und Flynn kannte er schon seit Jahren.
Seine Vollzeit-Nachbarin und Teilzeit-Hundesitterin Victoria Hume betrachtete er ebenfalls als Freundin.
Und dann war da noch Estelle Doyle.
Genau wie Bradshaw war sie brillant. Anders als Bradshaw, die stets auf der Sonnenseite der Straße dahinmarschierte, drückte sich Doyles Persönlichkeit im Schatten herum, im Zwielicht. Sie galt in ganz Europa als führende forensische Pathologin und war Poes Anlaufstelle, wann immer er Fragen zu irgendetwas Feuchtem, Organischem hatte.
Normalerweise begegnete sie Polizisten mit Verachtung. Ihre legendäre scharfe Zunge hatte dazu geführt, dass manche Detectives sich weigerten, mit ihr zu arbeiten. Aus irgendeinem Grund jedoch tolerierte sie Poe. Nahm sich die Zeit sicherzugehen, dass er verstand. Sie machte für ihn Überstunden, wenn es nötig war. Erschien sogar an seinen Tatorten, und das tat sie sonst nie. Einmal hatte sie ihn als ewig zu kurz Gekommenen mit capraesken Eigenschaften bezeichnet. Poe hatte sich zu sehr gefürchtet, um zu fragen, was das heißen sollte.
Und sie flirtete schamlos mit ihm. Sie sagte Sachen, die ihn erröten ließen. Trug enge Klamotten, bei denen ihm ganz schwummrig wurde. Ihre Absätze und ihre Wangenknochen waren hoch, ihr Lippenstift scharlachrot. Ihre Augenbrauen hätten mit einem Skalpell geschnitzt sein können.
Poe war gleichermaßen verängstigt und bezaubert.
Aber er mochte sie. Betrachtete sie als Freundin. Wusste ganz tief im Bauch, dass sie für ihn da sein würde, wirklich da sein würde, wenn es drauf ankam.
Der DI , mit dem er gesprochen hatte, hatte keine Details preisgeben wollen. Hatte nur gesagt, Doyle sei wegen Mordes verhaftet worden und habe nur fünf Worte von sich gegeben, seit sie in Gewahrsam genommen worden war: Sagen Sie Washington Poe Bescheid.
»Bitte betrachten Sie diesen Anruf als Bescheid«, hatte er gesagt.
»Ich bin in fünf Stunden da.«
»Das hier ist ein Höflichkeitsanruf, Sergeant Poe. Es geht um einen Fall der Polizei von Northumberland – halten Sie sich da raus.«
»Ich bin in fünf Stunden da«, hatte er wiederholt.
Poe warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett und beschloss, dass er in vier Stunden da sein wollte. Er trat das Gaspedal durch.