18 . Kapitel

D as ist jetzt eine ganze neue Nummer«, stellte Poe fest.

Chief Superintendent Stewart brummte.

Poe sah ihm die Erleichterung an, dass die Abteilung der Londoner Polizei, die für den Schutz von Parlamentariern und Diplomaten zuständig war, Cummings in ihrer Obhut gehabt hatte, als er umgekommen war, und nicht die South Yorkshire Constabulary. Er konnte es ihm nicht verdenken. Das hier würde einige Leute den Job kosten. Cummings wurde allgemein verabscheut, doch in diesen polarisierten Zeiten war es für Politiker ein Berufsrisiko, von der Bevölkerung gehasst zu werden. Sie würden sich jetzt alle ein bisschen weniger sicher fühlen.

Sie befanden sich in der kleinen Einsatzzentrale im South Yorkshire Operations Complex. Bradshaw hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihre Ausrüstung aufzustellen, da ja nicht klar war, ob sie bleiben würden. Ein Konferenztisch, Stühle, eine Thermoskanne mit Kaffee und ein Bildschirm an einer der Wände, mehr gab es noch nicht.

Flynn öffnete die Tür und trat ein.

»Was Neues, Boss?« Poe stand auf und füllte einen Becher für sie.

»Die von der Toxikologie haben die Ergebnisse der Blutproben bald, aber das sind nur semantische Spielereien. Er hatte rund um die Uhr Personenschutz, und trotzdem ist jemand an ihn rangekommen. Der Arzt aus der Notaufnahme hat eingeräumt, dass es ein Neurotoxin gewesen sein könnte.«

»Dann war es also wirklich Kugelfischgift?«

»Sieht so aus.«

»Was ist passiert?«

»Viel wissen wir nicht«, erwiderte Flynn. »Nur dass er einen Wutanfall gekriegt hat, als er nicht zum Mittagessen in seinen Club gehen durfte. Hat stattdessen beschlossen, ein Bad zu nehmen. Nach einer Stunde Stille hat einer von den Kollegen gedacht, er schaut lieber mal nach ihm. Hat ihn tot aufgefunden.«

»Und wer war sonst noch im Haus …«

»Die Videos vom Tatort sind gerade gekommen«, unterbrach Bradshaw sie. »Ich lege sie auf den großen Schirm.«

Der Bildschirm an der Wand erwachte flackernd zum Leben. Der Leiter der Spurensicherung stellte sich vor und schritt dann durch Cummings’ Wohnung. Er begann an der Wohnungstür und ging dann methodisch durch jedes einzelne Zimmer. Mit ruhiger Stimme erklärte er ihnen, was sie sahen, äußerte jedoch keine eigene Meinung. Das war nicht seine Aufgabe – bei einem Tatortvideo ging es um Fakten.

Die Wohnung war groß und aufwendig eingerichtet, das Mobiliar übertrieben protzig. Ölgemälde hingen an den Wänden, und kunstvoll gewebte Teppiche bedeckten den Boden. Niemand brauchte zu fragen, wofür Cummings sein Geld ausgegeben hatte. Dies war ein Mann, der die schönen Dinge des Lebens zu schätzen wusste.

Schließlich kam der Leiter der Spurensicherung im Badezimmer an. Es war komplett in Marmor gefliest und riesengroß. Eine Toilette, ein Bidet und eine Regendusche in einer Duschnische mit sechs Massagedüsen. Die in den Boden eingelassene Badewanne war tief und hatte verzierte goldene Armaturen.

Der Leiter der Spurensicherung fokussierte die Kamera auf Harrison Cummings’ Leichnam. Er lag auf dem Rücken in dem kalten Wasser, in dem sein Schamhaar trieb wie Seegras. Angetrocknetes Erbrochenes bedeckte sein Kinn und seinen Oberkörper bis zur Wasserlinie. Sein Gesicht war zur Fratze erstarrt – er war unter Qualen gestorben.

Das Badewasser war bräunlich verfärbt.

»In dem Begleitbericht steht, die Fäkalien im Wasser scheinen nicht das Resultat der üblichen Erschlaffung des Schließmuskels nach dem Tod zu sein«, sagte Bradshaw. »Mr Cummings hat die Kontrolle über seinen Darm bereits verloren, als er noch gelebt hat.«

»Was immer es war, es ist schnell gegangen«, stellte Poe fest. »Er hat es nicht mal mehr zur Toilette geschafft, bevor er sich übergeben hat, und er hatte Durchfall. Passt das zu dem, was wir über Kugelfischgift wissen?«

»Wenn es eine sehr große Dosis war, ist das genau das, was ich erwarten würde«, antwortete Bradshaw. »Die hätte Lähmungen und extreme Schmerzen verursacht. Selbst wenn er in der Lage gewesen wäre, um Hilfe zu rufen – was ich bezweifele –, wäre er tot gewesen, bevor der Notarzt eingetroffen wäre.«

»Armes Schwein.« Poes Blick blieb fest auf den Bildschirm geheftet. Die Videokamera wandte sich von dem Leichnam ab. »Was ist denn das?«

Bradshaw hielt das Video an. »Das ist ein leeres Weinglas, Poe.«

»Und da ist die Flasche«, stellte er fest. »Denkst du auch, was ich denke?«

»Ich glaube schon. Weil ein heißes Bad die Blutgefäße weitet und die Körpertemperatur ansteigen lässt, und weil Alkohol dasselbe tut, verdoppelt Trinken im Bad das Risiko eines Hitzschlags, Schlaganfalls oder sogar eines Herzinfarkts. Nur ein Idiot würde in der Badewanne Alkohol trinken.«

»Ja, das auch. Und weil Kugelfischgift so schnell wirkt, könnte das Zeug auch in dem Wein gewesen sein.«

»Ich sorge dafür, dass das Glas und die Flasche beschlagnahmt werden«, sagte Flynn und zückte ihr Handy.

»Erledigt«, verkündete Flynn. »Sie haben den Wein, das Glas und alles andere im Badezimmer gesichert. Die Proben sind auf dem Weg ins Labor. Die Ermittlungen sind an die London Metropolitan Police übergeben worden, und die Kollegen warten in Cummings’ Wohnung auf uns.« Poes Handy klingelte. Es war eine unterdrückte Nummer. Er tippte auf das grüne Icon und sagte: »Poe.« Lauschte ein paar Minuten lang und sagte dann: »Ich bin unterwegs.«

»Was ist, Poe?«, wollte Bradshaw wissen.

»Estelle – sie haben sie wegen Mordes angeklagt.«

»Dann fahren Sie hin«, sagte Flynn. »Kommen Sie später nach.«