22 . Kapitel

E rzählen Sie mir etwas über dieses Testament«, sagte Poe.

»Warum?«

»Die Polizei hält es für ein Motiv.«

»Wirklich?«

»Das habe ich aus dem Mund der leitenden Ermittlerin.«

»Da liegen sie falsch«, meinte Ania. »Elcid hat sein Testament wirklich erst vor Kurzem geändert, und das tatsächlich zu Estelles Gunsten.«

»Ich höre da ein ›Aber‹ kommen.«

»Es ist nur dann zu ihrem Vorteil, wenn man das Ganze rein binär betrachtet. Hätte ich nur die Wahl, Ja oder Nein zu sagen, dann würde ich sagen, ja, das neue Testament ist besser für Estelle.«

»Aber wenn Sie vollumfänglich antworten dürften?«

»Dann würde ich sagen, dass das Testament Miss Doyles Erbschaft nur um etwa fünf Prozent vermehrt.«

»Ich dachte, er hätte ihr ein Haus hinterlassen?«

»Einen Bauernhof, genauer gesagt. Aber, ja, das hat er getan.«

»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, gestand Poe.

»Was wissen Sie über Erbschaftssteuer, Sergeant Poe?«

»Nicht viel.«

»Elcid Doyle schon«, meinte sie. »Und mithilfe unserer Kanzlei hatte er Vorkehrungen getroffen, um innerhalb des geltenden Rechts dafür zu sorgen, dass Estelles Steuerlast reduziert wird, wenn er stirbt.«

»Indem er ihr einen Bauernhof vermacht?«

»Nein. Das war eine spätere Ergänzung. Es war ein Pachthof, und in Elcids früherem Testament hatte er ihn den Pächtern vermacht – einer Familie, die seit drei Generationen dort gelebt hat.«

»Und was ist passiert?«

»Der Bauer ist gestorben und hatte niemanden, auf den er die Pacht übertragen konnte. Elcid hat den Hof auf das aufgeschlagen, was Estelle erben würde.«

»Aber vorher hatte er Vorkehrungen getroffen?«

»Sehr raffinierte Vorkehrungen«, bestätigte Ania. »War Ihnen klar, dass man es vermeiden kann, Erbschaftssteuer für eine Immobilie zu bezahlen, wenn man sie mindestens sieben Jahre vor dem Tod an jemanden verschenkt?«

»Ganz vage«, antwortete Poe.

»Natürlich ist da noch mehr dran. Wenn man weiter in der Immobilie bleiben will, muss man Miete und Nebenkosten zahlen und noch ein paar andere Dinge tun, aber Elcid hat völlig rechtmäßig gehandelt, als er den Familiensitz weitergegeben hat – dafür haben wir gesorgt.«

»Und wie viel ist der wert?«

»Zu den finanziellen Verhältnissen meiner Klienten darf ich mich nicht äußern, aber ich kann sagen, dass er sehr viel mehr wert ist als der Bauernhof. Wenn sie noch die Miete von zehn Jahren dazurechnen, die für Miss Doyle treuhänderisch verwaltet worden ist, dann beläuft sich der Bauernhof in dem neuen Testament auf …«

»Fünf Prozent ihrer gesamten Erbschaft.«

»Genau.«

»Weiß die Staatsanwaltschaft das?«

»Wir haben es ihnen nicht gesagt.«

»Warum nicht?«

»Verteidigungsstrategie«, erklärte Ania. »Wenn wir es ihnen sagen, verwenden sie es nicht. So können wir es schnell entkräften, wenn sie es anführen. Dann wirkt die Anklage von Anfang an, als stünde sie auf wackeligen Beinen.«

»Clever«, stellte Poe fest.

»Motive sind vor Gericht nur Lametta«, meinte sie achselzuckend. »Damit wird das hier weder gewonnen noch verloren.«

Poe wusste, dass sie auf den Schnee anspielte.

»Ich nehme an, Sie werden eine alternative Erklärung anbieten?«, fragte er. »Dass ein unbekannter Eindringling Elcid Doyle umgebracht und den Mord Estelle angehängt hat?«

Sie nickte. »Das wird die Grundlage der Klageerwiderung, die wir einreichen müssen«, sagte sie. »Wir brauchen immer noch eine plausible Erklärung für die Schießpulverrückstände an ihren Händen, für den verspäteten Notruf und die Tatsache, dass ihre Spuren die einzigen im Schnee waren.«

»Wenn es zur Verhandlung kommt, verlieren wir«, stellte Poe fest.

»Das sehe ich auch so. Und selbst wenn wir gewinnen, verlieren wir.«

Poe gestattete sich ein schiefes Lächeln. Flynn hatte gestern Abend genau dasselbe gesagt. Der Schaden an Doyles Reputation würde irreparabel sein.

»Wir müssen dafür sorgen, dass der Fall nicht weiterverfolgt wird«, stellte er fest. »Dass er nie einen Gerichtssaal von innen sieht.«

»Und wie?«, fragte Ania.

»Indem wir ihr Kartenhaus umpusten.«

Sein Handy klingelte. Es war Flynn.

»Entschuldigen Sie«, sagte er zu Ania. »Boss?«

»Wir brauchen Sie in London, Poe.«

»Was gibt’s denn?«

»Es war nicht der Wein.«

»Ich bin unterwegs«, antwortete er.