E s muss der Wein gewesen sein«, beharrte Poe. »Tilly sagt, das Kugelfisch-Neurotoxin wirkt innerhalb von fünfzehn Minuten, und Cummings hat länger in der Badewanne gelegen.«
»Der Wein ist dreimal überprüft worden«, entgegnete Flynn. »Er war’s nicht.«
Sie saßen in einer beheizten mobilen Kommandozentrale, die am Ende der Straße geparkt war, in der Cummings gewohnt hatte. Vom Trommeln des Regens auf dem Dach bekam Poe Kopfschmerzen, aber wenigstens hockten sie im Trockenen. Er hatte gefragt, wieso sie nicht ins Gebäude durften, und Detective Chief Superintendent Alice Mathers, die Ermittlungsleiterin, hatte gesagt, die Bewohner würden sich bereits über die vielen Polizisten in der Gegend beschweren. Poe hatte den Eindruck, dass dies eine gut vernetzte Straße war. Er konnte es Mathers nicht verdenken, dass sie sie ausquartiert hatte. Bei manchen Schlachten lohnte es sich nicht, sie zu gewinnen, geschweige denn, sie zu schlagen.
»Und alles andere im Badezimmer ist überprüft worden?«, fragte er und trank einen kleinen Schluck Tee aus einem Becher mit dem Logo der Londoner Polizei darauf.
Flynn nickte.
»Auch die Seife?«
»Handgemacht und sehr teuer, aber vollkommen in Ordnung. Seine sämtlichen Toilettenartikel sind gecheckt worden.«
»Sein Rasierer? Vielleicht hat er sich ja geschnitten und das Zeug ist so in seine Blutbahn geraten.«
»Das erscheint mir unwahrscheinlich, Poe. Dieser Typ hat Cummings gewarnt, er würde vergiftet werden – da bezweifele ich, dass er sich darauf verlässt, dass Cummings sich beim Rasieren schneidet.«
Poe seufzte. »Ja, ich weiß.«
»Aber wir haben ihn trotzdem überprüft«, fügte Flynn hinzu.
»Und?«
»Sauber. Alles im Bad war sauber. Alles in der ganzen Wohnung war sauber. Ich besorge Ihnen eine Kopie der Inventur, aber Sie werden nichts finden.«
Poe dachte darüber nach, was das bedeutete. Beschloss, dass nur eine unerfreuliche Wahrheit übrig blieb. »Dann hat ihm jemand von seinem Personenschutz was untergejubelt«, sagte er. »Das ist das Einzige, was noch übrig bleibt.«
»Ich habe mir schon gedacht, dass Sie zu diesem Schluss kommen.«
»Weil Sie das auch gedacht haben?«
Flynn nickte.
»Wie sind die Personenschützer ausgesucht worden?«, wollte Poe wissen. »Hat sich jemand von ihnen freiwillig gemeldet?«
»Wir glauben nicht. Anscheinend sind sie dafür eingeteilt worden.«
»Von wem?«
»Von jemandem, den wir gerade überprüfen«, antwortete Flynn. »Ich habe Tilly gebeten, Profile von jedem zu erstellen, der in irgendeiner Funktion Kontakt mit Harrison Cummings hatte.«
»Wo ist sie?«
»Na, da, wo sie immer ist – versucht, ein WLAN zu finden.«
»Ist bei der Autopsie irgendwas rausgekommen?«
»Das Einzige, was er im Magen hatte, war der Wein, und die Toxikologie hat bestätigt, dass es Tetrodotoxin war, das ihn getötet hat. Findet man in der Leber von Kugelfischen.«
»Haben wir Kane Hunts Autopsiebericht eigentlich schon?«
»Ja«, antwortete Flynn. »Genau dasselbe. Nichts Bemerkenswertes, abgesehen von Hyoscin. Nicht mal Sildenafil.«
»Was ist das?«
»Viagra. Hunt hatte seit Anfang, Mitte zwanzig Erektionsstörungen. Das hat ihm Morgan Soames während des Interviews unter die Nase gerieben.«
»Kein Wunder, dass er Frauen gehasst hat.«
»Und was machen wir, wenn es keiner vom Personenschutz war?«, wollte Flynn wissen. »Wie schnappt man jemanden, der durch Wände gehen kann?«
»Warum sollten wir versuchen, ihn zu schnappen? Ich lasse ihm ein paar Namen zukommen.«
»Genau so etwas möchte ich nicht hören!«, blaffte eine Stimme hinter ihnen.
Poe drehte sich um. Eine stämmige Frau stand in der Tür des Wohnwagens. Sie trug ein billiges Kostüm und keinerlei Make-up. Der laminierte Ausweis, der um ihren Hals hing, verkündete, dass sie Level-B-Befugnisse hatte, was immer das auch bedeutete. Sie funkelte ihn böse an.
»Mein Name ist Catherine Wilson, und ich bin Sonderberaterin beim Wirtschaftsministerium, Abteilung internationale Handelsbeziehungen.«
»Ah«, sagte Poe. »Sie sind ein SB .«
»Bitte?«
»Nennt man Sonderberater nicht so?«
»Nur wenn jemand versucht, unhöflich zu sein.«
»Wie können wir Ihnen helfen, SB Wilson?«, fragte Poe.
»Das reicht, Poe«, ging Flynn dazwischen. »Ich bin DI Flynn und das ist Sergeant Poe, Ma’am. Wir sind von der Serious Crime Analysis Section. Was können wir für Sie tun?«
»Sie können damit anfangen, mir zu sagen, wie ein Mitglied der Regierung Ihrer Majestät ermordet werden konnte, obwohl es vorgewarnt und von angeblich kompetenten Personenschützern umgeben war.«
»Ich arbeite dran«, knurrte Poe.
»Mir scheint, Sie trinken bloß Tee und klopfen kluge Sprüche.«
»Ich brauche immer ’ne Weile, um in Schwung zu kommen.«
»Ist sein Büro in Westminster durchsucht worden?«, fragte Flynn und bedachte Poe mit einem warnenden Blick.
»Jawohl«, antwortete Wilson und wandte Poe absichtlich den Rücken zu. »Eine Flasche Whisky, ein paar Pornomagazine und ein Handyladegerät. Alles andere war Eigentum des Ministeriums.«
»Können Sie dafür sorgen, dass niemand die Sachen anrührt, bevor die Polizei sie abholt?«
»Schon erledigt. Sein Büro ist versiegelt worden. Sagen Sie mir, was Sie bis jetzt haben.«
Flynn tat wie geheißen. Es war keine lange Zusammenfassung.
»Ich dachte, die Leute von der SCAS wären Experten?«
»Wir untersuchen die Morde, mit denen andere nicht klarkommen«, entgegnete Flynn. »Sie sagen, wir haben nichts, ich sage, wir haben bereits eine ganze Anzahl Vorgehensweisen identifiziert, die nicht zur Anwendung gekommen sind. Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, das ist ein Fortschritt. Jemanden zu fassen, der so geheimnisvoll vorgeht, so vorsichtig, das wird dauern. Vielleicht Wochen, oder sogar Monate …«
Die Tür flog auf. Bradshaw kam hereinmarschiert. »DI Flynn, Sie werden nicht glauben, was die Maulwürfe gerade … Oh, hi, Poe. Ich wusste nicht, dass du wieder da bist. Wie geht’s Estelle Doyle? Wie ist eigentlich das Essen auf einem Polizeirevier? Gibt es da eine vegane Opt…«
»Tilly«, sagte Flynn. »Zur Sache.«
»Was? Ach ja. Ich glaube, wir haben jemanden gefunden.«