28 . Kapitel

W er zum Teufel ist Henning Stahl?«, wollte Poe wissen.

»Ein in Ungnade gefallener Journalist«, antwortete Bradshaw. Sie las von ihrem Tablet ab. »Er war in den Telefon-Hacking-Skandal von 2005 verwickelt, war das Gesicht der ganzen Geschichte in der Öffentlichkeit. Er war der Widerling, der öffentlich gemacht hat, dass der Sohn des Schauspielers Dominic Denlys Leukämie hatte.«

»Das war der?«, fragte Poe.

»Ja, Poe. Er hatte die Voicemail-Nachrichten abgehört.«

»Und wo ist er jetzt?«

»Laut diesem Artikel ist er verschwunden.«

»Im Ausland?«

»Sein Pass wurde an keiner Grenze des UK registriert.«

»Dann versteckt er sich.«

»Ich halte es für wahrscheinlicher, dass er untergetaucht ist.«

»Irgendwelche Ideen, wo wir mit dem Suchen anfangen sollen?«

»In diesem Land kann man nicht langfristig untertauchen, Poe – in irgendeiner Datenbank wird er schon sein. Ich finde ihn, Poe.«

»Warum will dieser idiotische Botaniker ausgerechnet mit dem sprechen?«, knurrte Flynn. »Sie haben gesagt, der Mann war für die Öffentlichkeit das Gesicht eines Hacking-Skandals, aber ich habe noch nie von ihm gehört. So bekannt wie Kane Hunt oder Harrison Cummings ist der jedenfalls nicht.«

»Vielleicht will er ja einfach nur mit jemandem reden.«

»Und warum?«

»Wir werden wohl einfach abwarten müssen«, meinte Poe.

Poe wollte derjenige sein, der Stahl einkassierte. Der Mann war eine so beliebige Wahl, da musste es irgendwo eine Verbindung geben. Und sie mussten herausfinden, was für eine.

»Er war ein Enthüllungsjournalist, Tilly?«, fragte er.

»Das stimmt, Poe«, bestätigte Bradshaw. »Und zwar ein guter, bevor er böse geworden ist.«

»Kannst du eine Liste der Storys zusammenstellen, über die er berichtet hat? Vielleicht ist die Antwort ja irgendwo da drin.«

»Darum habe ich die Maulwürfe schon gebeten, Poe«, antwortete Bradshaw. »Morgen haben sie etwas für uns.«

»Gut. Hat jemand eine Idee, wer das nächste Opfer sein könnte?«

»Gemeldet hat sich niemand«, sagte Flynn. »Chief Superintendent Mathers denkt darüber nach, eine Pressekonferenz abzuhalten. Sie möchte die Öffentlichkeit warnen.«

Poe brummte.

»Sie halten das nicht für richtig?«, fragte sie.

»Cummings wurde von den bestausgebildeten Personenschützern der Welt bewacht, und er ist trotzdem tot.«

»Ja, aber die Nummer mit dem vergifteten Wasserhahn kann man nur einmal abziehen. Das ist nichts, was er wiederholen kann.«

»Wann kriegen wir die Laborergebnisse dazu?«

»Die haben sich sehr beeilt. Jeden Moment, würde ich denken.«

»Was Neues von der Suche nach Price?«

»Nur dass er nicht da ist, wo er sich normalerweise aufhält. Die von der TSG suchen noch.«

»Und was ist mit diesem Typen, der ihn kennt? Wär doch schön, wenn uns jemand sagen könnte, ob das in der Hotline Price’ Stimme war.«

Flynn zuckte die Schultern.

»Alles, was man mir gesagt hat, war, er sei unterwegs.«

»In der Mitte ist er ja ein bisschen vom Skript abgewichen, nicht wahr?«, meinte Poe. »Ist total ausgerastet.«

»Wer?«, fragte Flynn. »Der sogenannte Botaniker? Na ja, ein bisschen.«

»Nein, ist er nicht«, sagte Bradshaw.

»Nein? Wie meinst du das, nein?«, fragte Poe. »Er hat auf halber Strecke den verdammten Faden verloren. Ich meine, niemand mag Millennials, aber sogar ich fand, dass er ein bisschen hart mit ihnen ins Gericht gegangen ist.«

»Es gab bei diesem Gespräch zwei ganz deutlich voneinander abgegrenzte Phasen, Poe. In der ersten hat er auf PC Griffiths’ Fragen geantwortet. Das war nicht eingeübt, weil er nicht wusste, was er gefragt werden würde. Die zweite Phase war das, was du als ›Ausrasten‹ bezeichnest. Ich glaube, dabei hatte er sich vollständig unter Kontrolle. Obwohl es vielleicht unstrukturiert und spontan gewirkt hat, wäre ich sehr überrascht, wenn er da nicht direkt von einem Skript abgelesen hätte.«

»Woran erkennst du das?«

»Ich habe die Hintergrundgeräusche reduziert und mir seine Sprechmuster angehört. Im ersten Teil war es ganz fließend, aber in dem Teil, wo er laut geworden ist, waren regelmäßige Pausen. Fast nicht zu messen, aber ich habe ein Programm, das so etwas erkennen kann.«

»Pausen?«

»Solche Pausen, wie man sie macht, wenn man einen Text abliest. Wenn der Blick vom Ende der Zeile zum Anfang von der darunter wandern muss, entsteht eine winzige Verzögerung, weil das Auge sich von rechts nach links bewegen muss.«

»Aber warum sollte er von einem Skript ablesen?«, fragte Flynn.

Poe überlegte, allerdings nur einen Moment lang. »Um den Eindruck eines Menschen zu erwecken, der sich nicht ganz unter Kontrolle hat.«

»Bedenklich.«

»Ja, sehr.«

Ein Klopfen an der Tür ließ sie alle herumfahren. Ein hochgewachsener Mann war in den Raum getreten. Er trug Zivil, war jedoch eindeutig Polizist. Cops sahen aus wie Cops, selbst im Teddykostüm auf einer Faschingsparty.

»Ah, Sie sind bestimmt der, der uns sagen wird, ob das Brian Price war, der vorhin die Hotline angerufen hat?«, fragte Flynn.

»Nein, Ma’am«, antwortete der Mann. »Ich bin Brian Price. Ich habe gehört, Sie suchen nach mir?«