B leiben Sie, wo Sie sind«, befahl Poe. »Nichts anfassen, und die Hände aus den Taschen lassen.«
Brian Price stand ganz still.
»Wie zum Teufel sind Sie hier reingekommen?«, wollte Flynn wissen.
»Durch den Personaleingang, wie immer«, antwortete er. Er hatte einen Birmingham-Akzent. »Mein Dienst fängt bald an. Hab gehört, Sie suchen nach mir.«
»Chief Superintendent Mathers!«, brüllte Poe. »Können Sie bitte mal kurz kommen?«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Mathers im IT -Raum der Abteilung für digitale Kriminalität und Cyberverbrechen auftauchte.
»Was gibt’s denn?«, fragte sie. »Ich bin gerade mitten in … Ist das etwa …?«
»Ja, das ist er«, antwortete Poe. »Könnten Sie ihm bitte Handschellen anlegen? Sieht aus, als hätte ich meine zu Hause liegen gelassen.«
Zwei Minuten nach Beginn der Vernehmung wusste Poe, dass sie den Falschen hatten. Zuerst einmal passte Price’ Akzent nicht. Der Mann auf dem Mitschnitt der Hotline hatte monoton und ausdruckslos geklungen, eine Stimme, die man sofort vergisst. Price’ Akzent war pures Birmingham. Als er für die Aufnahme seinen Namen nannte, reimte sich »Price« auf »choice«. Auch sein Verhalten stimmte nicht. Poe hatte mehr Serienmörder verhört, als es der Anstand erlaubte, und obgleich er wusste, dass sie sich weiterentwickelten und veränderten, hatten sie doch immer zwei Dinge gemeinsam: das zwanghafte Bedürfnis zu töten und den Stolz auf das, was sie getan hatten.
Price war höflich, aufmerksam und nervös. Er hatte eindeutig etwas Unrechtes getan, doch Poe glaubte nicht, dass er jemanden umgebracht hatte.
»Wo waren Sie, Detective Constable Price?«, fragte er.
»Warum?«
»Sie wissen doch, wie so was läuft. Ich stelle die Fragen, Sie beantworten die Fragen, wir gehen alle nach Hause und essen Würstchen mit Senf.«
»Ich habe meine Tochter besucht.«
»Die wohnt in Wigan, stimmt’s?«
Price runzelte die Stirn. »Woher wissen Sie das?«
Poe antwortete nicht.
»Wieso wissen Sie, wo meine Tochter wohnt, Sergeant Poe?«
»Wir haben bei ihr nachgefragt, Detective Constable Price. Sie hat Sie nicht gesehen. Und jetzt, wo die Polizei bei ihr zu Hause aufgekreuzt ist, macht sie sich Sorgen. Je eher Sie antworten, desto eher können Sie sie anrufen und sie wissen lassen, dass Sie okay sind.«
»Sie war nicht zu Hause.«
»Das könnte einen Teil des Zeitraums erklären, in dem Sie verschwunden waren, aber nicht alles. Also frage ich noch einmal – wo waren Sie?«
»Solange Sie mir nicht sagen, was passiert ist, sage ich kein Wort mehr, bis jemand von der Polizeigewerkschaft hier ist.«
Seufzend nahm Poe zur Kenntnis, dass da ein Polizist auf der anderen Seite des Tisches saß. Er beschloss, dass der Mann sich ein wenig Respekt verdient hatte. »Mr Cummings ist tot«, sagte er.
»Ich weiß. Aber ich hatte doch keinen Dienst.«
Irrelevant, dachte Poe. Der Heißwasserhahn hätte jederzeit präpariert werden können.
»Kennen Sie einen Mann namens Kane Hunt? Der war offenbar im Fernsehen.«
Price versteifte sich. Seine Augen wurden schmal und seine Lippen zogen sich zusammen.
»Das deute ich mal als Ja«, meinte Poe.
»Ich weiß, wer er ist. Kennen tue ich ihn nicht.«
Poe nahm die dünne Akte zur Hand, die auf dem Tisch lag. Tat so, als läse er daraus vor. »Würde es Sie überraschen, dass Sie die einzige Person sind, von der wir wissen, dass sie Verbindungen zu beiden Opfern hatte? Sie sind für Cummings’ Personenschutz eingeteilt worden, und Ihre Tochter ist online von einem von Hunts Lakaien belästigt worden.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Worauf ich hinauswill, Detective Constable Price, ist, dass wir im Moment niemand anderen haben, den wir für das hier …«
Ein hastiges Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Flynn kam herein. Sie reichte Poe ein Blatt Papier und nahm dann neben ihm Platz. Poe überflog das Schreiben. Dann sah er Flynn an, die nickte.
»Sieht aus, als hätten wir den Falschen, Detective Constable Price. Eine Kollegin von mir hat Ihre Stimme mit der des Mörders verglichen, und sie versichert mir, dass es nicht dieselbe Stimme ist.«
»Ich kann gehen?«
»Ich fürchte nicht«, antwortete Poe. »Hier steht nämlich noch etwas anderes. Eine Nachricht von der Lancashire Constabulary. Allem Anschein nach ist Ashley McCall, der Wichser, der Ihre Tochter belästigt hat, gestern Abend zusammengeschlagen aufgefunden worden. Zwei gebrochene Arme, zehn gebrochene Finger. Ein Milzriss und ein Unterkiefer, der nie wieder richtig zum Oberkiefer passen wird.«
Price antwortete nicht.
»Detectives aus Lancashire sind unterwegs hierher, um mit Ihnen zu reden«, fuhr Poe fort. »Solange bleiben Sie in Gewahrsam. Darf ich einen Vorschlag machen?«
»Bitte.«
»Beherzigen Sie Ihren eigenen Rat und sagen Sie nichts, bis Ihr Gewerkschaftsvertreter da ist.«
Price nickte. Machte eine Handbewegung, als schließe er seine Lippen wie einen Reißverschluss.
Nachdem er aus dem Vernehmungszimmer geführt worden war, bemerkte Poe: »Das kommt wohl davon, wenn man die Tochter des falschen Mannes aufs Korn nimmt. Denken die Kollegen aus Lancashire, er war’s?«
»Ja. Ich glaube aber nicht, dass sie’s beweisen können.«
Poe fühlte sich dadurch merkwürdig getröstet.
»Also stehen wir wieder ganz am Anfang«, sagte er. »Wir haben keinen blassen Dunst, wer der Täter ist.«
»Das ist nicht die einzige schlechte Neuigkeit«, erwiderte Flynn. »Die Untersuchungsergebnisse von dem Heißwasserhahn in Cummings’ Bad sind da.«
»Und?«
»Negativ.«
»Soll das ein Witz sein? Ich war mir so sicher.«
»Keinerlei Giftspuren. Was immer Cummings vergiftet hat, ein manipulierter Heißwasserhahn war’s nicht.«
»Wieso komme ich mir vor, als wäre ich mitten in einem Roman von John Dickson Carr?«, knurrte Poe.
»Von wem?«
»Amerikanischer Krimiautor. Der größte Locked-Room-Mystery-Verfasser, der je gelebt hat, könnte man behaupten. Wir haben einen Killer in London, der seine Opfer vorher warnt, aber trotzdem an sie rankommt, und oben im Norden hat jemand Estelle Doyles Vater ermordet und den Tatort verlassen, ohne dabei auf eine einzige Scheißschneeflocke zu treten.«
»Es sind ja nicht nur schlechte Nachrichten«, wandte Flynn ein. »Tilly hat eine alte Adresse von Henning Stahl ausfindig gemacht. Lassen Sie uns hinfahren und mal eine Weile Detectives sein.«