43 . Kapitel

K ane Hunt ist nicht tot, Liebes«, erklärte Karen Royal-Cross. »Der Mann ist der Großmeister des Publicity-Stunts, und man konnte sehen, wie sich seine Brust gehoben und gesenkt hat, nachdem er so getan hat, als wäre er vom Stuhl gefallen.«

»Aber er ist ja auch nicht in der Morgan Soames Hour gestorben, Karen Royal-Cross«, wandte Bradshaw ein, »sondern drei Tage später im Krankenhaus.«

»Und ich bin sicher, Sie glauben das.«

»Sie sind eine sehr dumme Frau.«

Karen Royal-Cross zog die Augenbrauen zusammen. »Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie an Ihrer Sozialkompetenz arbeiten müssen?«

»Das sagt Poe mir fast jede Woche«, erwiderte Bradshaw. Sie drehte ihr Tablet so, dass Karen Royal-Cross es sehen konnte. »Jetzt sehen Sie sich bitte diese Fotos an.«

»Und ich dachte, Sergeant Poe wäre dämlich …« Sie vollendete den Satz nicht. »Was zum Teufel ist das?«

Poe schaute ihr über die Schulter. Kane Hunt lag mit geöffnetem Brustkorb auf dem Seziertisch. Gesund sah er nicht aus.

»Das ist eins der Fotos von Kane Hunts Autopsie, Karen Royal-Cross. Der Botaniker hat Hyoscin benutzt, um ihn zu ermorden. Ich kann Ihnen versichern, das war kein Publicity-Stunt.«

Entsetzt starrte Karen Royal-Cross auf das Tablet.

»Aber ich dachte …«

»Und jetzt sehen Sie sich bitte das hier an.« Offenkundig interessierte es Bradshaw nicht die Bohne, was Karen Royal-Cross dachte. »Das ist Harrison Cummings in der Badewanne. Ich habe seinen Penis verpixelt, aber wie Sie sehen können, ist er tot. Diesmal hat der Botaniker ein Neurotoxin verwendet, das man in Kugelfischen findet.«

»Und jetzt kommt das Beste«, fügte Poe hinzu. »Bisher haben wir keinen Schimmer, wie er das anstellt …«

»Aber warum denn ich?«, schluchzte Karen Royal-Cross auf. »Ich habe doch niemandem was getan.«

Poe fing Bradshaws Blick auf und schüttelte den Kopf. So verlockend es auch war, dies war nicht der richtige Zeitpunkt, ihr die zahllosen Gründe dafür aufzulisten, dass andere Leute sich darum reißen könnten, sie abzumurksen.

»Wir brauchen den Umschlag«, sagte er. »Das Gedicht wird uns verraten, welches Gift er verwenden will, und der Umschlag wird bestätigen, ob es ein Trittbrettfahrer ist oder nicht.«

Die gepresste Blume hatte sie weggeworfen, also waren das Gedicht und der Umschlag alles, was sie hatten. Noch hatte der Botanische Garten die Pflanze aus dem Video, das sie gepostet hatte, nicht identifiziert.

»Denken Sie nach«, drängte Flynn. »Wo könnten Sie ihn hingetan haben?«

»Ich weiß es nicht mehr.«

»Recyceln Sie, Karen Royal-Cross?«, fragte Bradshaw.

»Natürlich nicht. Der Klimawandel ist eine globale Verschwörung der chinesischen Stahlindustrie.«

»Können wir ein Team von der Spurensicherung anfordern, Boss?«, fragte Poe rasch. Das Letzte, was jetzt irgendjemand brauchte, war eine dreistündige Präsentation von Bradshaw darüber, wie schnell die Polkappen schmolzen und warum künftige Generationen möglicherweise Kiemen brauchen würden. »Wenn der Umschlag hier irgendwo ist, finden die ihn.«

Karen Royal-Cross’ Augen wurden riesengroß. »Spurensicherung?«

»Ja.« Poe wusste sofort, dass er einen Treffer gelandet hatte. »Sie haben hier doch nichts Illegales rumliegen, oder?«

»Mir ist gerade wieder eingefallen, wo ich ihn hingetan habe.« Sie griff unter das Kissen, auf dem sie saß, und reichte ihm den zerknitterten Umschlag. Poe streifte Latexhandschuhe über und nahm ihn ihr ab. Er drehte ihn um und sah die wissenschaftliche Illustration auf der Rückseite; in schwarzer Tinte und wunderbar detailliert.

»Er ist es«, verkündete er und zeigte Flynn die kunstvolle Zeichnung. »Jetzt sollten die vom Botanischen Garten keine Probleme mehr damit haben.«

»Ich maile Chief Superintendent Mathers ein Foto.« Flynn griff nach ihrem Handy.

Poe öffnete den Umschlag und zog vorsichtig das Gedicht heraus. Es war auf teurem Papier niedergeschrieben worden. Vierzehn Zeilen:

Für die tödliche Bohne

Damit es sich auch wirklich lohne

Schaffe hurtig man heran

Hundeschwanz und Löwenzahn

Eine Hühnerzunge fein

Und noch reichlich Schneckenschleim

Die Tränen eines alten Weibs

Oder nur Azeton vielleicht?

Alles gründlich vermengen

Und eine Woche weghängen

Lass klug fort die Hände

Denn nicht viel braucht’s zum Ende

Und du weißt, helfen tut nichts

Wenn die tödliche Bohne sticht.

Poe las die erste und die achte Zeile noch einmal. »Alle raus hier!«, befahl er. »Sofort!«

»Moment, Ma’am«, sagte Flynn in ihr Handy. »Was ist denn los, Poe?«

»Wir brauchen einen Spezialisten, Boss.«

»Warum?«

»In dem Gedicht geht’s um eine giftige Bohne.«

»Und?«

»Außerdem ist da von Azeton die Rede.«

»Scheiße«, stieß Flynn hervor und begann, eindringlich in ihr Handy zu flüstern.

»Was ist denn?«, fragte Karen Royal-Cross. »Sie machen mir Angst. Warum ist Azeton denn so wichtig? Das ist doch bloß das Zeug, das in Nagellackentferner drin ist.«

»Rizin«, antwortete Poe. »Azeton wird für die Herstellung von Rizin benutzt.«