I n diesem Zustand können wir ihn nicht mit dem Botaniker reden lassen«, sagte Chief Superintendent Mathers. »Er ist zu betrunken.«
Damit hatte sie nicht unrecht. Poe hatte Stahl in der Hotelbar gefunden, umgeben von leeren Gläsern. Es sah aus, als hätte er eine Party gefeiert.
»Was bleibt uns denn anderes übrig?«, fragte er. »Ja, er ist sternhagelvoll, aber was soll’s? Wenn der Botaniker ihn kennt, wird er wissen, dass er Alkoholiker ist. Wenn er ihn nicht kennt, können wir ihm ja ein Ultraschallbild von Stahls Leber schicken.«
»DI Flynn?«, fragte Mathers.
»Sie haben recht damit, vorsichtig zu sein, Ma’am, aber Poe hat auch recht. Wenn wir das Ganze hinauszögern, ruft er vielleicht nicht wieder an. Ich denke, das Risiko ist es wert.«
»Wo ist Stahl jetzt?«
»Ein paar Zimmer weiter«, antwortete Poe. »Dr. Mukherjee hat ihm eine Infusion gelegt. Füllt Flüssigkeit, Zucker und Vitamine nach.«
»Wird er davon nüchtern?«
»Keine Ahnung. Aber er hat einen Blick auf ihn geworfen und gesagt, er will ihn wegen Alkoholvergiftung behandeln.«
Mathers barg den Kopf in den Händen. »Was für eine verdammte Schweinerei.«
»Wir müssen’s wenigstens versuchen«, drängte Poe. »Sie haben nicht gesehen, was da draußen los ist. Da demonstrieren irgendwelche Vollpfosten für den Täter. Stehen Schlange, um Botaniker-T-Shirts zu kaufen, wie Kinder, die einen Weihnachtsmann im Gartencenter sehen wollen.«
»Das mit den T-Shirts wissen wir. Amazon hat sich bereit erklärt, alles mit dem Botaniker drauf aus dem Verkauf zu nehmen, aber Sie wissen ja, wie die Drittgeschäfte bei so etwas laufen. Die Verkäufer umgehen die Verfügung von Amazon, indem sie T-Shirts verkaufen, auf denen der Botaniker gar nicht vorkommt. ›Dienst am Allgemeinwohl ist kein Mord‹ und ›Schick jemandem ein Gedicht‹ sind heute der absolute Renner.«
»Und wenn er sich weiter unsympathische Opfer aussucht, wird es nur noch schlimmer. Er hat jetzt Kultstatus. Stellen Sie sich mal vor, was passiert, wenn er doch an Karen Royal-Cross rankommt? Der größte Teil des Landes wird feiern.«
Mathers stöhnte. »Na schön«, sagte sie. »Wir lassen Stahl mit ihm reden.«
»Und wir müssen das Narrativ ändern«, fügte Poe hinzu.
»Wie denn das?«
Poe dachte darüber nach, was genau der Botaniker tat. Er suchte sich allgemein bekannte Arschgesichter als Opfer aus, etwas, woran es im UK einen unerschöpflichen Vorrat gab. Die Öffentlichkeit würde sich nicht gegen ihn wenden, bis er einen Fehler machte und die falsche Person umbrachte. Und bisher hatte er nicht einen einzigen Fehltritt begangen. In Anbetracht dessen, was er tat, erschien das unwahrscheinlich.
»Ich kaufe ihm die Geschichte nicht ab, die er uns hier auftischt, Ma’am«, sagte er. »Ich will ihn nicht aufwerten, aber bisher agiert er fehlerlos. Hat nicht den Hauch eines Beweises zurückgelassen und genau die Person umgebracht, bei der er es angekündigt hat.«
»Also?«
»Also, wie zum Teufel ist er so gut geworden?«
Mathers bedachte ihn mit einem scharfsinnigen Blick.
»Er hat geübt«, fuhr Poe fort. »Er hat an Menschen geübt, die niemand vermissen würde.«
»Und in Anbetracht der Tatsache, wie gut vernetzt das UK ist, hat er das wahrscheinlich nicht hier getan«, pflichtete Mathers ihm bei. »Wir haben zwar viele Obdachlose, aber die Leute würden es merken, wenn ein paar von denen verschwinden. Außerdem, wo hätte er es denn tun sollen?«
»Genau. Ich wohne in einer der am dünnsten besiedelten Ecken des UK , und selbst dort würde es jemand mitkriegen, wenn Experimente mit Menschen gemacht würden. Das wäre für diesen Kerl viel zu riskant.«
»Also hat er im Ausland geprobt.«
»Darauf würde ich tippen. Irgendwo im Nirgendwo.«
»Ich lasse eine Blue Notice aufsetzen. Geht heute noch in Umlauf.«
Poe nickte zustimmend. Eine Blue Notice an Interpol diente dazu, eine Person von Interesse im Rahmen einer polizeilichen Ermittlung zu lokalisieren, zu identifizieren oder zusätzliche Informationen über sie zu beschaffen. Sie würde an über zweihundert Länder geschickt werden. Wenn der Botaniker im Ausland Brotkrumen hinterlassen hatte, war eine Blue Notice der erste Schritt, um sie zu finden.
Das für sie vorgesehene Telefon klingelte. Alle sahen einander an.
»Sind wir so weit?«, fragte Mathers.
Poe und Flynn nickten.
Mathers drückte auf die grüne Taste und die Stimme des Botanikers füllte den Raum.