W as machen Sie hier, Sergeant Poe?«, fragte Detective Chief Inspector Tai-young Lee.
Sie trug Jeans, einen dicken Mantel und eine Schultertasche. Es sah aus, als hätte sie heute dienstfrei. Hatte wahrscheinlich keine Zeit gehabt, sich in ihr Power-Kostüm zu werfen.
»Dasselbe könnte ich Sie fragen«, erwiderte Poe.
»Und wenn Sie das täten, würde ich sagen, als Detective Constable Bowness mich zu Hause angerufen hat, um mir mitzuteilen, dass Sie und Miss Bradshaw Professor Doyle im Gefängnis besucht haben, da habe ich mir gedacht, was wäre das Dümmste, was Sergeant Poe als Nächstes anstellen könnte? Und dann bin ich hergefahren und habe gewartet.« Sie zeigte auf den roten Wagen vor ihnen am Straßenrand, den, von dem Poe gedacht hatte, er gehöre einem anderen Navi-Opfer. »Der Volvo da ist meiner.«
»Bin ich so berechenbar?«
»Ich habe gründlich recherchiert. Also, ich frage noch einmal: Was machen Sie hier? Weil ich ja weiß, dass Sie nicht verantwortungslos genug sind, einen Tatort ohne meine Erlaubnis zu betreten. Ich will mich nicht mit der NCA anlegen, indem ich einen ihrer Sergeants verhafte, aber das werde ich tun, wenn Sie Highwood betreten.«
»Wir sollten gehen, Poe.« Bradshaw zog an seinem Arm.
»An Ihrer Stelle würde ich auf Miss Bradshaw hören«, bemerkte Lee.
Poe rührte sich nicht von der Stelle. »Das sehe ich nicht so.«
»Sie wissen schon, dass ich Sie allein dafür verhaften könnte, dass Sie hier sind.«
»Alles, was ich getan habe, war, zu parken und nach dem Weg zu fragen. Viel Glück dabei.«
»Vielleicht reicht es nicht, um Sie einzubuchten. Aber es wird Sie ausbremsen und es wird meinen Tatort schützen.«
»Vielleicht.« Poe nickte. »Aber wenn ich Sie verhafte, weil Sie Beweise unterschlagen haben, um die Anklageentscheidung der Staatsanwaltschaft zu beeinflussen, dann weiß ich verdammt gut, dass das reichen wird. Vielleicht kriegen Sie ja einen guten Gewerkschaftsvertreter und behalten Ihren Job. Aber Ihren Dienstgrad behalten Sie auf gar keinen Fall. Würde Sie das ausbremsen?«
»Wovon zum Teufel reden Sie eigentlich?«, fauchte Lee. »Ich habe diese Ermittlung vorschriftsmäßig durchgeführt. Das musste ich doch auch – Professor Doyle ist ja fast eine von uns.«
»Und trotzdem habe ich gerade mit ihrer Anwältin über ihre verlängerte Anfahrtszeit gesprochen. Sie hatte einen Platten, als sie von der Arbeit gekommen ist. Deswegen hat sie länger gebraucht. Aber das haben Sie der Staatsanwaltschaft gegenüber nicht erwähnt.«
»Wir wissen nichts von einem platten Reifen«, entgegnete Lee. »Und es ist ja sehr hilfreich, dass ihr das erst jetzt einfällt.«
»Tilly?«
»Ja, Poe?«
»Kannst du Detective Chief Inspector Lee die E-Mail zeigen, die du gerade bekommen hast?«
»Ja, Poe.«
Bradshaw klappte ihr Tablet auf und rief den Screenshot des Polizeiberichts auf. Dann zog sie das Bild mit den Fingern größer und reichte Lee das Tablet.
»Sehen Sie, Ma’am«, meinte Poe. »Sie wussten sehr wohl von dem platten Reifen. Sie haben es die ganze Zeit gewusst.«
Lee wurde blass. Der Staatsanwaltschaft Beweise vorzuenthalten war ein Karrierekiller. Das würde ihr für alle Zeit anhängen. Entweder hatte sie von dem Platten gewusst und war korrupt, oder sie hatte es nicht gewusst und war inkompetent. Das waren die beiden einzigen Optionen, die die unvermeidliche Disziplinarkommission in Erwägung ziehen könnte.
Poe jedoch hatte eine dritte Option in petto, die allen zum Vorteil gereichte.
»Morgen früh reicht Estelles Anwältin Beschwerde bei der Dienstaufsicht ein und erklärt denen, dass Sie den Beweis absichtlich zurückgehalten haben, um die Anklageentscheidung der Staatsanwaltschaft zu beeinflussen.« Er hielt einen Moment lang inne, lange genug, dass seine Worte durchdrangen. »Oder Sie können mich davon überzeugen, dass Sie bei einem Fall, der sich sehr schnell entwickelt, einen Fehler gemacht haben und jetzt Ihr Bestes tun, um ihn zu korrigieren.«
»Was wollen Sie?«, seufzte Lee resigniert.
Mit dem Kopf deutete Poe auf das verschlossene Tor.
»Ich will den Tatort sehen.«