58 . Kapitel

E lcid Doyles Arbeitszimmer lag an der Rückseite des Hauses. Es war ein wunderbar sonniger Raum. Warme Teppiche und ein Boden aus Steinplatten. Maßgearbeitete deckenhohe Bücherregale rechts und links an den Wänden. Das Holz war dunkel und alt. Teak, dachte Poe. Sogar eine Bibliotheksleiter auf Rollen gab es hier, damit Elcid an die obersten Regalfächer heranreichen konnte. In einem Privathaushalt hatte Poe so etwas noch nie gesehen.

In der Wand gegenüber der Tür waren Fenster, die auf das Grundstück hinausgingen, und ein steinerner Kamin in der Mitte. Schaufel, Schürhaken und Zange hingen an einem Messingständer. Zu beiden Seiten des Kamins waren Holzscheite aufgestapelt.

An der vierten Wand, der, durch die sie eingetreten waren, hing eine Sammlung alter Ölgemälde. Poe setzte seine Lesebrille auf und betrachtete sie eingehend. Alles britisches Federwild. Fasane, Schnepfen, Rebhühner und Waldschnepfen. Irgendwelche Enten. Doch auf den meisten Bildern waren Raufußhühner. Ein Moorschneehühnerpaar, das im violett blühenden Heidekraut nistete. Das »Lek« – der Balzplatz – eines Birkhahns, wo die Männchen ihre Schwanzfedern zur Schau stellen, um die Weibchen anzulocken. Moorschneehühner, die von einem schwarzen Labrador aus der Deckung aufgescheucht wurden. Birkhühner, die über die wartenden Flinten hinwegflogen. Ania hatte gesagt, Elcid hatte eins der besten Raufußhuhn-Reviere im ganzen Land besessen, und es war deutlich zu sehen, dass diese Vögel seine Leidenschaft gewesen waren.

Ein prachtvoller Mahagonischreibtisch mit zwei eingebauten Holzschränken unter der Platte stand in der Mitte des Zimmers. Poe stellte sich vor, wie Elcid dahinter gesessen und ab und zu aufgeblickt hatte, um seine Bilder zu bewundern. Er fuhr mit den Fingern darüber. Die Tischplatte war warm und glatt. Die einzigen Gegenstände darauf waren eine antike Bankierslampe, ein Block teures Briefpapier, eine Schreibunterlage und ein Montblanc-Füllfederhalter.

Der Schreibtischstuhl fehlte. Elcid hatte darauf gesessen, als er gestorben war, und Poe nahm an, dass der Stuhl mitgenommen worden war, um ihn näher zu untersuchen.

Er dachte daran, was man ihm von den alten Zeiten erzählt hatte. Damals hätte ein Ring aus Asche die Leiche umgeben, weil die Cops rauchend um sie herumgewandert wären. Nicht so hier. Alles, was er sehen konnte, waren Beweise für eine gründliche Spurensicherung an einem Tatort.

Vor dem Kamin stand ein kleiner, niedriger Tisch. Ein Chesterfield-Ohrensessel war so positioniert, dass die letzten Strahlen des Abendlichts darauf fielen. Auf dem Tisch Untersetzer aus Schiefer, ein Aschenbecher und ein Zigarrenabschneider. Wahrscheinlich hatte Elcid in diesem Zimmer gelebt. Hatte tagsüber an seinem Schreibtisch gearbeitet und den Abend vor dem Kamin verbracht, wo er Scotch getrunken und gelesen hatte.

In einer der Wände mit den Bücherregalen war eine Tür. Poe öffnete sie. Es war eine Nasszelle mit Dusche. Eine moderne Duschkabine, eine Toilette und ein Handwaschbecken. Ein Bord mit altmodischem Rasierzeug darauf. Ein klassisches Rasiermesser, Dachshaarpinsel, Rasierseife und Rasierbalsam. Die Sachen sahen aus, als wären sie Jahrzehnte alt, aber liebevoll gepflegt.

Das Badezimmer hatte noch eine zweite Tür. Dahinter war ein kleiner Wäschetrockenschrank. Regale voller Handtücher und Toilettenpapier. In Anbetracht der Größe der beiden Räume war der Schrank etwas kleiner, als Poe erwartet hatte. Er nahm an, dass sich dahinter ein moderner Durchlauferhitzer verbarg. Die Dusche war zu neu, um an die ursprünglichen Wasserleitungen des Hauses angeschlossen zu sein.

Poe drehte sich um und bemerkte etwas.

»Könnten Sie kurz mal herkommen, Ma’am?«, sagte er.

»Was ist denn, Poe?«

Er zeigte auf das Milchglasfenster. »Der Fensterriegel. Er ist offen.«

Tai-young Lee betrachtete den Riegel eingehend.

»Da sieht man noch das Fingerabdruckpulver«, meinte sie. »Der Techniker von der Spurensicherung hat bestimmt vergessen, ihn wieder zuzumachen, nachdem er fertig war. Wenn er offen gewesen wäre, als er ihn eingepudert hat, dann hätte er einen der Kollegen darauf aufmerksam gemacht.« Sie holte ein Tablet aus ihrer Schultertasche, rief eine Datei auf und drehte das Gerät herum. »Aber wir können das nachprüfen. Hier ist das Video von der Tatortbegehung. Das ist aufgenommen worden, bevor irgendetwas forensisch untersucht wurde.«

Das Video war drei Minuten lang, und der Techniker hatte nichts übersehen. Es endete im Badezimmer. Wie Lee gesagt hatte, war das Fenster verriegelt gewesen.

Poe überlegte, wo er als Nächstes suchen wollte. Bis jetzt hatte sich Highwood als Reinfall erwiesen, und allmählich gingen ihm die Dinge aus, die er überprüfen konnte.

Sein Handy klingelte.

Es war Flynn. Er runzelte die Stirn. Eigentlich sollte sie doch Zeit mit ihrem Sohn verbringen.

»Was gibt’s?«, fragte er.

»Karen Royal-Cross«, antwortete Flynn. »Der Drecksack hat sie doch erwischt.«