E r redet nur mit Ihnen, Poe«, sagte Chief Superintendent Mathers. »In« – sie sah auf die Uhr – »zwei Minuten ruft er wieder an, und die Kollegen stellen ihn zu Ihnen durch.«
Poe konnte nicht sagen, ob sie verärgert oder erleichtert war. Wahrscheinlich ein bisschen etwas von beidem. Verärgert, weil sie in ihrem eigenen Fall zur Zuschauerin degradiert worden war, erleichtert, dass jemand anders die Last der Verantwortung mit ihr teilte. Jetzt, da Karen Royal-Cross tot war, musste das Personal der Infektionsstation wieder an seine eigentlichen Arbeitsplätze zurückkehren. Mathers hatte ein kleines Zimmer neben der Station requiriert, während ihr Team die behelfsmäßige Kommandozentrale abbaute. Die Betteneinheit des Isolierbereichs würde bis auf Weiteres ein Tatort bleiben, allerdings bezweifelte Poe, dass die Spurensicherung dort irgendetwas Brauchbares finden würde.
»Hat er irgendwas gesagt?«, erkundigte er sich.
»Nichts Brauchbares. Nur dass man Sie holen soll.«
»Warum ich?«
»Wir gehen davon aus, dass er Sie seit Ihrem letzten Gespräch für jemanden hält, der ihn nicht verarschen wird.«
»Dann irrt er sich gewaltig«, stellte Poe fest. Mukherjees Worte hallten noch immer in seinem Kopf nach. »Ich tue alles, was nötig ist, um diesen Arsch zu kriegen.«
»Der Psychologe meint, Sie sollten denselben Aggressionslevel beibehalten wie beim letzten Mal. Wenn er Sie für jemanden hält, der sagt, was er denkt, könnten wir daraus einen kleinen Vorteil ziehen.«
»Bei der SCAS sagen wir lieber ›misanthropisches Arschloch‹ als ›jemand, der sagt, was er denkt‹«, bemerkte Flynn, die gerade ins Zimmer trat. Bradshaw war bei ihr.
»Haben Sie was gefunden?«, fragte Poe.
»Vielleicht. Tilly, können Sie’s ihnen sagen?«
»Selbstverständlich, DI Flynn.« Bradshaw zog ihr Tablet hervor und stellte das Display auf Querformat.
Poe reckte den Hals und starrte auf das Display. Es war eine chemische Formel. Klammern, Buchstaben und tiefgestellte Zahlen – (CH 3 ) 2 CO .
»Was ist das, Tilly?«
»Azeton, Poe.«
»Noch eine Minute«, warnte Mathers.
»Und was ist daran von Bedeutung?«
»Winzige Spuren davon sind in den Proben von Karen Royal-Cross gefunden worden, die wir an Estelle Doyles Labor geschickt haben. Ich weiß, sie sitzt in diesem fürchterlichen Gefängnis, aber wir dachten, wenn …«
»Wer ist ›wir‹, Tilly?«, blaffte Poe.
»Ich habe DI Flynn erklärt, dass ein Labor sehr gut sein muss, wenn Estelle Doyle dort arbeitet.«
»Hat ein Vermögen gekostet«, grollte Flynn. Sie sah Mathers erwartungsvoll an, doch von dort kam keine Hilfe. Die gestresste Bezirksleiterin hatte angesichts all der Überstunden, die sie genehmigen musste, eigene Budgetprobleme. Sie würde nicht für Laboruntersuchungen bezahlen, solange sie nicht dazu gezwungen wurde.
»Er hat also wirklich Azeton benutzt, um das Rizin herzustellen.«
»Ja, Poe.«
»Sonst noch was?«
»Möglicherweise«, sagte Flynn. »Mit Azeton kann man Sprengstoff herstellen, also steht es auf einer sogenannten Vorläuferchemikalien-Liste. Ohne sich auszuweisen, ist es schwer, das Zeug in großen Mengen zu kaufen.«
»Und wieso denken wir, dass er große Mengen gekauft hat?«
»Tun wir ja gar nicht, aber wenigstens unternehmen wir etwas.«
Poe überlegte. Beschloss, dass Flynn recht hatte. Ermittlungen kamen zum Erliegen, wenn Detectives untätig herumsaßen. Sinnlose Spuren zu verfolgen war nützlich, weil es den Leuten etwas zu tun gab. Und die Gehirne von Menschen, die etwas zu tun hatten, arbeiteten schneller.
»Wenn er das Azeton also nicht geklaut oder es in kleinen Mengen gekauft hat, dann könnte er irgendwo in einer Datenbank erfasst worden sein?«, fragte er.
»Ja.«
»Zusammen mit Zehntausenden anderen, nehme ich an«, warf Mathers ein. »Im Großen und Ganzen eine nicht beherrschbare Anzahl.«
Poe und Flynn lächelten.
»Dafür haben wir eine App, Ma’am«, sagte Poe.
»Eine App? Was denn für eine App?«
»Sie heißt Tilly, und je höher die Zahl ist, desto glücklicher ist sie.«
Bradshaw nickte heftig. »Ich habe schon angefangen, nachzudenken, wie wir das machen können, Poe. Zuerst müssen …«
Das Telefon, das Mathers in der Hand hielt, klingelte. Alle fuhren zusammen.
»Ihr Einsatz, Poe«, sagte sie.