84 . Kapitel

D as ist der künstlichste Tatort, der mir je untergekommen ist«, sagte Poe in sein Handy. »Eher ein Liebesbrief an sich selbst.«

»Wie meinen Sie das?«, wollte Flynn wissen.

»Er wusste, dass wir kommen. Hat es so geplant. Wahrscheinlich hat er deshalb so eine Riesenmenge Azeton gekauft und deshalb auch seinen richtigen Namen benutzt. Er wollte, dass wir das hier finden.«

»Und Sie sind jetzt nicht einfach nur, Sie wissen schon …«

»Was?«

»Na ja, eben Poe.«

»Chief Superintendent Mathers ist das auch aufgefallen. Wir dachten, Beck wäre ein Fehler unterlaufen, als er seinen Klarnamen benutzt hat, um das Azeton zu kaufen. Fehlanzeige. Das war Absicht.«

»Beschreiben Sie alles ganz genau.«

»Ich weiß noch was Besseres«, erwiderte Poe. »Ich habe ein Handy-Video von dem Ganzen gemacht und es an Tilly geschickt. Rufen Sie an, wenn es auf ihrem Laptop angekommen ist.«

»Das ist eine Chromatografiesäule, Poe«, erklärte Bradshaw. »Die benutzt man dazu, chemische Komponenten voneinander zu trennen.«

Der Gegenstand auf dem Video war eine zylindrische Glasröhre, ungefähr fünfundsechzig Zentimeter lang, in aufrechter Position festgeklemmt und mit einem Hahn am unteren Ende versehen. Sie war mit einem festen Material gefüllt.

»Die Lösung wird oben reingekippt, und während sie durch die Absorptionsmittel in der Röhre läuft, reagieren die verschiedenen Komponenten unterschiedlich auf das verdichtete Material. Deswegen kommen sie unterschiedlich schnell unten an, sodass man sie separieren kann«, fuhr Bradshaw fort. »Sie werden die Rückstände untersuchen müssen, aber es würde mich nicht wundern, wenn er die Chromatografiesäule dazu benutzt hat, das Rizin aus dem Öl der Römischen Bohne zu extrahieren. So hätte ich das auch gemacht.«

»Ich nehme mal an, die Dinger sind leicht zu bekommen?«, fragte Flynn.

»Die bekommt man bei Amazon für fünfzig Pfund, DI Flynn.«

Die Alpha-Wohnung sah aus wie ein Oberstufen-Chemielabor. Einiges der Ausstattung, wie zum Beispiel die Bunsenbrenner, die Reagenzglasständer und ein Mikroskop erkannte Poe von der Schule her wieder. Andere Gegenstände musste Bradshaw ihm erklären.

Neben der Chromatografiesäule hatte sie eine Zentrifuge identifiziert, eine Analysewaage – Poes Meinung nach einfach nur eine hochgestochene Bezeichnung für eine Briefwaage –, einen Inkubator und einen tragbaren Dunstabzug. Es gab auch ein digitales Refraktometer, um die Reinheit der Gifte zu überprüfen, und einen Laborkühlschrank, um sie aufzubewahren.

»Hier ist nichts, was einem Anlass zur Sorge geben würde, Poe«, stellte Bradshaw fest. »Bis auf das Azeton kann man das alles kaufen, ohne irgendwelche Angaben zur Person zu machen.«

»Was ist denn das graue Ding da?«, wollte Poe wissen. »Sieht ein bisschen aus wie eine Fritteuse.«

»Das ist ein Dörrautomat. Ich nehme an, damit hat er die Blumen getrocknet, die er seinen Opfern geschickt hat.«

»Wieso hat er nicht einfach eine Pflanzenpresse genommen?«

»Ein Dörrautomat ist zuverlässiger, Poe.«

»Dann ist das hier also ein voll ausgestattetes modernes Labor?«

»Jedes Gift, das er bisher verwendet hat, könnte da drin in hoher Qualität hergestellt werden. Absolut keine Frage.«

»Okay. Henning Stahl hat nachgewiesen, dass Beck sowohl das Fachwissen als auch ein Motiv hat«, stellte Poe fest. »Wir haben jetzt nachgewiesen, dass er die technischen Möglichkeiten hatte. Verstehen Sie jetzt, warum ich sage, das ist ein gestellter Tatort, Boss?«

»Es ist auf jeden Fall ein gestellter Tatort«, pflichtete Flynn ihm bei. »Alles dreht sich um die Gifte und um die Opfer, von denen wir bereits wissen. Es gibt keinerlei Informationen dazu, wie er an seine Opfer herankommt oder wen er umbringen will, wenn die ›Douglas Salt/Chrissie Stringer‹-Phase vorbei ist. Nichts, was uns hilft, ihn zu schnappen.«