93 . Kapitel

D etective Chief Inspector Tai-young Lee erwartete sie um sieben Uhr vor Highwood. Sie warf einen einzigen Blick auf Poe und fragte: »Wann haben Sie zum letzten Mal geschlafen? Sie haben Augen wie die Eier eines Windhunds nach dem Rennen.«

Poe lachte. »Sie sind schon zu lange in Newcastle«, stellte er fest.

»PD Bailey wird gleich hier sein.«

»PD Bailey?« Bradshaw unterdrückte ein Gähnen. »Was ist denn das?«

»Police Dog Bailey«, antwortete Lee. »Der Schusswaffenspürhund, den wir diesmal einsetzen.«

»Ooch, ich wette, der ist total süß!«

»Das ist ein Arbeitshund, Tilly«, mahnte Poe. »Also gib ihm keine Leckerlis.«

»Bestimmt nicht, Poe.«

»Und wenn einer von Ihnen irgendetwas eingeworfen hat, um wach zu bleiben, dann rate ich Ihnen, es jetzt zu sagen«, fuhr Lee fort. »Bailey ist nämlich auch Drogenspürhund.«

»Ich weiß nicht einmal, was ›einwerfen‹ heißt, Detective Chief Inspector Lee«, beteuerte Bradshaw, »aber Drogen nehmen wir beide nicht, falls Sie das meinen. Poe nimmt nicht mal Medikamente, wenn er’s eigentlich tun sollte. Einmal ist ihm Codein verschrieben worden, für einen Zahnabszess, und vor vierzehn Tagen habe ich das nicht eingelöste Rezept in einem Buch gefunden, das er damals gelesen hat. Hintendrauf hatte er eine Liste seiner Lieblingswurstsorten geschrieben.«

»Vielen Dank, Tilly«, brummte Poe.

»Okay«, meinte Lee. »Sollen wir reingehen? Wir können uns ja mal umsehen, bevor PD Bailey hier aufkreuzt.«

PD Bailey war ein Spaniel. Sein Fell war grau gesprenkelt, und wie alle Spaniels platzte er fast vor Energie. Er wedelte so heftig mit dem Schwanz, dass sich sein halber Körper mitbewegte.

»Darf ich ihn streicheln?«, fragte Bradshaw den Hundeführer.

»Solange Sie nichts dagegen haben, zu Tode geleckt zu werden.«

»Hat sie nicht«, versicherte Poe.

Nach zwei Minuten erhob sich Bradshaw und verkündete: »Jetzt habe ich zwei Lieblingshunde, Poe. Glaubst du, wir können Edgar darauf abrichten, Waffen aufzuspüren?«

»Waffen? Definitiv nicht. Waffeln? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.«

Der einzige Raum, in dem PD Bailey anschlug, war abermals Elcid Doyles Arbeitszimmer. Der Spaniel zeigte keinerlei Interesse an irgendeinem anderen Zimmer im Haus.

»Akzeptieren Sie, dass es im Haus und auf dem Gelände keine Schrotflinten gibt, Sergeant Poe?«, erkundigte sich Tai-young Lee, nachdem PD Bailey und sein Hundeführer zum nächsten Job weitergezogen waren.

»Hundenasen kann man nicht austricksen«, gab Poe zu.

Er war enttäuscht. Was er hatte finden wollen, wusste er nicht genau, nur dass er etwas hatte finden wollen. Wenn Elcid Doyle wirklich gerade seine Schrotflinte gereinigt hatte, als er ermordet worden war, musste sie im Haus gewesen sein. Der Staatsanwalt könnte einem Haufen besonders vertrottelter Geschworener vielleicht einreden, dass jemand eine kleine Handfeuerwaffe siebzig Meter weit werfen konnte, Schrotflinten jedoch waren lang und unhandlich und schwer. Poe war der Ansicht, dass er einigermaßen Kraft im Oberkörper und in den Armen hatte, doch er wusste, dass er so ein Ding nicht weiter als dreißig Meter werfen könnte. Aber PD Baileys Nase war eine Million Mal so empfindlich wie die eines Menschen – ihm wäre nichts entgangen. Die Schrotflinten waren nicht im Haus. Die Verbindung zwischen dem Mord an Elcid Doyle und dem Botaniker sah allmählich sehr dürftig aus.

Sein Handy klingelte. Es war Ania Kierczynska.

»Entschuldigung, Ma’am, da sollte ich rangehen«, sagte er und trat ein Stück weg. »Ania, danke, dass Sie zurückrufen. Ich wollte Sie bitten, ein JiC zu beantragen, aber meine Spur hat sich nicht so bezahlt gemacht, wie ich gehofft hatte.«

»Ich wollte, Sie hätten mir das vor zehn Minuten gesagt«, erwiderte sie. »Gerade habe ich sie weggemailt.«

»Können Sie sie zurückziehen?«

»Ich schaue mal, ob wir eine Sekretärin zu fassen bekommen können, bevor der Richter anfängt, sein Postfach abzuarbeiten.«

»Tut mir wirklich leid. Und können Sie Estelle sagen, dass ich nicht aufgegeben habe?«

»Mach ich. Und vergessen Sie nicht, sie möchte Sie immer noch sehen.«

»Das könnte im Moment politisch unklug sein. Unser Chief Superintendent in London steht immer noch unter Beobachtung.«

»Okay, ich sag’s ihr. Sie wollten Informationen über Elcids Gewehre?«, setzte sie hinzu.

»Nur eine Bestätigung, dass er welche hatte«, antwortete Poe. »Aber DCI Lee hat schon in der Waffenschein-Datenbank nachgeschaut. Er hatte doch Schrotflinten.«

»Ja, wir haben ihm geholfen, die Dinger zu versichern. Ein Paar mit Gold eingelegte J. Purdey & Sons Over-and-Unders, was immer das heißt.«

»Die Läufe sind übereinander angebracht, nicht nebeneinander.«

»Also, mir sagt das nichts, aber laut seiner Versicherungsurkunde sind die beiden zusammen hunderttausend Pfund wert.«

»Dann sagen Sie denen lieber, dass sie verschwunden sind.«

»Sind Sie sicher? Sollten sie eigentlich nicht sein.«

»Ein Waffenspürhund hat das ganze Haus abgesucht. Wir sind sicher.«

»Und im Gewehrsafe sind sie definitiv nicht?«

Poe furchte die Stirn.

»Was denn für ein Gewehrsafe?«, fragte er.