99 . Kapitel

E r hatte sich in dem verdammten Tresorraum versteckt, Boss!«, brüllte Poe in sein Handy.

»Das kann nur ein Witz sein«, erwiderte Flynn. »Sind wir hier bei Scooby-Doo oder was?«

»Ha! Genau das habe ich auch gesagt! Wir glauben, er hat Estelle von Elcids Handy die SMS geschickt, mit der Einladung zum Abendessen. Hatte wahrscheinlich vor, ihn kurz vor ihrer Ankunft umzubringen, damit der Eintritt des Todes zu der Zeit passt, als Estelle von der Arbeit weg ist. Unglücklicherweise hatte es angefangen zu schneien, als er ihn schließlich erschossen hatte, also konnte er nicht aus dem Haus, ohne Spuren zu hinterlassen. Ihm ist nichts anderes übrig geblieben, als sich zu verstecken, bevor Estelle kam. Er hat sich in dem Tresorraum eingeschlossen, und die Geheimtür ist hinter ihm zugefallen. Die ist so eingehängt, dass sie zubleibt, ein bisschen so, wie eine Brandschutztür von selbst zugeht, nachdem man da durchgegangen ist.«

»Und der Geruch von Elcids Leichnam hat den Suchhund getäuscht?«

»Unserer Meinung nach ja.«

Poe stand draußen und schirmte das Telefon mit der Hand gegen den frischen Ostwind ab. Drinnen war die Spurensicherung zugange und untersuchte den Tresorraum, und Bradshaw tippte alles in eine Beweisaussage, die Poe für die JiC-Anhörung am nächsten Morgen unterschreiben konnte. Seiner Ansicht nach hatten sie jetzt genug, um Doyle aus der Untersuchungshaft zu holen.

»Wie groß ist denn das verdammte Ding?«, fragte Flynn. »Ungefähr so groß wie eine Telefonzelle. Nicht ganz so hoch. Groß genug, um drin zu stehen oder mit angezogenen Knien auf dem Boden zu sitzen, nicht groß genug, um sich auszustrecken.«

»Und die Schrotflinten?«

»Der Inhalt des Tresorraums entspricht dem, was auf Elcids Waffenschein steht. Es fehlt nichts. Abgesehen von dem Gewehrständer war der Raum mit Schrotflintenpatronen, Waffengurten und Elcids Waffenreinigungsset vollgestopft. Rollenweise Putzpatches. Jede Menge lose Fäden auf dem Boden. Da müssen die an seinen Sohlen hängen geblieben sein.«

»War die Tatwaffe da drin?«, fragte Flynn.

»Nein. Die fehlt immer noch.«

»Was glauben Sie, wie lange er sich da versteckt hat?«

»Mindestens zwei Tage«, antwortete Poe. »Die Kollegen von der Spurensicherung waren vierundzwanzig Stunden im Arbeitszimmer, nachdem Elcids Leichnam abtransportiert worden war. Danach stand nur ein Mann von der Streife an der Haustür. Beck hat bestimmt gewartet, bis er nichts mehr hören konnte, und ist dann durchs Badezimmerfenster rausgeklettert. Das ist an der Rückseite des Hauses. Und das erklärt auch, wieso es nicht verriegelt war, als wir das erste Mal da waren.«

In dem Tresorraum hatte es gestunken. Der säuerliche Dunst von altem Schweiß. Konzentrierter Urin. Fäkalien. Poe hatte sich gefragt, warum Beck keinerlei Versuch unternommen hatte, den Raum zu reinigen, doch dann war ihm schnell klar geworden, dass er das nicht hatte riskieren können. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, hatte er zusehen müssen, dass er aus dem Haus kam. Und den Raum mit Bleiche zu tränken oder in Brand zu setzen ging auch nicht, denn das hätte deutlich gezeigt, dass hier Estelle Doyle etwas angehängt werden sollte. Der Mann hatte sich ausgerechnet, dass der Tresorraum verschlossen bleiben würde, bis alles vorbei war, vermutete Poe.

»Wenn der Raum verschlossen war, wie zum Teufel ist er dann rausgekommen?«

»Innen gibt es eine Klinke. Das ist anscheinend bei den meisten Tresorräumen so. Zur Sicherheit, falls sich mal jemand aus Versehen einschließt. Ein bisschen so wie bei den Türen von den Tiefkühlräumen in Fleischfabriken.«

»Glauben Sie, da sind genug Beweise drin?«

»Die Spurensicherung hat schon Proben zum DNA -Abgleich geschickt.«

»Und Sie sind sicher, dass es Frederick Beck ist?«

Poe erzählte Flynn von seinem Gespräch mit Tai-young Lee über das geleakte Foto vom Gefängnis.

»Ich denke, sie glaubt selbst nicht mehr an ihren Fall, Boss«, meinte er. »Bestimmt hat Beck das Gefängnis beobachtet, um zu sehen, wer Estelle besucht. Als er mich und Tilly gesehen hat, hat er beschlossen, dass ihm das nicht gefällt. Wir glauben, er war’s, der das Foto geleakt hat. Er wollte nicht, dass ich sie entlaste.«

»Estelle ist gut, Poe, aber sie ist doch nicht die einzige Pathologin, mit der wir zusammenarbeiten.«

»Ich weiß, vollständig logisch ist die Theorie nicht, aber sie ist überzeugender als alles, was wir bisher haben.«

»Na ja, bald werden wir’s wissen. Was haben Sie als Nächstes vor?«

»Tilly tippt gerade eine Beweisaussage für die Kautions-Anhörung morgen früh. Sobald sie fertig ist, fahre ich damit zu Estelles Anwältin und lasse sie mal drüberschauen. Dann sehen wir weiter.«

»Okay.«

»Was macht Douglas Salt?«

»Nervt immer noch gewaltig. Droht alle zehn Minuten damit, uns rauszuschmeißen. Das wird er aber nicht tun – er liegt bei der Abstimmung immer noch um Längen vorn. Ich glaube, er hat endlich kapiert, dass er wirklich in Gefahr ist.«

»Wenn ein Mann so wild entschlossen ist, dass er sich in einem Tresorraum einschließt, während ein Haufen humorbefreiter Cops nur eine Regalbreite von ihm entfernt arbeiten, dann, ja, ich glaube, er hat ein Problem.«

»Das werde ich ihm nicht ausrichten.«

»Nein. Lieber nicht«, meinte Poe. »Und was ist mit Fiona Musgrave, der Frau, die die Story über Beck veröffentlicht hat? Ist die in Sicherheit?«

»Sie ist in Schutzhaft genommen worden, allerdings halten wir sie nicht für gefährdet.«

»Warum nicht?«

»Sie ist kein Arschloch.«

»Okay.«

»Rufen Sie später noch mal an?«

»Mach ich«, versprach Poe. »Aber bevor Sie auflegen – möchten Sie mir sagen, was aus meiner langsam gebratenen Ziege geworden ist? Mathers hat gesagt, Sie hätten sie entsorgen lassen und behauptet, es wäre ein toter Hund.«

»Das Vieh hat Ratten angelockt, Poe.«

Tai-young Lee trat aus dem Haus und winkte ihn zu sich herüber. Sie machte ein beklommenes Gesicht.

»Ich muss Schluss machen, Boss«, sagte Poe und beendete das Gespräch. »Was gibt’s denn, Ma’am?«

»Wir haben ein Problem«, antwortete Lee.