T ai-young Lee verließ den Raum, machte kehrt und ging wieder hinein. Sie wiederholte alles, was sie bei den ersten vier Malen getan hatte, diesmal jedoch wühlte sie in der Laptoptasche nach Poes Handy, bis sie es gefunden hatte, anstatt in die Gesäßtasche zu greifen.
Sie zog es heraus. Dann sagte sie: »Verdammt.«
»Was ist denn?«, wollte Poe wissen.
Sie hielt einen Finger hoch. »Die ganze Woche hat der Nagellack gehalten, und ausgerechnet an dem Tag, wo ich abends ein Date habe, haue ich mir an Tillys Schlüsseln da eine verdammte Kerbe rein.«
Poe wartete. Er verstand nicht, wieso ein Cop lackierte Nägel haben wollte, doch er war klug genug, nichts zu sagen.
»Entschuldigung«, sagte Lee. »Wo waren wir?«
»Sie wollten gerade die Polizei anrufen.«
Sie tat so, als tippe sie auf ein paar Icons, und drückte das Handy dann ans Ohr. Ließ es wieder sinken. »Ich sehe nicht, inwiefern das jetzt einen Unterschied gemacht hat«, sagte sie.
»Hat es auch nicht«, erwiderte Poe. »Aber wenigstens haben wir’s versucht.«
Sie zogen in die Küche um und Poe brühte eine Kanne Tee auf.
»Tut mir leid, Tilly«, bemerkte er. »Anscheinend war Elcid kein moderner Mensch. Hier gibt’s keinen Früchtetee.«
Bradshaw hielt ihre Wasserflasche hoch. »Ist schon okay, Poe.«
»Milch und Zucker, Ma’am?«
Lee antwortete nicht. Sie betrachtete noch immer mit finsterer Miene den Fingernagel mit dem Lackschaden.
»Ma’am?«, fragte Poe noch einmal.
»Haben Sie eine Vorstellung davon, was es bedeutet, gleichzeitig ein Cop und eine gute koreanische Tochter zu sein, Poe?«
»Schwer?«
»Unmöglich. Mein Dad will, dass ich mir einen richtigen Beruf suche, Ärztin oder Buchhalterin, und meine Mum will, dass ich heirate und den ganzen Tag hübsch aussehe. Und heute Abend habe ich mich endlich bereit erklärt, mich mit dem Sohn ihrer Freundin zu treffen. Sie hat sogar selbst diese Nagellackfarbe ausgesucht. Hat gesagt, er ist farbenfroh, aber ich sehe damit nicht aus wie eine gewöhnliche maechunbu. «
»Dieses Wort ist mir nicht …«
»Ein Straßenmädchen, Poe. Eine Prostituierte. Mum hat sehr strikte Ansichten darüber, welche Farben akzeptabel sind.« Sie streckte die Hände aus. Ihre Nägel waren in einem dezenten Rosaton lackiert. Der mit der Schmarre fiel auf wie das letzte Blatt an einem Baum. »Und jetzt muss ich das alles noch mal machen«, fuhr Lee fort. »Sonst regt Mum sich auf. Das heißt, ich brauche heute Abend eine Stunde länger, als ich gedacht habe. Schönen Dank auch, Poe.«
Poe holte heftig Luft. Bradshaw bemerkte es.
»Was ist los?« Sie erhob sich.
»Zeig mir noch mal das Foto von Estelles Händen, Tilly«, bat er eindringlich. »Das, das mir so zu schaffen gemacht hat.«
Bradshaw entsperrte ihr Tablet und scrollte, bis sie das Foto fand, das sie suchte. Dann reichte sie Poe das Tablet.
Estelles Finger waren blass und lang wie die einer Konzertpianistin. Ihre Nägel waren dunkelrot wie Blutgerinnsel. Poe zog sie per Zwei-Finger-Zoom größer und prüfte jeden einzelnen.
Dann stieß er erleichtert die Luft aus.
Er drehte das Tablet herum, sodass Lee und Bradshaw das Display sehen konnten.
»Was sehen wir hier, Poe?«, erkundigte sich Lee.
»Estelles Nägel. Der Nagellack ist vollkommen unversehrt.«
»Und?«
»Sie haben sich einen Nagel zerschrammt, als Sie bloß Ihr Handy aus einer Laptoptasche geholt haben. Sieht das hier aus wie die Nägel von jemandem, der gerade einen Reifen gewechselt hat?«