108 . Kapitel

I n London erwartete Detective Chief Superintendent Mathers Poe vor dem Royal Free Hospital, demselben Krankenhaus, in dem Karen Royal-Cross gestorben war. Sie waren mit dem Gebäude vertraut und würden das Überwachungssystem der Station für Infektionskrankheiten nutzen können. Ob Salt am Leben blieb oder starb, jetzt war sein Körper ein Tatort und musste wie einer behandelt werden, was bedeutete, dass von jetzt an alles gefilmt werden musste.

»Wo ist er?«, erkundigte sich Poe.

»Ist gerade im Eiltempo auf einer Trage eingeliefert worden und gleich in den OP der Abteilung für Infektionskrankheiten gebracht worden. Dr. Mukherjee ist noch nicht da, deshalb erklärt die Anästhesistin Salt, was wir vorhaben.«

»Dr. Mukherjee wird ihn operieren?«

»Er war früher mal Chirurg, und wir kennen ihn.«

»Und was sagte Salt dazu?«

»Der ist völlig verängstigt. Er stimmt nicht zu, bevor er mit Ihnen gesprochen hat.«

»Dann mal los«, sagte Poe.

Als die Anästhesistin die Prozedur fertig erklärt hatte, schluckte Salt heftig. »Klingt ganz schön heftig.«

Die Anästhesistin zuckte die Schultern. »Ich werd’s nicht beschönigen, Mr Salt; Notoperationen wie diese sind mit das Gefährlichste in unserem Beruf. Wenn wir Zeit hätten, könnten wir mehr auf Nummer sicher gehen, aber so, wie ich es verstehe, stellt Warten das größere Risiko dar.«

»Und es gibt keine andere Möglichkeit?«

Die Anästhesistin sah Poe fragend an.

»Wenn wir richtigliegen nicht«, sagte dieser.

»Wie sicher sind Sie sich?«

»Es ist eine Theorie, mehr nicht.«

»Was würden Sie an meiner Stelle tun?«

»Das ist ein binäres Problem, Mr Salt«, meinte Poe. »Entweder hat der Botaniker Sie bereits umgebracht oder eben nicht. Wenn ja, ist das hier Ihre einzige Option. Wenn nicht, unterziehen Sie sich ganz umsonst einem lebensverändernden chirurgischen Eingriff.«

»Also?«

»Also kommt’s wohl darauf an, wie sehr Sie daran glauben, dass Sie auch diesmal Glück haben.«

»Und?«, fragte Mathers, als Poe aus dem Vorbereitungsraum kam.

»Schrödingers Arschloch wird gerade für die Operation vorbereitet, Ma’am«, antwortete Poe.

»Gut gemacht«, sagte sie. »Und was zum Teufel meinen Sie mit ›Schrödingers Arschloch‹?«

»Suchen wir uns mal einen Platz, wo wir reden können – Estelle kann das besser erklären als ich.«

Mukherjees Büro war immer noch leer, also quetschten sie sich dort hinein. Es war eher funktionell als ästhetisch eingerichtet. Möbel aus Massenproduktion und medizinische Fachbücher. Ein Foto von seiner Familie war anscheinend der einzige persönliche Gegenstand im Raum.

Poe und Flynn hockten sich auf den Schreibtisch; Mathers nahm auf dem Stuhl Platz und Bradshaw setzte sich auf den Boden. Henning Stahl fand einen Platz in einer Zimmerecke und klappte sein Notizbuch auf. Doyle stand vor einem Whiteboard. Sie hatte sich bereits ein paar Requisiten zusammengesucht.

»Poe hat Ihnen gesagt, was ich denke?«

»In groben Zügen«, antwortete Mathers. »Was den wissenschaftlichen Aspekt angeht, war er ein bisschen vage.«

»Sie überraschen mich.« Doyle lächelte. »Was Sie als Erstes wissen müssen, ist, dass der Botaniker nichts Neues erfunden hat; er hat nur etwas adaptiert, das bereits existiert.«

»Und zwar?«

Doyle nahm einen Whiteboard-Stift und zeichnete ein stark vereinfachtes Diagramm des menschlichen Verdauungstraktes. Rachen, Speiseröhre, Magen, Dünndarm, Dickdarm.

»Was wissen Sie über modifizierte Arzneimittelabgabesysteme?«