111 . Kapitel

D ie Anästhesistin streckte den Kopf in Mukherjees Büro.

»Wir operieren in einer halben Stunde«, sagte sie. »Falls Sie Ihre Ausrüstung aufstellen müssen, tun Sie’s jetzt. Wenn Dr. Mukherjee erst mal angefangen hat, lässt er keinen mehr rein.«

»Vielen Dank.« Mathers erhob sich. »Ich muss im OP eine Kamera aufstellen, die Operation wird nämlich Teil der Beweisführung sein, wenn wir irgendwann mal vor Gericht gehen. Außerdem könnt ihr euch das Ganze dann live ansehen.«

Nachdem Mathers gegangen war, meinte Flynn: »Ich gehe mal davon aus, dass wir glauben, er hat eine Möglichkeit gefunden, die Medikamente, die unsere Opfer genommen haben, gegen seine präparierten Tabletten auszutauschen? Wenn ich mich recht erinnere, haben die doch alle irgendetwas eingenommen.«

»Kane Hunt hat unter erektiler Dysfunktion gelitten, deshalb war ihm Sildenafil verschrieben worden«, antwortete Bradshaw. »Harrison Cummings hat Cholesterinsenker genommen, wegen seiner angeborenen Herzkrankheit, Karen Royal-Cross hat wegen ihrer Gewichtsprobleme einen Lipase-Hemmer geschluckt und Douglas Salt hat zu hohen Blutdruck. Er nimmt jeden Tag Amlodipin, um ihn im Griff zu behalten.«

»Wie einfach wäre das zu bewerkstelligen, Estelle?«, erkundigte sich Poe.

»Die Medikamente auszutauschen? Das ist deine Domäne, nicht meine.«

»Nein, ich meine, wie leicht wären diese Giftpillen herzustellen? Müssen wir pharmazeutische Labore überprüfen, oder geht das auch in einer Garage?«

»Glaubst du vielleicht, Drogendealer mieten sich ein Labor, wenn sie MDMA herstellen?«

»Eher nicht.«

»Oder freie Forschungsunternehmen gehen zu GlaxoSmithKline, wenn sie eine kleine Menge eines Medikamenten-Prototyps ohne irgendwelchen Schnickschnack produzieren wollen? Natürlich nicht. Die machen die Tabletten selbst.«

»Beschreib mir, wie das geht.«

»Das ist extrem einfach«, sagte Doyle. »Jeder, der fünftausend Pfund und Zugang zu YouTube hat, kriegt das hin. Für Tabletten braucht man ein Templat, aber das kriegt man bei jedem Laborausrüster.«

»Wie sieht so was aus?«

»Wie eine Eiswürfelschale mit Fächern in Tablettengröße. Man mischt das Medikament zu einer Paste, streicht die mit einem Spatel über das Templat und drückt sie dann mit einem mitgelieferten Gerät da wieder raus. Zwölf Stunden trocknen lassen, damit hat sich’s. Wie du dir sicher vorstellen kannst, geht’s bei Kapseln sogar noch leichter. Die werden offen geliefert, man braucht also nur eine Hälfte mit Pulver zu füllen und die beiden Hälften dann zusammenzudrücken. Die sind so gemacht, dass sie ohne Klebstoff einrasten.«

Henning Stahl räusperte sich. Alle sahen ihn an. Poe hatte ganz vergessen, dass er da war. Flynn hatte Salt nicht mit dem Journalisten allein lassen wollen, also hatte sie ihn mitgebracht. Er hatte sich in eine Ecke gesetzt und war irgendwie verschwunden. Poe argwöhnte, dass es genau das war, diese Fähigkeit, Teil des Mobiliars zu werden, was ihn zu einem so effektiven Journalisten gemacht hatte. Er sah alles, er vergaß nichts. Und andauernd kritzelte er in seinem Notizbuch. »Und natürlich wissen wir bereits, dass Frederick Beck das kann.«

Doyle machte ein verdutztes Gesicht. »Ihr wisst, wer der Botaniker ist?«, fragte sie.

»Scheiße«, brummte Poe. »Ich wollt’s dir auf der Fahrt hierher erzählen, wollte sehen, ob du weißt, warum er dir schaden wollte, aber deine Giftpillentheorie hat den ganzen Plan durcheinandergebracht. Seither geht’s hier rund.«

»Freddie Beck hat meinen Vater umgebracht?«

»Wir glauben …« Poe hielt jäh inne. »Moment mal, was zum Teufel heißt hier ›Freddie‹?«