123 . Kapitel

D ir passiert nichts, Estelle«, sagte Poe. »Tilly schickt das Foto von Beck durch ein Alterungsprogramm, das sie geschrieben hat. Das sieht mehr als den Bart und die Brille; deshalb glaubt sie, sie bekommt dabei etwas Brauchbares raus. Chief Superintendent Mathers gibt die Phantombilder raus, sobald Tilly sie fertig hat. Beck wird gar keine Zeit haben, sich deinetwegen den Kopf zu zerbrechen, der wird viel zu sehr damit beschäftigt sein, sich zu verstecken.«

»Ich mache mir auch gar keine Sorgen, Poe.«

»Echt nicht?«

»Nein. Du bist leichtsinnig, aber nicht, wenn es um die Sicherheit anderer geht.«

Poe blinkte und überholte einen Lastwagen, der gerade einen etwas langsameren Lastwagen überholte. Der eine war mit Matratzen beladen und erinnerte ihn daran, dass er seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr geschlafen hatte. Wahrscheinlich sollte er nicht Auto fahren, doch er musste Doyle aus London wegschaffen. Bei der landesweiten Fahndung, die demnächst beginnen würde, wollte er Heimvorteil haben.

»Und ich weiß, dass du mich gernhast«, fügte sie leise hinzu.

Poe hielt den Blick starr auf die Straße gerichtet, und seine Hände umfassten das Lenkrad fester als nötig. »Tue ich auch«, sagte er schließlich.

Das Schweigen war qualvoll. Poe schaltete das Navi ein, obgleich er auf dem Heimweg war, eine Fahrt über die M6 , die er schon unzählige Male hinter sich gebracht hatte. Wo war Bradshaw, wenn man sie brauchte? Es gab keine unbehagliche Gesprächspause, die sie nicht mit einer zur Unzeit geäußerten Bemerkung oder einer zu persönlichen Frage noch schlimmer machen könnte. Im Augenblick hätte er sich sogar mit einer weiteren Runde erektiler Dysfunktion zufriedengegeben.

»Warst du shoppen, Poe?«, erkundigte sich Doyle schließlich und deutete mit dem Daumen über die Schulter nach hinten.

Poe warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Sah die Tüten auf dem Rücksitz. Er seufzte erleichtert. Endlich ein unverfängliches Gesprächsthema.

»Die Klamotten, die du anhast, sind nicht alles, was wir gekauft haben«, erklärte er. »Wir haben noch eine Menge anderes Zeug besorgt, weil wir nicht wollten, dass du nach Hause musst.«

»Das war sehr lieb.« Sie griff nach hinten und bekam eine der Tüten zu fassen. Betrachtete den Aufdruck. »Das ist ein ganz schön teurer Laden, Poe. Wie viel schulde ich dir denn?«

»Mach dir deswegen keine Gedanken.«

»Da hinten sind noch sechs andere Tüten.«

»Ich hab gesagt, du sollst dir keine Gedanken machen. Lass ich mir alles als Spesen wiedergeben.«

Sie öffnete die Tüte auf ihrem Schoß und schaute hinein. Poe schielte zu ihr hinüber und versuchte, ihre Reaktion auf das einzuschätzen, was Bradshaw ausgesucht hatte. Hoffentlich war’s nicht zu schräg. Doyle lächelte; er hielt das für ein gutes Zeichen.

Dann griff sie in die Tüte und hielt etwas Hauchdünnes hoch. »Glaubst du, dass ich so was trage, Poe?«, fragte sie. »Rote Slips mit offenem Schritt?«

»Verflucht noch mal«, knurrte er.

»Hatten die keine essbaren mehr?«

»Ich hab Tilly einfach fünfhundert Piepen in die Hand gedrückt und ihr gesagt, sie soll Sachen kaufen, die dir gefallen könnten.«

»Das passt wirklich überhaupt nicht zu mir.«

»Tut mir leid«, nuschelte er. »Ich hätt’s mir vorher anschauen sollen.«

»Ja, hättest du wirklich«, erwiderte sie lächelnd. »Ich trage ausschließlich schwarze Reizwäsche.«

Poe blickte von Neuem starr auf die Straße.