124 . Kapitel

I ch dachte, du haust in so einer winzigen Schäferhütte?« Doyle gähnte. »Das ist ein Bauernhof, Poe.«

»Hier wohne ich auch nicht. Wir sind hier, um meine Geheimwaffe abzuholen.«

»Ach?«

»Es wird Zeit, dass du Edgar kennenlernst. Der hat sich jetzt vierzehn Tage lang mit den Schafen meiner Nachbarin rumgetrieben, also genügt bestimmt schon der Geruch, um Beck fernzuhalten. Aber wenn das nicht reicht – er ist so ein neugieriger kleiner Scheißer, dass er sich die Lunge aus dem Hals bellt, sobald jemand sich Herdwick Croft auf zwei Kilometer nähert.«

Es war vier Uhr morgens, und sie waren die ganze Nacht durchgefahren und hatten nur haltgemacht, um sich Kaffee zu holen. Poe war hundemüde, doch er wusste, dass er noch eine ganze Weile nicht schlafen würde. Er war schon völlig zappelig von dem ganzen Koffein, und jetzt hegte er auch noch insgeheim Zweifel an seiner Entscheidung, Doyle aus dem Schutz der Londoner Polizei zu entführen.

Herdwick Croft lag wirklich vollkommen isoliert. Umgeben von dem wogenden Shap Fell, war es wie eine Insel. Tagsüber konnte man jeden, der sich näherte, kilometerweit sehen, und nachts war es so still, dass Edgar alles hörte. Doch Poe war trotzdem nur ein einziger Mann, und mal ganz realistisch, wie lange konnten sie dort bleiben? Wenn Beck untertauchte und beschloss abzuwarten, bis der öffentliche Aufschrei sich gelegt hatte, könnten sie sich bis in alle Ewigkeit verstecken müssen. Poe kannte Doyle gut genug, um zu wissen, dass sie das nicht mitmachen würde.

Er grübelte immer noch darüber nach, als die Tür des Bauernhauses aufging und Licht auf den Hof hinausfiel. Victoria Humes Silhouette stand im Türrahmen. Sie hielt zwei Becher in den Händen. Ehe sie sie hereinwinken konnte, schoss ein Kugelblitz aus braun-weißem Fell an ihr vorbei. Edgar freute sich so sehr, dass er vergaß, Luft zu holen – er gab einfach nur ein einziges schrilles Dauerwinseln der Freude von sich. Fast hätte er Poe umgeworfen, als er bis zur Taille an ihm hochsprang. Poe kniete sich hin und ließ sich von dem Spaniel das Gesicht besabbern. Danach begann Edgar, wild kläffend im Kreis um ihn herumzurasen. Sein Schwanz wedelte wie eine Wetterfahne im Orkan.

»Das ist ja mal eine Begrüßung, Poe«, bemerkte Doyle. »Willst du mich nicht vorstellen?«

»Natürlich. Edgar, das ist Estelle. Sie wohnt ein paar Tage bei uns.«

Vorsichtig tappte der Spaniel auf Estelles ausgestreckte Hand zu. Nach kurzem Schnuppern leckte er ihr sanft die Finger. Dann rannte er abermals wie wild im Kreis herum.

»Ich glaube, er mag dich«, stellte Poe fest.

Sie tranken in Victorias Küche Tee und besprachen die Logistik, die notwendig war, um Herdwick Croft gegen Frederick Beck abzusichern. Victoria erklärte sich bereit, ihnen jede Woche Vorräte zu bringen – sie hatte bereits den Generator betankt und den Kühlschrank gefüllt. Außerdem versprach sie, so viele Schafe auf seinen Teil des Bergrückens zu treiben, wie sie konnte. Edgar war ein guter Wachhund, aber sich einen Weg durch tausend Herdwickschafe hindurchbahnen zu müssen würde vielleicht ausreichen, damit Beck es sich noch einmal überlegte, falls er nachts aufkreuzte, um sich an Doyle heranzumachen.

»Ich kann Ihnen eine Schrotflinte leihen, wenn Sie wollen?«, erbot sich Victoria.

»Danke, aber lieber nicht«, wehrte Poe ab. »Für so was habe ich keinen Waffenschein, und das Letzte, was ich brauche, ist, dass Estelle allein bleibt, weil ich festgenommen worden bin.«

»Auch wieder wahr«, erwiderte sie. »Aber ich werde schauen, dass ich immer eine dabeihabe, wenn ich draußen unterwegs bin. Wenn der Kerl hier oben irgendwas versucht, blase ich ihm seine verdammte Rübe weg.«

Er wollte sein Auto nicht beim nahe gelegenen Shap Wells Hotel stehen lassen für den Fall, dass Beck sich daran zu schaffen machte. Also fuhr Victoria sie zu seinem Quad. Seinen BMW ließ er auf ihrem Hof stehen.

Poe raste über das Shap Fell. Doyle saß hinter ihm, die Arme um seinen Brustkorb geschlungen, und Edgar rannte neben ihnen her. Nach drei holprigen Kilometern hielt er vor seinem Zuhause an.

»Willkommen in Herdwick Croft«, sagte er. »Ist nichts Besonderes, aber mir gefällt’s.«