136 . Kapitel

S ehr clever«, stellte Beck fest, als Poe geendet hatte.

»Natürlich konnten wir’s nicht an die ganz große Glocke hängen«, meinte Poe. »Wenn wir zu viel Wind gemacht hätten, hätten Sie den Braten gerochen. Es musste etwas Unauffälliges sein, etwas, das nur eine Handvoll Wissenschaftler verstehen würden.«

»Also haben Sie etwas über das AS 9 -Protein erfunden?«

»Professor Doyle wusste, dass Sie immer der Ansicht gewesen sind, die Wissenschaft läge mit ihren Vermutungen zur Disruption außerhalb der Erblinien falsch.«

»Haben Sie irgendetwas von dem verstanden, was Sie gerade gesagt haben, Sergeant Poe?«

»Das brauche ich nicht. Ich arbeite mit Leuten zusammen, die es verstehen.«

»Dann hat also Professor Doyle den Artikel geschrieben?«

»Sie hat ihn so verfasst, dass er Ihre Hypothese stützt, hat es aber so aussehen lassen, als wäre Chapin-Hag Industries nicht wirklich klar, worauf sie da gestoßen waren.«

»Und was ist mit dem Peer Review?«, fragte Beck. »Solche Artikel werden nicht in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht, ohne rigoros begutachtet zu werden.«

»Ja, wir dachten, das würde Sie überzeugen«, sagte Poe. »Und das war einfach. Wir mussten nur höflich anfragen und sagen, dass wir eine Falle stellen.«

Oder jedenfalls werden wir das sagen, dachte Poe im Stillen. Bradshaw hatte den Artikel in ein paar kleineren Fachzeitschriften platziert, nachdem sie sich in ihre Datensysteme hineingemogelt hatte. Nach Redaktionsschluss, aber bevor die Ausgabe in den Druck ging. Sie hatte angeboten, dasselbe auch bei den großen Zeitschriften zu tun, doch Doyle hatte gesagt, kleinere wären überzeugender. Sie würden besser zu dem passen, was sie zu bewirken hofften – ein kleines Labor, das die Tragweite seiner Entdeckung nicht erfasst hatte.

»Und was ist mit dem Laden hier?«, wollte Beck wissen. »Haben Sie hier auch höflich angefragt?«

»Professor Doyle kennt den Besitzer. Sie haben früher mal zusammengearbeitet, und sie hat ihn gefragt, ob wir das Gebäude außerhalb der Arbeitszeiten nutzen dürfen.«

»Und Bill Hershaw?«

»Eine der Legenden meiner Kollegin«, antwortete Poe. »Davon hat sie immer ein Dutzend oder so am Laufen. Die haben Accounts bei den sozialen Medien, einen Lebenslauf, Adressen und Kreditkarten. Genug, dass sie innerhalb von ein, zwei Tagen eine glaubhafte Identität zusammenbasteln kann. Sie hat’s so eingerichtet, dass Bill seit vier Jahren bei Chapin-Hag Industries gearbeitet hat. Einen Tag bevor der Artikel in den Zeitschriften erschienen ist, haben ich, mein Bart und meine dicke Brille und meine lächerliche Schirmmütze hier die Nachtschicht übernommen.«

»Ich nehme an, Sie denken, Sie haben gewonnen, Sergeant Poe.«

»Das ist kein Scheißspiel«, fuhr Poe ihn an. »Hier sind Menschen ums Leben gekommen.«

»Böse Menschen.«

»Und gute Menschen.«

»Professor Doyles Vater? Ein notwendiges Opfer, fürchte ich, aber der Preis für die Fortentwicklung der Menschheit ist schon immer in Blut gezahlt worden. Wussten Sie, dass man die besten anatomischen Zeichnungen der Welt im Pernkopf-Atlas findet? Der wird von Chirurgen heute noch verwendet, und den hat ein Nazi-Arzt geschrieben. Er hat die Leichen hingerichteter Gefangener seziert, und ein Künstlerteam hat die Zeichnungen erstellt.«

»Das ist mir alles völlig egal«, entgegnete Poe. »Zeit zum Gehen. Sie kriegen Ihren Auftritt vor Gericht noch früh genug. Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Freddie, vergleichen Sie sich vor den Geschworenen nicht mit einem Nazi. Die mögen wir in diesem Land noch immer nicht besonders.«

»Sind Sie dann bereit, mit dem Verhandeln anzufangen?«

»Ich verhandele nicht, Frederick.«

»Natürlich verhandeln Sie«, erwiderte Beck und wedelte mit der Sprühdose, um Poe daran zu erinnern, was er hier in der Hand hielt. »Ich will ein Fahrzeug, und bis ich mich außer Gefahr glaube, bleiben Sie bei mir.« Mit der freien Hand griff er in die Tasche und zog ein Paar Plastikhandschellen heraus. Sie waren bereits aufgeklappt. Er warf sie auf den Boden. »Bitte legen Sie die an, Sergeant Poe.«

»Das werde ich nicht tun.«

»Nein?«

Beck legte den Daumen auf den Sprühknopf. Sah Poe in die Augen und fragte: »Und wie sieht’s jetzt aus?«

»Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte Poe.

»Bitte?«

»Sie haben mich schon verstanden.«

»Wissen Sie, was das hier ist?«

»Ihre Zeichnung war sehr eindeutig.«

»Dann wissen Sie also, dass diese Dose sich innerhalb von Sekunden völlig entleert, wenn ich auf den Knopf drücke. Ich werde nichts dagegen tun können. Das lässt sich nicht rückgängig machen.«

»Hören Sie schon auf zu labern und drücken Sie auf den verdammten Knopf«, knurrte Poe.