138 . Kapitel

S tellen Sie mich nicht auf die Probe, Sergeant Poe!«, fuhr Beck ihn an. Sein Daumen legte sich fester auf den Sprühknopf.

»Warten Sie«, sagte Poe.

Er zog sein Handy aus der Tasche und hielt es so, dass Beck es sehen konnte. »Hi, Estelle«, sagte er.

»Bist du da bald fertig, Poe?«, fragte Doyle. Ihre Stimme klang fern und blechern aus dem Lautsprecher.

»So gut wie.«

»Gut. Von deinem Bart kriege ich Pickel.«

»Du hast gehört, was Freddie zu sagen hatte?«

»Ja.«

»Er ist ziemlich überzeugend.«

»Es ist ein Bluff.«

»Es ist kein Bluff!«, brüllte Beck. Speichel sammelte sich in seinen Mundwinkeln. »Und machen Sie das Handy aus!«

»Einen Moment bitte, Freddie«, erwiderte Poe. »Wie sicher bist du dir, Estelle?«

Sie schwieg, aber nicht lange. »Sicher genug, um das Leben des Mannes aufs Spiel zu setzen, den ich liebe.«

»Ich warne Sie, machen Sie das …«

»Maul halten!«, blaffte Poe. »Das hier ist wichtig.« Dann wandte er sich an Doyle. »Und das tust du?«

»Schon seit einer ganzen Weile.«

»Wer weiß es sonst noch?«

»Tilly ist dahintergekommen. Ich glaube, sie könnte es Stephanie erzählt haben.«

»Meine Fresse.«

»Lass uns keine große Sache draus machen. Ich bin nicht Kristin Scott Thomas, du bist nicht Hugh Grant, und das hier ist nicht Vier Hochzeiten und ein Todesfall. Wenn du nicht so empfindest, dann kriegen wir das schon irgendwie …«

»Tue ich aber«, fiel er ihr ins Wort.

»Was tust du?«

»So empfinden.«

Abgesehen von seinem Dad hatte er noch nie jemandem gesagt, dass er ihn liebte, dachte Poe, und er würde jetzt nicht damit anfangen, nicht vor dem Mann, der ihren Vater ermordet hatte.

»Dann ist es ja gut«, sagte sie. Poe glaubte, einen Seufzer der Erleichterung zu hören. »Wahrscheinlich sollten wir mal darüber reden.«

»Später, versprochen«, antwortete er. »Ich habe hier einen Mann vor mir stehen, der so tut, als hätte er eine Massenvernichtungswaffe in der Hand.«

»Beeil dich.«

Poe schob das Handy wieder in die Tasche, ohne den Anruf zu beenden, damit sie wusste, dass er okay war.

Beck grinste höhnisch.

»Das war ja entzückend«, stellte er fest. »Richtig süß. Wie schade, dass Sie sie nie wiedersehen werden.«

»Die Sprühdose ist leer, Frederick.« Poe zog ein Paar Handschellen aus der Tasche. Echte, nicht solche Plastikdinger wie die, die Beck ihm hingeworfen hatte. »Bitte geben Sie sie her, damit ich Ihnen die hier anlegen kann.«

»Ich habe immer noch …«

»Und behaupten Sie nicht, Sie hätten immer noch die Pistole, mit der Sie Estelles Vater umgebracht haben, wir wissen nämlich beide, dass das nicht stimmt. Leute wie Sie laufen nicht mit einer Schusswaffe herum. Die liegt irgendwo in Northumberland in einem Gully.« Poe trat einen Schritt vor. »Wenn Sie mir die Sprühdose nicht geben, Freddie, nehme ich sie Ihnen ab, und ich warne Sie, sanft werde ich dabei nicht sein.«

Beck sah ihn an und begriff, dass Poe es ernst meinte. Er hielt ihm die Sprühdose auf der flachen Hand hin, so, wie man einem Pferd ein Stück Würfelzucker hinhält. Poe nahm sie und stellte sie auf den Tisch. Dann fesselte er Beck die Hände auf den Rücken und leerte seine Taschen. Mathers Team würde alles als Beweismittel eintüten, wenn sie hereinkamen.

»Kommen Sie«, sagte Poe. »Wird Zeit, dass Sie ein paar von meinen Kollegen kennenlernen. Ich fürchte, ab jetzt gibt’s für Sie nur noch Knastfusel.«

Poe führte Beck aus dem Gebäude. Mathers erwartete sie am Eingang, übernahm Beck und brachte ihn zu einem Polizeitransporter. Bevor er dort hineingeschoben werden konnte, drehte er den Kopf und brüllte: »Jetzt bin ich unsterblich, Sergeant Poe!«

»Vielleicht, Frederick«, antwortete Poe. »Es sei denn natürlich, wir finden heraus, dass Sie Menschenversuche durchgeführt haben, um all das vorzubereiten. Ach, übrigens, demnächst kommen einige Herren von der japanischen Polizei, um Sie zu besuchen. Die wollen mit Ihnen über ein paar tote Han-Chinesen reden. Ich frage mich, wie das wohl bei Ihren Bewunderern ankommen wird?«

»Arschloch!«, schrie Beck, bevor sie ihn in den Transporter verfrachteten.

Mathers kam zu Poe. Sie klopfte ihm auf den Rücken und schüttelte ihm dann die Hand. Beide sahen zu, wie Beck in einem Konvoi aus blitzendem Blaulicht davongefahren wurde.

»Ich fasse es nicht, es hat tatsächlich geklappt«, sagte sie.

»Muss ich eine Aussage zu Protokoll geben?«

»Das kann warten, Poe. Da drüben wartet eine Lady auf Sie. Die hat vorhin etwas von Vier Hochzeiten und ein Todesfall gesagt. Ich habe die Anspielung nicht verstanden, aber Sie anscheinend schon.«

Poe folgte ihrem Blick. Doyle saß auf dem Rücksitz eines Zivilfahrzeugs. Bradshaw hockte neben ihr. Henning Stahl und Flynn saßen vorn. Alle schauten zu ihm herüber. Bradshaw bedachte ihn mit einem Lächeln und einem emporgereckten Daumen. Flynn zwinkerte ihm zu. Henning Stahl machte sich Notizen. Doyle sah so aus, wie er sich fühlte: nervös.

»Sie haben mitgehört?«, fragte er.

»Der Serverraum war verwanzt«, antwortete Mathers. »Das war das Einzige, worauf ich bestanden habe, als DI Flynn mit dieser Idee zu mir gekommen ist. Wir haben’s Ihnen nicht gesagt, weil wir wollten, dass alles ganz natürlich wirkt.«

»Ich bin froh, dass Sie uns vertraut haben.«

»Ich habe das Ganze für totalen Irrsinn gehalten«, erwiderte Mathers.

»Warum haben Sie dann …«

»Weil es ohne Irrsinn eben manchmal nicht geht.«

Sie gaben sich noch einmal die Hand und verabschiedeten sich. Poe ging zu dem wartenden Wagen hinüber.

»Ach, und, Poe?«, rief Mathers.

Er drehte sich um. »Ma’am?«

»Versauen Sie’s nicht.«

Er lächelte. »Ganz bestimmt nicht.«