140 . Kapitel

D ie Buchhandlung Forum Books befand sich in einer ehemaligen Methodistenkapelle in Corbridge. Ein sorgsam renoviertes, als Bauwerk von besonderer Bedeutung gelistetes Gebäude, dessen Charakter und Erbe intakt geblieben waren, sowohl innen als auch außen. Poe war in letzter Zeit oft dort gewesen und hatte sich an der eigenwilligen Inneneinrichtung erfreut. An den handgemalten Schildern an den Wänden und den Regalen, die aus ehemaligen Kirchenbänken gezimmert worden waren.

Henning Stahls Buch-Event neigte sich seinem Ende zu. Der Besitzer der Buchhandlung hatte Poe gesagt, dass Autorenabende immer nach einem Standardformat abliefen: eine Lesung, eine kuratierte Diskussion mit einer Mitarbeiterin der Buchhandlung und dann Fragen seitens der Zuhörer.

Poe, Doyle und Bradshaw saßen inmitten eines Publikums, das aus etwa fünfzig Personen bestand. Stahl und die Mitarbeiterin der Buchhandlung saßen in der Kanzel, die als Leseecke und an Abenden wie diesem als Podium diente.

»Ich glaube, wir haben noch ein bisschen Zeit für Fragen«, verkündete die Mitarbeiterin. »Gibt es noch etwas, worauf ich nicht eingegangen bin?«

»Nur keine Angst«, fügte Stahl hinzu. »Ich beiße nicht.«

Höfliches Gelächter plätscherte durchs Publikum. Bald darauf antwortete Stahl auf Fragen, wie viel Angst er im Chance’s Park gehabt hätte, wie es sich anfühle, drauf und dran zu sein, ein preisgekrönter Buchautor zu sein, was er für die Zukunft geplant hätte.

»Mich ausruhen«, verkündete er auf diese letzte Frage hin.

Die Buchhändlerin sah auf die Uhr. »Ich glaube, mehr Zeit haben wir nicht. Wenn es also keine weiteren Fragen gibt, dann würde ich sagen, wir machen jetzt Schluss. Henning war freundlicherweise bereit, noch zu bleiben und Bücher zu signieren, wenn Sie ihn also noch ganz dringend etwas fragen wollen, haben Sie noch eine Chance.«

Poe hob die Hand. »Ich habe eine Frage.«

»Hi, Poe«, sagte Stahl. »Wie ich sehe, halten Tilly und Estelle Sie immer noch auf Trab.«

»Sie tun ihr Bestes, Henning.«

»Ich dachte, Stephanie kommt auch?«

»Sie lässt sich entschuldigen«, antwortete Poe. »Hatte was zu erledigen, das nicht warten konnte.«

»Sie haben eine Frage?«

»Ja«, bestätigte Poe. »Es geht um das Foto auf Seite zweihundertsechzehn.«

Stahl schlug das Buch auf, das er bei seiner Lesung benutzt hatte, und suchte die richtige Seite.

»Ich hab’s«, verkündete er.

»Das ist das Foto, das Sie mit Ihrem Handy gemacht haben, bevor die Spurensicherung die Wohnungen in North London untersucht hatte. Sie durften ein Foto machen, und dann haben wir es an Tilly gemailt. Dann hat Chief Superintendent Mathers das Bild von Ihrem Handy löschen lassen. Tilly hat es Ihnen nach dem Prozess zurückgemailt.«

»Richtig. Und das zeigt, wie sehr dieser Fall auf Teamwork basierte. Alle haben vom ersten Tag an zusammengearbeitet. Mein Name steht vorn auf dem Cover, aber eigentlich gehört dieses Buch uns allen.«

»Sie haben keine Frage gestellt, Sergeant Poe«, sagte die Mitarbeiterin der Buchhandlung.

»Nicht?«, fragte Poe. »Entschuldigung. Meine Frage lautet folgendermaßen: Warum ist auf diesem Foto ein Dörrautomat?«

»Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstehe.«

»Wenn man sich den Tisch im Vordergrund ansieht, kann man ganz deutlich einen grauen Dörrautomaten erkennen. Sieht aus wie so eine neuartige Fritteuse.«

Stahl furchte die Stirn. »Damit hat Frederick Beck die Blumen getrocknet«, meinte er. »Ich dachte, Sie wüssten das. Ein paar Seiten später habe ich den Automaten auch erwähnt, glaube ich. Ich dachte, wir hätten darüber gesprochen, warum Beck so etwas Hochtechnologisches benutzt hat, wenn eine einfache Blumenpresse es doch auch getan hätte. Vielleicht irre ich mich da ja; vielleicht habe ich das jemand anderem gegenüber erwähnt.«

»Sie verstehen mich falsch, Henning«, sagte Poe. »Ich frage nicht, was das ist, ich frage, warum es auf Ihrem Foto ist.«

»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«

»Nein? Na, schauen wir doch mal, ob Sie jetzt folgen können. Bevor wir Sie in die Wohnung gelassen haben, um das Foto zu machen, haben Detective Chief Superintendent Mathers und ich den Dörrautomaten aus der Wohnung schaffen lassen. Wir wollten etwas zurückhalten, um die Spinner aussortieren zu können, und wir haben uns für dieses Gerät entschieden. Wie Sie sagten, auf eine Blumenpresse hätte jeder kommen können, auf einen Dörrautomaten nicht.«

»Ich bin mir nicht sicher …«

»Als Sie Ihr Foto gemacht haben, stand der Dörrautomat hinten in einem Polizeitransporter«, sagte Poe. »Das Foto auf Seite zweihundertsechzehn wurde gemacht, bevor wir da aufgekreuzt sind. Sie waren schon einmal in Becks Wohnungen gewesen. Wahrscheinlich an dem Abend, als Sie im Taxi zu Douglas Salts Haus zurückgekommen sind.«

Stahl schwieg.

»Und aufgrund dieser Tatsache hat Chief Superintendent Mathers gestern Nacht einen Durchsuchungsbeschluss für Ihr Haus beantragt.«

Stahl kam hastig auf die Beine.

»Machen Sie sich keine Mühe, Henning; die Durchsuchung hat heute Vormittag stattgefunden.«

Geschlagen setzte Stahl sich wieder hin.

»Und was Chief Superintendent Mathers gefunden hat, war sehr interessant«, fuhr Poe fort. »Jede Menge Fotos, die Sie eigentlich nicht hätten haben dürfen. Ein USB -Stick mit Informationen, von denen Sie unmöglich hätten wissen können. Zeichnungen, Pläne, weitere Erkenntnisse über Becks Opfer.«

Ein Geräusch ganz hinten in der Buchhandlung veranlasste Poe dazu, sich umzudrehen. Es waren Flynn, DCI Tai-young Lee und ein ganzer Haufen Polizisten in Uniform. Poe zwinkerte ihnen zu und wandte sich dann wieder an Stahl.

»Ich glaube, das Ganze ist folgendermaßen gelaufen, Henning«, sagte er. »Beck hat Sie nicht nur ausgesucht, weil Sie moralisch bankrott waren, sondern auch, weil Sie eine tragende Rolle bei seinem Ruin gespielt hatten.«

»Ich hab’s Ihnen doch gesagt, mit der Geschichte hatte ich nur ganz wenig zu tun!«

»Aber das stimmt nicht, nicht wahr? Sie haben keine Hintergrundrecherche gemacht, Sie haben die Enthüllungen geleitet. Der einzige Grund dafür, dass Ihr Name nicht unter der Story stand, war, dass der Skandal mit den gehackten Telefonen gerade ans Licht gekommen war und die Zeitung Sie nicht im Rampenlicht haben wollte.«

»Na und?« Stahl zuckte die Achseln. »Ich habe meine Rolle bei der Story heruntergespielt. Damals habe ich meine Rolle bei allem und jedem heruntergespielt.«

»Stimmt«, pflichtete Poe ihm bei. »Aber dann kommen wir zum Chance’s Park. Zwei Dinge an jenem Tag sind nie erklärt worden: Worüber Sie und Beck geredet haben, als sein Störsender unsere Übertragung blockiert hat, und warum keiner der Parkläufer einen Mann mit einer Maske gesehen hat.«

»Ich nehme an, Sie haben eine Theorie?«, bemerkte Stahl.

»Natürlich. Ich glaube, niemand hat einen maskierten Mann gesehen, weil Beck keine Maske getragen hat. Als er Ihnen gegenübergesessen hat, hatte er einen Hut auf, aber Sie konnten sein Gesicht deutlich sehen. Und Sie haben ihn erkannt. Ich zweifele nicht daran, dass Sie Ihrer Überraschung Ausdruck verliehen haben, aber wir konnten Sie ja nicht hören, weil unsere Leitung gestört war. Ich denke, da hat Beck Ihnen ein Angebot gemacht. Seine Story so zu erzählen, wie er es wollte, und einen Knüller zu landen wie noch kein Journalist in der Geschichte der Menschheit. Sie würden nicht nur bei den Ermittlungen dabei sein, sondern auch an der Kampagne eines Serienmörders teilhaben. Er hat Ihnen gesagt, wo seine Wohnung war und was Sie dort finden würden. Ein ungefilterter Tatort, über den Sie schreiben, und ein USB -Stick voller Informationen, die Sie verwenden konnten. Ein Buch für Sie, ein Vermächtnis für ihn – eine Win-win-Situation für beide. Also haben Sie Ihr Foto gemacht, auf dem auch der Dörrautomat war, ohne zu wissen, dass wir den wegschaffen würden, bevor wir Sie ein paar Tage später in die Wohnung lassen. Wir dachten, Sie wären zum ersten Mal dort gewesen, aber in Wirklichkeit war es das zweite Mal.«

»Aber ich war derjenige, der Becks Namen auf der Liste der Leute gefunden hat, die Azeton gekauft hatten«, wandte Stahl ein.

»Ein zynischer Mensch könnte behaupten, Sie hätten gewusst, wonach Sie suchen«, erwiderte Poe. »Und dass Sie den Ermittlungen auf die Sprünge helfen mussten. Ich nehme an, Beck wollte das ebenfalls.«

Stahl funkelte ihn böse an.

»Es wird noch Wochen dauern, bis wir wissen, welche Auswirkung Ihre heimliche Zusammenarbeit mit Beck hatte, Henning«, fuhr Poe fort, »aber eins weiß ich: Wenn Sie uns gesagt hätten, wer Beck war, sobald Sie aus dem Chance’s Park gekommen sind, anstatt wieder in Ihre alten Verhaltensmuster zurückzufallen und die Story für sich zu behalten, hätten wir ihn vielleicht früher fassen können.«

»Das wissen Sie doch gar nicht.«

»Nein, das weiß ich nicht. Aber Sie auch nicht.«

DCI Lee und ein Sergeant in Uniform marschierten auf die Kanzel zu. Stahl wurde über seine Rechte aufgeklärt und bekam Handschellen angelegt. Der Sergeant führte ihn durch das entgeisterte Publikum.

Bevor sie den Ausgang erreichten, rief Poe: »Ach, Henning, Douglas Salt hat eine Operation hinter sich, die sich auf sein ganzes weiteres Leben auswirkt, und jetzt sucht er jemanden, dem er die Schuld dafür geben kann. An Ihrer Stelle würde ich das Geld zurücklegen, das Sie von den Verlagen bekommen haben. Bald wird er versuchen, Ihnen alles abzuknöpfen, was Sie haben.«

Stahl sträubte sich gegen die Handschellen, doch der Sergeant war groß und stämmig und gab keinen Zoll nach.

Stahl spuckte auf den Boden. »Das hier ist noch nicht vorbei, Poe.«

»Leben Sie wohl, Henning«, sagte Poe.

Nachdem die Buchhandlung sich geleert und Poe seine Besprechung mit Lee beendet hatte, fragte Bradshaw: »Und was jetzt, Poe?«

»Ich weiß ja nicht, wie’s dir geht, Tilly«, antwortete er, »aber ich könnte was zu trinken vertragen. Gegenüber ist eine Kleinbrauerei; ich gebe einen aus. Hört sich das an wie ein Plan?«

Doyle hakte sich bei ihm unter und drückte ihm einen schelmischen Kuss auf die Wange. Bradshaw und Flynn sahen sich an und lächelten.

»Ich habe große Lust, mich zu betrinken«, verkündete Doyle. »Wir können ja noch schnell was essen, bevor wir nach Hause fahren. Wonach steht euch denn der Sinn?«

Niemand antwortete.

»Gibt’s hier irgendwo Ziege?«, erkundigte Poe sich schließlich.

»Du bist widerwärtig, Poe«, stellte sie fest.