G uten Morgen, Birgit.«, flötete Petra ein paar Tage später und ließ sich gemächlich auf Birgits Bürostuhl nieder.
Ihr Blick fiel auf eine Vase auf dem Schreibtisch.
»Oh, sind die alle von Fabienne?«, fragte sie interessiert.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Lag keine Karte bei?«
Birgit schüttelte den Kopf. Sie hängte ihren Mantel an die Garderobe und zog die dicken, klobigen Winterschuhe aus. Auf Strümpfen watschelte sie wie eine Ente zu ihrem Schreibtisch, bückte sich neben Petra und holte ihre Büroschuhe hervor.
»Sag doch was. Ich hätte dir doch geholfen.«
»Kein Ding. Ich kriege das schon hin.«
»Das sehe ich.«
Petra grinste.
»Hast du sonst noch was bekommen?«
»Jeden Tag ein Blümchen. Außerdem liegt seit ein paar Tagen immer eine Tafel Schokolade auf meinem Platz im Fortbildungsraum.«
»Und? Lag da wenigstens ein Kärtchen bei?«
Birgit schüttelte den Kopf.
»Dann hast du wohl eine heimliche Verehrerin. Oder zwei. Nur, was soll das bringen?«
Birgit zuckte mit den Schultern.
»Wieso zwei?«
»Weil … Mann, Biggi, bist du wirklich mit Blindheit gestraft? Soll ich dir mal meine Brille ausleihen? Du raffst es echt nicht, was?«
»Was? Was raffe ich nicht? Dass Fabienne eingesehen hat, wie herabwürdigend ihr Kommentar neulich im Club war? Und dass sie mich nun voll schleimt, damit wir sie übernehmen? Das habe ich sehr wohl gerafft.«
»Meinst du, es geht ihr nur darum?«
»Keine Ahnung. Leider ist mir meine Glaskugel abhanden gekommen.«
»Interessiert es dich denn gar nicht?«
»Doch, natürlich interessiert es mich … nicht. Fabienne hat ein Ego, das noch größer ist als das von Donald.«
»Und das muss was heißen. Aber was, wenn die Schokolade gar nicht von ihr ist? Was, wenn du noch eine andere Verehrerin hast?«
Birgit wirbelte herum.
»Was weißt du?«, quetschte sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
»Rück schon raus.«
Der Ärger blitzte aus Birgits Augen.
»Vielleicht, wenn du ganz lieb Bitte, Bitte sagst, vielleicht … Aber nur dann.«
»Okay. Bitte, Bitte.«
»Sorry. Falscher Text.«
»Häh? Okay. Bitte, bitte, liebste Petra, lass mich an deinem Wissen teilhaben.«
»Wieder falsch.«
»Aber … Häh?«
»Ich habe gesagt, du sollst ganz lieb Bitte, Bitte sagen.«
»Hab ich doch.«
»Nein. Du hast nur Bitte, Bitte gesagt. Ich möchte aber, dass du ganz lieb Bitte, Bitte sagst.«
Petra konnte sich kaum noch halten. Birgits Blick war … unbezahlbar.
»Versuche es noch einmal.«
»Bitte, Bitte.«
»Wieder falsch.«
»Aber was ist denn daran falsch? Ich habe doch ganz lieb Bitte, Bitte gesagt.«
»Na endlich hast du es hinbekommen. Ich wollte, dass du ganz lieb Bitte, Bitte sagst. Der Wortlaut war entscheidend. Verstanden?«
»Nicht direkt. Aber egal … «
Birgit blickte Petra auffordernd an.
»Nun gut. Da du nicht so schlau bist, selber darauf zu kommen … «
»Also echt.«
»Hast du schon mal an Freyja gedacht?«
»Freyja?«, fragte Birgit schwer atmend.
»Wieso Freyja?«
»Hat sie dich neulich nicht geküsst? Als Fabienne in den Toilettenraum gestürzt ist?«
»Ich habe Freyja geküsst. Woher weißt du überhaupt …? Egal. Du weißt ja anscheinend immer alles. Du bist schlimmer als die Else Kling.«
»Das ist jetzt aber echt nicht fair. Also, was ist mit Freyja?«
Birgit legte die Stirn in Falten und dachte nach. Erinnerungen an den Kuss flammten auf. Der Kuss war schön gewesen. Süß und so unglaublich zärtlich, dass Birgit schon beinahe dachte, sie würde schweben. Seitdem war Freyja jedoch nicht mehr in Erscheinung getreten. Dafür hatte Birgit dauernd an sie denken müssen.
Sie konnte kaum schlafen, so präsent waren Freyja und der Kuss, der sie für immer mit ihrer Vorgesetzten verbinden würde.
»Ich habe Freyja erzählt, dass ich mich über Schönheitsoperationen informiert habe.«
»Du hast WAS?«
»Du hast schon richtig gehört. Ich … bin alt geworden. Das hast du selbst gesagt.«
»Mensch, Süße, das war doch nur ein Witz. Eigentlich dachte ich, du hättest es verstanden. Mist.«
Petra konnte das, was ihr da zu Ohren kam, kaum glauben. Birgit wirkte doch sonst nicht so... nicht so …
»Fabienne hat auch gesagt, dass ich alt bin.«
»Und du denkst, dass du am Alter schrauben kannst, nur, weil du dich unters Messer legst. Ich muss dich da leider enttäuschen. Das funktioniert nicht mal in Hollywood. Wie hat Freyja reagiert?«
»Du hast es doch selbst mitbekommen. Freyja war süß.«
»Du findest Freyja also süß.«
»DAS habe ich nicht gesagt.«
»Aber du hast es so gemeint.«
»Vielleicht.«
Birgit wackelte mit dem Kopf.
»Keine Ahnung. Ich mag sie. Sie ist … super lieb, hat richtig was auf dem Kasten … «
»Und sieht verdammt gut aus.«
»Auch das. Wusstest du, dass sie einen Doktor-Titel hat?«
»Nope. Sie hat einen Titel? Wow. Aber vor allem hat sie Charakter. Sie muss damit anscheinend nicht hausieren gehen. Das spricht doch für sie.«
»Das habe ich mir auch gedacht. Als sie am ersten Tag Fabienne gesehen hat … hat sie es gesagt.«
Birgit wusste nicht genau, ob sie grinsen sollte. Der Moment war so seltsam gewesen, dass ihr jegliches Lächeln im Halse stecken geblieben war.
»Dann wollte sie wohl für klare Fronten sorgen. Ich kann es ihr nicht verübeln. Deine kleine Djane ist ja auch an Arroganz kaum zu überbieten.«
»Sie ist nicht meine kleine Djane.«
Sehnsüchtig schielte Birgit zu ihrem Stuhl, auf dem Petra immer noch ihren Po breit machte. Obwohl … sitzen war wohl doch nicht die beste Idee. Birgit hatte so sehr Hummeln im Hintern, dass sie ohnehin nicht ruhig bleiben konnte. Sie fing an, in ihrem Büro hin und her zu laufen.
»Noch mal zurück zu unserem Gespräch von eben. Hör zu, Birgit. Ich werde dich höchstpersönlich ungespitzt in den Boden rammen, wenn du an dir herum schnippeln lässt. Haben wir uns verstanden?«
»Jawoll. Ja. Haben wir.«
»Gut. Dann sind wir uns ja wenigstens in diesem Punkt einig. Und was ist jetzt mit Freyja?«
Birgit hob die Schultern.
»Gute Frage. Nächste bitte.«
»Ich habe keine weiteren Fragen. Dafür möchte ich dir gerne etwas sagen. Darf ich?«
»Du wirst dich doch sowieso nicht abhalten lassen, oder?«
»Gut erkannt. Also … «
»Sag mal, hast du nicht einen Job zu erledigen?«
Petra machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Das kann warten. Schließlich muss man Prioritäten setzen. Also, sperr deine Lauscher auf und hör mir zu.«
Birgit hob beide Hände und formte sie an den Seiten ihres Kopfes zu Schüsseln. Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. Was, beziehungsweise wer für den plötzlichen Wandel verantwortlich war, konnte Petra nur ahnen.
»Okay. Wann hörst du endlich auf, dich selbst zu belügen und stehst zu deinen Gefühlen?«
»Das wolltest du mir sagen? Wenn ich dich erinnern darf, Schatzimaus, das war eine Frage.«
»Aaah. Du bist unmöglich. Ich meine es ernst. Ich will doch nur, dass du glücklich bist.«
»Ich weiß.«, wisperte Birgit gerührt.
»Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich glücklich bin?«
Petra schüttelte den Kopf.
»Du bist anders als ich.«
»Deswegen verstehen wir uns ja auch so gut.«
»Klar. Was ich damit aber sagen will, ist … du bist vielleicht mit dir alleine ganz glücklich, aber tief in deinem Herzen sehnst du dich doch nach einer Frau, mit der du all die schönen Momente teilen kannst. Im Gegensatz zu dir bin ich nicht mit Blindheit gestraft. Ich bekomme sehr wohl mit, wie du Freyja ansiehst. Für mich ist es nicht zu übersehen, dass du manchmal nach Luft schnappst. Allerdings hast du irgendwann mal die Entscheidung getroffen, dass sie tabu für dich ist. Damit hast du einen guten Grund gefunden, untätig bleiben zu können.«
»So. So. Dankeschön, Frau Doktor Freud.«, knurrte Birgit und schnaubte wie ein Büffel.
»Und das sagt dir wer?«
»Dein Blick, wenn du Freyja anschaust. Dein Blick ist so voller Sehnsucht. Ich würde dich gerne schütteln.«
»Ach Petra. Freyja ist meine Vorgesetzte.«
»Na und? Was macht das schon?«
»Außerdem bin ich nicht verliebt in sie.«
Petra prustete und hustete.
»Ja. Nee. Ist klar. Und ich bin … Ich bin … «
»Du bist?«
»Ein rosa Elefant mit sieben Ohren.«
Das Kopfkino übernahm sofort seine Aufgabe. Birgit brach in schallendes Gelächter aus, das allerdings nicht besonders lange andauerte. Sie legte ihre Stirn in Falten und blickte Petra nachdenklich an.
»Hast du heute Abend schon was vor?«
»Solltest du diese Frage nicht lieber Freyja stellen?«
»Hör doch auf. Das mit Freyja ist eine Schwärmerei. Nicht mehr. Außerdem … macht sie keinerlei Anstalten. Sie hat kein Interesse an mir. Jedenfalls nicht auf diese Weise. Sie schätzt meine Arbeit und mag mich als Kollegin. So, wie sie dich auch mag. Aber das reicht nicht.«
»Du bist unmöglich.«, grummelte Petra und raufte sich die Haare.
Freyja und Birgit waren furchtbar. Es war doch so offensichtlich, aber Birgit wollte es nicht sehen. Und Freyja war nicht in der Lage, sich offen zu zeigen. Warum auch immer. Petra sah noch eine ordentliche Portion Arbeit auf sich zukommen, wenn sie den Auftrag, den sie sich selbst auferlegt hatte, zu einem guten und glücklichen Abschluss bringen wollte.
Wie konnte ein Mensch nur so blind und dann gleich noch so verbohrt sein? Freyja war ja schon ein Fall für sich, aber Birgit … Petra konnte nicht aufhören, sich die Haare zu raufen. Wenn das so weiterging, war die Chance, dass sie eine Glatze bekam, ziemlich groß. Birgit sträubte sich mit Händen und Füßen gegen das Glück. Das konnte doch nicht wahr sein.
Petra und Birgit waren sich in vielen Bereichen ziemlich ähnlich, doch in einem entscheidenden Punkt unterschieden sie sich.
Petra hatte irgendwann die Entscheidung getroffen, allein bleiben zu wollen und sich nur gelegentlich eine nette kleine Affäre zu gönnen. Für sie war das in Ordnung. Sie war wirklich glücklich mit ihrem Lebensentwurf. Aber Birgit war anders. Birgit sehnte sich nach Liebe, Zärtlichkeit, Nähe und Gemeinsamkeit. Und doch kämpfte sie mit allem, was sie auffahren konnte, an. Sobald eine Frau ihr nahe kommen wollte, zog sie den Schwanz ein und ergriff die Flucht. In der Beziehung war Birgit ein komplizierter und schwerer Fall. Es fiel ihr schwer, sich zu verlieben. Wenn Amor doch nur einmal ihren süßen Hintern treffen würde.
Wobei … Petra glaubte, dass der arme Kerl schon lange getroffen hatte und sich nun, ähnlich wie sie, auf seiner zartrosa Wolke mit der Nummer sieben die Haare raufte. Schade, dass sie keinen Kontakt zu ihm herstellen konnte.
Amor hatte seine Pfeile abgeschossen und getroffen. Und zwar an dem Tag, als Birgit und Freyja sich das erste Mal über den Weg liefen. Vor ungefähr fünf Jahren. Seitdem kreisten sie umeinander wie die Planeten um die Sonne. Wenn sie sich unbeobachtet fühlten, schmachteten sie sich an und vernaschten sich gegenseitig mit den Augen. Das war natürlich ganz normal. So redeten sie es sich ein. Tag für Tag. Woche für Woche. Monat für Monat. Und Jahr für Jahr.
Die Zeit zog ins Land und irgendwie änderte sich nichts.
Weil beiden Frauen im entscheidenden Moment der Mut fehlte.
Petra war der Verzweiflung nah.
»Doch, etwas hat sich verändert.«, brummelte sie vor sich hin als sie sich auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz befand.
»Eine hübsche Djane ist aufgetaucht.«
Petra konnte Fabienne nicht leiden. Weil sie ihre liebste Kollegin erst gefickt hatte, ihr dann in den Bauch trat und sie nun so voll schleimte, dass Petra das Grausen bekam.
Fabienne brauchte einen Dämpfer. Birgit einen Einlauf. Und Freyja einen kleinen Ego-Push. Wenn das nur so einfach wäre.
Petra schüttelte den Kopf.
Und nahm sich vor, Birgit am Abend noch mal so richtig ins Gewissen zu reden. Nach der zweiten Flasche Wein war sie vielleicht zugängiger. Und hörte auf die Bäume zu suchen, während sie mitten im Wald stand.