»Was habe ich übersehen?«
Luc sagte es laut vor sich hin, als er aus seinem Auto stieg. Er hatte den alten Jaguar direkt an den Marktplatz gestellt, gegenüber der Bar de la Poste.
Er hatte auf dem Weg hierher von der Polizeizentrale eine Handynummer heraussuchen lassen. Guy Vauquiez war sofort ans Telefon gegangen. Er erklärte sich einverstanden, zehn Minuten später in ebendieser Bar auf Luc zu warten.
»Monsieur le Commissaire«, begrüßte er ihn, als Luc an den Tisch trat. Der Banker schwitzte mächtig, denn er trug auch heute einen grauen Anzug mit rot-weiß gestreifter Krawatte.
Als Luc sich setzte, trat der Wirt an ihren Tisch.
»Mann, Guy, du bist ja richtig farbenfroh heute. Was los? Frisch verliebt?«
Guy Vauquiez lächelte verlegen. Er wischte sich wieder den Schweiß ab und antwortete:
»Es ist Wochenende. Bringen Sie mir bitte einen Café, und für Sie?«
»Einen Cappuccino, merci«, sagte Luc.
Als die Getränke serviert waren, fragte der Banker:
»Alors, was kann ich für Sie tun an meinem freien Tag?«
Luc stützte die Hände auf den Tisch, fordernd richtete er sich auf:
»Warum haben Sie gelogen?«
»Monsieur le Commissaire?«
»Sie haben mich angelogen. Sie sagten, dass Richard Lecœur aus Saint-Julien bei Ihnen in der Bank Erkundigungen über Hubert de Langeville eingeholt hat. Doch das stimmt nicht.«
Guy Vauquiez schwitzte immer noch, aber nun nicht mehr wegen der Hitze.
»Monsieur Verlain, ich weiß nicht, es war ein Mann bei mir, der auf Ihre Beschreibung gepasst hat. Aber ich weiß natürlich nicht, ob das wirklich Monsieur – wie sagen Sie – Lecœur war …«
»Sie haben es mir gegenüber ziemlich eindeutig ausgesagt. Ist gerade mal zwei Tage her.«
»Ihre Beschreibung war schon etwas vage, wissen Sie.«
»Ach, erzählen Sie doch keinen Unsinn«, sagte Luc leise und wütend, dabei blickte er aus dem Fenster und erhaschte einen Blick auf blonde Haare hinter einem Auto, dann kam die ganze Frau zum Vorschein. Jacqueline Georgieva, die Apothekerin, ging langsam vorbei, eine Handtasche über der Schulter. Sie sah atemberaubend aus in ihren hellblauen Jeans, mit einem hautengen knallroten T-Shirt, dazu eine dunkle Designersonnenbrille. Sie hatte eine Einkaufstüte in der Hand, aus einer Boutique die Straße runter.
Die langen blonden Haare wehten offen im Wind. Luc dachte, dass man in diesem Moment im Café eine Stecknadel hätte fallen hören können, alle Männer hatten sich dem Fenster zugewandt, um hinauszuschauen auf den Marktplatz und auf diesen Anblick. Doch das Mädchen achtete nicht darauf, sie schlenderte zur nächsten Boutique.
Luc atmete einmal tief durch. Wie sollte er dieses Verhör hier weiterführen. Das brachte doch gar nichts. In diesem Moment vibrierte sein Handy. Eine Nachricht. Er las sie. Und sah wieder hoch auf den Marktplatz, hoch zur Kirche. Und dann, auf einmal, nach einem weiteren Schluck von seinem kräftigen Cappuccino, machte es Klick. Er wusste noch nicht, warum. Er wusste nur, dass hier etwas nicht stimmte.
»Monsieur Vauquiez, wir sind noch nicht fertig. Bleiben Sie hier sitzen, ich bin in zehn Minuten wieder da. Haben wir uns verstanden?«
Luc sprang auf und verließ die Bar. Er rannte fast, als er den steilen Pfad bergauf nahm, in die Oberstadt. Dort führte ihn sein Weg stramm geradeaus, nur noch hundert Meter, fünfzig, von hier konnte er es immer noch nicht lesen. Noch ein Stück näher, ja, genau.
Aus dem Klick von eben war Gewissheit geworden. Er hatte die ganze Zeit etwas Wichtiges übersehen. Nun war er zufällig darauf gestoßen. Doch wie sollte das alles zusammenpassen?
Es mussten noch zwei Puzzleteile zusammengesteckt werden. Es galt, keine Zeit zu verlieren.
Er drehte um und rannte den Berg wieder hinunter. Doch als er vor der Bar de la Poste ankam, war der Platz leer, an dem Guy Vauquiez eben noch gesessen hatte. Der Banker war verschwunden. Luc rannte auf die Toilette, um dort nachzusehen, aber er wusste bereits, dass es vergebens war. Merde.
Hugo nahm beim ersten Klingeln ab.
»Ab ins Büro mit dir. Gib eine Fahndung raus, europaweit. Guy Vauquiez aus Saint-Émilion. Er kann nicht weit sein. Vor zehn Minuten saßen wir noch beisammen.«
»Und dann warst du auf dem Klo?«
»Frag nicht …«