Boston, einige Tage nach der Gefangennahme Cecils vom Krankenbett seiner Ziehmutter
„
F
uck! Deine Zähne!“, brüllte Arthur und stieß die Frau zu seinen Füßen hart von sich. „Du verfickte Schlampe. Seit wann können Huren keinen blasen?“ Es knallte und hallte, als er seine offene Hand fast lässig gegen die Wange der jungen Frau schlug. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. „Wag es nicht, zu heulen! Zieh dich an, Miststück! Los!“
Die junge Frau rappelte sich auf und beeilte sich, ihre Sachen an sich zu raffen und fluchtartig den Rückzug anzutreten. Arthur sah, wie kaputt ihre halterlosen Strümpfe waren. Eine Laufmasche reichte bis hoch zum Spitzenbund. Es ließ sie wie die Nutte aussehen, die sie war. Augenblicklich wurde sein Schwanz wieder hart. Ihre großen Augen, dunkel umrandet, sahen göttlich aus. Das ganze Weib sah aus, als bettelte es darum, hart und heftig gefickt zu werden. Scheiße, er hatte bezahlt und er wollte genau das für sein Geld.
„Warte!“, befahl er ihr, sprang aus dem Sessel auf und riss sie herum, schleuderte sie gegen die Sofalehne und beugte sie mit dem Gesicht voran grob darüber. „Sir!“, sagte sie und ihre Stimme zitterte.
„Ich habe für dich bezahlt und ich bekomme, was ich will. Halt jetzt dein dreckiges Maul! Keinen Mucks! Ich zeige dir sonst, was ich davon halte.“
Grob riss er ihren Slip runter, der ganz sicher ein Vermögen gekostet hatte, und stieß in sie. Ihm war egal, dass er kein Kondom drübergezogen hatte. Er hasste die Dinger. Madam Corvin hatte nur saubere Mädchen. Das gehörte zum Service. Seine Sorge hielt sich daher in Grenzen, was sie ihm an Krankheiten einbringen mochte. Und sollte sie schwanger werden – was sie, wenn sie bei Verstand war, nicht werden würde –, gab es Mittel und Wege.
Die Schlampe reagierte wie gewünscht. Sie ächzte leise und er konnte in dem Spiegel gegenüber sehen, wie sie kalkweiß im Gesicht mit ihren gottverdammten Zähnen auf ihre Unterlippe biss, um nicht zu schreien. Die Augen waren jetzt riesig. Sie erkannte, dass er sie beobachtete und wollte sich abwenden. Er stieß so hart in sie, dass sich ihr Mund vor Schmerz öffnete. Einen Laut vermochte sie aber zu unterdrücken. Sein Becken klatschte gegen ihren schmalen Arsch. Vielleicht sollte er sie gänzlich öffnen, aber ohne Schmiere war das bei jungfräulichen Ärschen schwierig und einen Schwanzbruch wollte er nicht riskieren. „Schau in den Spiegel. Schau mich an, wie ich dich nehme. Sieh, was ich mit dir mache! Sieh genau hin! Es gefällt dir. Du gehörst mir! Du kleine, geile Schlampe, sag es!“
„Ich gehöre Ihnen, Sir“, sagte sie nach kurzem Zögern und der Widerstand, der für Bruchteile von Sekunden in ihrem Blick aufflackerte, war fort, als hätte ein Windstoß eine Kerze gelöscht. Das war besser, als wenn sie schrie. Als sich endlich das ersehnte Ziehen einstellte, war er es, der etwas lauter wurde. Doch mehr als ein Schnaufen gönnte er sich nicht. Zufrieden pumpte er sein Sperma in die Hure und gab einen Seufzer von sich. Als er sicher war, dass seine Stimme fest genug sein würde, sagte er: „Und wehe, du wirst schwanger. Ein Kind und ich schleife dich persönlich zum Arzt. Darauf kannst du Gift nehmen, meine Süße!“
„Nein, Sir, ich werde nicht schwanger.“
Arthur packte sie an den Haaren und zog sie hoch. „Hör auf zu säuseln. Frauenstimmen, die so hoch sind, machen mich wütend. Besser ist, du sagst gar nichts. Pack deine Sachen und geh mir aus den Augen!“ Er stieß sie von sich und sie gab die Ahnung eines Wehlauts von sich. Sie war noch nicht zur Tür hinaus, da hatte er sich bereits angezogen und nach seinem Handy gegriffen. Madam Corvin war sofort am anderen Ende, als hätte sie auf seinen Anruf gewartet. „Ich bin unzufrieden mit Ihren Diensten, Madam Corvin. Ich sagte, dass ich keine Schlampe haben will, die eine Anfängerin ist und außerdem so hoch spricht, dass mir die Ohren schmerzen. Noch einmal so etwas und ich bin das letzte Mal Gast Ihres Unternehmens gewesen.“
„Es tut mir ausgesprochen leid, Mr. Ward, dass Sie unzufrieden waren. Aber Sie sagten, dass Sie junges Blut wünschten. Sie ist die Jüngste, ohne minderjährig zu sein. Doch ich werde nach etwas Ausschau halten, was Ihnen mehr entspricht. Ich werde Ihnen das Geld gutschreiben.“
„Tun Sie das und Sie werden es außerdem in Ordnung bringen. Ich erwarte …“ Arthur unterbrach sich. Er hörte in der Leitung, dass jemand anderes ihn erreichen wollte. Seinem Vorzimmer hatte er mitgeteilt, dass er nicht gestört werden wolle. „Einen Augenblick!“, sagte er und stellte Madam Corvin in die Warteschleife. „Ich sagte doch …“
„Sir, Mr. Ward, Sir. Es tut mir leid, dass ich Sie störe“, hörte er den Chauffeur seines Vaters brabbeln. „Ihr Vater hatte einen Schlaganfall. Er ist ins Krankenhaus geflogen worden. Es sieht nicht gut aus.“
Arthur fühlte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich und ihm kalt wurde. Vater!
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Dass er in seinem Büro des Ward-Towers stand, eine Prostituierte geschlagen hatte und er noch den Hörer in der Hand hielt, über den er die Stimme seiner Assistentin hörte?
Alles um ihn herum trat zurück und wurde unwirklich. Er dachte noch, dass sie wohl den Chauffeur aus der Leitung genommen haben musste. Langsam tröpfelte die Erkenntnis in ihn und ein Hauch von Endlichkeit berührte seine Existenz.
Sein Vater! Er könnte sterben oder war bereits tot.
„Sir? Mr. Ward, sind Sie noch dran?“, hörte er den Chauffeur rufen.
Er schüttelte sich fast wie ein Hund, ließ sich schwer in seinen Bürosessel fallen. „Wohin – ich meine, wohin haben sie ihn gebracht.“
Er hörte noch
General
und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht, schaltete die Leitung um und befahl der Assistentin: „Kontaktieren Sie meinen Fahrer …“
„Er erwartet Sie bereits, Sir.“
„Danke, Susann.“
Drei Tage später
„Scheiße!“
Arthur war kurz davor, den Aschenbecher an die Wand gegenüber zu schleudern.
„Mr. Ward, Sir, ein Mr. Grady möchte zu Ihnen. Er meinte, er hätte einen Termin. Ich …“
„Ich kenne keinen Mr. Grady. Er soll sich einen Termin geben lassen, Julia. Sie wissen, dass ich gerade mit niemandem sprechen möchte. Ich werde gleich zurück ins Krankenhaus fahren. Machen Sie mit ihm einen gottverdammten Termin!“
„Sir …“
Arthur war kurz davor, die Gegensprechanlage statt des Aschenbechers zu nehmen, um sie mit den bloßen Händen kurz und klein zu schlagen. Was war so schwer daran, wenn er zwei Stunden ungestört sein wollte? Mehr noch, er musste ungestört sein. Die Firma drohte ein Fressen für die Geier zu werden, und das innerhalb so kurzer Zeit, dass er zum ersten Mal in seinem Leben echte Angst verspürte. Er hatte keine Zeit für einen netten Small Talk mit den Golfpartnern seines Vaters, die ihm ihre Anteilnahme und ihre Freundschaft für die Zukunft versichern wollten. Er hatte andere Sorgen.
Die Ärzte hatten ihn noch immer nicht zu ihm gelassen, um jede Aufregung zu vermeiden, und er brauchte dringend den Code für den Safe, die Zugangsdaten für dessen Computer und bestimmte Konten. Sonst war er geliefert. Sonst waren sie alle geliefert.
„Der Termin war mit Ihrem Vater abgemacht“, schlich sich Julias Stimme ungebeten in seinen Gedankengang und durchbrach den Kokon seiner Gefühle. „Es geht um einen Vertrag. Ihr Vater wüsste, um die Details. Sie würden …“
Arthur wischte ein paar Unterlagen zur Seite und fand dann das Adressbuch, das er bei den persönlichen Unterlagen seines Vaters gefunden hatte. Mr. Thomes Braden Grady. Außer einer Telefonnummer stand nichts hinter dessen Namen. Das war ungewöhnlich. Meist standen da diverse Kürzel, die verrieten, in welchem Verhältnis die Kunden, Freunde und sonstige Menschen zu seinem Vater gestanden hatten. Nein, standen. Vater war noch nicht tot und Gott bewahre, dass er gerade jetzt krepierte.
Doch hinter diesem Grady standen keine Kürzel. Ein Name ohne weitere Details konnte sowohl gut wie auch schlecht sein. In Arthur baute sich weitere Anspannung auf. Ein ungutes Gefühl, wie das Omen für abergläubische Seelen. Die Geier kreisten und er bekam möglicherweise gerade einen zu Gesicht.
Unwirsch räumte er auf dem Schreibtisch um, lehnte sich zurück und atmete kurz durch. Souveränität, er musste Souveränität ausstrahlen, ermahnte er sich.
„Sir, er lässt sich nicht abwimmeln.“
„Schicken Sie ihn rein, Julia!“, sagte Arthur betont ruhig. Irgendwo hatte er den Namen Grady noch gelesen. Nicht in dem Adressbuch. Doch er hatte viele Namen in den letzten Stunden gelesen. Er verbrachte seit dem Schlaganfall seines Vaters täglich weit über fünfzehn, achtzehn und mehr Stunden in diesem Büro, das nicht das seine war. Fuhr ins Krankenhaus, von dort wieder zurück. Er schlief hier. Duschte in seinem privaten Bad und ließ Wechselkleidung durch seine Assistentin von zu Hause holen. Jede Sekunde, die er ungenutzt verstreichen ließ, gab ihm das Gefühl, er würde unter einer Lawine begraben. Was machte da eine Viertelstunde mit einem Fremden aus?
Er erhob sich, als Julia den Mann einließ. Der erste Eindruck war eine reine Enttäuschung. Mr. Grady erwies sich als ein typischer Vertreter der Kontakte, die sein Vater in Massen pflegte. Teurer Anzug. Maßgeschneidert, obwohl er sich über seinem Bauch etwas spannte. Wahrscheinlich hatte er in kurzer Zeit zugenommen und keine Gelegenheit gehabt, seine Garderobe zu erneuern. Ein breites Kreuz machte den Makel von zu viel Gewicht wieder wett. Schritte und Bewegungen, die weniger feste Naturen an ihrer eigenen Souveränität zweifeln ließen. Dazu grau melierte Haare und ein wachsamer Blick aus blaugrauen Augen über einer scharf geschnittenen Nase. Diese Augen. Es war unangenehm, ihn anzuschauen. Erst wusste er nicht, warum. Aber dann merkte er, dass er sich wie die Beute unter dem Blick eines Falken fühlte. Arthur schüttelte den Eindruck so gut es ging von sich. Keine Schwäche zeigen, wiederholte er das Mantra, das er seit seiner Kindheit aufzusagen pflegte.
„Mr. Grady. Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Mein Vater hatte mit Ihnen diesen Termin gemacht. Leider …“
„Ist er verhindert. Ich hörte davon und bedauere es sehr. Ein Schlaganfall ist eine sehr schwere Erkrankung. Machen Sie sich keine Gedanken, dass ich unbedingt ihn sprechen muss. Letztlich steht dieser Termin schon sehr lange an und hat im Grunde mehr etwas mit Ihnen zu tun. Es ist daher eine günstige Gelegenheit, dass wir uns endlich persönlich kennen lernen. Ich bin ein sehr guter Freund Ihres Vaters und es wird Zeit, dass Sie in dessen Fußstapfen treten, nicht wahr? In jedem Unglück steckt auch immer eine Chance. Das gilt in der Geschäftswelt ganz besonders.“
Arthur, der die Hand gehoben hatte, ließ sie wieder sinken. „Nun, ich danke Ihnen für die Anteilnahme“, sagte er, wenn auch nichts von dem, was der Kerl ihm gegenüber geäußert hatte, etwas in der Richtung gewesen war. Vielmehr war es ein Hinweis an ihn gewesen, dass er übernehmen solle. Aber es schien sich dabei nicht nur um einen schlichten Generationenwechsel in einem familiengeführten Unternehmen zu handeln.
„Lassen Sie uns Klartext sprechen, Arthur. Offenheit ist unter Freunden ungemein wichtig und der persönliche Kontakt unumgänglich. Entschuldigen Sie, ich darf Sie doch Arthur nennen? Nennen Sie mich Thomes.“
Arthur unterdrückte jede Gefühlsregung. Ihm fiel auf, dass er vergessen hatte, seinem Gast – oder dem Gast seines Vaters – einen Sitzplatz anzubieten. Doch jede Sekunde, die dieser länger verweilte, machte es ihm unmöglich, auch nur in dessen Nähe zu bleiben. Er hatte etwas Schmieriges an sich. Den Kerl kümmerte die Unhöflichkeit nicht. Unbelastet plauderte er weiter.
„So wie es aussieht, und wenn ich das alles richtig deute, haben Sie gerade erkannt, dass die Ward Timber in Schwierigkeiten steckt. Liquiditätsengpässe sind in den letzten Jahren eher an der Tagesordnung gewesen. Nicht nur bei Ihnen. Es ist keine Schuld, die die Firmenpolitik berührt. Geld ist in einigen Bereichen knapper als in anderen geworden und dann gab es da noch diese unselige Episode mit Ihrem Bruder, der Geld unterschlagen hatte, und das zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt, als die Märkte anfingen zu bröckeln. Leider ist Ihre Firma etwas kapitalintensiv.“
„Sagen Sie mir etwas, was ich noch nicht weiß! Wieso sind Sie hier?“, fragte Arthur mit wachsender Wut, die er zu verbergen versuchte. Doch es war kein guter Tag gewesen, um nicht zu sagen, er war beschissen. Sie brauchten Geld und sein Vater hatte ihm, wie er jetzt wusste, eine Wüste hinterlassen. Was ihn außerdem noch ärgerte, war, dass er ihm offenbar überhaupt eine Menge wichtiger Details verschwiegen hatte – zum Beispiel die Wichtigkeit eines Mr. Grady.
„Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Ich meine, es ist ein Hilfspaket für die Firma. Das Angebot hat Ihr Vater eingeholt. Aber aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse kam es leider zu einer Verzögerung und wie ich jetzt weiß, haben Sie keine Zeit mehr.“ Mr. Grady zog einen Umschlag aus seiner Jackettasche und schob ihn Arthur über den Schreibtisch zu. „Das sollte helfen und Ihnen die schlimmsten Sorgen nehmen. Danach können wir verhandeln.“ Er lächelte und wandte sich ab, um eindeutig zu gehen. Das Gespräch schien für Mr. Grady seinen Abschluss gefunden zu haben. Nur Arthur fragte sich, worin dieser überhaupt bestand. Zu seiner Verärgerung bemerkte er außerdem, dass er die ganze Zeit zum Reagieren gezwungen gewesen war. Mr. Grady – Thomes – spielte ihn wie eine Marionette und er bemerkte es erst jetzt.
„Warten Sie!“, rief Arthur. „Was ist das?“
„Arthur, mir ist bewusst, dass Sie nicht so tief in die Firmenpolitik eingebunden worden sind, um alles zu wissen. Das ist meines Erachtens kein Nachteil. Es verschafft Ihnen einen frischen Blick auf alles. Mit uns und Gottes Hilfe werden Sie das Unternehmen innerhalb kürzester Zeit wieder auf Kurs bringen. Ihr Vater ist ein wertvolles Mitglied der Kirche und unserer Gemeinschaft und Sie ebenso. Wir lassen niemanden hängen.“
„Sie sind von der Gemeinde?“ Arthur schwirrte der Kopf. Die Gemeinde war eine Freikirche, deren Hauptsitz seit drei Jahren in Boston lag und der er schon seit seinem fünften Lebensjahr angehörte, wie sein Vater zu erzählen pflegte. Zuvor war es nur eine kleine Gemeinschaft in South Carolina, Charleston, unter der Leitung von Father Bartholomew Perish gewesen, die aufgrund einer Vision des Predigers in diese Stadt umzog. Durch einflussreiche Mitglieder hatte sie in kurzer Zeit einen guten Stand in der Stadt und weit darüber hinaus erlangt. Mittlerweile gab es Ableger im Norden und an der Ostküste. Und die Kirche expandierte weiter.
Arthur war die enge Gemeinschaft unangenehm. Aber es war ein Fehler, nicht die Messe am Sonntag zu besuchen, wie sein Vater immer wieder zu betonen pflegte. Sein Vater hatte durch sie die meisten und erfolgreichsten Kontakte knüpfen können und ihn regelmäßig darauf hingewiesen, dass sie es sich nicht leisten konnten, keine Christen und keine Mitglieder dieser Kirche zu sein. Sie mussten sich gut stellen.
Doch Arthur hatte schon lange nicht mehr richtig zugehört. Weder bei den Predigten von Father Bartholomew noch bei seinem Vater. Er glaubte nicht mehr an Gott. Es waren Menschen und nur Menschen, die das Schicksal lenkten. Seine Abkehr vom reinen Glauben hatte er seinem Vater nicht gebeichtet und er würde den Teufel tun, es ihm je zu sagen. Zudem es nicht wichtig war.
Er befühlte den Briefumschlag und der scharfe Blick von Mr. Grady ließ ihn sich wünschen, er hätte das Papier nicht einmal berührt. Trotzdem … Aus dem Umschlag zog er einen Scheck mit einer Summe darauf, die ihn nach Luft hätte schnappen lassen.
„Das ist ein Geschenk von Freunden“, sagte Mr. Grady. „Aber ich weiß auch, dass es nicht reichen wird. Die Verträge für eine zweite sowie eine dritte Charge lasse ich Ihnen zukommen und ich denke, Sie werden die Bedingungen als annehmbar empfinden.“ Mr. Gradys Lächeln wurde breiter. Er reichte ihm elegant eine Visitenkarte aus weichem, sehr dickem Karton mit goldener Prägung. Er nötigte Arthur sie fast auf. „Sie können mich Tag und Nacht anrufen. Ich weiß, dass das Verhältnis zwischen uns und Ihrem Vater etwas abgekühlt war. Aber die Zeiten sind nicht einfach und Freunde sind alles, was einen manchmal von der Katastrophe und einem guten Leben trennt. Seien Sie sich gewiss, dass wir Freunde sind.“
Damit wandte er sich ab und ging nun endgültig.
Thomes Braden Grady stand auf der Visitenkarte und eine Telefonnummer. Keine Angaben darüber, wer dieser Mann war, in wessen Auftrag er sprach und was das alles zu bedeuten hatte. Damit waren die Angaben identisch mit denen im Adressbuch seines Vaters. Wer, in Gottes Namen, war dieser Mann, fragte sich Arthur besorgt.
Niemand stellte einen Scheck über zwei Millionen aus und verlangte dafür nichts. Tatsächlich war es so, dass es sie für drei Tage retten würde. Sie mussten liquide genug für Bankbürgschaften sein und Gehälter waren zu zahlen. Die Unterstützung half zu einem Zeitpunkt, wie er besser nicht gewählt werden konnte.
„Julia, kommen Sie rein“, rief er die Assistentin seines Vaters ins Büro. Die Frau war älter und schon seit gefühlt ewigen Zeiten an der Seite seines Vaters gewesen und war ihm quasi mit dem Schlaganfall von ihm vererbt worden. Wie auch die meisten Mitarbeiter des Unternehmens war sie Mitglied der Jesus-New-Path-Church. Kurz, sie besaß wahrscheinlich weit mehr Informationen als er und möglicherweise sogar als sein Vater.
„Sir, Mr. Ward. Es tut mir leid. Ich hatte Sie nicht stören wollen. Doch ich war davon überzeugt, dass es wichtig sein musste. Ihr Vater hatte ausdrücklich darum gebeten.“
Die Haare, die von grauen Strähnen durchzogen waren, hatten sich aus dem Dutt gelöst und ihre mageren Hände rangen mit sich selbst.
„Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Kennen Sie Mr. Grady?“, fragte Arthur.
„Nun, er ist, soweit ich das weiß, ein Mitglied unserer Kirche und in die inneren Geschäfte involviert. Ihr Vater meinte, er würde als Vermittler arbeiten und die Geschäfte zwischen den hochrangigen Mitgliedern und der Kirche abwickeln. Er arbeitet dabei eng mit Mr. Crasher und mit dem Father zusammen.“
„Mit Father Bartholomew direkt?“
„Ja, Mr. Crasher ist der Schatzmeister und Mr. Grady, nun ja, ich würde sagen, er ist der Anwalt. Ich hatte im Namen Ihres Vaters angerufen und Father Bartholomew versicherte mir, dass sie in seinem direkten Auftrag handeln würden.“
„Verstehe. Und was genau für Verträge haben wir mit der Kirche?“
„Nun, ich …“
„Bitte, Julia, ich muss verstehen, wie das alles zusammenhängt. Offenbar sind wichtige Dinge nie aufgeschrieben worden. Aber ich muss das nachvollziehen können.“
„Nun, Ihr Vater hatte vor sechs Jahren erhebliche Schwierigkeiten“, gestand Julia widerstrebend ein. „Erst die Wirtschaftskrise und dann … die Sache mit Ihrem Bruder. Ja, ich weiß, was der Schlingel gemacht hat. Es ist furchtbar, wenn in der eigenen Familie solche Dinge passieren. Mr. Ward wandte sich an die Kirche und sie unterstützte ihn. Seitdem half sie immer wieder. Sie hatte auch schon zuvor unterstützend eingegriffen, sodass keine Probleme nach außen drangen, und dann wurde es wieder besser. Selbst als eine Untersuchung wegen der Unterschlagung der Firmengelder eingeleitet worden war, konnte die Kirche das Schlimmste abwenden.“
„Also trägt im Grunde mein Bruder für weit mehr Folgen die Schuld, als ich wusste.“
Julia wirkte unglücklich. „Der Junge hat zumindest nicht alles kaputtmachen können. Ihr Vater meinte, er wäre damals zu sorglos gewesen und hätte niemals gedacht, dass ein so labiler Junge wie Cecil so einen Schaden hätte anrichten können. Er sah es als seine Schuld an. Aber er ist ein guter Vater und ein guter Christ. Er weiß, dass Gott einem Menschen niemals etwas aufbürden würde, was er nicht zu stemmen vermag. Ihr Vater hat nie schlecht von Cecil gesprochen. Gott prüft uns alle und jetzt prüft er Sie. Doch Sie werden das schaffen und Sie werden dabei nicht allein sein. Ich helfe Ihnen mit all meiner Kraft. Ich werde für Sie beten, Mr. Ward.“
Arthur wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Er betrachtete die zierliche Frau, die so fest an Gott glaubte, dass er das Leuchten in ihren verhärmten Zügen sehen konnte. Vater hatte für sich nie hübsche Sekretärinnen gewollt. Er hatte immer auf eine ältere Frau bestanden. Eine, die sich nicht verführen ließ, wenn ein Mann um sie herumscharwenzelte. Arthur erinnerte sich, dass er sechzehn Jahre alt gewesen sein musste, als er diese graue Maus von Assistentin das erste Mal auf dem Bewerbungsfoto erblickt und nicht verstanden hatte, warum Vater, mit all seiner Macht, nicht eine hübsche junge Frau an den Schreibtisch gesetzt hatte. Inzwischen verstand er es. Es gab fickbare Frauen und solche, die einem auf andere Weise zu Diensten waren.
„Cecil! Hat mein Vater nach ihm suchen lassen?“, fragte er. Es war nur eine vage Idee. Natürlich hatte er nach dem hübschen, sensiblen und meist kränklichen Cecil suchen lassen. Schließlich war er ein Ward. Wenn auch geistig und seelisch so krank wie seine Mutter. „Das ist ihr Erbe!“, hatte Vater gesagt. „Ein Glück, dass du nicht nach ihr gekommen bist. Nach Cecil wollte ich keine weiteren Kinder mehr. Wer weiß, was sie dann noch zur Welt gebracht hätte. Du bist mein Stolz. Mein Erbe. Doch um Cecil muss man sich kümmern.“
Arthur unterdrückte einen tiefen Atemzug, der sich hinausquälen wollte.
„Selbstverständlich, Mr. Ward. Er hatte die Detektei von Mr. Sanders beauftragt. Mr. Ward und er sind seit ihrem Studium enge Freunde, wenn ich auch sagen muss, dass ein Privatdetektiv doch eher ungewöhnlich ist. Aber Mr. Sanders leistet hervorragende Arbeit.“
Arthur nickte. Sanders, ja, Onkel Gideon kannte er. Dass er Privatdetektiv war, wusste er. Es hatte ihn nicht sonderlich interessiert. Als Kind hatte er sich jedoch so manche Räuberpistole erzählen lassen. Das änderte sich, als er erkannte, dass er den Mann nicht mochte und dass er nicht der Held war, für den er ihn gehalten hatte. Für ihn war er der Prototyp eines schmierigen Gesellen.
„Ich kenne Gideon Sanders. Ich wusste nicht, dass er beauftragt worden war. Hätte das nicht die Polizei machen sollen?“
Julia bewegte leicht ihr Kinn zur Seite, als wäre ihr die Frage unangenehm. Arthur kniff minimal die Augen zusammen. In der Frau war doch tatsächlich der Funke eines eigenen Willens versteckt. Was für ein Wunder!
Er hob auffordernd die Augenbraue.
„Nun, ja“, stammelte sie widerstrebend. „Ihr Vater war der Meinung, dass man die Polizei nicht damit über die Maßen behelligen solle und hat dafür gesorgt, dass sie ihm die Suche überließ. Es sei eine Familienangelegenheit. Seine Schwester war damals mit Cecil verschwunden und das …“
„Tante Heather?“
„Oh, wussten Sie das nicht? Das tut mir leid, ich hätte nichts sagen sollen.“
Arthur hob seine Hand und schüttelte den Kopf. „Nein, ist schon gut. Ich denke, ich werde mich um die Details kümmern. So, wie es aussieht, halte ich Sie von Ihrer Arbeit ab.“
„Oh, natürlich. Entschuldigung. Ich werde mich dann …“ Julia lächelte verkrampft und Arthur erlöste sie mit einem freundlichen Nicken, während es in seinem Kopf rotierte. Was hatte Tante Heather mit seinem Bruder zu schaffen gehabt? Und warum hatte Vater die Polizei von dessen Spur abgebracht, um im Gegenzug Geld für einen Detektiv zu verschwenden, der zudem erfolglos geblieben war? Eines konnte Arthur mit Gewissheit sagen: Cecil war und blieb verschwunden und bald war das Jahrzehnt voll.
Er geleitete Julia zur Tür und schloss diese hinter ihr, wobei er darauf verzichtete, noch einen Blick auf sie zu werfen. Die Frau wusste viel, hatte aber anscheinend über die Zusammenhänge keine Kenntnisse. An sich hilfreich, aber er wusste nicht, ob er damit etwas aufwühlte, was bei ihr in den falschen Händen liegen würde. Das Problem war, dass er nur Gideon fragen konnte. Er schien ihm von den gesamten Kontakten, über die er verfügte – die sein Vater verwaltet hatte –, der einzige zu sein, den er fragen konnte und der ihm auch antworten würde. Arthur hatte das Gefühl, dass er von allem abgeschnitten war und sich seine ehemals helle und klare Zukunft mit jeder weiteren Sekunde verdüsterte.