Am Ende hatte der Professor den totalen psychischen Kollaps. Wir konnten seine Heulkrämpfe hören und wie er vor Schmerzen schrie, aber er hätte nicht zugelassen, dass die Docs ihn von seinem Leid erlösen. Vielleicht war es aber auch nicht seine Entscheidung. Die Jungs oben im fünfeckigen Palast der Rätsel taten alles in ihrer Macht, um den Mann am Leben zu erhalten. Admiral Strauss ließ später Weißkittel aus der ganzen Welt kommen, aber es war zwecklos. Sie fanden bloß heraus, dass der Krebs wahrscheinlich in der Bauchspeicheldrüse angefangen hatte, und dann hatte sich am linken Schlüsselbein ein riesiger Tumor gebildet. Von da breitete er sich überall aus. Der Mann hat unglaublich gelitten, aber selbst bei seinen Halluzinationen schaffte er es irgendwie, sich so zusammenzureißen, dass ihm noch neue Ideen kamen. Einmal zum Beispiel erzählte er mir, dass er sich eine Art Mechanismus vorgestellt habe, mit dem er, wie er sich ausdrückte, »rein im Geiste ohne störende Physis schreiben« könne, auch wenn ihm das nie gelungen ist, oder dieses echte Waffenleitsystem, das er für die Squids von der Navy entwickelte. Er konnte auf einmal völlig klar im Kopf sein, aber dann drehte er wieder durch und schrie auf Ungarisch nach seiner Mutter. Ich kannte ihn seit Jahren. Vor dem Walter Reed hatte man mich zu seinem Attaché ernannt, er war zu der Zeit Vorsitzender des »Teapot Committee«, das war der Codename des Strategic Missiles Evaluation Committee der Air Force, wo er auf den Bau der Atlas drängte, Amerikas erster ballistischer Interkontinentalrakete, ein echter Publikums-Darling. Das war unsere Antwort auf die R-7 der Sowjets, die Rakete hatte den Sputnik in die Umlaufbahn geschossen, und uns ging der Arsch auf Grundeis. Der Professor hatte das schon lange kommen sehen. Er war einer dieser Zivilisten, ohne die das Militär aufgeschmissen ist. Bei den Streitkräften haben sie ihn bewundert, die Birds und die Zoomies. Die Grunts am Boden auch. Also haben sie ihm mit einem Cocktail von Substanzen eine ordentliche Dröhnung verpasst, danach ging es ihm anscheinend etwas besser. Kurz vor dem Ende ist er aufgewacht und hat wieder angefangen zu reden, wollte arbeiten, also noch mal ein Riesenauflauf am Zimmer, ein einziges Rein und Raus, um auf den letzten Drücker irgendein experimentelles Verfahren durchzuführen, offenbar hatte das mit dem Professor selbst zu tun. Wir mussten die ganze Etage räumen, und sie haben alle möglichen Maschinen reingeschoben, so was hatte ich in einem Krankenhaus noch nicht gesehen. Die größte passte kaum durch den Flur, wir mussten uns alle daran vorbeiquetschen. Das Ding sah aus wie ein riesiger Automotor, wie ein 40-Zylinder, und es roch fürchterlich, nach versengten Haaren. Dann dieses ganze Gewirr von Kabeln, die ins Zimmer des Professors führten, die Tür ging gar nicht mehr richtig zu. Und ich durfte nicht rein. Schon merkwürdig, dabei gehörte das zu meinem Dienst, Tag und Nacht auf ihn aufzupassen. Aber nichts da, abgelehnt. Mrs von Neumann stellte sich stur, sie musste rausgeschleift werden. Sie wollte, dass wir ihn in Ruhe lassen, aber die da oben waren anderer Meinung. Für sie war der Professor die Gans, die goldene Eier legt. Außerdem war er sowieso schon tot. Was gab es schon zu verlieren. Die Vorbereitung der Aktion dauerte mehr als eine Woche, aber dann ging alles schnell. Draußen im Flur hörten wir die Maschinen zum Leben erwachen, mit einem so tiefen Brummen, dass die Fensterscheiben vibrierten, als würde das Gebäude von einem Erdbeben erschüttert. Dann seine entsetzlichen Schreie. So etwas hatte ich noch nicht gehört. Ich habe Soldaten gesehen, die im Kampf verwundet wurden und verbluteten, habe Männer im Lazarett gehört, die ihre Eingeweide festhielten und in Zungen redeten, im Kerosin gebratene Flieger, die von Kopf bis Fuß entstellt waren. Aber das hier war anders. Es war die Stimme des Professors, aber wie menschliche Schreie klang das nicht. In dieser Nacht schlief niemand. Was immer sie versucht haben, es hat nichts gebracht. Am Morgen haben sie seinen Leichnam rausgerollt. Als sie an mir vorbeikamen, rutschte seine Hand von der Bahre, und ich konnte sehen, dass seine Haut schwarz war, und überall münzgroße weiße Flecken, als hätten sie seinen Körper mit Elektroden vollgepflastert und verbrutzeln lassen. Ich habe mich oft gefragt, ob sie ihn hinterher in Ruhe gelassen haben oder ob sie selbst nach seinem Tod noch meinten an ihm rumfummeln zu müssen. Das klingt verrückter, als es ist. Einstein ist es schließlich auch so ergangen. Als er gestorben ist, hat ein Pathologe sein Gehirn entnommen, ohne Erlaubnis der Familie, und es für sich behalten. Jahrzehntelang war es verschollen. Irgendwann hat jemand es aufgestöbert, es war in der Mitte geteilt und schwamm in zwei Weckgläsern. Ein wissenschaftliches Team hat diese blassen Klumpen dann in hauchdünne Scheiben geschnitten, um sie unterm Mikroskop zu untersuchen. Sie wollten sehen, ob sie etwas Besonderes fanden, etwas Unnatürliches vielleicht, eine pathologische Struktur oder eine Deformation, die seine einzigartige Genialität erklärte. Aber gefunden haben sie nichts. Verglichen mit einem durchschnittlichen Menschen hatte er eine ungewöhnliche Anzahl von Gliazellen, aber das sind keine Nervenzellen, sie produzieren keine elektrischen Impulse. Soweit ich weiß, war sein Gehirn genau wie das eines jeden anderen Menschen. Bis heute frage ich mich, was wir gesehen hätten, hätten wir in von Neumanns Kopf geschaut.
Am 12. Februar 1957, vier Tage nach seinem Tod, wurde von Neumann auf dem Friedhof von Princeton beigesetzt. Man bestattete ihn in einem geschlossenen Sarg neben seiner Mutter Margit Kann und seinem Schwiegervater Charles Dan. Seine Freunde legten ein flaches Gesteck aus Narzissen an seinem Grab nieder. Konteradmiral Lewis Strauss hielt die Grabrede. Pater Anselm Strittmatter leitete die Trauerfeier.