um einen vollbeladenen Kofferkuli herum. Die Eltern wirken erschöpft. Mit einem Blick hast du sie bereits in die richtige Schublade gesteckt. Man begeht selten einen Anschlag als Familie. Mit müder Geste halten sie dir ihre Flugtickets und nachtblauen Pässe hin. Du sprichst sie auf Hebräisch an. Ohne zu versuchen, sie besser kennenzulernen, dich näher mit ihnen zu befassen, leierst du mechanisch deine Fragen herunter: »Gehören die Koffer Ihnen?«, »Wer hat sie gepackt?«, »Sind sie seitdem immer bei Ihnen geblieben?«, »Hat Ihnen jemand ein Geschenk überreicht? Ein Päckchen?«, »Transportieren Sie eine Waffe, einen stumpfen Gegenstand oder Ähnliches?« Routine. Du klebst deine Etiketten auf ihr Gepäck und trittst beiseite, um sie durchzulassen. Ihr Knirps hat die Gelegenheit genutzt, um auszubüxen. Die Frau rennt ihm hinterher und schreit durch das Terminal.
Du konzentrierst dich bereits auf den nächsten Reisenden. Exakt in diesem Moment, in dem du noch nichts über ihn weißt, appellierst du an deine Sinne, mobilisierst einen fast tierischen Instinkt. Du weißt, dass Angst einen Geruch hat. Du nimmst in der Luft hängende Moleküle wahr, erschnupperst einen Anstieg von Adrenalin, einen Hauch von Pheromonen. Du beobachtest seinen Gang und registrierst den Rhythmus seiner Atmung. Du bleibst an seinen Augen hängen. Es genügt, wenn der Mann auf einen imaginären Punkt weit hinter dir starrt und alles ignoriert, was um ihn herum passiert — die sich vor dem Schalter drängende Menschenmenge, das sich umarmende Paar oder den kleinen Jungen, den die Mutter endlich eingesammelt hat —, um dich in Alarmbereitschaft zu versetzen. Das bedeutet, dass seine Gedanken sich auf ein einziges Objekt konzentrieren — und jetzt willst du um jeden Preis wissen, welches.
Graumelierte Schläfen, dunkler Anzug, Krawatte, Aktenkoffer. Der Mann wird um die 40 sein. »Was ist der Grund Ihrer Reise?«, »Geschäfte?«, »Werden Sie von jemandem erwartet?«, »Könnten Sie dessen Namen nennen?« Seine kultivierte Art beeindruckt dich nicht. Mit seiner vordergründigen Höflichkeit versucht er nur, dich zu beeinflussen. Du bittest darum, seinen Terminkalender einsehen zu können. Er zeigt sich erstaunt, sträubt sich, beruft sich auf das Berufsgeheimnis, die Achtung der Privatsphäre und andere große Prinzipien. Du hast seine Gelassenheit durchbrochen. Hätte er anders reagiert und widerspruchslos seinen Terminkalender geöffnet, wärst du misstrauisch geworden. Du insistierst, und bleibst dabei vollkommen ruhig. Schließlich gibt er nach. Er hat die Wahrheit gesagt. Du entzifferst Adressen, Termine. Jetzt blätterst du seinen Reisepass durch. Die Seiten sind bedeckt mit roten oder schwarzen Stempeln. Alles kurze Aufenthalte in neutralen, wenn nicht befreundeten Staaten. »Gehen Sie weiter.«
Woran erkennt man, ob jemand lügt? An der Art, wie er spricht? An seiner Mimik? An der Haltung? Du musterst seinen Körper, der sich hier auf ein Gesicht beschränkt. Du erforschst seinen Mund. Das Fehlen von Speichel kann auf die Einnahme eines Medikaments zurückgeführt werden oder ganz einfach auf Dehydrierung, aber auch auf Stress. Im Zweifelsfall gehst du strikt nach Vorschrift vor. Du befragst ihn. Lange. Du folgst keinem roten Faden oder vorgefertigten Muster. Du improvisierst auf Grundlage dessen, was er dir erzählt. Du lässt dich von der Dynamik des Gesprächs leiten. Indem du ihn nach Einzelheiten fragst, nach scheinbar unwichtigen Punkten, gelingt es dir, die Wahrheit von der Unwahrheit zu unterscheiden. Wenn er wirklich getan hat, was er behauptet, muss er dir ohne Zögern antworten können. Hat er zu Hause oder im Hotel übernachtet? War er in Begleitung? Ist er mit dem Taxi zum Flughafen gekommen? Sobald er nach Worten sucht, Allgemeinheiten von sich gibt oder im Vagen bleibt, reagierst du nicht, klebst aber eine von eins bis drei nummerierte Marke auf seinen Ausweis, je nachdem, wie verdächtig du ihn findest, so wie man einen Verurteilten mit einem glühenden Eisen brandmarkt, und dann übergibst du ihn deinem Vorgesetzten.
Du weißt, dass für ihn jetzt die Scherereien anfangen. Dabei ist das der Teil deines Berufs, den du am meisten magst. Reden, zuhören, einen anderen persönlich befragen. Aber ist das ein Beruf? Du siehst es als eine Fortsetzung des Militärs. Du magst zwar keine Uniform mehr tragen, aber du vergleichst dich mit einem Soldaten, mit einem Wachposten, der an die Front eines mittlerweile weltweiten Krieges geschickt wurde. Offiziell arbeitest du für El-Al als Sicherheitsmann. Es ist nur vernünftig zu denken, dass du eher zur inneren Sicherheit gehörst.
Seit der Entführung des Fluges 426 nach Tel Aviv ist dieser Geheimdienst, der unter dem Akronym Shin Bet bekannt ist, autorisiert, außerhalb von Israel aktiv zu werden — was bis dahin ein Vorrecht des Mossad war. Hunderte junger Männer, die meist nach dem Ende ihrer Wehrpflicht rekrutiert wurden, sind ins Ausland geschickt worden, um alle Orte und Einrichtungen zu schützen, die Ziel eines Angriffs sein könnten: Botschaften, Banken, Tourismusbüros usw. Vorrangig bewachen sie die nationalen Fluglinien. Sie sind an den Check-in-Schaltern oder in den Büros der Fluggesellschaft tätig, ja sogar an Bord ihrer Flugzeuge, wo sie sich als einfache Passagiere ausgeben.
Du bist einer von ihnen, nicht wahr? Im Zuge deiner Einsätze wechselst du Land und Stadt. Du wirst von einem Flughafen zum nächsten expediert. Bevor du nach Europa gekommen bist, hast du einen Monat lang in einem unauffälligen Gebäude in einem Vorwort von Tel Aviv ein Training absolviert. Du weißt, wie man eine nicht autoritäre Befragung durchführt, den Inhalt eines durchleuchteten Koffers analysiert, eine Handfeuerwaffe erkennt und Sprengstoff identifiziert. Du kennst die Zusammensetzung von Semtex und die Grundlagen der Sozial- und Verhaltenspsychologie. Und dein Schädel ist vollgestopft mit konkreten Fällen. Während des Lehrgangs kommen regelmäßig Veteranen des Hauses vorbei, um euch von ihren Erfahrungen zu erzählen. Von all diesen Berichten über vereitelte oder nicht vereitelte Attentate hast du dir natürlich die Geschichte des Mädchens gemerkt, das ohne sein Wissen in eine menschliche Bombe verwandelt wurde. Sie ist kaum achtzehn Jahre alt. Sie kann Engländerin, Niederländerin oder Peruanerin sein — denn dieser Modus Operandi hat sich mehrfach wiederholt — und hat sich von einem dunklen, gutaussehenden Mann unbestimmter Nationalität verführen lassen. Auf Wunsch ihres Geliebten fliegt sie nach Israel, mit Plastiksprengstoff in den Tiefen ihres Koffers, was sie natürlich nicht weiß.
Auf diese Weise wurde ein paar Monate früher eine in einem Kassettenrekorder versteckte Bombe an Bord einer Boeing der El-Al geschleust, die die offenbar sehr gefährliche Strecke zwischen Rom und Tel Aviv bediente. Die Explosion ereignete sich auf 12.000 Fuß. Glücklicherweise enthielt die Ladung nur zweihundert Gramm Sprengstoff, nicht ausreichend, um den Rumpf zu durchschlagen. Das Flugzeug drehte um und führte eine Notlandung durch.
Vor diesem Hintergrund löst der Anblick einer allein reisenden jungen Frau bei dir eine ganze Reihe von Alarmsignalen aus. Gesichter sind Wälder aus Zeichen. Ihres ist ausdruckslos. Wie alle Menschen lebst du auf der Grundlage von Annahmen. Auf die Menschen, die an dir vorbeiziehen, wendest du Stereotypen an. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Jude einen Terroranschlag auf seinesgleichen verübt, erscheint dir gering. So ist das. Du interessierst dich also weniger für ihre Religion als für ihre Herkunft. Du könntest einfach danach fragen, aber das darfst du nicht. Also lavierst du. Du fragst sie, ob sie ein paar Worte Hebräisch kann, ob sie Verwandte in Israel hat, ob sie das Land schon einmal besucht hat und, wenn ja, zu welchem Anlass, war es zu den Feiertagen? Pessach vielleicht? Sie liefert dir keinerlei Hinweis. Schlimmer noch, sie verheddert sich, wird immer nervöser. Mit der Zeit hast du gelernt, diejenigen, die etwas verheimlichen, von den Ängstlichen, den Empfindsamen zu unterscheiden, von all jenen, die bei einer eingehenderen Befragung die Nerven verlieren. Diesmal bist du mit deinem Latein am Ende.
Freunde oder Feinde? Wir oder sie? Als ließe sich die ganze Welt auf diese Frage reduzieren. Ich glaube gerne, dass die binäre Logik, die dich erfüllt, dich manchmal vor moralische Probleme stellt, zweifle aber daran. Du bleibst zu sehr von der Angst und der Gewalt der Kämpfe geprägt, von der Ablehnung deines früheren Lebens und von allem, was damit zusammenhängt. Was wirst du tun? Da steht sie, vor dir. Sie wartet, ratlos. Die Sache ist klar. Du entscheidest dich für die einfachste Lösung. Anstatt deine und ihre Zeit zu verschwenden, schickst du sie direkt zur Leibesvisitation.
Deine Tätigkeit ähnelt einem Profiling, das stattfindet, noch bevor die Tat begangen wird. Du erstellst Phantombilder. Du steckst Menschen in Schubladen. Wie ein Physiognomiker früher errätst du ihre Absichten aus ihren Gesten, ihren Regungen und vor allem aus ihrem Gesichtsausdruck.
Besser als jeder andere weißt du, niemand kommt ohne Maske voran. Je nach Gesprächspartner oder abhängig von der Gruppe, in der er sich bewegt, zeigt jeder eine andere Seite von sich. Du erforschst gerne alle Verstellungen, zu denen ein Mensch fähig ist. Du interessierst dich für Masken, für diese erstarrten Mienen, die keine Menschen mit Gefühlen verkörpern, sondern die Gefühle selbst. Durch das gründliche Erforschen all dieser Köpfe stellst du fest, wie sehr die Menschen sich ähneln. »Es wird immer nur einen einzigen Menschen geben, und er ist vollständig in einem Jedem von uns.« Diesen Satz von Jean Genet könntest du für dich beanspruchen. Und gleichzeitig überprüfst du Tag für Tag, wie unmöglich es ist, einen anderen Menschen einzukreisen, zu erfassen, was er ist.