Natürlich lebte sie. Das wusste ich schon. Erstens stand sie vor mir und zweitens hatte ich ihren Post im Festival-Freaks-Forum gesehen. Nicht, dass ich ihr etwa hinterherspionierte. Es ist einfach, ihr wisst schon. Wenn du siehst, wie der schlaffe Körper von jemand um Mitternacht als Notfall ins Krankenhaus geschafft wird, und deine Knie kurz vorm Nachgeben sind, weil du eine Scheißangst hast, dass du ihr bei der Wiederbelebung eine Rippe gebrochen hast, weil du irgendwas falsch gemacht hast – und dein Arschloch von Bruder sich darauf verlässt, dass du ihn deckst und keine Fragen mehr ihretwegen stellst …?
Dann macht einen das neugierig.
Zumindest eine Weile lang. Doch dann ging das Leben weiter und ich verdrängte die Gedanken.
Bloß eine kleine Verschiebung von vorn nach hinten. Trotzdem war sie immer da, meine Ophelia, bewusstlos im Wasser, ihr Körper blutüberströmt und überall Haare, als ich sie an die Wasseroberfläche zog.
Ich hatte sie ganz bestimmt nicht vergessen. Das würde ich nie. Nicht mal mit mehr Fleisch auf den Rippen und ohne die Haare. Sie sah jetzt besser aus. Eine kleine Waldelfe. Mir gefielen ihr zierlicher Schneewittchen-Vibe und ihre Leo-Schuhe – ein bisschen trashig und schrill. Aber sie hatte immer noch denselben Blick eines erschrockenen Vogels wie damals, als sie Eddie hinterherlief.
»Kenn ich … wir, warum …« Sie verzog das Gesicht und setzte zögernd noch mal neu an. »Kennst du mich?«
»Jane, Jane Marlow? Du wohnst drüben bei den Larsens.«
Sie nickte verdattert, dass ich ihren Namen kannte.
»Du erinnerst dich wirklich nicht mehr an mich«, sagte ich verblüfft.
»Sollte ich?« Ihr Hund kratzte an der Vitrine. Sie befahl ihm aufzuhören und er ließ es, doch zuerst schaute sie zu dem ANKAUF-Tresen hinüber. Was meine Tante zu Mr Applegate sagte, schien sie mehr zu interessieren als unser Gespräch.
Ich ignorierte den frustrierten Stich in meiner Brust. »Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hast du vermutlich nicht mehr viel mitgekriegt.«
Whoa. Der verschreckte Vogel verschwand. Jetzt war Schneewittchen sauer. »Das glaube ich nicht.«
»Ziemlich sicher.«
»Du verwechselst mich garantiert.« Sie gab ihrem Hund ein Zeichen, sich zu setzen. »Ich war zwei Jahre lang nicht mehr am See.«
Shit. Sie erinnerte sich wirklich nicht mehr an mich. »Du bist aber Jane, richtig?«
»Ja, du liegst aber trotzdem falsch.« Sie deutete mit einem Kopfnicken auf mein Namensschild, ihre Stimme klang leicht gereizt. »Oder liegt das an Mr Falsch?«
Ich gluckste in mich hinein, aber es kam fies rüber. Vermutlich war ich wütend, dass sie sich nicht an mich erinnerte. In letzter Zeit machten mich viele Dinge wütend. »Lass es uns noch mal versuchen«, sagte ich vorsichtig und stützte die Hände auf den Tresen. »Wie kann ich Ihnen helfen, Ms Marlow?«
Sie runzelte die Stirn. »Falls du dich für … Hör zu. Du machst mir keine Angst. Du hast meinen Namen in diesem Ding gesehen – mit den Reportern. Programm. Wetter, Verkehr, und …«
Was stimmte nicht mit ihr? Stand sie unter Drogen? Sie wirkte nüchtern.
»Nachrichten?«, tippte ich.
»Nachrichten«, wiederholte sie überdeutlich. Sie klang, als würde sie mir am liebsten den Kopf abreißen und in den See werfen. Vergiss den verschreckten Vogel. Jetzt war sie richtig sauer. Und ich war total verlegen, weil ich sie, ohne es mitzukriegen, wütend gemacht hatte.
»Ich brauche dein Mitleid nicht«, blaffte sie.
»Okay?« Hatte sie irgendein Sprachproblem? Vielleicht hatte es gar nichts mit Drogen zu tun. Nun war ich doppelt verlegen. Und verwirrt.
»Ich brauche bloß deine Hilfe.«
Wie sie es sagte, klang für mich nach Behandle mich einfach ganz normal. Okay, ging klar.
Auf einen Ellbogen gestützt lehnte ich mich über den Tresen. Betont lässig. »Falls es um ein signiertes Taylor-Swift-Album geht, hast du leider Pech. Ich kann dir eines besorgen, aber wir haben sie nicht auf Lager.« Ich redete nicht weiter. »Ich meine ja nur, du hast was von einer Swiftie.«
Ihre Nase legte sich in Falten. »Das habe ich überhört.«
»Ist doch nichts Schlimmes.«
»Habe ich ja auch nicht gesagt. Sie ist eine geniale Songwriterin.«
»Hab ich ja nicht bestritten. Ich hab ihr ganzes Zeug zu Hause. Aber hier im Laden bin ich der Einkäufer für seltene Platten und dazu gehört auch alles, was signiert ist. Deshalb weiß ich, was wir haben und was nicht.«
»Warum hörst du dir nicht erst mal an, was ich will, statt es für mich zu entscheiden?« Schmale Brauen zogen sich zu einem schmalen V zusammen.
Ich verschränkte die Arme und wartete. »Leg los.«
»Ich suche eine extrem seltene Platte.«
»Falls es sie gibt, kann ich sie finden«, informierte ich sie. Für dich werde ich alles finden …
Sie trommelte mit dem Mittelfinger aufs Glas. Tap, tap, tap. Als gebe in ihrem Kopf ein langsames Metronom den Takt vor. Irgendetwas an Jane war definitiv anders.
Als ich schon dachte, von ihr käme überhaupt nichts mehr, sagte sie: »1984 gab es nur fünfundzwanzig davon. Eine steckt in der Jukebox einer Bar in Highland Park auf der Figueroa. Eine gehört dem ehemaligen Leadsänger Henry Rollins. Eine wurde letztes Jahr im Internet verkauft, aber ich wurde in letzter Minute überboten. Ein paar befinden sich angeblich im Besitz irgendwelcher Privatsammler hier in Kalifornien. Wo der Rest ist, weiß niemand.«
Aha. Okay. Ich scherte mich nicht um das Klopfen und die merkwürdige Art, wie sie ihren Tonfall nach dessen Rhythmus richtete. Ich versuchte sogar einen Moment lang, nicht daran zu denken, dass sie meine verschollene Ophelia war. Meine Jane.
Bloß das Mädchen, das mir die letzten zwei Jahre durch den Kopf geisterte.
Keine große Sache.
Trotzdem strengte ich mich an, diesen ganzen Ballast wegzuschieben und sie nun wie eine Fremde zu betrachten. Was sie – letzten Endes – ja auch war. Wenn ich sie einfach als jemanden betrachtete, den ich nicht kannte, stand ich bloß vor einem Mädchen, das über Vinyl reden wollte. Einem hübschen Mädchen in meinem Alter, keinem verrückten alten Sack, der älter war als mein Vater und nach Gras und billigem Aftershave roch.
Das hier war aufregend. Es passierte nicht alle Tage.
»Du redest von den Black Flag«, sagte ich. »Der Double-Deuce-Pressung von My War.«
»Genau«, sagte sie und klopfte ein bisschen schneller. »Die erste Pressung ging daneben, bei den ersten fünfundzwanzig Exemplaren war auf beiden Seiten ›Seite 2‹ aufgedruckt.«
Ich beugte mich weiter vor. »Es gibt Leute, die behaupten, die Double Deuce gäbe es gar nicht.«
»Tut sie aber. Glaub mir. Mein Vater ist ein Black-Flag-Fanatiker. Sie waren ein bisschen vor seiner Zeit, aber als er 1991 aus dem Golfkrieg zurückkam, hat er Rollins auf der ersten Lollapalooza-Tour spielen gesehen. Es war ein Erweckungserlebnis für ihn.«
Meine Hände fingen an feucht zu werden. Nachdem sie so lange in meinem Kopf gelebt hatte, war es komisch, ihr wieder gegenüberzustehen. Ich versuchte, mir weiter einzureden, sie wäre eine andere Jane. Irgendeine Jane. »Mit Henry Rollins kann man nichts falsch machen.«
»Tja, viele halten Henry Rollins für einen megakrassen furchteinflößenden Dude.«
»Stimmt. Schließlich ist er Henry fucking Rollins.«
»Dabei ist er ein echt anständiger Typ, wenn man ihn kennenlernt.«
»Hab ich seltsamerweise noch nicht.«
Sie hörte auf zu klopfen, ihr Blick begegnete meinem. »Du scheinst zu wissen, für wen ich arbeite.«
Ich nickte.
»Einmal hat er das Küchenteam überredet, für uns Eisbecher zu machen, und dann hat er sich mit mir hingesetzt.« Sie lächelte und zuckte leicht mit einer Schulter. »Ich war elf und hatte einen schlechten Tag. Er war einfach … nett. Mehr nicht.«
»Klar, logo.« Der seltsam aussehende haarlose Hund winselte zu ihren Füßen. »Kann ich nachvollziehen. Können bestimmt nicht viele von sich behaupten, dass Henry Rollins wie eine gute Fee bei ihnen auftaucht und Eisbecher herbeizaubert.«
Sie lachte; ein echt nettes Lachen, bei dem mir sofort warm wurde. Es fühlte sich vertraut an. Das war meine Jane. Die Jane, die ich gekannt hatte.
Wie konnte sie sich nicht an mich erinnern? Hatte ich mich in den letzten zwei Jahren so sehr verändert?
»Stehst du auch auf alten L.A.-Punk?«, fragte ich.
Sie zuckte mit den Achseln und holte ein Hundespielzeug aus der Tasche – das Ding sah wie ein grüner Dildo aus. Als ich einen langen Blick darauf warf, hielt sie es hoch, damit ich das Gesicht und den Piratenhut sehen konnte. »Das ist Captain Pickles. Ihr Lieblingsspielzeug.«
Ich räusperte mich. »Nicht zu übersehen.«
»Dann ist ja gut.« Ihre Ohrmuscheln färbten sich rosa, als sie sich bückte und dem Hund das Spielzeug hinhielt. Er kriegte sich vor Begeisterung gar nicht mehr ein und hörte auf zu winseln. Sie richtete sich wieder auf. »Ähm, also oldschool L.A.-Punk …? Nicht besonders. Ich mag ein paar Sachen von X. Das Medley am Ende von Golden Shower of Hits ist cool – die Coverversionen von den Singles?«
»Die Circle Jerks?«
»Bei denen haben mein Vater und ich früher immer mitgesungen. Mir gefallen ein paar von den Punk-Revival-Sachen aus den Neunzigern, die er sich anhört, Bad Religion zum Beispiel. Aber vieles von dem frühen Hardcore-Zeug ist mir zu schwierig. Hast du The Decline of Western Civilization gesehen? Über die L.A.-Punk-Szene in den 1980ern?«
Whoa. Ich kannte niemanden, der das gesehen hat. »Klar.«
»War ganz schön aggro damals.« Tap, tap, tap. Da war es wieder, das Finger-Metronom. »Ich finde es komisch, wenn Bands einen auf hart machen und zwar keine Shirts anhaben dürfen, aber drauf bestehen, in Südkalifornien Lederhosen zu tragen. So schräg.«
»Und prompt krieg ich die Punk-Version von ›Afternoon Delight‹ nicht mehr aus dem Kopf. Danke für den Ohrwurm.«
»Die kommt gut.« Ihre Wangen zogen sich nach oben, als sie lächelte, ich spürte es in meiner Brust.
»Wie auch immer, ich wollte nur sagen, dass mein Vater nach der Black Flag –«
»Der raren Double-Deuce-Pressung sucht.«
»Genau. Die will er schon seit Jahren haben. Wir nennen es seinen heiligen Gral der Platten und es gibt nichts, was ihn glücklicher machen würde.«
Von welchem Dad redet sie gerade? Mad Dog oder seinem Fahrer? Dem Fahrer, oder? Ein Teil von mir war neugierig, vor allem, damit ich in meinem Kopf ein Bild mit dem Mann verbinden konnte, von dem sie gerade sprach. Aber es ging mich nichts an, also fragte ich nicht. »Ich würde deinen Vater ja gern glücklich machen«, sagte ich, »aber momentan haben wir die Platte nicht auf Lager.«
»Aber kannst du sie finden?«
»Falsche Frage.«
Auf ihrer Stirn erschien eine kleine Falte. »Wie lautet die richtige Frage?«
»Warum sollte ich sie suchen? Du erinnerst dich ja nicht mal an mich.«
Das Klopfen hörte auf. Sie sah mich fragend an. »Ich … sollte dich kennen. Wir haben uns schon mal gesehen.«
»Mmm. Als du im Sommer vor zwei Jahren das letzte Mal am See warst, hab ich versucht, mit dir zu reden, aber damals war ich ein dürres Gerippe mit Akne, das beim Laufen immer nur auf seine Füße gestarrt hat. Kommt dir das irgendwie bekannt vor?«
Der Hund hechelte zu ihren Füßen. Ihr Blick wanderte über mein Gesicht, hin und her, als versuche sie, es zu kartografieren. Es jagte mir einen leichten Schauder über den Arm – was sich gut anfühlte. Bis Bob Hayworth, unser UPS-Fahrer, hinter den Counter geflitzt kam. »Mr Sarafian«, grüßte er fröhlich. »Wo ist Ihre Tante? Ich hole Ware ab, außerdem habe ich zwei Overnight-Sendungen für Sie. Eine braucht ihre Unterschrift.«
Ich wies ihm die richtige Richtung, aber seine Worte hatten mich schon enttarnt.
Jane starrte mich an. »Moment. Sarafian?«, fragte sie leise.
Ich nickte. Denk nach, Jane. Nicht so schwer. Wie viele Sarafians kennst du?
Sie holte schnell Luft. »Du bist er.«
»Bin ich? Und das wäre?«
Sie blinzelte schnell. »Du bist der Bruder. Du bist Fen.«
»Der Bruder«, spottete ich. Immer wurde ich über Eddie definiert.
»Du solltest doch eigentlich … Du hast dich von deiner Familie losgesagt.«
Ich hielt den Finger hoch. »Mein Vater hat mich aufgefordert, das Haus zu verlassen – wegen ›kreativer Differenzen‹. Ich bin zu meiner Tante gezogen und alle sind happy. Eine große, glückliche, dysfunktionale Familie.«
Sie spähte zum anderen Counter, zu Aunt Pari. »Das ist die Schwester deiner Mutter.«
»Wow, du hast dich ja echt auf dem Laufenden gehalten all die Jahre. Immer noch in Eddie verknallt? Aber wir sind nicht die Kardashians, da musst du dir eine andere armenische Familie mit mehr Geld suchen. Wir kommen nämlich schrägerweise nur wegen deines Arbeitgebers über die Runden. Mad Dogs Finanzspritze hat Sarafian Events wirklich weitergeholfen. Insoweit sollte ich mich vielleicht vor dir verbeugen oder so.«
Verwirrung. Dann wurden ihre Augen dunkel. »Eddie hat mich vor dir gewarnt.«
»Kann ich mir vorstellen –« Moment, warte. Was?
»Wenn ich gewusst hätte, dass du hier arbeitest, wäre ich nicht reingekommen«, blaffte sie mich an. »Und nur … nur damit du es weißt, ich finde es schrecklich, wie du deinen Bruder behandelt hast.«
In meinem Kopf explodierte ein gigantischer Feuerball. »Ich? Wovon zum Teufel redest du? Und wann hast du mit Eddie geredet?«
»Gestern Morgen. Als er abgeflogen ist.«
Ich starrte sie an. »Bullshit!«
»Was ist eigentlich dein Problem? Wir sind zusammen und er fliegt um die halbe Welt, also wollte ich ihn sehen. So ist das nun mal – und es geht dich einen … einen … Egal!«
Einen Moment lang war mir schwindlig vor Schock. »Zusammen? Zusammen-Zusammen?«
Sie gab keine Antwort. Vielleicht, weil ich mich wie ein defekter Roboter aufführte. Die anderen Kunden starrten uns schon an. Ich war völlig überfordert.
Dann räusperte ich mich und fragte leiser: »Seit wann?«
»Schon eine Weile. Ein paar Monate. Ich … wir … Lass das, Frida!« Sie befreite den Hund, der mit der grünen Piratengurke um ihre Beine herumrannte, aus der Leine. »Keine Ahnung! Wir haben nach meinem Unfall zu chatten angefangen. Vielleicht weißt du nicht mehr, was in dieser Nacht passiert ist, weil du zu betrunken warst, aber er war mein … mein …«
Was zur Hölle? Stand die ganze Welt kopf? Eddie war in dieser Nacht der Besoffene gewesen – nicht ich. Und sie war schon seit Monaten mit ihm zusammen? Seit ich aus dem Haus meiner Eltern ausgezogen war.
Dieser stinkende, versiffte, waschbärfickende Scheißhaufen …
Ich tobte innerlich.
»Er war mein … Das Ding in Rüstung«, sagte sie matt. »Glänzend. Auf dem Pferd.«
Ich brauchte entschieden zu lange, um zu kapieren, was sie meinte.
»Ritter?« Ich biss die Zähne aufeinander. »Willst du mich verarschen? Eddie, ein Ritter?«
»Du richtest nur Chaos an. Das hat mir Eddie gesagt. Ein Ruinierer.«
Ich presste die Hand aufs Herz. »Ich? Ein Ruinierer?«
»Du hast dafür gesorgt, dass er vom College geflogen ist.«
»Damit habe ich ihm heimgezahlt, was er mir angetan hat!« Ich schrie schon fast wieder. »Er ist ein Lügner, ein Manipulierer, ein Betrüger. Er ist Machiavelli mit Grübchen.«
»Hmm … Nein«, sagte sie und ließ ein bitteres Glucksen hören. »Eddie ist vieles, aber kein bösartiges Genie.«
»Wollen wir wetten? Er hat alle an der Nase herumgeführt, selbst dich. Der wahre Eddie ist nicht gut. Der wahre Eddie macht vor keinem Mädchen halt und hat dafür gesorgt, dass ich zu Hause rausgeflogen bin.«
Meine Tante stieß einen Pfiff aus und gab mir mit einem verärgerten Blick zu verstehen, dass ich leiser sein solle. Diesen Blick bekam ich in letzter Zeit häufig zu sehen; ich gab ihr ein Handzeichen, dass ihre Botschaft angekommen war. Ich vergraulte die Kundschaft.
Kein Mensch mag aggressive Verkäufer.
Auch Jane nicht. Sie straffte die Schultern, als hätte ich sie beleidigt. »Keine Ahnung, wie du darauf kommst, dass ich dir das einfach so … glaube.«
»Wie ich darauf komme?« Ich war verblüfft. Keine Ahnung, weshalb. Es war einfach so kränkend, dass sie Dinge infrage stellte, von denen ich wusste, dass sie eine Tatsache waren.
»Sorry. Ich kenne Eddie. Ich vertraue ihm.«
»Ach, tatsächlich? Kennst du ihn wirklich?«
»Ja!«, sagte sie laut. »Es ist übrigens ernst mit uns.«
»Ha, das bezweifle ich. Für dich vielleicht, bestimmt nicht für ihn. Glaub mir.«
Nun war auch sie fuchsteufelswild und meine Tante kam herüber, um der Sache ein Ende zu machen.
»Sobald Eddie von den Philippinen zurückkommt, werden wir uns diesen Sommer eine eigene Wohnung hier am See suchen.« Jane nahm ihren Winzlingshund hoch und klemmte ihn sich unter den Arm. »Das hat er gesagt.«
»Was?«
»Sobald er ausgezogen ist, kannst du dich gerne mit deinem Vater aussöhnen und wieder einziehen. Das Leben ist kurz. Hör auf, so wütend zu sein.«
»Nie im Leben«, erklärte ich, ich glühte am ganzen Körper und fühlte mich so lebendig wie seit Monaten nicht. Hatte ich etwa Zornestränen in den Augen? Na und. Sollte sie mich doch heulen sehen. »Er hat mein Leben zerstört und ich werde alles kaputt hauen, was ihn glücklich macht. Das kannst du ihm ausrichten.«
»Es tut mir leid, was mit dir passiert ist, Fen«, sagte sie leise.
»Und ich bin froh, dass du nicht tot bist, Jane Marlow. Aber wenn du mit Eddie zusammen bist, betrachte ich dich ab jetzt als meine Feindin. Du bist mir viel zu lange durch den Kopf gegeistert, ich werde nicht mehr zulassen, dass mich dieser Scheiß fertigmacht!«
Jegliches Mitleid ihrerseits wurde von Verwirrung ausgelöscht. Sie spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider und in der Kantigkeit ihres Körpers. Es war meine übliche Wirkung auf Menschen.
»Was meinst du damit, ich wäre ab jetzt deine Feindin?«, fragte sie.
»Das meine ich im übertragenen, poetischen Sinn.«
»Ich kenne dich überhaupt nicht.« Sie war genauso durcheinander wie ich. »Welcher Mensch sagt solche Sachen zu jemand Fremdem?«
»Du bist keine Fremde. Und vielleicht solltest du dich besser fragen, was du für ein Mensch bist, wenn du nicht mitkriegst, dass der Typ, mit dem du eine Beziehung hast, dich anlügt?«
Das traf einen Nerv. Ich war zu weit gegangen und bereute es auf der Stelle, doch ich traute mich nicht, es zuzugeben. Aufgebracht und sauer trat sie von der Vitrine zurück, schützend die Hand vor den bellenden Hund haltend. »Du bist total gestört, weißt du das?«
»Verdammt ja, das weiß ich«, stimmte ich zu. »Niemand ist so gefährlich wie derjenige, der sich für reinen Herzens hält.«
»Zitierst du mir hier jetzt James Baldwin?«
»Ich …« Ich hatte nicht angenommen, dass sie das wusste. Es verunsicherte mich, aber ich schob es beiseite und kam wieder aufs Thema zurück. »Ich sage bloß, dass ich weiß, dass ich es nicht bin, Jane. Mein Herz ist nicht rein und mein Kopf ist ein einziges Chaos. Aber ich glaube, wenn du deine Erinnerungen durchgehst, wird dir der Grund einfallen. Du magst mich vergessen haben, aber ich habe dich nie vergessen.«
Sie prallte gegen den Mann, der hinter ihr stand. Und bevor Aunt Pari es zu uns schaffte und Schiedsrichterin spielen konnte, rannte Jane auch schon durch den Laden und zur Tür hinaus.
Nicht exakt das Wiedersehen, das ich mir in Gedanken ausgemalt hatte.