»Der Kurbelwellensensor muss neu verkabelt werden«, erklärte Dad, als er unter der Motorhaube von Fens Jeep hervorkam. »Vielleicht brauchst du auch einen neuen Sensor. Die Kabel sind zerfressen und verursachen einen Kurzen. So was hab ich nicht dabei, aber wir können bei einem Autozubehörladen vorbeifahren und die Ersatzteile holen. Die Kabel und der Kabelbaum dürften so um die fünfzig kosten? Beim Sensor reden wir allerdings von ungefähr hundert.«
Fen atmete hart aus. »Das hab ich gerade nicht. Meine Tante bezahlt mich am Dienstag. Vielleicht kann ich es mir leihen und bei meiner anderen Tante abarbeiten, aber das kann ein, zwei Tage dauern …« Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich wollte Sie nicht grundlos hierherlotsen, Mr Marlow. Aber auch wenn ich den Wagen jetzt hier stehen lassen muss, ist es gut zu wissen, was kaputt ist, bevor ich ihn in eine Werkstatt abschleppen lasse.«
Auf dem Freeway zischten die Autos an uns vorbei. »Kein Problem. Heute ist mein freier Tag.« Er musterte Fen. »Bin bloß überrascht, weiter nichts.«
»Dass ich pleite bin, obwohl meine Familie Kohle hat? Die Story hat Jane wohl noch nicht erzählt.«
Dad lehnte sich gegen die Kühlerhaube und sah erst mich an, dann Fen. »Ich weiß ein bisschen was darüber, aber es kam nicht von Jane.«
»Dad«, flehte ich. Er hatte sich so nett verhalten. Keine Szene. Keine komische Stimmung. Das hier war das genaue Gegenteil von dem Treffen mit Eddie am Flughafen. Alles war rundgelaufen bisher. Fen hatte Dad nicht »den Chauffeur« genannt oder irgendwelche anderen geschmacklosen Witze über Hausangestellte abgelassen, und Dad war nicht ausgeflippt, als ich ihm erzählte, dass wir mit einer Panne auf dem Seitenstreifen standen.
»Wissen Sie«, sagte Fen, »was auch immer Sie über mich gehört haben, stimmt vermutlich sogar. Eddie und ich kommen nicht miteinander klar und Jane weiß das. Ganz ehrlich, wäre Brudermord legal, würde ich ihn durch die Straßen jagen wie bei The Purge.«
Mein Vater zog eine Augenbraue hoch.
Frida kläffte und kratzte, auf den Hinterbeinen stehend, an Fens Schienbein. Er kraulte ihr den Kopf. »Wenn es jemand verdient hat, gilt es nicht als Mord, stimmts, Hündchen?«
»Er macht Witze«, erklärte ich meinem Vater. »Er hat einen ziemlich finsteren Sinn für Humor.«
Dad wischte sich die Hände an den Jeans ab. »Ich bin durchaus fähig, Ironie zu verstehen, Jane. Ich verstehe bloß nicht, warum ihr beide auf dem Seitenstreifen gestrandet seid.«
»Ich hab dir doch von dieser Frau mit der Plattensammlung erzählt –«, setzte ich an.
»Zwischen uns läuft nichts«, erklärte Fen meinem Vater. »Falls Sie sich deshalb Sorgen machen.«
Ich erstarrte, mein Mund stand noch immer offen. Warum sagte er so was?
Aber er hörte nicht auf, sondern redete einfach weiter. »Wir sind uns im Plattenladen wiederbegegnet. Ich war überrascht, sie zu sehen, ist schließlich zwei Jahre her … also, seit dem Unfall am Wehr. Wir haben gemeinsame Interessen. Musik. Eddie. Oder jedenfalls meine Familie – meine Mom.«
»Ich mag deine Mutter«, sagte Dad. »Sehr nette Frau.«
»Sie ist echt der Hammer«, bestätigte Fen. »Vor ein paar Jahren sind wir mal bei Ihnen im Auto mitgefahren. Ich hatte mir bei einer Benefizveranstaltung in der Stadt das Bein verletzt. Sie erinnern sich vermutlich nicht mehr.«
»Da täuschst du dich. Ich erinnere mich an alles«, widersprach Dad und musterte ihn mit einem zusammengekniffenen Auge.
Argh. Das lief ja völlig aus dem Ruder. Ich hatte ein ungutes Gefühl im Magen.
»Fen hilft uns bei der Suche nach deinem heiligen Gral«, platzte ich in meiner Panik heraus.
Eine Augenbraue meines Vaters zuckte nach oben. »Ach, wirklich?«
»Double Deuce«, bestätigte Fen. »Kann nichts versprechen, aber ich habe ein paar Internet-Connections. Ich versuche, eine aufzutreiben. Ist aber nicht leicht zu finden. Henry-Rollins-Fans trennen sich normalerweise nicht gern von ihren Sachen. Aber das wissen Sie vermutlich.«
Wumm. Nun war mein Vater verloren. Die beiden fachsimpelten eine Minute. Zwei. Zehn. Lang genug, um eine Flasche Wasser herauszuholen und einen kleinen Plastiknapf, den ich in meiner Tasche für Frida herumschleppte. Wow, sie hatte echt einen Riesendurst. Lang genug, um Fen heimlich aus meiner kauernden Haltung zu betrachten, als wäre ich eine Vogelbeobachterin, die sich an einen seltenen Vogel heranpirscht … um ihn in freier Wildbahn zu erleben.
Seine Haare waren völlig zerzaust, in den Augen meines Vaters sah er bestimmt wie ein Krimineller aus. Seine schwarzen Klamotten sollten vermutlich seine düstere Stimmung widerspiegeln. Womöglich noch etwas, das gegen ihn sprach.
Aber.
Es gefiel mir, wie ernsthaft er sprach und wie entschieden er mit seinen sexy eleganten Händen gestikulierte. Er wusste, wovon er redete. Und wenn er etwas nicht wusste, hatte er auch keine Angst, das einzugestehen. Er hörte zu. Sein Blick war scharf und wachsam. Er verschränkte oft die Arme vor der Brust. Aber er behandelte meinen Vater nicht von oben herab. Dafür war ich dankbar.
Fen war Vieles. Theatralisch. Dunkel. Nicht easy oder golden. Er musste anders angepackt werden.
Genau wie ich.
Meine Beobachtungen wurden unterbrochen, als Frida beschloss, dass sie mal musste. Ich zog sie weg von der Straße und hinter ein paar Manzanita-Büsche. Als wir zurückkamen, saß Fen im Jeep und Dad steckte unter der Motorhaube und rief: »Versuch es jetzt noch mal!«
Fen drehte den Schlüssel und der Jeep sprang an.
»Oh Mann!«, rief Fen. »Sie haben es geschafft!«
»Hab doch gesagt, dass er ein Genie ist«, grinste ich.
Dad schlug die Motorhaube zu. »Na ja, wird nicht ewig halten. Die Kabel müssen erneuert werden. Vielleicht säuft er in fünf Minuten ab, vielleicht in einem Monat. Lässt sich nicht vorhersagen. Jane und ich fahren mal besser hinter dir her, um sicherzugehen, dass du es nach Hause schaffst. Und sobald du genug Geld zusammenhast für die Kabel, gib mir Bescheid. Dann komm ich in die Stadt und wechsle sie aus. Wird nicht lange dauern.«
»Gern«, sagte Fen. »Das klingt gut. Ich bin Ihnen wirklich dankbar, Mr Marlow.«
»Nenn mich Leo. Und gern geschehen.«
Ich streckte Fen den erhobenen Daumen entgegen und er hielt die Hand hoch. Alles klar? Eindeutig bloß zwei Menschen, die Zeit miteinander verbringen und eine Vorliebe für Musik teilen und gemeinsame Bekannte haben. Wie ich Dad gesagt hatte.
Alles war in Ordnung.
Doch als ich in den SUV stieg, in dem Dad von der Lodge hergekommen war, und wir uns auf dem Freeway hinter Fen einfädelten, konnte ich meinem Vater ansehen, dass er sich Gedanken machte.
»Oje.« Ich ließ mich mit Frida auf dem Schoß hinter dem Gurt in den Sitz sinken. »Was ist? Hat er was gesagt, das deine zarten Gefühle verletzt? Hat er den Namen Marlow beschmutzt – oder noch schlimmer, etwas gegen Henry Rollins oder die Punk-Szene von L.A. gesagt?«
Mein Vater schüttelte langsam den Kopf. »Der kennt sich aus mit seinem Zeug. Schlauer Kerl. Zumindest, was Musik angeht.«
»Aber …?«
»Kein Aber.«
Okay. Das war schräg.
»Weiß er über deine Aphasie Bescheid?«, erkundigte sich mein Vater und behielt den Jeep vor uns im Auge.
»Ja. Er ist sogar von selbst draufgekommen«, sagte ich. »Aber ich habe es ihm auch erzählt.«
Ich wollte Dad nicht sagen, dass es Fen gewesen war, der mich aus dem Wasser gefischt hat. Keine Ahnung, warum. Vielleicht, weil er zu viel hineininterpretieren würde. Vielleicht gefiel es mir auch, dass es für den Moment unser Geheimnis war. Außerdem steckten Dad und ich unsere Nasen nicht in die Angelegenheiten des anderen.
So lief das bei den Marlows.
»Er ist kein schlechter Mensch«, erklärte ich Dad und streichelte Fridas glatten Körper. »Serj hat ihn aus familiären Gründen zu Hause rausgeschmissen. Irgendein Drama zwischen Eddie und ihm. Fen und seine Mutter haben immer noch ein gutes Verhältnis.«
»Ist das dieselbe Mutter, die dir dabei hilft, eine Wohnung für dich und ihren anderen Sohn zu finden?«
Ich versank noch ein wenig tiefer im Sitz, ich hatte ein schlechtes Gewissen, obwohl es keinen Grund dafür gab. Warum eigentlich? Wir hatten uns doch bloß Platten angesehen. Wir hatten uns dieses Mal nicht mal die Hand gegeben. Keinerlei Berührungen.
»Ich weiß, wie das klingt. Es ist einfach … kompliziert«, erklärte ich Dad.
»Ist es immer«, murmelte er mit faltenzerfurchter Stirn. »Ist es immer.«