Serj Sarafians Herzinfarkt war schwerwiegend gewesen und seine Genesung dauerte länger als gewöhnlich. Seine Ärzte behielten ihn beinahe zwei Wochen in der Klinik: zuerst dort, wo er operiert worden war, anschließend in einem Kardio-Reha-Programm am See.
Ab da wurde es hektisch für Fen, weil jeder, der Serj kannte, in die Stadt kam und ihn im Krankenhaus besuchte. Mehrere Tage lang tauschten Fen und ich nur ein paar Sätze aus, und mit dem Nachrichtenschreiben war auch so gut wie Schluss.
Fen war beschäftigt und geistesabwesend, er wohnte in seinem Kinderzimmer in der Villa und half seiner Mutter mit den Zwillingen.
Und.
Er holte Versäumtes mit Eddie nach.
Ich konnte mir nur ausmalen, wie Fen diese Unterhaltung mit seinem älteren Bruder führen würde … Lange nicht gesehen. Während du im Knast warst, hatte ich Sex mit deiner Freundin.
Puh, puh, puh!
Aber natürlich nicht wirklich. Fen würde so etwas nicht sagen. Konnte er nicht. Würde er nicht. Er würde sich erwachsen verhalten – seiner Familie zuliebe. Immerhin war sein Vater fast gestorben. Er würde kein Drama anfangen. Bestimmt war jetzt alles anders, und ich konnte mir vorstellen, dass Eddie vielleicht, nur vielleicht, recht damit hatte, sich mit Fen aussöhnen zu wollen. Und vielleicht, nur vielleicht, würde Fen einsehen, dass es das Richtige war. Und sie würden auf keinen Fall über mich reden. Bitte. Nicht.
Wäre irgendetwas Schreckliches zwischen ihnen vorgefallen, hätte ich bestimmt davon gehört, oder? Soweit ich es aus meinem beschränkten Kontakt mit Fen beurteilen konnte, lief alles gespenstisch beschaulich im Haus der Sarafians. Ich versuchte also, meine Ängste zu verdrängen, und ließ ihm seinen Freiraum. Vermutlich kostete es ihn viel Energie, sein Verhältnis mit Eddie in Ordnung zu bringen.
Aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es nicht noch einen anderen Grund gab, warum ich Fen Freiraum ließ. Denn es gab einen. Nach dem Gespräch im Krankenhaus graute mir davor, Eddie zu sehen. Tief in meinen Knochen. Die ganze Situation zwischen uns war so chaotisch und explosiv, dass ich mehr als zufrieden war, keinen der beiden Brüder zu sehen, während sich alle an das neue Normal von Fen und mir gewöhnten.
Aber am Vorabend von Serjs Entlassung aus dem Krankenhaus riet mir mein Vater, wie alle anderen eine Nervensäge zu sein und zu ihnen nach Hause zu fahren. Es war der einzige Weg, wenn ich mit Fen reden wollte. Ich wusste, dass er recht hatte. Es war an der Zeit, mich wie ein großes Mädchen zu benehmen und mich dem Chaos zu stellen, das ich angerichtet hatte.
Da Starla mit dem Hybrid unterwegs war, setzte mich mein Vater bei den Sarafians ab. Ich war extrem nervös, als ich die Auffahrt hinunterlief und auf die Klingel drückte, doch als Ms Makruhi öffnete und sofort davoneilte und mich in der Halle stehen ließ, blieb mir keine Zeit, meine Befürchtungen zu hätscheln. In der Villa drängten sich Verwandte und enge Freunde. Soweit ich von der Haustür aus sehen konnte, plauderten die Besucher im Wohnzimmer und auf der Gartenterrasse, alle aßen und tranken.
Feierten die Sarafians eine Party? Vielleicht sollte ich meinen Vater anrufen und ihn bitten, mich gleich wieder abzuholen.
»Hey«, sagte eine Stimme vom Ende der Treppe.
Ich schaute an der gläsernen Oktopus-Skulptur vorbei nach oben und entdeckte Fen, der mich über das Geländer im ersten Stock anlächelte. Er fuhr sich mit der Hand durch die dunklen Locken, als er heruntergerannt kam und einem Paar auswich, das am Ende der Treppe plauderte. »Was machst du denn hier? Warum hast du mir nicht geschrieben?«
»Weil du in letzter Zeit nie antwortest, was in Ordnung ist. Ich dachte, du bist beschäftigt«, erklärte ich ihm. »Aber vielleicht hätte ich trotzdem schreiben sollen, du hast recht. Ich wusste nicht, dass ihr Besuch haben würdet.«
»Pfft.« Er winkte ab. »Das ist kein Besuch. Das sind alles Verwandte. Die meisten kommen von auswärts, und sie wollen den großen Mann besuchen. Ich denke, meine Mutter wird den größten Teil dieser Schmarotzer in ein paar Stunden rausschmeißen, aber mach dir keinen Kopf, alles gut. Meine Großeltern und du, ihr seid immer willkommen.«
War ich? Ich war so wichtig? Großeltern-Level-wichtig? Ich kam mir wie eine Hochstaplerin vor, nach all unseren Betrügereien verdiente ich das nicht. Vielleicht sollte ich überhaupt nicht hier sein und mich unter seine Familie mischen.
Und wer ist jetzt der Ruinierer?
Fen bekam von meiner Verunsicherung und meinen Nöten nichts mit. Er schaute hinter mich, als wolle er sich vergewissern, dass die Luft rein war. Als das Paar auf der Treppe nicht hinsah, beugte er sich zu mir und küsste mich.
Küsste mich.
Genau hier. In der Halle.
Unter dem explodierenden Oktopus.
»Tut mir leid«, flüsterte er mit einem Lächeln auf den Lippen, als er sich von mir löste.
»Mir nicht«, flüsterte ich zurück. »Alles okay mit dir?«
Er nickte, seine Augen leuchteten kurz auf. »Ich freu mich, dass du hier bist. Auch wenn es hektisch ist. Nur zur Warnung. Ich werde dich allen vorstellen, komm …«
Mist. Menschen. Verwandte. Warum taten wir uns das an? Ich war so glücklich, ihn zu sehen, dass es fast wehtat. Trotzdem war ich dermaßen nervös und unsicher, hier zu sein, dass es quasi einer Einladung an die Wörterfresserin gleichkam. Am besten sagte ich so wenig wie möglich und hoffte, dass alles gut gehen würde. Wusste seine Mutter über uns Bescheid? Mit ziemlicher Sicherheit hatte sie schon vorher etwas geahnt, aber das war … ewig her. Jetzt war jetzt. Nach dem Herzinfarkt. Alles war anders.
Ich wollte nicht, dass Jasmine mich hasste.
Und ich wollte auf keinen Fall mit Eddie reden.
Fen führte mich ums Haus und stellte mich jedem einzelnen Mitglied der Sarafian-Familie und der Kasabian-Familie auf dem Planeten Erde vor. Drei Cousinen. Serjs Halbschwester. Ein paar Großtanten und Aunt Pari, die ich zwar schon gesehen, aber nie offiziell kennengelernt hatte.
Außerdem traf ich kurz Serjs Eltern und stand eine Weile bei den Kasabian-Großeltern, denen Victory Vinyl früher gehört hatte und die nun in Südkalifornien wohnten.
»Wir sind praktisch Nachbarn«, erklärte Fens Großmutter, Mina Kasabian. Sie war beinahe so groß wie Jasmine, bloß kräftiger, und hatte kurze graue Haare. »Wir wohnen fast in Burbank, aber am Ende unserer Straße ist eine Bäckerei, für deren süße Teilchen sich sogar die Fahrt auf der 101 lohnt.« Sie gab mir eine erschöpfende Beschreibung, was sie dort alles verkauften. »Du musst uns besuchen kommen.«
Diese Frau sollte der »Schrecken von Glendale« sein? Wäre ich nie drauf gekommen. »Ich habe gehört, Sie mögen Carole King«, sagte ich zu ihr.
Sie holte Luft. »Da hast du richtig gehört. Die Stereoanlage steht gleich hier. Wollen wir die Göttin auflegen?«
»Serj hasst Carole King«, informierte Jasmine ihre Mutter und ließ sich mit Ani aufs Sofa fallen. »Außerdem ist sie so traurig. Spielt irgendwas Fröhliches, zu Ehren von Serjs Heimkehr morgen. Fen, mein Augenstern? Du bist der DJ.«
»Dann wird es Tom Waits«, kam prompt zurück.
Es entspann sich eine lebhafte, nicht ganz ernste Debatte, zum großen Teil zwischen Leuten, die keine Ahnung hatten, wer Tom Waits war, ein paar von ihnen verwechselten ihn mit Tom Jones. Nach langem Hin und Her lag schließlich Ella Fitzgerald auf dem Plattenteller und alle waren zufrieden.
Fen und ich wurden getrennt und ich hing eine Weile mit Ani und Ari ab. Und am Ende – vielleicht aus Gewohnheit, vielleicht weil ich unbewusst sowohl Eddie als auch angstbedingte Aphasie-Patzer vermeiden wollte – landete ich bei Ms Makruhi in der Küche und half ihr, Essen auf einen Buffettisch zu tragen. Ich schenkte Getränke nach. Sammelte Abfall ein. Spülte Geschirr. Sie war sehr effizient und hatte eine offene, ehrliche Art, und wir arbeiteten gut zusammen, als ich mich daran gewöhnt hatte, wie sie Dinge haben wollte.
»Du bist ein sehr aufgewecktes Mädchen«, sagte sie schließlich, als es dunkel wurde und ich Fen seit über einer Stunde nicht gesehen hatte, weil ein paar Freunde von ihm vorbeigekommen waren. »Tu das nicht.«
»Wie bitte?«
Sie deutete auf die Küche. »Das hier. Geschirr spülen.«
»Sie spülen doch auch Geschirr.«
»Ich bin nicht mehr jung und ich hatte keine andere Wahl. Ich war allein in einem fremden Land. Die Sarafians haben mich aufgenommen. Du hast das nicht nötig, also kümmere dich um dich selbst.«
»Aber …?«
»Fen erzählt mir manches«, sagte sie.
Ich spürte, wie meine Wangen und mein Hals zu glühen begannen. Meine Ohren standen in Flammen. Die Art, wie sie es gesagt hatte, zeigte mir deutlich, dass Fen ihr zu viel erzählt hatte. Es machte mich nervös. Ich würde ihr gegenüber nichts in Bezug auf Fen zugeben. »Meine Mutter war auch Haushälterin, bevor sie starb«, erwiderte ich bloß.
»Und?« Ms Makruhi zuckte mit den Achseln. »Wäre sie noch am Leben, würde sie dir raten, aufs College zu gehen. Ich betrachte diese Kinder als meine eigenen. Ani ist intelligent wie du. Es ist nichts falsch daran, Geschirr zu spülen. Ich schäme mich nicht für meine Arbeit. Aber wenn du schlau bist, mach etwas, worauf du stolz bist. Sei stark.«
»Ich bin stark.«
»Du bist schwach«, widersprach sie. »Geh aufs College. Warum hat dich dein Vater nicht dazu gedrängt?«
Ich wusste nicht, wie viel sie über meine Gehirnprobleme wusste. »Ich war krank.«
»Dann geh auf eine Spezialuni.« Sie zuckte noch einmal mit den Achseln.
Puh, sie war wirklich frustrierend. Und nahm auch kein Blatt vor den Mund. Ich wollte nicht hier sitzen und dieser Frau meine Lebensgeschichte erklären. Abgesehen davon gab es keine Spezialuni für Menschen mit Aphasie. Außerdem hatte ich so viel Sprachtherapie hinter mir, dass ich mittlerweile vermutlich andere Leute unterrichten konnte. Warum mischte sich diese Frau in meine Angelegenheiten ein?
»Fen sollte ebenfalls auf die Uni gehen«, erklärte sie. »Das habe ich Jasmine auch gesagt. Ich hatte nicht die Möglichkeiten, die ihr habt. Wärt ihr meine Kinder, würde ich euch aus der Tür schubsen. Kein Rumbrüten mehr. Das Leben ist zu kurz. Macht was draus.«
Sie ließ sich auf keine Diskussion ein und wurde langsam ein bisschen emotional. Über Hausangestellte machte sich keiner Gedanken. Bestimmt hatte es auch sie mitgenommen, was Serj zugestoßen war, in gewisser Weise betrachtete sie diese Familie schließlich als ihre. Trotzdem wurde von ihr erwartet, dass sie weiterarbeitete. »Ich werde darüber nachdenken«, sagte ich bloß. »Danke für den Ratschlag.«
»Gut«, antwortete sie und nahm etwas aus dem Kühlschrank. »Hier ist ein Stück von dem Muskatkuchen, den ich gestern gebacken habe. Ich habe es für dich und Fen eingepackt. Bitte geht jetzt.«
Ich nahm den mit Folie abgedeckten Teller, den sie mir reichte. »Äh …«
»Bevor er vor seinen Großeltern einen Streit mit Eddie vom Zaun bricht. Bring ihn in seine Wohnung bei Zabel, wenigstens für eine Nacht. Wenn Serj morgen zurückkommt, wird es schwierig. Ich werde Jasmine eine Schlaftablette geben und auf die Zwillinge achtgeben. Als Familie wieder zusammenzuwachsen dauert seine Zeit.«
Ich war so müde und wollte unbedingt fünf Minuten mit Fen allein sein – nur um mich zu vergewissern, dass alles okay mit ihm war. Und vielleicht noch für einen Kuss.
Aber brachte ich die Willenskraft auf, ihn hier loszueisen? War es überhaupt das Richtige? Fen schien gerade darin aufzugehen, mit allen hier zusammen zu sein, und vielleicht war es das, was er brauchte, genau wie Jasmine. Von Menschen umgeben zu sein. Von den vielen Cousins und Cousinen und Freunden aus der Schule. Menschen, die ihn mochten. Seinen superlieben Großeltern. Und den Zwillingen. Sogar von Eddie.
Aber als ich durch die Villa lief, um ihm zu sagen, dass ich meinen Vater anrufen und zur Lodge zurückfahren würde, entdeckte ich ihn auf der Terrasse zwischen zwei Freunden, die gerade gekommen waren, deren Namen ich jedoch nicht kannte. Er nickte und lächelte ein aufgesetztes Lächeln, hörte aber eindeutig nicht zu.
Denn er war damit beschäftigt, über die Terrasse hinweg zu Eddie zu starren, der mit einem ihrer älteren Cousins eine Flasche Bier kippte.
Bloß Bier. Kein Kokain. Aber Eddie war so oder so nicht mein Problem.
Trotzdem machte ich mir, nach allem, was vorgefallen war, ein bisschen Sorgen. Wäre ich an seiner Stelle und mein Vater hätte gerade einen schweren Herzinfarkt gehabt, weil er mich in einem fremden Land wegen Drogenbesitz aus dem Gefängnis herausgeholt hatte, würde ich vermutlich wenigstens so tun, als sei ich total nüchtern.
Aber ich wollte Eddie definitiv nicht allein darauf ansprechen. Dabei wäre ich mir dumm vorgekommen.
Vielleicht sollte ich Fen unter vier Augen fragen, ob wir einschreiten sollten?
Als ich unauffällig Fens Aufmerksamkeit auf mich zog, achtete ich darauf, dass Eddie mich nicht sehen konnte. Seine Lider flatterten, er sah aus, als könne er jeden Moment umkippen.
»Entschuldigung«, unterbrach ich den Typ neben ihm. »Ich muss ihn mal kurz entführen.«
»Sie hält dich aber an einer kurzen Leine, Bro«, brummte einer von ihnen.
»Küchenhilfe«, brummte der andere.
Ich merkte, wie meine Ohren zu glühen begannen, aber ich war zu müde, um es an mich heranzulassen. Ich hielt Fen bloß den Arm entgegen und er kam zu mir und schmiegte sich an mich, als wir davongingen.
»Danke, danke, danke«, flüsterte er in meinen Nacken. »Das ist einer der längsten Tage meines Lebens.«
»Reizende Freunde.«
»Sie sind nicht meine Freunde. Bloß Typen, mit denen ich früher zur Schule gegangen bin. Keine Ahnung, warum sie hier sind. Vermute mal, dass Eddie sie eingeladen hat. Blödes Arschloch. Ich habe große Lust, ihm diese Bierflasche aus der Hand zu reißen und auf den Schädel zu schlagen.«
Tja, verdammt. Vielleicht hatte Ms Makruhi doch recht gehabt. Haben Haushälterinnen meistens. Hätte ich mir denken können.
Fen stöhnte. »Eddie kann von Glück sagen, dass ich platt bin. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, Jane. Fen Zombie, grrr. Fen braucht Schlaf.«
»Da kann ich dir helfen. Ich wurde angewiesen, dich zur Scheune zurückzufahren, damit du dich ein bisschen ausruhst.« Ich zeigte ihm den Kuchen. »Ich kann dich aber auch in dein Zimmer hochbringen, falls du zu müde bist und lieber hierbleiben möchtest. Dann rufe ich meinen Vater an, dass er mich abholen soll –«
»Bring mich in die Scheune«, bestätigte er. »Grandpa Sarafian besetzt das Gästezimmer und meine anderen Großeltern schlafen in meinem ehemaligen Zimmer. Ich hätte mit der Couch vorliebnehmen müssen.«
»Dann komm.« Ich hatte das Gefühl, gebraucht zu werden. »Wir bringen dich in deine Wohnung.«
Ich fuhr das Monstrum von Jeep mit der – wie Fen behauptete – niedrigsten Geschwindigkeit, mit der er je gefahren wurde, seit er vom Laufband rollte. Aber Fen genoss es, den kühlen Nachtwind zu spüren, und nachdem wir am Hundezwinger geparkt hatten, liefen wir sogar noch langsamer zur Scheune hoch. Uns ging beiden der Batteriesaft aus.
»Verdammt, war ich bloß zwei Wochen von hier weg?«, fragte er, als wir in der Scheune die Treppe hochstapften und das kleine Apartment aufschlossen. »Ich war nach dem Abend im Krankenhaus kurz hier und habe ein paar Sachen geholt, aber es fühlt sich an, als sei es ein Jahrhundert her.«
»Wie ist es, wieder mit deiner Familie zu Hause zu sein?«
»Komisch. Gut. Verwirrend.« Er starrte auf den Boden, dann schüttelte er den Kopf. »Alles gleichzeitig. Mama hat uns zu einer Familiensitzung zusammengerufen und uns erklärt, dass es meinem Vater zuliebe Veränderungen geben muss. Mit anderen Worten, kein Streit mit Eddie, um das Herz meines Vaters zu schonen. Also schlucke ich meine Rachepläne runter und krieche zu Kreuze wie ein artiger kleiner Junge. Wir werden – halt dich fest – eine Familientherapie machen.«
Er versuchte, die Therapie wie eine lästige Pflicht klingen zu lassen, aber ich meinte Hoffnung aus seiner Verachtung herauszuhören.
»Vielleicht hilft es.« Innerlich machte ich mir Sorgen, dass all die Kompromisse, die er wegen Eddie ertragen musste, auch mich einschließen würden, zumindest ein bisschen. »Das ist bestimmt nicht einfach.«
»Wir waren noch nicht dort, also mal sehen, wie es läuft. Wer hätte gedacht, dass meine Welt in so kurzer Zeit völlig auf den Kopf gestellt werden würde.« Er zog seine Schuhe aus. »Mein Vater hat ein neues Herz bekommen. Ich wurde wieder in den Haushalt aufgenommen, aus dem ich verbannt worden bin. Eddie hat beschlossen, dass es nicht mehr in unserem Interesse liegen kann, Feinde zu sein …«
»Hat er mir erzählt«, gab ich zu und stellte den Kuchen in den Kühlschrank.
Die Luft knisterte vor Energie. »Wann?«
Argh. Unangenehm. »Im Krankenhaus. Wir haben ein bisschen geredet, während dein Vater am ersten Abend aus der Narkose aufgewacht ist.« Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich Eddie umarmt hatte. Nicht dass irgendetwas Verbotenes an dieser Umarmung gewesen wäre. »Aber da wir gerade darüber reden, was die letzten Wochen passiert ist, ich glaube, deine Milch ist sauer. Sie ist geronnen.«
Fen fiel nicht auf mein lahmes Ablenkungsmanöver herein. »Da hast du also mit ihm gequatscht. Interessant …«
Oh-oh. War es wirklich interessant? Ich wollte nicht darüber reden. Vielleicht war jetzt ein guter Zeitpunkt, um über Eddie und dieses Bier zu sprechen.
»Manchmal lässt sich schwer feststellen, wann Eddie Informationen manipuliert und Dinge schlimmer darstellt, als sie wirklich sind«, sagte Fen. »Heute Morgen hat er mir zum Beispiel was erzählt, was ich echt schräg fand.«
»Oh, was denn?«
»Er sagte … Nein, er deutete an …« Fen seufzte und redete nicht weiter, als zögere er, es auszusprechen.
»Was?«
»Eddie sagte ›Na dann viel Glück‹. Und danach noch ein paar eklige andere Sachen, die andeuteten, du wärst eins dieser etepetete Mädchen, die sich für die Ehe aufheben, und dass er deswegen mit dir hatte zusammenziehen wollen, um … manche Sachen zu beschleunigen?«
»Wow, okay.« Ich spürte Wut in mir aufsteigen. »Erstens würde ich widersprechen, dass ich vorhabe, mich für die Ehe aufzuheben, wie wir beide wissen.«
»Wie wir beide wissen.«
»Du warst nicht mein erstes Mal.«
»Du für mich auch nicht? Ist ja auch unwichtig. Ich dachte bloß …« Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Ich hätte es nicht erwähnen sollen. Ich habe den Fehler gemacht, mich von Eddie belabern zu lassen, ihm zuzuhören. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich ein solches Gespräch führen würde.«
»Ich auch nicht.«
»Es ist egal«, wiederholte er. »Ich war bloß überrascht.«
»Dass Eddie und ich keinen Sex hatten.«
Er deutete auf mich. »Yep. Das.«
»Wir haben andere Sachen gemacht, aber –«
»Will ich nicht wissen.« Er hielt die Hand hoch. »Dasselbe habe ich ihm auch gesagt. Es ist mir egal und ich will keine Details wissen.«
Ich nickte. Der Moment der Verlegenheit zog sich in die Länge.
»Ich weiß, dass es egal ist, aber ich könnte die Wand hochgehen, dass er versucht, mir die Schuld daran in die Schuhe zu schieben, obwohl er mich buchstäblich weggestoßen hat –«
»Ich bitte dich, Jane, beende diesen Satz nicht.«
»Ich wollte bloß sagen … Erst war er heiß und dann kalt. Ich habe ihn bloß die paar Mal gesehen, wenn er in L.A. war. Einmal haben wir in seinem Auto rumgeknutscht und beim nächsten Mal wollte er mich nicht mal umarmen. Als er auf die Philippinen geflogen ist, hat er mich nicht zum Abschied geküsst. Obwohl ich ihn ewig nicht gesehen hatte. Seit diesem Moment hasste ihn mein Vater.«
»Verstehe.«
»Teilweise lag es vielleicht an mir?« Ich schüttelte den Kopf. »Vielleicht spürte er, dass ich ihm die Sache mit dem Wehr nie verziehen habe. Nicht dass es seine Schuld war, dass ich reingefallen bin. Aber bevor ich runterstürzte, war er betrunken und hat mich im Wald allein gelassen. Ich wollte, dass er sich dafür entschuldigt oder mir zeigt, dass er besser sein kann.«
»Hat er aber nicht.«
»Eddie ist tricky. Er ist so nett, aber er redet immer um den heißen Brei herum … Manchmal lässt sich schwer sagen, ob er einfach bloß keine Ahnung hat. Also habe ich es ihm durchgehen lassen. Vieles. Aber ein Teil von mir hegte einen Groll. Ich glaube, das war mir damals nicht klar.«
Fen schnaubte. »Er bringt das Beste in Menschen zum Vorschein. Aber ich glaube dir. Tut mir leid, dass ich das überhaupt erwähnt habe. Was er gesagt hat, ist mir an die Nieren gegangen, obwohl ich es besser hätte wissen müssen.«
»Entschuldige dich nicht«, sagte ich. »Jetzt, wo Eddie zurück ist, wird es anders sein.«
»Es ist schon anders.« Er klang müde, als trüge er die Last der Welt auf den Schultern. In seinem Kopf. In seiner Seele.
Nach einem weiteren langen Moment des Schweigens seufzte er und fragte: »Wo ist Frida?«
»In der Lodge.«
»Ich hatte mich daran gewöhnt, ihr putziges Gesicht hier zu sehen. Das ist noch so eine Sache, die in den letzten beiden Wochen passiert ist. Keine Frida in meinem Bett.«
»Und ich hatte meine Periode.«
Er zog langsam die Augenbraue hoch.
Ich zuckte mit den Schultern. »Zumindest bin ich nicht schwanger. Nicht dass ich mir wirklich Sorgen gemacht hätte, wir haben ja aufgepasst. Aber trotzdem. Puh.« Ich tat, als würde ich mir die Stirn abwischen.
»Ich hätte da eine Idee«, sagte er mit einem Funkeln in den Augen. »Wollen wir zusammen duschen und ins Bett gehen?«
Ich nickte mehrmals. Ich wollte auslöschen, was in den letzten beiden Wochen passiert war. Serjs Herzinfarkt. Dass Eddie von den Philippinen zurückgekommen war.
Ich wollte zurück in unsere glückliche Bubble.
Aber Dinge ändern sich. Das wusste ich, und er auch.