Track [29] »Santa Monica« | Everclear

Jane

Ich hatte mich über viele Dinge in meinem Leben getäuscht. Aber zwei dieser Dinge stellten sich am Ende trotzdem als gut heraus. Das Erste war die Annahme, mein Vater würde mir nie verzeihen, dass ich ihn darum bat, mich den weiten Weg nach L.A. zurückzufahren. Er war nicht mal sauer.

Okay, er riss sich nicht gerade darum, Mad Dog um Urlaub zu bitten, und er fand es wohl auch nicht toll, mitzuerleben, wie ich Mad Dog erklärte, dass ich fristlos kündigte.

Das Entscheidende war, dass Dad nicht sauer reagierte. Dass er mir verzieh. Und noch in der Nacht ein Auto mietete und mich nach L.A. zurückfuhr, wo er ein paar Tage bei mir blieb.

Das Zweite, worüber ich mich getäuscht hatte und was sich als positiv herausstellte, war die Entdeckung, dass mein Vater nicht nur eine offensichtlich intakte Beziehung mit dieser geheimnisvollen J.H.-Person hatte, die ihm ständig schrieb; diese Person stellte sich als ein real existierender Mann namens Jay heraus.

Jay, der Promi-Helikopterpilot, war nicht nur real, sondern hatte auch ein echt nettes 2-Zimmer-Apartment in Ocean Park, Santa Monica, nur ein paar Blocks vom Pier entfernt, in dem er uns wohnen ließ. Es war nicht direkt am Meer, aber ziemlich nahe dran. Es befand sich in einem dreistöckigen verputzten Haus mit zwei anderen Gartenapartments und hatte auf der Rückseite eine hübsche kleine Terrasse mit Blick auf eine sonnige palmengesäumte Gasse. Man sah sogar einen schmalen Streifen von dem bloß einen halben Block entfernten Strand.

Ein paar Tage nach unserer Ankunft saßen Dad und ich nachmittags auf dieser Terrasse, beobachteten die Surfer und die Obdachlosen und schlürften in der trockenen Hitze Kirsch-Kool-Aid. Die Santa-Ana-Winde kamen früh. Ich hatte vergessen, wie viel lauter es in der Stadt war mit den plärrenden Autoradios und Nachbarn, die sich spätabends noch anbrüllten. Die vielen Gerüche. Ganz anders als das Leben am See. Das war das Kalifornien, das ich kannte. Wer brauchte Condor Lake. Ich definitiv nicht.

Jay war noch in Südamerika, ich hatte ihn also noch nicht persönlich kennengelernt. Er ließ uns trotzdem bei sich wohnen, während ich überlegte, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Ich konnte die Wohnung noch ungefähr drei Wochen nutzen, bevor er zurückkam. Danach war ich auf mich selbst gestellt.

»Oh, hier ist was, Küken«, sagte Dad auf der anderen Seite des Tischs, wo er die Stellenanzeigen durchging. Die Sonne ließ ihn blinzeln. »Ein Teilzeitjob in einer Tierhandlung. Die Bezahlung ist nicht schlecht. Moment, das ist weit weg, in Pasadena.«

»Das ist in der Nähe von Glendale.«

»Und? Was ist in Glendale?« Er verzog das Gesicht. »Der Forest-Lawn-Friedhof …«

Fens Großeltern.

»Nichts«, sagte ich schnell. Ich konnte nicht darüber nachdenken. Nicht vor Dad. Ich musste mich zusammennehmen, schließlich hatte ich uns hierher verschleppt. Und nun musste ich dafür sorgen, dass es funktionierte.

Dad half mir, meinen Lebenslauf zusammenzustellen – der vermutlich der kürzeste aller Zeiten war. Hundesitterin und persönliche Assistentin. Ende. Wir mussten ihn ein bisschen mit meiner Ausbildung aufblähen. Exie hatte mir versprochen, mir für zukünftige Arbeitgeber ein exzellentes Zeugnis auszustellen. Überraschenderweise hatte Norma das auch angeboten.

»Ich brauche sowieso einen Vollzeitjob«, erklärte ich Dad, der weiter die Annoncen durchging. »Hör auf, nach Teilzeit zu schauen, damit kann ich nie eine Wohnung bezahlen.«

»Miete vergesse ich immer«, brummte er. Unten auf der Straße sauste ein Scooter vorbei. »Bin nicht gewohnt, dafür zahlen zu müssen. Vielleicht könntest du dir die Wohnung mit jemandem teilen? Einer deiner alten Schulfreundinnen?«

»Die wohnen in Studentenwohnheimen, Dad. Sie waren alle sehr leistungsorientiert, du erinnerst dich? Ein paar gehen auf Colleges in anderen Bundesstaaten.«

»Stimmt. Und ist es wirklich zu spät, um noch an einer der Unis hier angenommen zu werden? Nicht an der UCLA, aber vielleicht an der Cal State? Vielleicht wenn Mad Dog ein gutes Wort für dich einlegen würde?«

»Es ist ungefähr ein halbes Jahr zu spät.« Mir fiel wieder ein, wie Fen dafür gesorgt hatte, dass Eddie von der Uni flog. Ich musste grinsen … aber nur kurz. Egal. Ich wollte keine Diskussion mit Dad darüber anfangen, dass es Regeln gab. Dad war nicht auf der Uni gewesen, es war eine fremde Welt für ihn. »Es ist okay. Viele Leute fangen erst mal auf einem Community College an. Selbst berühmte Leute.« Das würde ihm ein besseres Gefühl geben. »Außerdem ist es viel billiger und vielleicht deckt die Unterstützung die Studiengebühren. So wie es aussieht, kann man sich bei den meisten noch bis Ende August anmelden.«

»Die einzig anständigen Community Colleges, die ich kenne, sind im Valley«, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Aber das ist so weit weg …«

»Eine halbe Stunde.«

»Auf der 101. Vielleicht gibt es eines, das näher ist. Was willst du studieren?«

»Ich werde ein paar allgemeine Kurse belegen, bei denen ich sicher weiß, dass sie später an der Uni anerkannt werden. Und dann überlege ich weiter. Rede mit Leuten von der Studienberatung oder Lehrenden – anderen Studierenden. Und schaue, was mir gefällt.«

Er nickte. »Okay. Aber wie willst du gleichzeitig Kurse belegen und Vollzeit arbeiten?«

AHH! Ich hielt mir den Kopf. »Keine Ahnung, okay? Aber ich habe ein bisschen was gespart von dem Job bei Mad Dog, und alle anderen schaffen es doch auch irgendwie?«

Allmählich fragte ich mich, ob ich einen Riesenfehler begangen hatte. In diesem Puzzle fehlten zu viele Teile und ich bekam es immer noch nicht in den Kopf, dass mein altes Leben verschwunden war.

Die Sarafians.

Der See.

Mad Dog.

Velvet.

Exie und Norma … die einzige Familie, die ich je gehabt hatte.

Frida.

Komisch, dass es so wehtun konnte, einen kleinen Hund zu verlieren. Wie hatte ich zulassen können, dass ich so an ihr hing? Sie war nicht mal mein Hund. Die ersten paar Nächte ohne sie hatte ich kaum schlafen können. Ich schaute mich ständig nach ihr um und erwartete, sie um meine Füße scharwenzeln zu sehen … Erwartete, ihr Bellen zu hören. Als wir in jener Nacht vom See weggefahren waren, hatte ich in meiner Trauer Captain Pickles mitgenommen. Doch dann hatte ich mir Sorgen gemacht, dass sie ihn vermissen könnte, und hatte ihn overnight zurückgeschickt. Als ich mit dem Teil im FedEx-Laden auftauchte und nach einem passenden Karton fragte, schaute die Frau so, als hätte ich eine völlig abwegige Frage gestellt.

Und Fen?

Nun ja.

Ich konnte nicht lange an ihn denken. Vor allem nicht tagsüber. Nur nachts, wenn ich Musik hörte und zu schlafen versuchte, erlaubte ich mir, in Erinnerungen an ihn zu schwelgen. Und zu leiden.

Tagsüber nahm ich mich zusammen und tat vor meinem Vater, als sei ich stark und alles sei in bester Ordnung. Tagsüber war verlorene Zeit.

Tag und Nacht. Ein sich wiederholender Zyklus aus Selbstmitleid und Selbstbestrafung. Extrem gesund. Vermutlich gab es eine bessere Methode, irgendwann würde ich sie schon noch herausfinden.

Ich hoffte bloß, dass es Fen besser ging als mir.

Meinem Vater entfuhr ein tiefer Seufzer, als er aufstand und sich über das Terrassengeländer beugte. Er sah den Leuten hinterher, die zum Strand liefen, um den Nachmittag dort zu verbringen. »Jane, ich möchte, dass du weißt, dass ich hinter dir stehe. Wenn es das hier ist, was du willst, werden wir dafür sorgen, dass es Wirklichkeit wird. Ist dir aufgefallen, dass du keine Wortaussetzer mehr hattest, seit du mich gebeten hast, dich nach L.A. zurückzufahren?«

Mmh. War mir tatsächlich entgangen.

Andererseits lief es mit der Wörterfresserin sowieso besser, seit ich mit Fen zusammen war. Mich meinen Geistern zu stellen hatte womöglich ein paar Nervenbahnen freigeräumt. Es hatte mir auf jeden Fall geholfen, einigen Stress abzubauen und mehr Selbstvertrauen zu gewinnen.

»Deine Mutter war nie auf der Uni«, sagte er. »Ich glaube, ihr war ein Abschluss einfach nicht wichtig, aber sie war willensstark, und was du gerade machst, würde ihr gefallen. Ein Teil von mir wird zwar immer das Bedürfnis haben, dich im Auge zu behalten, doch dich ganz zu verlieren wäre sehr viel schlimmer. Können wir uns darauf einigen, dass wir uns, auch wenn du auf dem College bist, immer Zeit nehmen werden, uns zu sehen?«

»Dad«, sagte ich. »Ernsthaft. Ich bleibe doch hier in der Gegend.«

»Du würdest staunen, wenn du wüsstest, wie viele Beziehungen schon auf diesen Freeways gestorben sind.«

»Gut, dass ich einen Profi-Chauffeur kenne, was?«

Er lächelte mich an. »Ja, vermutlich.«

Es war fast Zeit für sein tägliches Telefongespräch mit Jay, also beendete ich die Jobsuche, damit er ein bisschen Zeit für sich hatte. Vielleicht brauchte ich das auch. Um nachzudenken.

Ich lief zum Strand und suchte mir einen Platz, um mir den Sonnenuntergang über dem Meer anzuschauen. Es war warm und windig, der Pazifik war rauer und größer als der Condor Lake. Kein Vergleich. Aber ich vermisste die glatte Seeoberfläche und die hohen Bäume. Ich vermisste, wie still und unberührt es dort war. Dort hatte ich genug Raum zum Atmen. Komische Vorstellung, dass die Festival-Freaks nun alle wieder fort waren. Ohne sie fühlte sich die Stadt bestimmt verlassen an.

Jemand rief etwas quer über den Strand.

Als ich den Kopf hob, um zu sehen, was los war, sah ich einen dunklen Streifen über den Sand auf mich zukommen, irgendjemand rannte hinterher und schwenkte einen Strohhut. Ich stemmte mich sicherheitshalber im Sand auf, mein Puls beschleunigte und ich wusste nicht, ob ich flüchten oder helfen sollte. Während mein Kopf alles verarbeitete, kam der dunkle Streifen näher –

Und sprang mir ins Gesicht.

»Frida!«

»Oh mein Gott!«, rief Velvet aus der Ferne. »Du Mistvieh!«

Irgendwo in meinem Hinterkopf war ich vermutlich geschockt, Velvet hier zu sehen, aber im Moment war ich zu sehr in Hundeliebe versunken. Frida leckte mein Gesicht ab und wedelte so wild mit dem Schwanz, dass sie auf mich fiel. Ich nahm sie in die Arme und küsste ihren Kopf. »Du hast mir so gefehlt. Oh Gott, du riechst nach Lavendel. Da wirst du bald Ausschlag bekommen, oder? Du bist allergisch gegen Lavendel! Wer hat dir das angetan? Oh, Süße!«

»Was für ein Luder«, keuchte Velvet atemlos, als sie sich in weißen Shorts und einem Shirt, das ihr über die braune Schulter rutschte, neben mich in den Sand fallen ließ. Sie legte den Strohhut auf ihre Knie und schob die Sonnenbrille in die Haare. »Krieg dich ein, Hund. Das ist doch bloß Jane. Muss ich deswegen schon wieder zum Tierarzt?«

»Wieder?«, fragte ich alarmiert und streichelte Fridas warmen Rücken. Sie wedelte wie eine Verrückte mit dem Schwanz und fiepte verzweifelt. Sie fühlte sich so schön an.

»Stehen Hunde auf deine Stimme? Oder liegt es daran, dass du ebenso klein bist wie sie?«

Ich hätte vermutlich beleidigt sein sollen, aber ich war zu selig. »Was ist mit dem Tierarzt?«

»Sie hat nicht mehr gefressen, obwohl sie kerngesund ist. Vermutlich war sie bloß traurig, weil du gegangen bist. Ist sie allergisch gegen Lavendel? Warum sagt mir das niemand? Hallo übrigens. Leo hat mir verraten, dass du hier unten am Strand bist. Coole kleine Wohnung habt ihr. Ich liebe Santa Monica.«

Ich sah sie fragend an. »Seit wann bist du wieder in L.A.?«

»Seit gestern. Daddy meinte, er sei fertig mit der Arbeit, und die Festival-Freaks waren auch alle weg, also eine gute Zeit, um abzuhauen. Außerdem war er vermutlich misstrauisch wegen der Partys.«

»Oh«, sagte ich. »Ich habe ihm nie erzählt –«

»Schon gut.«

»Aber ich habe wirklich nichts gesagt, ich schwöre.« Dann fiel mir allerdings ein, dass das nicht ganz stimmte. »Kann sein, dass ich Exie was über die Battle of the Bands erzählt habe …« Ich ließ den Kopf hängen.

»Uff.«

»Tut mir leid, aber ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Deshalb habe ich dir die Nachricht geschrieben, und dann noch diese Aktion bei Betty’s …«

Velvets Schultern sackten nach unten. »Das war echt ein Tiefpunkt. Aber noch nicht der allertiefste. Sagen wir so, irgendwann hab ich kapiert, dass ich mit bestimmten Leuten gerade nicht zusammen sein muss. Momentan ist eine komische Zeit für mich. Ich lasse mich treiben und habe keine Ahnung, was ich tun soll.«

So hatte sie noch nie mit mir geredet.

Die Goldarmreifen klimperten, als sie mit dem Arm ausholte. »Du hast keine Vorstellung, wie es ist, im Schatten meiner Eltern zu leben. Die beiden vereinen einfach zu viel Talent unter einem Dach. Was habe ich da zu bieten? Ich habe nämlich keines dieser Talent-Gene geerbt – wie unfair ist das eigentlich? Ich bin in nichts gut.«

»Das stimmt nicht. Es macht Spaß, mit dir zusammen zu sein, und alle mögen dich. Du planst richtig gute Partys.«

»Ich bin gut im Umgang mit Menschen?«

»Ich glaube, es ist mehr als das. Es ist eine Fähigkeit. Du hast ein Auge, wie man was plant, und du kannst gut mit Leuten reden. Alle mögen dich.« Das klang irgendwie komisch.

»Nicht alle. Meine persönliche Assistentin ist einfach ohne Vorwarnung abgehauen …«

»Tut mir leid. Ich habe echt ein schlechtes Gewissen deswegen.« Ich rieb Frida den Bauch und sie drehte sich in meinem Schoß um und streckte hechelnd alle viere in die Luft. »Es ist schwer zu erklären, aber mir geht es gerade ähnlich wie dir. Außerdem war mit Fen und Eddie plötzlich alles so kompliziert.«

Ihre Augen wurden schmal. »Ja, kann ich nachvollziehen. Eddie macht sich gerade ziemlich zum Affen am See, nur zur Info.«

Ich seufzte. »Er braucht Hilfe. Das habe ich Fen schon gesagt, bevor ich gegangen bin.«

»Ja. Fen …« Sie zog die Nase kraus.

»Was ist mit Fen?« Atmen. Keine Panik. Einfach den Hund streicheln. Ganz ruhig bleiben.

»Auf der Fahrt hierher hab ich kurz im Plattenladen reingeschaut. Er hat sich nach dir erkundigt.«

»Und?«

Sie schüttelte den Kopf. »Er ist einfach ziemlich durch den Wind ohne dich. Leidet. Mehr nicht.«

Mutlosigkeit überkam mich. Ich war auch durcheinander ohne ihn. Und es tat weh zu wissen, dass es ihm nicht gut ging.

»Alles okay?«, fragte sie. »Ich hätte dir das nicht erzählen sollen. Es geht mich nichts an, warum ihr euch getrennt habt. Auch wenn Eddie behauptet, es wäre, weil du noch was von ihm willst.«

»Das muss Eddie sich vermutlich einbilden«, sagte ich.

»Er ist total am Boden. Er tut zwar, als würde er es auf die leichte Schulter nehmen, aber er hat echt zu kämpfen.«

Das überraschte mich. Die ganze Unterhaltung überraschte mich.

Sie drehte sich zu mir. »Hey. Komm doch mit mir nach Spanien. Ich fahre in ungefähr zwei Wochen. Bloß ich und meine Freundinnen Angela und Hayden. Sei wieder meine persönliche Assistentin. Du kannst dich um Frida kümmern und dir dabei Barcelona anschauen.«

»Spanien?«

»Ich werde vermutlich ein paar Monate dort bleiben, danach geht es vielleicht nach Griechenland. Wer weiß. Angela kann wegen ihrer Medikamente nicht feiern und Hayden ist seit ihrer Magenoperation clean. Nur damit du Bescheid weißt. Es wird nicht wie am See. Nur gute Vibes und wieder Boden unter den Füßen bekommen. Du könntest dich einfach bloß um meine Kleider und den Hund kümmern. Genau wie im Sommer.«

Ich schaute sie einigermaßen sprachlos an. »Warum willst du mich dabeihaben?«

»Weil …« Sie fuhr mit den Fingern durch den Sand. »Wie du schon gesagt hast, wir machen beide eine Art Krise durch. Und schließlich sind wir doch so was wie Schwestern, oder?«

Mein Puls ging schneller. Sie warf immer leichtfertig mit Variationen dieses Wortes um sich – manita –, aber so hatte sie es noch nie formuliert. »Sind wir das?«

Nach einem kurzen Moment machte sie einen Rückzieher. »Na ja, auf jeden Fall im Geiste. Komm mit mir nach Spanien! Sieh nur, wie sehr Frida dich braucht. Ich komme nicht mal mehr mit diesem Hund klar. Sie ist todunglücklich ohne dich und sie hasst mich. Letzte Nacht hat sie mich tatsächlich gebissen, kannst du dir das vorstellen?«

Ich drückte Frida an meine Brust und spürte ihre Wärme. Sie fühlte sich so gut an und sie hatte mir so gefehlt. Velvets Angebot kam unerwartet. Eine Wahnsinnsgelegenheit für mich, die Welt zu sehen – falls sie es wirklich ernst meinte. Es war eine unerwartete Chance, meinem Leben hier zu entfliehen. Ein bisschen Freiheit zu haben und mich vielleicht auf andere Art zu finden als an der Uni.

Eine Möglichkeit, aber nicht die richtige für mich.

Denn wenn ich es mir vorstellte, sah ich nur, wie ich Velvet und ihren Freundinnen in Spanien hinterherrannte. Selbst ohne Drogen würde es vermutlich genau wie am See laufen, bloß in einem anderen Land.

»Tut mir leid«, erklärte ich Velvet. »Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du mich fragst. Und es ist echt voll nett, dass du deswegen extra hergekommen bist – und damit ich Frida sehen kann. Aber ich kann nicht mitkommen. Es ist wirklich verlockend, und ich liebe Frida über alles, aber ich muss gerade was Anderes machen.«

Sie sah mich an, als sei sie überrascht, und nickte dann. »Ich glaube, ich verstehe das. Du willst alles, was am See passiert ist, hinter dir lassen, richtig? Du willst deine Gehirnverletzung überwinden und abhaken. Musstest du deshalb gehen? Weil Fen dich ständig daran erinnert hat, dass du ins Wehr gefallen bist?«

»Nein, eigentlich nicht.« Ich wollte meine Gehirnverletzung nicht vergessen. Oder das Stauwehr. Und Fen wollte ich schon gar nicht vergessen. Ich wusste nicht mal, ob ich es überhaupt konnte.

Mit Frida im Arm schaute ich Velvet an, plötzlich kam mir ein Gedanke.

»Ich habe so eine Art Plan für die Zukunft. Kann ich dir erzählen, was ich vorhabe?«, fragte ich sie. »Vielleicht hast du eine Idee, wie es funktionieren könnte. Ich habe versucht, mit meinem Vater darüber zu reden, aber irgendwie komme ich nicht weiter. Ich brauche deine Hilfe. Geh es wie eine Party an, auch wenn es mein Leben ist. Setz deine magischen Planungsfähigkeiten ein.«

Sie lehnte sich im Sand zurück. »Schieß los, manita. Zwei Köpfe sind besser als einer.«

Zum ersten Mal seit ich sie kannte, hatte ich das Gefühl, dass wir auf Augenhöhe waren.

Vielleicht nicht wie Schwestern, aber wie Freundinnen.

Und eine Freundin konnte ich gerade wirklich brauchen.