»Nicht auf den Flügel!«, brüllte ich.
»Fennec«, warnte meine Mutter. »Warum bist du aggressiv?«
Ich holte tief Luft. Der Umzugshelfer stellte die Kiste auf den Boden. »Ich bin frustriert, nicht aggressiv. Deshalb benutze ich meine innere Brüllstimme, nicht mein äußerliches Gebrüll.«
»Wollte nur sichergehen, mein Lieber.« Sie zog die Plastikfolie von einem gerade gelieferten Sessel. »Ich wünschte, sie hätten alle Möbel auf einmal gebracht.«
Das wünschte ich mir auch. Es war ein einziges Chaos. Die Umzugshelfer hätten ihre Arbeit eigentlich schon gestern erledigen sollen, aber es gab eine Änderung und jetzt rannten sie in die Möbellieferanten, die in zwei unterschiedlichen Teams kamen. Es sollte doch nur alles perfekt sein, war das zu viel verlangt?
Ich schaute auf meinem Handy nach, ob es was Neues von Jane gab. Noch nichts.
»Wo sind die Jalousien?«, fragte Mama.
»Morgen.«
»Ihr könnt nicht in einer Wohnung ohne Sichtschutz schlafen«, erklärte sie.
Mein Vater kam aus dem Schlafzimmer. »Es ist bloß eine Nacht. Lasst das Licht aus oder hängt mit Reißzwecken ein Laken davor«, sagte er schroff.
»Und ruiniert damit die Fensterrahmen?«, fragte Mama entsetzt.
Mein Vater hielt bloß die Hände hoch.
»Klebt Zeitung auf die Scheiben, wie sie es in den alten Filmen machen«, schlug Ani vor.
»Genau«, stimmte Ari zu und hüpfte auf dem neuen Sessel auf und ab. »Dann sieht es aus, als würde hier oben ein Drogenkartell hausen. Würde es noch lustiger machen, hier zu übernachten.«
»Keine Übernachtungen«, erklärte ich.
»In die Kammer da passt ein Gästebett rein.« Ani deutete hinter sich. »Falls ihr eines haben wollt. Zum Beispiel, wenn Eddie von Grandma und Grandpa Sarafian nach Hause kommt?«
Um nichts in der Welt. Eddie und ich kamen miteinander aus, aber so gut auch wieder nicht. »Die Kammer wird ein Arbeitszimmer. Von nun an bleibt jeder bei sich zu Hause. Krieg ich dafür bitte ein Amen?«
Mein Vater gab wieder ein unwirsches Seufzen von sich.
»Hey, warte mal …« Ari legte den Kopf schief, streckte sich über den Sessel und spähte in die Türöffnung des Schlafzimmers. »Wusstest du, dass man von eurem Schlafzimmer in den Plattenladen schauen kann?«
Ja, das wusste ich nur allzu gut. Jemand klopfte an die angelehnte Wohnungstür. »Hal-lo? Wir bringen frohe Kunde.«
Ein blau-grün gefärbter Kopf erschien in der Tür, gefolgt von Starlas Körper. Sie lächelte beim Hereinkommen und trug eine Kiste mit Tupperdosen. Exie folgte mit einer weiteren Kiste, und mit einem Mal erfüllte der Duft von Rosmarin und Minze das Zimmer.
»Was ist das alles?«, fragte Mama, während mein Vater Exie die Kiste abnahm und auf den Küchentresen wuchtete.
»Bloß ein bisschen was zu essen für die nächsten Tage«, sagte Exie. »Vor allem Picknicksachen, die man nicht warm zu machen braucht. Habe auch Pappteller und Servietten dazugepackt, falls ihr keine dahabt.«
»Und selbst gemachte Käsecracker, die so was von lecker sind … Für die würdest du sogar deine Mutter verkaufen«, feixte Starla. Als sie die hochgezogenen Augenbrauen meiner Mutter mitbekam, verbesserte sie sich. »Natürlich nicht wirklich.«
»Vielen Dank«, sagte ich zu Exie. »Das ist echt zu viel.«
Sie winkte ab. »Alles gut. Wollte bloß nicht, dass ihr irgendwelches Junkfood esst. Whoa – schau dir mal das an, Starla. Echt nette Aussicht, oder?«
Starla lief schon auf die Wohnzimmerfenster zu, um nach draußen auf den in der Nachmittagssonne glitzernden See zu schauen. Wenn man genau hinsah, konnte man von hier aus die Villa erkennen – einigermaßen – und Moonbeams Haus. Und nachts sah man die Lichter vom Strip.
Es war wirklich eine Traumwohnung.
Die Umzugsleute aus L.A. waren fertig. Ich unterschrieb die Formulare, während sich Starla und Exie mit meiner Familie unterhielten. Und als die Umzugsleute ihre Sackkarren rausschleiften, verdunkelte ein Schatten den Eingang.
Mad Dog und sein roter Bart kamen herein. Einen Moment lang wirkte er verloren, vielleicht lag es aber auch an der Sonnenbrille, die er standhaft aufbehielt.
»Hallo«, sagte ich. »Sir.«
Er nickte. »Das ist also die Wohnung. Da war ich wohl schneller als Leo und Jane.«
Janes Vater fuhr den Mercedes von Mad Dog von Los Angeles zum See, Jane folgte ihm in ihrem neuen Auto – neu für sie. Es war eine alte Klapperkiste, die Leo als Überraschung für sie aufgemöbelt hatte, weil sie ihr Jahr am Community College beendet hatte. Außerdem würde sie es hier am See brauchen, nicht nur diesen Sommer, sondern auch im Herbst, wenn sie an die Uni ein Stück weiter den Freeway hoch wechselte.
»Hey, großer Hund«, rief mein Vater aus dem Wohnzimmer. »Und wie findest du sie?«
»Klein, aber brauchbar«, erklärte der Producer. Dann fragte er in meine Richtung: »Willst du hier drin filmen?«
»Meine Videos? Ja. Im Apartment unter uns wohnt dieses Jahr niemand. Die Besitzer sind in Afrika, insoweit muss ich mir keine Gedanken über Lärm und so machen.«
»Bloß ein bisschen eng«, stellte Mad Dog mit Ingenieursblick fest.
»Genauso groß wie die Grotto Cabin«, sagte Exie.
Mad Dog stöhnte. »Da werde ich mich diesen Sommer erst aufhalten, wenn wir die Grotte drei-, viermal hintereinander ausgeräuchert haben. Habt ihr hier schon desinfiziert?«
Redete er etwa mit mir? Was zum Teufel wusste ich schon über Schädlingsbekämpfung? Oder irgendwas. Ich hatte gerade blind irgendwelche Umzugsformulare unterschrieben, ohne mich darum zu kümmern, ob sie korrekt waren. Mann, ich hatte keine Ahnung, wie man erwachsen war. Ich war davon ausgegangen, dass im Apartment bei Aunt Zabel zu wohnen mich auf ein Leben einfacher Unabhängigkeit vorbereitet hätte, aber vielleicht hatte ich mir da was vorgelogen.
Momentan handelte ich einfach aus dem Bauch heraus und hoffte, dass ich irgendwas richtig machte.
Meine Eltern diskutierten mit Mad Dog über Desinfektion, eine Diskussion, die irgendwann zu Velvet abschweifte, die auf der Rückreise von Europa war und den Sommer am See verbringen würde. Ich schaute in der Zwischenzeit noch mal auf mein Telefon. Nichts. Allmählich lagen meine Nerven blank und ich verstand nur allzu gut Mad Dogs Kritik an der Wohnungsgröße. Mit den ganzen Leuten? Ja, da war die Wohnung ziemlich klein. Es war definitiv kein Party-Apartment. Oder schick wie das Lodge. Oder gemütlich wie die Villa. Oder groß wie meine Scheune.
Aber die Wohnung hatte etwas, was keine der anderen Behausungen hatte.
Und sie kam gerade mit einem kleinen Hund an der Leine durch die Wohnungstür.
Jane.
Schuhe mit Leoparden-Muster. Kleine Baiser-Locke.
Das Mädchen meiner Träume war nun ein realer Mensch, der eingewilligt hatte, mit mir hier einzuziehen.
Als sich unser Blick begegnete, wusste mein Bauch etwas, das mein rationales Gehirn nicht verstand. Mein Kopf fühlte sich an, als wache er zum ersten Mal auf, und meine Brust surrte vor Bienen. Es war, als würde mein ganzer Körper ein Lied singen, das er auswendig konnte.
»Wir haben es geschafft«, sagte sie mit einem Lächeln, das ich in der Brust fühlte.
»Das sehe ich«, murmelte ich.
Vielleicht hatte der Gott der Musik ein Herz für sentimentale Gefühlsmenschen und Unterdrückte, bestimmt. Aber ich würde noch eine Gruppe hinzufügen.
Menschen, die sich nicht kleinkriegen ließen.
Denn das waren Jane und ich. Nicht Retter und Gerettete. Sondern Menschen, die sich nicht kleinkriegen ließen.
Wir hatten uns durch das gekämpft, was am Wehr passiert war, und hatten Geister und unsere chaotischen Familien überstanden. Wir hatten die Trennung überstanden. Und wenn alles, was wir die letzten Jahre durchgemacht hatten, bedeutete, dass wir jetzt zusammen sein konnten, dann war es das wert.
Versteht mich nicht falsch. Liebe ist schrecklich. Quälend. Verwirrend. Schmerzhaft.
Aber ich würde meine Geister gegen nichts in der Welt eintauschen.