Track [3] »Summer Girl« | HAIM

Jane

Nachdem Eddies Flieger abgehoben hatte, verließen Dad und ich den Flughafen. Zwischen uns herrschte eine angespannte Stille. Es fiel mir schwer, glücklich zu sein, wenn er so griesgrämig war, aber als uns die Sonne hinter einem Straßenschild zuzwinkerte, gab ich mein Bestes, um seine schlechte Laune auszublenden. Ich hielt die Hand vor die Augen und lächelte, als ich las:

CONDOR LAKE, 2 MEILEN

GAS – FOOD – LODGING

Endlich! Alles war genau so, wie ich es vor zwei Sommern verlassen hatte. Die Berge. Die Riesenmammutbäume. Die felsige Landschaft vor der Stadt. Nichts hatte sich geändert. Außer mir. Tschüs, ungeschickte Jane, Tochter des Chauffeurs, die in den Stausee gestürzt war. Hallo, Jane, zukünftige Verlobte des Erben eines kalifornischen Konzertimperiums. Okay. Vielleicht nicht gleich Verlobte. Aber mit Eddie zusammenzuziehen – in unsere eigene Wohnung? Der Gedanke brachte mich total durcheinander.

Sollte mein Vater doch auf dem Fahrersitz herumschmollen, mir würde er die Laune nicht vermiesen.

»So … Das war also der berühmte Eddie Sarafian«, bemerkte er, eine Hand auf dem Lenker, als wir uns auf dem Freeway unserer Abfahrt näherten.

Ich seufzte tief. »Spuck es aus, Dad. Ich weiß, dass du etwas sagen willst.«

Er schmollte stumm weiter, eine Kiefer lang, zwei Kiefern lang, drei … Dann konnte er nicht mehr an sich halten. »Er ist so was von eingebildet, Küken. Und zu alt für dich«, brummte er und legte den Kopf mit der wirren goldenen Lockenmähne schief, um mich über den Rand seiner dunklen Brille zu mustern.

»Er ist zwanzig. Ich bin achtzehn.«

»Aber es hat ihn überrascht, dass Mad Dog mich mit dem Mercedes quer durch den Bundesstaat fahren lässt?«

Ich stöhnte auf, als sich meine schwelende Verlegenheit erhob wie ein Zombie in einem Horrorfilm. »Das war ein Witz. Sein Sinn für Humor ist nicht besonders ausgeprägt.«

»Das kannst du laut sagen. Ich habe diese Karre eigenhändig aufgemöbelt, verdammt noch mal, und ich arbeite seit einundzwanzig Jahren für Mad Dog – da war wie-hieß-er-gleich noch nicht mal auf der Welt.«

»Eddie.«

Er machte eine ausladende Handbewegung, ohne die Augen von der Straße zu nehmen. »Außerdem ist er unhöflich. Warum hat er mich als ›der Chauffeur‹ bezeichnet? Er sollte mich mit Mr Marlow ansprechen. Was stimmt nicht mit diesen Typen von heute? Reiche Scheißkerle ohne Manieren …«

Er würde das nicht auf sich beruhen lassen. Mein Vater war ein alter Surf-Punk – dass im Auto gerade die angejahrte Punkband Agent Orange lief, war seine Wahl – und Golfkrieg-Veteran, er stemmte Gewichte, war sehr fürsorglich und mochte es, wenn Leute pünktlich waren. Er hatte ein verblasstes Pin-up-Tattoo meiner Mutter mit Engelsflügeln auf dem Unterarm, und auf der Innenseite seines Handgelenks wand sich eine dünne Schriftrolle mit meinem Namen.

»Eddie ist zu allen so locker, nicht nur zu dir. Ich glaube, er war nervös, weil wir ihn überrumpelt haben. Was er auf den Philippinen macht, ist eine große Nummer. Es ist das erste Mal, dass ihm sein Vater einen so wichtigen Deal anvertraut. Und er war noch nie so weit weg von … von …« Argh.

Mein Vater warf mir einen Blick zu. »Von zu Hause.«

»Von zu Hause«, wiederholte ich frustriert und streichelte Frida.

Er drehte die Musik leiser und ich sang den Refrain mit, bis ich ruhiger war. Musik schaffte es, die Wörterfresserin zu hypnotisieren. Es hatte mit dem Rhythmus zu tun. Mein Hirn sehnte sich danach.

»Küken?«, sagte mein Vater sanft. »Ich muss ihn nicht mögen. Du hast gerade deinen Schulabschluss gemacht, du bist achtzehn – damit bist du erwachsen. Es ist dein Leben. Deine Entscheidung. Wenn du willst, dass ich mich einmische, oder wenn du meinen Rat haben oder nach Hause gefahren werden möchtest – sag Bescheid. Okay?«

Ich nickte. »Okay.« Man konnte immer darauf zählen, nach Hause gebracht zu werden. Das war Leo Marlows Grundsatz. Egal, was man veranstaltet hatte, in welchem Schlamassel man steckte, man rief ihn an. Er würde einen abholen und nach Hause fahren, ohne Fragen zu stellen. »Danke.«

»Ich werde mich bemühen, meine Meinung für mich zu behalten. Aber ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand meinem Kind wehtut. Das ist die rote Linie. Abgemacht?«

»Hier tut niemand irgendjemandem weh. Er hat sich nicht mal getraut, mich vor deinen Augen zu küssen. Sei zufrieden.«

Mein Vater wirkte nicht zufrieden. Vermutlich besser, dass ich das mit dem Zusammenziehen nicht angesprochen hatte. Sollte er Eddie erst mal kennenlernen, wenn er wieder zurück war. In der Zwischenzeit hatte ich am See genug zu tun. Dazu gehörte das schmale braune Bündel auf meinem Schoß. Als Frida die kleinen Vorderbeine streckte, um aus dem Fenster die vorbeiziehende Landschaft zu beobachten, drückte ich ihr einen Doppelkuss hinter eins ihrer spitzen Ohren.

»Endspurt«, sagte Dad, als er an der großen Tankstelle vom Freeway abbog. »Bereit?«

War ich bereit? Ich atmete tief durch und betrachtete mit Frida im Arm die vertrauten Wahrzeichen. Mit einer Mischung aus Aufregung und Angst sah ich zu, wie die Nachmittagssonne Flecken auf das Wandbild der Tankstelle warf: Es zeigte eine Sammlung der Superstars, die seit den 1990ern auf dem Condor Musikfestival gespielt haben: alle von Prince, der sein eigenes Plattenlabel besaß, bis Nirvana, die auf dem Festival gespielt hatten, als sie noch bei Sub Pop unter Vertrag standen, und später dann als Headliner, kurz vor Kurts tragischem Ende.

Das Festival war bekannt dafür, die neuesten Trends zu präsentieren. Nicht nur während des Festivals, sondern das ganze Jahr über, überall in der Stadt. Am See konnte man immer auf Live-Musik zählen. Leute aus dem Musikbusiness besaßen Häuser hier oder machten Urlaub in der Gegend, damit sie sich die Nachwuchsbands anschauen konnten, die in den Clubs und Bars entlang der historischen Hauptstraße spielten, die als »Strip« bekannt ist. Die Stadt hatte sich den Ruf erworben, ein Paradies für Musikliebhaber in der Sierra Nevada zu sein.

Aber Condor Lake war nicht immer eine Musikoase gewesen. Im neunzehnten Jahrhundert war dieser kleine Weiler im kalifornischen Nirgendwo eine Goldgräberstadt. Es ließ sich noch immer an den Gebäude- und Straßennamen der Außenbezirke erkennen, zum Beispiel Mother Lode Antiques, nach der Goldader, die sich quer durch die Sierra Nevada zog, oder Eureka Lane, die an den »Heureka – ich habs!«-Moment erinnerte.

Doch es war nicht nur Goldrauschland, sondern auch wildes Land. Sprich, Berge und Wälder. Ein Teil des Sees grenzte an einen State Park mit einigen der größten Bäume der Welt, den Riesenmammutbäumen.

Dad und ich waren gerade an einem vorbeigefahren, einem der letzten kitschigen ›Tunnelbäume‹ Kaliforniens. In den 1920ern war ein Blitz in diesen Mammutbaum eingeschlagen. Doch statt ihn zu fällen, hatten die Ortsansässigen ihn zu einer Touristenattraktion gemacht, indem sie einen Tunnel in den Baum schlugen, durch den ein ganzes Auto passte. Heutzutage durften man allerdings nicht mehr durchfahren, aber man konnte halten und zu Fuß hindurchlaufen.

»Wir müssen unser alljährliches Foto machen«, stellte Dad fest. Wir lassen uns immer zusammen unter dem Tunnelbaum fotografieren. Dad druckt es dann aus und steckt es in den Rahmen zu den anderen Fotos, die wir gemacht haben, seit ich sechs war. Es ist unser Ding. Nur letztes Jahr mussten wir aussetzen.

Mir blieb keine Zeit, mir darüber allzu viele Gedanken zu machen, denn nach dem Tunnelbaum bog Dad auf den Strip ein. Zwischen hohen Kiefern öffnete die Stadt ihre Arme.

Condor Lake.

Grünblaues Wasser umgeben von schneebedeckten Bergen. Backsteingebäude aus der Pionierzeit säumten die trubelige Innenstadt – eine Mischung aus Bars und skurrilen Clubs (immer mit Live-Musik) und familienfreundlichem See-Tourismus (Kanuverleih, Tausende von Eisständen, ein Fahrgeschäft, das nach dem kalifornischen Condor benannt war). Die Straßen waren zu eng und einen Parkplatz zu finden stellte eine Herausforderung dar. Die Touristen fuhren mit der Bonanza, einer Straßenbahn, die den Strip hoch- und runterbimmelte. Doch das war mir gerade alles egal. Meine Augen suchten nach dem pfeilförmigen Schild, das mein Herz höherschlagen ließ:

CONDOR PARK UND AMPHITHEATER

HIER FINDET DAS WELTBERÜHMTE
CONDOR MUSIKFESTIVAL STATT

EINE PRODUKTION VON SARAFIAN EVENTS

Yep, da war es. Dad und ich waren totale Musiknerds. Wenn man in einem Umfeld wie meinem aufgewachsen war, konnte man Musik nicht hassen. Außerdem liebte ich Festivals. Coachella war unten in der Nähe von Los Angeles, und über uns in Nevada gab es Burning Man, aber das war etwas völlig anderes. Condor fand ein Wochenende lang in einem Wald am See statt, mit Zelten und Lichterketten. In den kleinen Veranstaltungsorten auf dem Strip spielten überall Bands, die noch keinen Vertrag hatten, die größeren gaben tagsüber Open-Air-Konzerte.

Condor war magisch.

Jedenfalls sprach man in den Festivalforen dieses Jahr ausschließlich über etwas, das so neu war, dass es noch keinen Namen hatte. Es wurde nur der Sound genannt. West Coast Indie, Post-Post-Punk. Er brach einfach über die Szene herein und plötzlich gab es ungefähr zehn Bands, dann ein Dutzend. Danach, wer weiß. Es war voll meine Musik und ich schaute mir online Clips an und träumte davon, wieder am See zu sein.

Ja, ich hatte eine Liste von Bands im Kopf, die ich diesen Sommer sehen wollte. Vielleicht würde ich sogar ein paar Bandmitglieder kennenlernen. Durch Eddie natürlich. Manchmal begegnete ich Bands in Mad Dogs Studio in Bel Air, aber es war garantiert anders, wenn ich sie als Eddies Freundin traf und nicht als Hausangestellte. Bestimmt, oder?

Von der Straße aus erkannte man im Vorbeifahren nicht viel vom Festivalgelände, dafür sahen wir etwas, das ich lieber nicht gesehen hätte. Den Blue Snake River. Betty’s on the Pier.

Und den Condor-Stausee. Meinen Erzfeind.

Dad deutete darauf, als wir über die Autobrücke hinter dem Wehr fuhren, und meinte nüchtern: »Da ist er.«

UFFF. Ich verdrehte mir den Hals, um hinter den Sitz zu schauen, als der Mercedes über die Brücke rumpelte. »Da gibt es jetzt ein Tor?« Mein Vater war letzten Sommer hier gewesen, als ich zu Hause in L.A. geblieben bin.

Dad räusperte sich. »Nach Einbruch der Dunkelheit wird es abgeschlossen. Das ist eine gute Sache, Baby. Jetzt kann niemand mehr ins Wasser fallen. Positive Veränderung. Dieses Geländer ist gefährlich bei Nacht.«

Meine Kehle schnürte sich zusammen. Jetzt war ich also das Mädchen, das die Stadt veranlasst hatte, nachts das Wehr abzuschließen? Die Jugendlichen hier hassten mich bestimmt. Jane, das Sommermädchen, das die Party versaut hatte – für immer. Argh.

Mein Vater wollte nie Einzelheiten über diesen Abend wissen. Er hat nicht gefragt. Ich habe nichts erzählt. Ich versteckte mich hinter der Ausrede, dass ich mich nach meinem Sturz an kaum etwas erinnern konnte, und Dad versteckte sich hinter seiner Angst. Warum war ich auf einer Party am Stauwehr gewesen? Wer hatte mich dorthin mitgenommen? Mit wem war ich zusammen gewesen? Wie war ich reingefallen? Wer hatte mich rausgezogen? Diese Fragen waren für ihn nicht so wichtig wie die Frage: Wird meine Tochter wieder sprechen können? Das war am Anfang seine Priorität gewesen. Sobald ich zu reden begann, konzentrierte er sich auf meine Sprachtherapie. Als Eddie und ich anfingen zu chatten – und uns ab und zu in L.A. trafen –, redeten wir auch nicht weiter darüber. Bis heute.

Eddie wollte unsere Beziehung geheim halten. Kein Drama, nur wir beide. In L.A. war das in Ordnung, aber den Sommer über konnte ich das hier am See nicht durchziehen. Hoffentlich war er nicht sauer auf mich, dass ich mit meinem Vater aufgekreuzt war und unsere kleine Zweisamkeits-Bubble hatte platzen lassen.

Es würde so schon hart genug für mich werden, zum ersten Mal nach meinem Sturz an den See zurückzukehren. Ich brauchte Eddie als Teil meiner Gegenwart. Ich hatte mich verändert und war erwachsen geworden. Er durfte kein Geheimnis sein. Keine verschwommene Erinnerung an eine schreckliche Nacht, die mich in meinen Albträumen verfolgte.

Ich wollte diese Nacht loslassen. Zumindest versuchte ich es.

»Hey«, warnte mich mein Vater vorsichtig, als wir vom Damm wegfuhren. »Lass dich vom Anblick dieses verdammten Stauwehrs nicht runterziehen. Wir sind Marlows. Und was tun wir?«

»Wir stellen uns wieder aufs Board«, zitierte ich, obwohl ich in Wahrheit nicht mal auf ein Surfboard raufkäme, wenn man mir Geld dafür gäbe. Mein Vater hatte versucht, es mir beizubringen. Aber Sport und ich waren nicht kompatibel.

»Genau«, erklärte er mir. »Als du im Krankenhaus Probleme mit dem Sprechen hattest, sagten die Ärzte, dass es vielleicht irreversibel sei. Ich sagte, Von wegen. Sie braucht bloß Zeit. Das wird wieder. Und schau dich jetzt an? Schulabschluss. Zurück am See. Und Velvets persönliche Assistentin.«

Er hatte recht. Letzteres war allerdings nicht besonders beeindruckend. Ja, ich würde diesen Sommer die persönliche Assistentin einer reichen Musikproduzententochter sein. Doch im Haus der Larsens bedeutete »PA« Einkäufe zu erledigen, Anrufe zu beantworten, Termine zu buchen und Rezepte abzuholen. Mein Dad war auch eine Art PA von Mad Dog. Allerdings hatte Mad Dog zusätzlich eine professionelle Assistentin, die sich zu Hause im Bel-Air-Studio um Musikbusiness-Angelegenheiten kümmerte: Denise. Sie war um die fünfzig, ehemalige Chefin einer Plattenfirma und weigerte sich, nach Nordkalifornien zu fahren. Aber sie verdiente gutes Geld. Mein Vater hingegen bekam nicht viel mehr als ich, die Mindestlohnsklavin. Mad Dog war geizig.

»Hey, PA macht sich auf deinem Lebenslauf jedenfalls besser als Hundesitterin … Shit«, brummte Dad bei einem Blick auf sein Handy. »Das ist jetzt Mad Dog, er fragt, wo wir bleiben.«

Dad gab Gas. So viel zu einer entspannten Tour durch die Stadt. Bis zur Lodge waren es noch ungefähr zehn Minuten. Und mit Lodge meine ich kein Ferienhaus, sondern ein weitläufiges luxuriöses Anwesen aus den 1920ern auf der Nordseite des Sees, weit weg vom Strip und dem Festivalgelände. Weit weg von allem, meilenweit keine Nachbarn. Das Anwesen war von irgendeinem reichen Eisenbahnmagnaten aus San Francisco erbaut worden, der Tiger und Prostituierte in separaten Bungalows hielt. Es besaß einen privaten Bootssteg, einen Pool sowie eine Mehrfachgarage in einem separaten Gebäude, das Kutschenhaus genannt wurde – dort wohnten wir Hausangestellten. Als wir die hufeisenförmige Auffahrt hochfuhren und vor dem Eingang hielten, ragte die Lodge überlebensgroß vor uns auf. Einen Moment lang vergaß ich das Stauwehr – und Eddie.

»Warum parken wir nicht im Kutschenhaus und gehen durch die Küche?«, fragte ich. Wir nahmen immer die Hintertür. Niemals den Eingang des Haupthauses. Nie.

»Mad Dog kommt runter. Er möchte, dass ich ihn in die Stadt fahre.«

»Jetzt?«, beschwerte ich mich. »Auf dem Rücksitz liegen noch Gepäck und Eis.«

»Beeil dich, Küken. Bring Frida zu Velvet und erkundige dich, ob sie deine Hilfe braucht. Ich werde alles ausladen. Sag Kamal und Norma, sie sollen beim Reintragen helfen. Vergiss aber nicht, ihnen Bescheid zu sagen, dass hier draußen zwanzig Kilo tauendes Eis warten, okay?«

Puh. Dreißig Sekunden in der Lodge und schon waren wir wieder am Arbeiten. Ich befestigte die Leine an Fridas Halsband und nahm Handtasche und Crossbody-Bag. Dann zerrte mich Frida über die Auffahrt zu den Leuten, die vor der offenen Haustür zwischen zwei Säulen mit riesigen Condor-Skulpturen standen und diskutierten.

»Ich warte noch auf die erste Küchenlieferung«, hörte ich eine unzufriedene Stimme sagen. Als ich über die Schwelle trat, entdeckte ich eine vertraute Gestalt mit Leinenschürze und einem gelben Tuch um den Kopf. »Wie soll ich da eine Party auf die Beine stellen?«

»Keine Party-Party«, beruhigte sie jemand, der ein paar Jahre älter war als ich. »Bloß Cocktails und ein einfaches Abendessen. Kleine Gerichte. Es sind nur vier Leute zusätzlich. Und Daddy. Und Rosa. Und ich. Und vermutlich Starla und Leo, weil ich die Assistenten auch einladen soll. Und sieh an – da kommt ja auch schon meine höchstpersönliche Assistentin! Whoa. Hast du dir die Haare für die Abschlussfeier abgeschnitten? Gefällt mir.«

Wirklich? Wenn meine Haare Velvet Larsen gefielen, fühlte ich mich schon viel besser damit, sie abgeschnitten zu haben.

»Jane wird auch dabei sein – schlichtes Sommerkleid. Irgendwas Ärmelloses mit Sandalen wird gut zu deiner neuen Frisur passen. Vielleicht hab ich da was Kleines, das ich dir leihen kann«, erklärte mir Velvet lächelnd. Sie stand mit bloßen braunen Füßen und wallendem Maxikleid in der gefliesten Eingangshalle. Als sie die Hand nach Frida ausstreckte, klimperten Dutzende von Goldarmreifen. »Komm, mija

Frida tänzelte zu Velvet und stellte sich auf die Hinterbeine, um sie zu begrüßen. »Gib Hunde-Küsschen, schmatz, schmatz, schmatz!« Beide Parteien verloren schnell das Interesse aneinander. Für Frida gab es zu viele andere Gerüche zu schnüffeln, zum Beispiel das kunstvolle Blumenarrangement, das größer war als ich. Frida kläffte es an, um sich zu vergewissern, dass es kein verkleideter Feind war.

Ich stand unter einem schweren rustikalen Kronleuchter, links und rechts von mir führten Treppen nach oben. Durch ein Fenster sah man den Pool auf der Rückseite. »Was hat es mit der Cocktailparty auf sich?«

»Sie wird nicht stattfinden«, erklärte Exie. »Das hat sie auf sich.«

»Tut mir leid, aber ich habe schon alle eingeladen«, sagte Velvet ungerührt. »Keine Shrimps übrigens.«

»Wen denn?«, fragte ich.

»Bloß ein kleines romantisches Kennenlernen.« Sie zwinkerte mir zu. Ich wusste nie, was ihr Zwinkern bedeutete. Es war verwirrend. Vor allem, weil ich keine Ahnung hatte, dass sie mit jemandem zusammen war. Waren schon andere aus L.A. da? In der Nebensaison lebten nur Einheimische in Condor Lake. Das bedeutete nicht, dass es nicht ausreichend interessante Singles in Velvet Larsens Umfeld gab, aber normalerweise datete sie Studienabbrecher von der UCLA-Kunstakademie, Söhne von Hollywood-Schauspielern, den jungen Neffen eines vermögenden lateinamerikanischen narcotraficante – ganz normale Leute also.

»Jetzt sind es also schon zehn Leute?«, hakte Exie genervt nach. »Morgen Abend? Weiß Mad Dog Bescheid?«

»Er weiß … dass ein paar Leute kommen.« Das klang ziemlich vage. Sie führte weiter aus. »Als ich ihn gefragt habe, meinte er ›Mach es so, Nummer eins‹«, sagte Velvet mit verstellter Stimme, die sich irgendwo zwischen dem starken dänischen Akzent ihres Vaters und Patrick Stewart bewegte.

Exie stieß leise einen ordinären Fluch aus. Mad Dog war ein massiger tätowierter Metal-Wikinger, aber er hatte ein Faible für Star Trek und Science-Fiction-Filme alter Schule. Das hörte sich definitiv nach ihm an.

»Es ist doch etwas Nettes«, argumentierte Velvet und holte weit aus. »Du wirst schon sehen. Es ist eine Überraschung, die allen gefallen wird.«

Velvet war die Jüngste von Mad Dogs Brut, seine einzige Tochter mit seiner momentanen Frau, Rosa Garcia, einer ehemaligen preisgekrönten Dichterin. Velvet war diesen Sommer das einzige Larsen-Kind in der Lodge. Sie strotzte vor Energie und im Großen und Ganzen war sie lustig, allerdings auch eine Prinzessin; die Familie ihrer Mutter in Mexiko war ebenfalls reich. Ihre manchmal unrealistischen Erwartungen bereiteten den Hausangestellten Kopfschmerzen.

Wie jetzt gerade. Partys waren einfach zu planen, aber nicht mal eben so mit einem Armreifklimpern umzusetzen.

Aber wir kriegten es hin. Die Hauptverantwortliche bei Partys war Exie. Sie war eine achtunddreißigjährige Schwarze aus Baldwin Hills, die ein paar Jahre vor Dad und mir als Köchin bei Mad Dogs Crew angefangen hatte. Ich würde sie nicht als Mutterfigur bezeichnen, weil sie das hassen würde, aber als ich in die Pubertät kam, hat sie mehr Aufklärungsarbeit geleistet als Dad. Inoffiziell war sie die zweite Chefin für das Hauspersonal – offiziell die dritte, nach dem Security-Chef.

Ich mochte es nicht, wenn es Spannungen zwischen ihnen gab. Und heute brauchte ich es schon gar nicht.

»Was kann … ich tun?«, fragte ich Exie, nach Wörtern suchend, während ich gleichzeitig Frida zu bändigen versuchte. »Helfen? Argh.« Ich hob die Hand, um ihr zu bedeuten, dass ich gerade Wortfindungsschwierigkeiten hatte.

Die Sache bei Gehirnverletzungen ist, dass einen jeder anders behandelt. Dad war überfürsorglich. Eddie wurde ungeduldig – das sah ich ihm an. Exie behandelte mich einfach wie zuvor. Sie half mir nicht, wenn mir Wörter nicht einfielen. Sie ignorierte es und machte weiter.

Ihr Lachen war trocken. »Keine Ahnung, wobei du helfen könntest, Baby. Du stehst nicht mehr unter meiner Befehlsgewalt. Unter Normas auch nicht. Frag deine neue Chefin hier. Schließlich bist du auch bei der Party dabei.«

Velvet lächelte. »Genau! Aber erst mal brauch ich mein Spezialshampoo, das habe ich nämlich vergessen. Du müsstest also irgendwohin fahren und mir vor Donnerstagabend eine Flasche besorgen, Jane. Ich bezweifle, dass es hier zu bekommen ist. Vielleicht in Fresno. Oder irgendwo in der Bay Area?«

»Velvet Larsen«, brummte Exie so laut, dass ihre Stimme durch den Raum hallte. »Hier fährt niemand stundenlang wegen einer Flasche Shampoo spazieren. Deine kaputten Spitzen werden es überleben, wenn sie nicht denselben Scheiß kriegen, der in Bel Air verkauft wird. Jane ist deine PA, nicht deine Babysitterin, die du herumschikanieren kannst. Hast du verstanden?«

Velvet zog eine Schnute. »Meinetwegen. Aber wehe, die kleinen Gerichte sind nicht lecker am Donnerstagabend. Ich möchte Sonnenschein auf einem Teller oder ich gehe.«

»Oh. Dann geh doch, alles klar.« Exie ließ ihr Küchenhandtuch durch die Luft schnalzen und Velvet flüchtete lachend die Treppe hinauf. Von einem Moment auf den anderen war alles wieder gut zwischen ihnen. Meine Schultern sackten nach unten und ich fühlte mich leichter. Krise abgewendet.

»Hierher, Assistentin«, rief Velvet neckend über das Geländer. »Hilf mir beim Auspacken und lass uns diesen wunderschönen Tag genießen. Daddy fährt in die Stadt. Der See gehört uns.«

Von einem Moment auf den anderen kam sie zurück zu mir, die berauschende Freude dieses Ortes. Hier konnte ich eine andere sein. Vielleicht sogar eine Prinzessin wie Velvet …

Nachdem ich zwanzig Kilo tauendes Eis hereingeschleppt hatte.