In diesem Kapitel bekommst du die Möglichkeit, durch Übungen und Tests dein Wissen zu sichern, damit du leichter vom Kopf ins Herz beziehungsweise vom Wissen ins Fühlen und schließlich ins Handeln und in die Umsetzung kommen kannst. Zusätzlich findest du hier alle FüLi-Strategien auf einen Blick.
Blättere gern noch einmal zurück zur Grafik auf Seite 17 in Kapitel 1. Darin wird deutlich, dass sich alle sechs Strategien gegenseitig bedingen und dass die Grundlage für deine FüLi-Erziehung deine klare und liebevolle innere Haltung ist. Die innere Haltung steht deswegen im Zentrum der FüLi-Erziehung.
Da es im Alltag mit Kindern in sehr vielen Situationen möglich ist, Kindern Freiraum in einem vorgegebenen Rahmen zu schenken und darüber ihr Autonomiebedürfnis ernst zu nehmen, nimmt die Strategie Freiraum in einem vorgegebenen Rahmen schenken besonders viel Raum in unserer FüLi-Grafik ein.
In den wenigsten Situationen braucht es die fürsorglichen Machtstrategien der Schützenden Gewalt und der Stellvertretenden Kraft. Die Schützende Gewalt ist im Lauf der Entwicklung eines Kindes noch seltener nötig als die Stellvertretende Kraft, und je reifer Kinder werden, desto weniger kommen diese zum Einsatz, bis sie schließlich ganz wegfallen. Der Schutzschild hingegen wird im Verhältnis etwas häufiger benötigt, um Kinder liebevoll zu führen. Die Hierarchie in der Familie bleibt zwar bestehen, verändert sich aber, wenn Kinder Entwicklungsschritte machen und reifer werden.
Die 6 Elemente der FüLi-Erziehung auf einen Blick
1. Innere Haltung
Du hast ein klares Bewusstsein über deine eigenen Kindheitserfahrungen.
Du führst dich selbst liebevoll, indem du deine unerfüllten Bedürfnisse aus dem Hier und Jetzt erkennst und verantwortungsvoll stillst.
Du bist dir klar darüber, warum du ein bestimmtes Erziehungsverhalten zeigst.
2. Schutzschild
Du wahrst durch dein Handeln deine eigenen Grenzen.
Du wahrst durch dein Handeln die Grenzen deines Kindes.
Du erfüllst dir selbst und deinem Kind das Bedürfnis nach emotionaler Gesundheit, Grenzen und Schutz.
3. Schützende Gewalt
Du schützt durch dein Verhalten dein Kind vor lebensbedrohlichen Gefahren.
Du schenkst deinem Kind während und insbesondere nach der schützenden Gewalt Empathie.
Du handelst klar, selbstsicher, überzeugend und bestimmt.
4. Stellvertretende Kraft
Du sorgst durch dein körperliches Eingreifen für die kindliche Bedürfniserfüllung, wenn dein Kind die Konsequenzen seines Handelns noch nicht absehen kann.
Du hilfst deinem Kind zunächst durch Empathie, in die Kooperation zu kommen, und setzt deine körperliche Kraft erst ein, wenn deinem Kind die Kooperation nicht möglich ist.
Du bleibst während der Stellvertretenden Kraft in der empathischen Haltung und setzt sie so wenig wie möglich ein.
5. Hierarchie
Du gehst in die Führungsrolle und beachtest, dass jedes Familienmitglied seinen Platz bekommt, der ihm Halt und Orientierung schenkt.
Du verzichtest auf viele Fragen und schenkst deinem Kind dadurch Orientierung.
Dein Kind ist gleichwürdig und gleichwertig, allerdings nicht gleichberechtigt.
6. Freiraum
Du schenkst deinem Kind Freiraum in einem vorgegebenen Rahmen.
Du nimmst dein Kind mit seiner Meinung und seinem Autonomiebestreben ernst.
Du bist bereit, mit deinem Kind gemeinsam nach friedvollen Lösungen zu suchen.
»Meine innere Haltung ist klar und voller Liebe
und Empathie für mich, mein Kind und für andere Menschen!«
Die folgenden Übungen helfen dir dabei, deine innere Klarheit beim liebevollen Führen in drei Schritten zu finden, wie wir es in Kapitel 2 ausführlich beschrieben haben.
Übung 1: Deinen größten Denkfehler erkennen und umwandeln
In Kapitel 2 findest du eine Vielzahl an Glaubenssätzen, die vielleicht mehr oder weniger auf dich zutreffen. Vielleicht konntest du auch einen belastenden Glaubenssatz finden, der dich besonders beeinträchtigt. Schreibe diesen Glaubenssatz auf einen Zettel und verbrenne ihn.
Notiere nach diesem Ritual deinen neuen positiven Satz zum Fliegen und speichere ihn gedanklich in deinem Herzen. Du kannst dir den neuen Satz auch groß aufschreiben und an einem Platz aufhängen, an welchem du oft daran erinnert wirst.
Mein neuer Satz zum Fliegen:
Ideen: Ich bin wertvoll! Ich bin geliebt! Ich reiche aus! Ich darf Fehler machen! Ich bin wichtig! Ich bin beschützt etc.
Zusätzlich ist es wichtig, dir bewusst zu machen, welche Bedürfnisse in deiner Kindheit unerfüllt geblieben sind und welche Bedürfnisse jetzt noch zusätzlich durch deine Elternschaft zu kurz kommen. Diese Erkenntnis ermöglicht dir, dich im Alltag selbst liebevoll zu führen und Strategien zu erarbeiten, um deinem Kind mit einer klaren Haltung begegnen zu können. Das bedeutet immer wieder, den inneren Schweinehund zu überwinden und beispielsweise auf die Yogamatte zu gehen, anstatt sich vor den Fernseher zu setzen. Das bedeutet auch, sich aus der Opferrolle zu befreien und immer wieder neu gut für sich zu sorgen, und das heißt auch, sich aus der Komfortzone zu bewegen und mutig neue Wege zu gehen, indem du zum Beispiel anfängst, klar für dich einzustehen, anstatt es wieder mal jedem recht zu machen. Deine innere Haltung verändert sich nämlich nur durch deine Handlungen, und gegen alte Muster zu handeln, ist und bleibt eine Herausforderung. Gern sprechen wir hier auch von Wachstumsschmerz, der entsteht, wenn alte Muster überwunden werden.
Übung 2: Dein stärkstes unerfülltes Bedürfnis stillen
Notiere das Bedürfnis, das derzeit bei dir am meisten Aufmerksamkeit benötigt, und schreibe auf, mit welchen drei Strategien (siehe Downloadmaterial) du dich um die Bedürfniserfüllung kümmern möchtest:
Tipp: Wenn dir das noch nicht klar ist, blättere gern auf Seite 49 in Kapitel 2 und lass dich inspirieren:
Mein unerfülltes Bedürfnis:
Meine 3 Strategien:
1
2
3
Aus deiner konsequenten Bedürfniserfüllung heraus bist du schließlich auch in der Lage, deine innere Haltung weiterzuentwickeln und zu festigen und völlig klare Erziehungsziele festzulegen, die den Bedürfnissen deines Kindes und deinen Werten entsprechen. Diese neue Haltung ist voller Liebe und Empathie für dich selbst, dein Kind und für andere Menschen.
Da dich deine alten Muster trotz deiner inneren Klarheit immer wieder einholen werden – da geht es uns nicht anders –, heißt das immer wieder neu, in deine innere Klarheit zurückzufinden und dir folgende Fragen zu stellen, wenn du unsicher bist, ob deine liebevolle Führung gerade nötig ist.
Erfülle ich mir selbst die Bedürfnisse nach Fürsorge, Schutz und Sicherheit?
Erfülle ich bei meinem Kind die Bedürfnisse nach Fürsorge, Schutz und Sicherheit und sehe ich es gleichzeitig mit seinen anderen Bedürfnissen?
Erfülle ich für die Familie/Gemeinschaft die Bedürfnisse nach Fürsorge, Schutz und Sicherheit?
Begegne ich meinem Kind während der Führung mit liebevollen Gedanken?
Übung 3: Deine innere Klarheit fühlen und beibehalten
Denke an eine immer wiederkehrende Konfliktsituation mit deinem Kind, in welcher du in Zukunft die liebevolle Führung übernehmen möchtest. Stelle dir die oben stehenden vier Fragen und fühle nach, wie du diese jeweils mit einem klaren JA beantworten kannst. Notiere drei Gefühle, die diese klare innere Haltung in dir auslösen:
1
2
3
Ideen: sicher, entspannt, klar, ruhig,
Kreuze an, welche der vorgeschlagenen Mantren dir Kraft geben könnten:
□ Ich handle für dich!
□ Ich tue das Richtige!
□ Ich bin für dich da!
□ Ich helfe dir!
□ Ich gebe dir Halt!
□ Ich stehe hinter meinem Handeln!
□ Ich schaffe das!
Erlaube dir den Weg zu deiner inneren Klarheit als Prozess zu sehen und verzeihe dir kleine Rückschritte. Anstatt dich zu verurteilen, wenn du mal nicht in der Liebe und Empathie bleiben konntest, versuche schnell wieder, in deine neue innere Klarheit zurückzufinden.
Wenn du beispielsweise ungeduldig mit deinem Kind warst, finde nach diesem kurzen Bindungsbruch schnell wieder zurück in deine innere Klarheit voller Liebe und zeige deinem Kind dadurch, dass du da bist, indem du es beispielsweise in den Arm nimmst oder dein Verhalten bedauerst.
Vielleicht hilft es dir, ein Bild von dir selbst in deiner inneren Klarheit zu visualisieren, voller Liebe für dich selbst, dein Kind und für andere Menschen.
Du kannst dir beispielsweise vorstellen, dass dein Herz zwei Türen hat, die du öffnen kannst. Diese Türen kannst du in deiner Vorstellung für Kinder öffnen, und es kommt helles und warmes Licht heraus. Wenn ich mich gerade in einem Konflikt mit einem Kind befinde, hilft mir das, um schnell wieder in meine innere Klarheit zurückzufinden und Empathie zu schenken. In dieser Haltung gelingt es mir, Kinder mit ihren Gefühlen wertfrei anzunehmen und ihre Gefühle bei unerfüllten Bedürfnissen sowie Gefühle bei erfüllten Bedürfnissen wertfrei stehen zu lassen. Weder die eigenen Gefühle noch die Gefühle des Kindes werden dabei kleingeredet oder relativiert. Sie dürfen da sein, und unangenehme Gefühle werden nicht dramatisiert, weil sie okay sind und ausgehalten werden können.
Übung 4: Deine innere Klarheit visualisieren
Finde ein Bild von dir selbst, wie du aussiehst, wenn du in deiner inneren Klarheit voller Liebe und Empathie bist. Die folgenden Fragen helfen dir, um dieses Bild für dich zu finden.
Welche Körperhaltung hast du?
(Beispiel: aufrecht, offene Arme, entspannte Schultern, fester Stand)
Welche Mimik hast du?
(Beispiel: weicher Blick, Lächeln, entspannte Gesichtszüge)
Welche Farben/Bilder möchtest du visualisieren, um deine innere Haltung zu stärken?