19 – ovccinuppelohkái

Auf dem Hof brummte der Lynx leise. Von dem Geräusch und vom Abgasgeruch kribbelte es in Elsas Körper. Es waren zwar nur acht Grad unter null, aber im Gegenwind würde es auf der Fahrt noch kälter werden. Anna-Stina saß bereits auf dem Schlitten, den Lasse hinter den Schneescooter gehängt hatte. Er alberte wie immer herum und brachte Mama zum Lächeln. Elsa schlüpfte in die Lederfäustlinge, und Mama verknotete die Lederbänder an der Mütze zu einer hübschen Schleife unter ihrem Kinn. Der Fuchspelz streichelte ihr Wangen, Stirn und Kinn. Der Schneemobiloverall wurde langsam zu klein, und die Hosenbeine waren ihr über die Knöchel hochgerutscht.

»Aber Makki, das ist doch der Sinn der Sache!«

Lasse war der Einzige, der sie Makki nannte, doch er gab auch allen anderen Spitznamen, um die niemand gebeten hatte.

Elsa saß dicht neben Anna-Stina, sie waren klein genug, um die Beine lang ausstrecken zu können. Es kribbelte schon in Elsas Bauch, und sie suchte nach festem Halt am Rentierleder. Man durfte sich nicht an der Kante des Schlittens festhalten, weil für die Finger die Gefahr bestand, dass sie gegen eine scharfe Schneewehe stießen.

Lasse fuhr aufs Eis, aber nicht auf die Scooterstraße zum Gehege. Er drückte auf den Gashebel, sodass Elsa und Anna-Stina nach hinten rutschten und laut kicherten. Das Schneemobil bretterte über das Eis und drehte lange Runden am Strand, wo in den Sommermonaten die Plastikboote vertäut lagen.

Lasse schaute in regelmäßigen Abständen nach hinten, um sich zu vergewissern, dass sie beide noch im Schlitten saßen. Anna-Stina winkte, drängte ihn, schneller zu fahren, weil sie das sicher aushielten. Und er beschleunigte, sodass der Schnee unter ihnen wegspritzte. Er wählte auf der anderen Seite des Sees eine der schmaleren Schneemobilspuren in den Wald. Dort war so starkes Beschleunigen nicht mehr möglich, und man musste sich mit erhobenen Armen vor den peitschenden Birkenzweigen schützen. Elsa schloss sicherheitshalber auch die Augen. Der Schlitten holperte, und sie rutschten kichernd umher. Bald kam der nächste See, und er gab wieder Gas.

Als wieder dichte Waldstücke auftauchten, hörten sie das Geräusch eines weiteren Motorschlittens, der sich näherte. Elsa drehte ihren Kopf und sah Mattias. Sie erkannte ihn an der Art, wie er im Stehen fuhr, mit gerade ausgestreckten Armen und manchmal mit einem Knie auf dem Sitz, wenn er sich bei voller Fahrt in eine Kurve legte oder nicht im Tiefschnee stecken bleiben wollte. Anna-Stina riss die Augen weit auf und

Anna-Stina und Elsa versuchten, sich an den Händen zu halten, aber mit steifen Lederhandschuhen war das schwierig. Elsa beschloss, sich trotzdem am Rahmen des Schlittens festzuklammern, schließlich gab es auf dem Eis keine Schneewehen. Anna-Stina tat das Gleiche, und sie hielten die Luft an. Die Motoren der Schneemobile brüllten über den See, während sie Seite an Seite dahinjagten. Bald waren sie am Ende des Sees, und keiner von beiden machte Anstalten, vom Gas zu gehen, um den anderen gewinnen zu lassen. Elsa wollte, dass Mattias der Sieger wurde, sie wollte ihn glücklich sehen. Er gewann tatsächlich und riss eine Faust in die Luft, bevor er mit leichterer Hand auf dem Gashebel weiter zwischen die Fichten und Birken fuhr.

Lasse folgte ihm, ein wenig zu schnell. Er steuerte in den Pulverschnee und legte sich in der Kurve nach rechts, um das Fahrzeug zu zwingen vorwärtszukommen, ohne stecken zu bleiben. Das gelang ihm, und er war nun vor Mattias. Die nächste offene Fläche war ein Kahlschlag, der unter der Schneedecke seine Wunden leckte. Hier gab es ein paar Schneemobilspuren; sie fuhren normalerweise nicht so weit weg, wenn sie Anna-Stina und Elsa dabeihatten. Hier kannten die Mädchen keine Plätze mehr, die sie sonst auswendig wussten, und sie blickten sich um, versuchten, mentale Karten vom neuen Gelände zu erstellen. Elsa bekam einen Schlag auf die Wange, von einem Birkenzweig. Sie heulte auf und hielt sich den kalten Lederhandschuh ins Gesicht.

Auf der Fahrt über das abgeholzte Gelände holperte es heftig und Mattias raste schneller davon, als Lasse es konnte, der den Schlitten an seinem Schneescooter hängen hatte. Die Eingeweide schienen im Körper herumzuspringen und ihr Rücken

Jetzt war der Spaß vorbei, jetzt suchten sie nach den Rentieren. Sie überquerten die Grenze des Kahlschlags und fuhren wieder in den Wald. Mattias voraus und sie hinterher. Dann blieben beide Motorschlitten stehen, aber im Leerlauf. Lasse drehte sich schnell zu ihnen um und forderte sie auf, sitzen zu bleiben. Seine Stimme war so streng, dass Elsa und Anna-Stina es nicht einmal wagten, sich gegenseitig anzuschauen.

Lasse versank im Schnee, als er auf Mattias zustapfte, der bereits bis zu den Knien im Schnee steckte. Elsa rutschte vorsichtig zur Seite, an die Kante des Schlittens, und sie sah Rentiergeweih. Und der Schnee war nicht weiß. Rote Flecken waren über den Schnee verteilt, hatten Löcher gemacht und waren versunken. Anna-Stina stemmte sich langsam auf ihrer Seite hoch.

»Eingeweide«, flüsterte sie. »Guck!«

Elsa klammerte sich fest an den Schlitten und setzte sich kerzengerade auf. Anna-Stina stupste sie mit dem Ellbogen an.

»Guck doch!«

Elsa schüttelte den Kopf und schloss die Augen fest. Anna-Stina kniete sich hin, um über die Schneemobile hinwegzugucken.

»Da ist überall Blut.«

Elsa hielt sich die Ohren zu.

Anna-Stina hörte nicht auf ihn, stattdessen stand sie auf und schaute. Ihre Wangen, die eben noch so rot gewesen waren, schienen zu verblassen.

Mattias und Lasse sprachen leise, aber aufgeregt miteinander. Mattias holte sein Handy heraus, und Lasse machte ein paar zaghafte Schritte in den Schnee, wo er gerade hielt. Er hob etwas auf, das wie Hufe aussah. Er stapfte zurück zum Motorschlitten, schaltete ihn aus und stieß Anna-Stina an, die sich weigerte, sich hinzusetzen. Auch Mattias stellte seinen Schneescooter ab. Es herrschte völlige Stille, als ob auch der Wald den Atem anhielt.

Mattias stiefelte herum und machte mit seinem Mobiltelefon Fotos. Nicht ein einziges Mal schaute er zu den Mädchen.

Lasses Handy klingelte, und das Zwitschersignal brach die Stille.

»Mindestens zwei geschlachtete Rentiere.« Er spuckte seinen Snus aus. »Nein. Keine Köpfe mehr, alles weg, außer den Eingeweiden, Geweihen und Hufen.«

Lasse schaute schnell hinüber zu Elsa, die seinem Blick standhielt. Er hatte es eilig, startete den Motorschlitten erneut und murmelte etwas ins Handy.

»Ihr müsst nach Hause. Setz dich hin, Anna-Stina! Du bleibst hier, Mattias, sie sind unterwegs.«

Lasse versuchte zurückzusetzen, konnte aber in dem dichten Wald nicht wenden, sondern musste in den Schnee neben der Spur, um den Schlachtplatz zu umrunden. Der Kreis wurde schief, und Elsa betrachtete das vergossene Blut, das auf dem Schnee zu Eis gefroren war. Die Eingeweide sahen steif aus, nicht glänzend und weich wie zu Hause im Spülbecken, wenn Mama sie auswusch, um sie mit Rentierblut zu füllen und zu Blutwurst zu verarbeiten. Die Geweihe waren das Schlimmste, weil sie sozusagen gekappt worden waren und ein Teil des

Anna-Stinas Wangen hatten wieder Farbe bekommen, und sie hörte sich wie eine Wichtigtuerin an.

»Ich habe dir ja gesagt, dass sie die Rentiere aufschlitzen. Wie damals, als sie das Kalb mitgenommen haben.«

Lasse fuhr langsam über den Kahlschlag, über den zweiten See, durch die Waldstücke und auf ihren See. Dort kamen ihnen Papa und Ante entgegen. Papa hörte aufmerksam zu, als Lasse ihnen den Ort beschrieb und die Richtung zeigte, und sie suchte seinen Blick, aber vergeblich. Er schaute nur Lasse an, bevor er das Visier seines Helms nach unten klappte und über den See davonraste. Die beiden Motorschlitten verschwanden schnell aus dem Blickfeld, aber ihr Geräusch war noch lange zu hören.