A m Dienstagmorgen klingelte um Punkt sieben mein Telefon, aber da hatte ich schon über eine Stunde die Tageszeitungen gelesen.
»Harrison, mein Freund, wie geht es Ihnen? Der Nahostakzent des Scheichs hatte einen leichten Südstaatenbeiklang, da er sein Englisch vorwiegend aus alten Hollywoodfilmen und durch das Praktikum an einer Flugschule der US Air Force in Alabama gelernt hatte.
»Mir geht’s gut, Eure Hoheit«, sagte ich. »Danke.«
»Schön. Dann erzählen Sie mir mal, was los ist. Ich habe nur eine wirre Nachricht von Oliver Chadwick erhalten, dass zwei meiner Pferde bei einem Brand umgekommen seien.«
»Richtig, Sir«, erwiderte ich.
Ich teilte ihm die bisher bekannten Fakten mit und auch, dass dem Brand ein Mensch zum Opfer gefallen war neben den Pferden, die nicht gerettet werden konnten, leider auch nicht Prince of Troy.
Es war kurz still am anderen Ende, vielleicht wegen der Entfernung, die die Worte zurückzulegen hatten.
»So ein edles Tier«, sagte der Scheich. »Noch vorige Woche war ich in England und habe mir seinen Sieg im 2000 Guineas angeschaut.« Wieder schwieg er, oder hörte ich ein Seufzen? »Ich hatte gehofft, er würde sich als Grundstein meiner neuen Zucht erweisen. Nun werde ich wohl weitersuchen müssen.«
»Es tut mir leid«, sagte ich.
»Danke. Wer ist die Person, die gestorben ist?«, fragte der Scheich.
»Noch nicht identifiziert, soviel ich weiß.«
»Ein Stallangestellter?«
»Nein, Sir. Die sind vollzählig. Ryan Chadwick meint, es könnte ein Obdachloser gewesen sein, der einen warmen Schlafplatz suchte. Am Sonntagabend war es hier klar, aber kalt.«
»Richten Sie Oliver und Ryan Chadwick bitte mein Beileid aus. Wissen Sie, was den Brand ausgelöst hat?«
»Nein«, sagte ich. »Das Problem bei Stallungen ist, dass es da so viel Entzündliches gibt. Ryan nutzt geschredderte Zeitungen als Einstreu für seine Pferde. Eine achtlos weggeworfene Zigarette oder ein Streichholz, und schon geht das Ganze in Flammen auf. Die Polizei ermittelt noch.«
»Versuchen Sie, die Ursache zu erfahren.«
»Wie lange soll ich bleiben? Wirklich gebraucht werde ich hier meines Erachtens nicht. Die Presse bekommt alle nötigen Informationen von der Polizei. Für Sie besteht kein Grund zur Sorge.«
»Aber ich bin besorgt«, erwiderte der Scheich in einem milde zurechtweisenden Tonfall. »Zwei meiner besten Pferde sind tot, und ich weiß nicht, wieso.«
»Natürlich, Sir«, sagte ich entschuldigend. »Ich wollte nur klarstellen, dass in der Presse nichts über Sie oder andere Besitzer verlautet. Ich habe nachgesehen. In den Zeitungen von heute steht nichts, weswegen Sie um Ihren Ruf besorgt sein müssten.«
»Das ist gut.«
»Ja, aber eine Frage hätte ich«, gab ich zurück. »Ich habe eine Unterhaltung mitangehört, in der es hieß, Sie hätten vor, Ryan Chadwick Ihre Pferde wegzunehmen.«
Er lachte.
»Und da fragen mich die Leute, wieso ich Simpson Whites Wucherhonorare zahle. Diese Information ist streng vertraulich.«
»Ja«, sagte ich noch einmal. »Aber trifft sie zu?«
Sein Lachen erstarb.
»Sie trifft teilweise zu. Mit zwei Pferden möchte ich von Ryan zu Declan Chadwick wechseln.«
»Welche zwei?«, fragte ich.
»Zwei Stuten, die ich gekauft habe.«
»Darf ich fragen, warum Sie wechseln möchten?«
Diesmal zögerte er eindeutig.
»Ich lasse mir ungern sagen, was ich tun soll.« Er sprach den Satz langsam und deutlich aus.
Ich wartete still. Wenn er mir mehr sagen wollte, würde er das tun.
Er wollte.
»Oliver Chadwick sagte mir, ich müsse die beiden Stuten kaufen, um seinen Stall zu retten. Er habe sich übernommen. Zu viele Schulden, und die Bank drohe, ihm sein Haus wegzunehmen.«
»Da haben Sie ihm unter die Arme gegriffen und die Pferde gekauft?«
»Ja«, sagte der Scheich.
»Aber jetzt möchten Sie sie verlegen?«
»Ich habe die Pferde nur gekauft, weil mein Vollblutagent mir versichert hat, sie lohnten die Anschaffung.«
»Bill Vandufful?«
»Kennen Sie ihn?«
»Nein«, sagte ich. »Oliver Chadwick hat mir aber erzählt, dass dieser Mr Vandufful bei der letztjährigen Auktion für ihn gesteigert hat.«
»Er hat auch Prince of Troy als Jährling für mich gekauft. Das Potenzial erkannt, ohne erst ein Vermögen auszugeben.«
Was hatte Oliver am Abend zuvor noch gesagt? Scheich Karim wollte gute Hengste, aber nicht um jeden Preis. Bis zu einer halben Million durften wir gehen.
Mich wunderte ein wenig, dass sich der Scheich Gedanken über den Kaufpreis eines jahrgangsbesten Rennpferdes machte. Wenn man den Reichenlisten der Zeitschriften glauben konnte, war er allein etliche Milliarden wert, ganz zu schweigen vom Wohlstand seines Landes, über den er persönlich wachte. Ich dachte, auf das Siegen komme es an. Vielleicht lag ich falsch.
»Dass der Landesherr maßhält, ist wichtig für mein Volk«, sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Wir müssen uns auf den Tag vorbereiten, an dem das Öl versiegt.«
»Aber warum wechseln Sie mit den Stuten zu Declan? Warum nicht zu einem Stall, der keine Verbindung zur Familie Chadwick hat?«
»Vandufful sagte mir, dass Oliver Castleton House Stables dem falschen Sohn vermacht hat und Declan sich mit der Zeit als der bessere Trainer erweisen wird.«
»Wollen Sie also auch mit Ihren anderen Pferden zu Declan gehen?«, fragte ich.
»Die können von mir aus bei Ryan bleiben«, erwiderte er, was sich für mich aber so anhörte, als würden künftige Erwerbungen vielleicht gleich zu Declan geschickt.
»Wissen Sie, dass zwischen Ryan und Declan böses Blut herrscht?«
»Böses Blut zwischen Brüdern ist für mich nichts Neues. In meiner Weltgegend ist das sehr verbreitet.«
»Aber dass Sie die Pferde vom einen zum anderen verlegen, hat ihre gegenseitige Feindseligkeit verstärkt.«
»Ein altes arabisches Sprichwort besagt, dass man manchmal ein Kamel mit dem Stock schlagen muss, um zu sehen, ob noch Leben in ihm steckt.« In seiner Stimme schwang Belustigung, als wüsste er genau, was er getan hatte. Das Ganze war ein Spiel.
»Ich hoffe nur, Ihr Kamel hat sich nicht in einen feuerspeienden Drachen verwandelt«, sagte ich.
Mit seiner Belustigung war es schlagartig vorbei.
»Ist das Ihr Ernst?«, fragte der Scheich. »Wollen Sie damit sagen, das Feuer wurde vorsätzlich gelegt?«
»Nein«, antwortete ich. »Aber ich weiß es nicht. Wir werden das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen abwarten müssen.«
Wieder war es kurz still.
»Ich möchte, dass Sie in Newmarket bleiben«, sagte der Scheich. »Ich brauche Sie als meine Augen und Ohren. Hören Sie sich um, und finden Sie heraus, wie meine Pferde gestorben sind.«
Jetzt klang ein wenig Verzweiflung aus seiner Stimme, als befürchtete er plötzlich, sein Spielchen könnte die Katastrophe herbeigeführt haben.
»Das wird doch sicher die Polizei tun«, sagte ich.
»Die Polizei Ihres Landes untersteht mir nicht. Sie erstatten mir direkt Bericht. Ich werde das mit Oberst White absprechen.«
»Wie lange soll ich denn hierbleiben?«
»So lange wie nötig.«
Um kurz nach acht ging ich vom Hotel aus die Bury Road entlang und betrat durchs Obertor den neuen Hof. Anders als der alte war er nicht um einen zentralen Platz herum angelegt, sondern bestand aus drei parallel ausgerichteten Stallscheunen amerikanischen Stils und einer vierten, die im rechten Winkel zu den drei anderen am weitesten vom Haus entfernt lag. Hinter den Ställen befanden sich eine automatische Führanlage und auf der anderen Seite einer umzäunten Koppel ein großes überdachtes Trainingsoval. Das Wohnheim fürs Stallpersonal schloss nicht weit vom Kreuzstall eine Ecke der Koppel ab.
Ich betrat den nächstgelegenen Stall.
Zwischen zwei großen offenen Schiebetüren verlief über die ganze Länge ein breiter Betongang. Es gab insgesamt vierundzwanzig Boxen, zwölf auf jeder Seite, sechs oben, sechs unten, mit Sattelkammer, Einstreu- und Futterlager in der Mitte dazwischen.
Und überall hingen große RAUCHEN -VERBOTEN -Schilder, die in fetter schwarzer Schrift jedem, der beim Zuwiderhandeln ertappt wurde, mit sofortiger Entlassung drohten.
Ich hatte ringsum rege Aktivität erwartet, doch es standen zwar viele Pferde in den Boxen, aber der einzige Mensch, den ich erblickte, war ein kleiner älterer Mann, der mit einem steifen Besen den Betongang fegte.
»Wo sind denn alle?«, fragte ich.
»Warren Hill«, erwiderte er, ohne mit dem Fegen aufzuhören. »Das zweite Lot ist vor einer halben Stunde raus. Das erste war heute um sechs.«
»Auf dem Trainingsgelände?«, fragte ich, da mir nicht ganz klar war, wovon er redete.
»Ja«, antwortete er. »Oben auf dem Warren Hill Polytrack. Werden bald wieder hier sein.« Er hörte auf zu fegen, stützte sich auf den Besen und musterte mich. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Harry Foster«, sagte ich. »Ich bin hier, um Mr Chadwick nach dem Brand zu helfen.«
»Furchtbar, das mit dem Feuer«, meinte er traurig. »Grauenhaft.«
Ich gab ihm die Hand, und seine Haut fühlte sich ganz ledrig und trocken an vom Leben im Freien.
»Fred Piper heiße ich«, sagte mein neu gewonnener Freund. »Bin praktisch schon mein ganzes Leben hier. Der Einzige, der aus der Zeit des alten Mr Chadwick noch übrig ist. Reiten tu ich wohlgemerkt jetzt nicht mehr – Hüften und Knie sind schrottreif.« Er grinste kurz und ließ mehrere Zahnlücken sehen. »Ich halte den Laden nur noch sauber. Geben Sie mir mal die Mistschaufel?«
Ich nahm die an der Wand lehnende Metallschaufel und gab sie ihm. Er lud sein Zusammengefegtes darauf und warf es in eine Schubkarre.
»Nur zum Saubermachen bin ich noch zu gebrauchen.«
Er seufzte schwer, und mir war, als hätte er Tränen in den Augen.
»Mr Chadwick ist sicher sehr froh darüber«, sagte ich.
»Mr Chadwick senior vielleicht«, erwiderte Fred mit unvermuteter Bitterkeit, »der junge Mr Ryan aber nicht. Er will mich Ende des Monats weghaben. Vorige Woche hat er mir gesagt, er könnte es sich nicht leisten, mir weiter Lohn zu zahlen. Dann mach ich’s umsonst, hab ich gesagt. Ohne die Arbeit wäre ich verloren.«
»Wo wohnen Sie?«, fragte ich.
»Im Wohnheim«, antwortete er düster. »Kein Dach mehr überm Kopf, keine Arbeit. Und was Neues gibt mir in meinem Alter doch keiner. Ich kenne ja nichts außer den Castleton House Stables.«
»Wie alt sind Sie?«, fragte ich.
»Neunundfünfzig.«
Er sah viel älter aus.
»Wohin gehen Sie denn?«
»Keine Ahnung«, sagte Fred. »Hatte gehofft, Mr Ryan würde sich’s anders überlegen, aber daraus wird jetzt nichts mehr. Mit sieben Pferden weniger. Erst heute Morgen hat er zwei Jungs entlassen. ›Packt euern Kram und geht‹, hat er ihnen gesagt, als sie heute früh um sechs zur Arbeit kamen. Sauerei. Zu Mr Chadwick seniors Zeiten hatten wir einen Pfleger für je zwei Pferde. Wie Königskinder sind die behandelt worden. Jetzt kommen mindestens vier auf einen Pfleger, wenn nicht fünf. Überall dasselbe.«
»Haben Sie Familie?«, fragte ich.
»Das ist meine Familie«, sagte er und schwenkte die Arme im Kreis. »Die Pferde hier und die, die vor ihnen da waren.«
An diesem Punkt wurde unser Gespräch durch die Ankunft mehrerer anderer Pferde und ihrer Pfleger unterbrochen, vermutlich die, die auf Warren Hill gearbeitet hatten.
Das ging ganz ohne Geplänkel ab. Die Pferde wurden stumm in ihre Boxen geführt und ihrer Sättel entledigt. Nach kurzem Abreiben und kursorischem Bürsten wurde ihnen eine Decke übergeworfen. Dann stapften die Pfleger davon, um ihr nächstes Pferd fürs dritte Lot fertig zu machen, und schauten dabei kaum einmal vom Boden auf.
»Nicht gerade ein munterer Haufen, was?«, meinte ich zu Fred Piper.
»Wie denn auch?«, antwortete er säuerlich. »Die sorgen sich um ihre Jobs. Der Hof hat nichts mehr gewonnen seit Prince of Troys Sieg im Guineas.«
»Das ist doch gerade mal eine Woche her«, sagte ich.
»Eine Woche ist im Rennsport eine Ewigkeit. Zu Mr Chadwick seniors Zeiten wäre das nicht passiert. Am Samstag hatten wir fünf Starter in Lingfield und drei in Ascot, und nicht einer davon kam auch nur auf die vorderen Plätze. Prince of Troy war unsere ganze Hoffnung, und jetzt ist er weg. Alle fragen sich, wer als Nächstes geschasst wird.«
»Wie viele Mitarbeiter sind denn schon weg?«
»Im vergangenen Monat so ein halbes Dutzend.«
»Wo sind die jetzt?«
»Einige sind bei anderen Trainern untergekommen, aber auch viele andere Trainer sparen jetzt Pfleger ein. Immer mehr setzen auf Arbeitsreiter, hauptsächlich Ex-Jockeys, sodass die Pfleger die Pferde nicht mehr reiten und mehr Zeit zum Ausmisten haben. Auf manchen Höfen kommen jetzt sechs oder sieben auf einen einzigen Pfleger. Irrsinn ist das. Wie sollst du die lieb gewinnen, wenn du dich um sieben Stück kümmern musst?«
Er streckte die Hand aus und streichelte den Kopf eines Pferdes, das in einer Box zu meiner Linken stand. Der große Vierbeiner hob und senkte das Haupt, als stimme er ihm zu.
»Den Pflegern heute ist das anscheinend nicht mehr so wichtig wie uns damals.«
Das Vorurteil der Älteren gegenüber den Jüngeren, dachte ich.
Traf es zu?
Vielleicht, aber war das so schlimm? Ein Rennpferd war ein Arbeitstier, gezüchtet und darauf trainiert, schneller als sein Nachbar zu laufen. Es war kein Spielgefährte, der geliebt und gehätschelt werden wollte wie ein Schoßhund.
Ich persönlich hatte nie ein Tier besessen. Mit den Menschen in meinem Leben gab es immer schon Ärger genug, da brauchte ich nicht noch ein Wesen, mit dem man sich auf kein vernünftiges Gespräch einlassen konnte. Ohne dass das jetzt mit meinen nächsten Angehörigen möglich gewesen wäre.
Mein Vater fing Diskussionen immer ganz sachlich an, fiel aber schnell in seine Rolle zurück und brüllte jeden nieder, der nicht seiner Meinung war.
Widersprach ich ihm, worauf es unweigerlich hinauslief, schimpfte er mich einen »dummen Jungen«, aber ohne die Zuneigung und Duldsamkeit Captain Mainwarings gegenüber Private Pike in der Sitcom Dad’s Army .
Meine Mutter war kaum besser. Wenn sie in vierzig Ehejahren mit meinem Vater irgendetwas gelernt hatte, dann, dass sie gut daran tat, ihre Meinung für sich zu behalten und still zu sein. Besonders, wenn sie ein ruhiges Leben haben wollte.
Nur darüber, dass es verhängnisvoll und grundverkehrt von mir war, den sicheren Platz in einer Anwaltskanzlei im ländlichen Totnes zugunsten der hektischen Ungewissheit des Londoner Großstadtdschungels aufzugeben, schienen sie sich einig zu sein.
Ungeachtet der warnenden Worte ASW s bei unserem Erstgespräch verdiente ich jetzt dreimal so viel wie in Totnes und mochte meine Arbeit unendlich lieber, doch das spielte für meine Eltern keine Rolle. Sie sahen nur, dass ich sie wegen der grellen Lichter der bösen Großstadt verlassen hatte.
Und wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich der Totnesser Langeweile vor allem auch deshalb den Rücken gekehrt hatte, um möglichst viele Kilometer zwischen mich und mein Elternhaus zu bringen.
Von London aus zum gemeinsamen Sonntagsessen heimzufahren war schwierig bis unmöglich, und den Bitten meiner Mutter, an Wochenenden nach Hause zu kommen, widersetzte ich mich erfolgreich, wenn es nicht gerade um Weihnachten oder ihren Geburtstag ging.
Aber ich machte mir nichts vor. Als Einzelkind würde ich mich eines Tages um sie kümmern müssen, und das würde ich dann natürlich auch tun. Bis dahin jedoch gedachte ich mich möglichst fernzuhalten und hoffte, wenn Gevatter Tod anklopfte, würde er sie beide kurz und schmerzlos heimholen, bevor sie gebrechlich und inkontinent wurden.
Zumindest hatten meine Eltern ein Kind, das sich an ihrem Lebensabend um sie kümmern konnte. Meine eigenen Aussichten, einmal Vater zu werden, schwanden mit jedem Jahr.
Mit Ende zwanzig, Anfang dreißig hatte ich mehrere Jahre lang eine neurotische Freundin gehabt und mit ihr zusammengewohnt. Die Beziehung war eher beständig als aufregend oder leidenschaftlich gewesen und eines Abends mit einem Knalleffekt zu Ende gegangen, als ich mit ihr ein elegantes Restaurant in Torquay besucht hatte.
Vor ihr kniend hatte ich einen durchaus erschwinglichen Solitär-Diamantring aus der Tasche gezogen und um ihre Hand angehalten, worauf sie mit fester Stimme antwortete: »Das fehlte noch!«
Offenbar hatte sie schon länger vorgehabt, unsere Beziehung zu beenden, da sie sich jemand Ehrgeizigeren als einen Kleinstadtanwalt zum Ehemann wünschte. Sie ahnte nicht, dass gerade ihr Nein an jenem Abend mich dazu getrieben hatte, knapp ein Jahr später zu Simpson White zu gehen.
Und ehrlich gesagt, war ich schon damals eher erleichtert als am Boden zerstört. Heute ist mir klar, dass wir überhaupt nicht zueinanderpassten und ich nur um ihre Hand angehalten hatte, weil ich es naiverweise für den nächsten logischen Schritt hielt.
Hätte ins Auge gehen können, und noch heute lag ich manchmal kalt schwitzend wach und dankte meinen Glückssternen, dass sie mich abgewiesen hatte.
Noch am selben Abend war ich aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und hatte mir geschworen, erst wieder um die Hand einer Frau anzuhalten, wenn ich überzeugt war, keine Sekunde mehr ohne sie leben zu können. Als Folge davon hatte ich seither jedoch nur eine Reihe kurzer Liebschaften gehabt, die meist so schnell endeten, wie sie angefangen hatten, da es mir nur um die perfekte Frau ging.
Hatte ich zu viel gewollt? Lief ich mit siebenunddreißig jetzt Gefahr, gar nicht mehr ins Eherennen reinzukommen? Oder erst, wenn es zu spät war, um eine Familie zu gründen?
Vielleicht stellten sich Liebe und Ehe irgendwann noch ein, vielleicht auch nicht. Darüber machte ich mir längst keine Gedanken mehr, denn ich hatte mich ganz gut ans Alleinleben gewöhnt. Es bot viele Vorteile, nicht zuletzt den, dass ich tun und lassen konnte, was mir passte, wann es mir passte. So bin ich wohl egoistisch geworden, und als meine Mutter davon sprach, wie sehr sie sich Enkel wünschte, bekam ich immerhin Gewissensbisse. Sie hätte sich nicht mit einem Kind begnügen sollen, dachte ich, doch als ich mir dann meine Eltern beim Zeugungsakt vorstellte, hakte ich das Thema schnell wieder ab.
Vielleicht sollte ich dankbar dafür sein, dass es mich überhaupt gab.
Das Klappern von Hufeisen auf dem Betonboden riss mich aus meiner Träumerei, und ich schaute zu, wie das dritte Lot zur Morgenarbeit auf dem Polytrack von Warren Hill hinausritt.
Ich machte mich auf die Suche nach Ryan Chadwick.