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U m zum Haus zu kommen, musste ich wieder auf die Bury Road, da der alte Hof weiterhin von der Polizei abgesperrt war. So konnte ich zwar keinen Blick in die ausgebrannte Hülle des Stallgebäudes werfen, doch auf ein paar Drohnenaufnahmen im Frühstücksfernsehen war zu sehen gewesen, dass man im Inneren ein weißes Viereckszelt aufgeschlagen hatte, dessen Leinwand sich scharf gegen die brandgeschwärzten Mauern abhob.

Ich nahm an, es war über der Fundstelle der Leiche errichtet worden, vom Haus aus gesehen im vorderen Drittel des Gebäudes.

Die Löschzüge vor dem Haupttor waren verschwunden, aber noch immer standen mehrere Fahrzeuge nicht weit entfernt am Straßenrand. An einem weißen Transporter war beiderseits in kleinen schwarzen Lettern TATORTUNTERSUCHUNG zu lesen, und an der offenen Hecktür sah ich zwei Männer in weißen Einwegoveralls, beide mit runtergezogener Kapuze und um den Hals hängendem Mundschutz.

»Was gefunden?«, fragte ich sie im Vorbeigehen.

Sie ignorierten mich völlig, aber so leicht ließ ich mich nicht abfertigen.

»Ich bin Harrison Foster«, sagte ich. »Ich vertrete Scheich Karim. Ihm haben zwei der bei dem Brand umgekommenen Pferde gehört, darunter Prince of Troy.«

Von dem Scheich hatten sie vielleicht noch nie gehört, von Prince of Troy aber schon. Beide wandten sich mir zu.

»Wie können wir Ihnen helfen, Sir?«, fragte der eine in einem Tonfall, der verriet, dass er keineswegs daran dachte, mir wirklich zu helfen.

»Der Scheich möchte wissen, warum seine Pferde gestorben sind«, sagte ich. »Wie kam es zu dem Brand?«

»Das lässt sich noch nicht sagen«, erwiderte der andere Mann. »Wir müssen noch Labortests durchführen.«

»Einen Eindruck haben Sie doch sicher«, sagte ich. »War es ein Unfall?«

»Wollen Sie behaupten, es war keiner?«, fragte der erste Mann.

»Sagen Sie mir das. Sie waren da drin. Haben Sie den Toten schon identifiziert?«

»Diese Information werden Sie zu gegebener Zeit bekommen«, sagte der weniger Hilfsbereite.

»Wer ist Ihr Vorgesetzter?«, fragte ich. »Immer noch Superintendent Bennett?«

Wenn sie überrascht waren, dass ich den Namen kannte, ließen sie es sich nicht anmerken.

»Der leitet den Einsatz, aber unser unmittelbarer Vorgesetzter ist der Tatortermittler.« Der Mann sah mir beim Sprechen über die linke Schulter.

Ich drehte mich um und sah einen dritten weißen Schutzanzugträger durchs Hof‌tor auf uns zukommen.

»Ich bin der zuständige Tatortermittler hier«, sagte er, ohne die blau behandschuhte Hand auszustrecken. »Was wollen Sie?«

»Ich habe mich gefragt, ob die menschlichen Überreste schon identifiziert worden sind«, sagte ich.

»Und wer möchte das wissen?« Sein Tonfall wirkte auf mich eher herablassend als bewusst unhöf‌lich, war aber nah dran.

»Harrison Foster«, wiederholte ich. »Der persönliche Vertreter von Seiner Hoheit, Scheich Ahmed Karim bin Mohamed Al Hamadi, dem Besitzer von zwei hier umgekommenen Pferden, darunter Prince of Troy.« Den vollen Namen des Scheichs hatte ich gewichtshalber verwendet.

Nach dem Blick, den er mir zuwarf, nahm ich an, er würde mir selbst dann nichts sagen, wenn ich der Scheich persönlich gewesen wäre, doch damit lag ich zumindest teilweise falsch.

»Wir müssen die Identität des Opfers erst feststellen«, sagte er. »Die DNA -Analyse steht noch aus.«

»Es war also genug von der Leiche übrig, um eine DNA zu isolieren?«, fragte ich.

»Nehmen wir an. Das ist Sache des Gerichtsmediziners.«

»Und die Pferde?«, fragte ich.

»Was ist damit?«

»Nehmen Sie an denen auch DNA -Tests vor?«

Er sah mich an, als wäre ich verrückt.

»Zum Nachweis, dass es sich wirklich um die angegebenen Pferde handelt«, sagte ich. »Die Tiere waren sehr wertvoll, und einige waren versichert.«

Der »Du spinnst«-Blick blieb, aber der Mann begriff, um was es mir ging.

»Wissen Sie etwas, das ich nicht weiß?«, fragte er.

»Nein«, erwiderte ich. »So arbeitet nur mein Verstand.«

ASW meinte immer, ich würde sogar meiner Großmutter Hintergedanken unterstellen, wenn sie mich zum Tee einlüde. Und recht hatte er.

»Ich behalte im Kopf, was Sie angesprochen haben«, sagte er. »Lassen Sie uns jetzt bitte weiter unsere Arbeit machen.«

»Ich mache auch meine Arbeit«, sagte ich. »Der Scheich erwartet von mir, dass ich herausfinde, wie und warum seine Pferde umgekommen sind.«

»Überlassen Sie das der Polizei«, gab er zurück. »Wir wissen, was wir tun.«

Möglich, dachte ich, aber meiner Erfahrung nach beantwortete die Polizei selten alle auf‌tauchenden Fragen, meist nur die auf ein mögliches Verbrechen bezogenen, und auch die nicht immer. Das hing schlicht von den Prioritäten und den verfügbaren Kräften ab.

»Kann ich da lang zum Haus gehen?«, fragte ich und wies aufs Tor.

»Erst, wenn wir mit unserer Untersuchung fertig sind.«

»Gestern bin ich da auch durch.«

»Mag sein«, sagte er. »Heute nicht.«

Also ging ich die Straße entlang und klingelte an der Haustür.

Maria öffnete mir in einem vorn offen stehenden Morgenmantel, unter dem ein sexy cremefarbener Pyjama mit zwei offenen Kragenknöpfen zu sehen war.

»Ach, Tag, Harry«, sagte sie breit lächelnd mit glasigen Augen. »Oliver ist auf dem Trainingsgelände. Möchten Sie was trinken?«

Ich sah auf meine Uhr. Es war gerade mal zwanzig nach acht.

»Viel zu früh für mich«, sagte ich.

»Quatsch«, sagte sie. »Kommen Sie rein.« Mit großer Geste riss sie die Tür auf.

»Eigentlich suche ich Ryan«, erklärte ich, denn ich war mir keineswegs sicher, ob Maria mich nicht zu mehr als nur einer flüssigen Erfrischung einlud.

»Der ist bei Oliver.«

»Auf Warren Hill?«, fragte ich.

»Keine Ahnung. Auf irgendeinem Trainingsplatz. Alles eins für mich. Aber zum Frühstück sind sie beide wieder hier. Das weiß ich. Punkt neun Uhr. Wenn dann ihr Toast nicht fertig ist, bin ich unten durch.« Sie verdrehte die Augen und warf die Hände in die Luft, sodass der Morgenmantel noch weiter auf‌flog und mehr Dekolleté enthüllte, als für mich so früh am Morgen gut war.

»Ich dachte, Oliver hätte sich zur Ruhe gesetzt«, sagte ich, meine Augen fest auf ihre gerichtet.

Sie prustete los. »Wenn er das unter Ruhestand versteht – Hilfe! Er schuftet schwerer denn je. Er wollte ja nicht so früh aufhören, aber weil Ryan das Rennreiten aufgeben musste, sah er sich dazu gezwungen. Und jetzt sieht er lauter Anzeichen dafür, dass Ryan den Laden in die Scheiße reitet.«

»Stimmt das denn?«, fragte ich.

»Bitte?«

»Dass er den Laden in die Scheiße reitet?«

Plötzlich schien sie sich daran zu erinnern, dass sie mit dem Vertreter eines der wichtigsten Kunden des Ladens sprach.

»Selbstverständlich nicht.« Sie lachte hohl. »Es gibt nur ein paar Anfangsschwierigkeiten seit Ryan übernommen hat, weiter nichts.«

Fünf Jahre sind viel Zeit für Anfangsschwierigkeiten, dachte ich.

Ein vorbeifahrendes Auto hupte ihr zum Gruß. Maria raff‌te den Morgenmantel um sich und grüßte mit zwei Fingern zurück.

»Wie sieht’s aus?«, fragte sie und lehnte sich aufreizend gegen den Türrahmen. »Kommen Sie rein oder nicht?«

»Nein«, sagte ich entschieden. »Wo geht’s zum Warren Hill?«

 

Ich ging die Bury Road entlang und an den Severals genannten Trabkreisen vorbei Richtung Innenstadt.

In der Hotelbar hatte man mir am Abend gesagt, das für England Einmalige an Newmarket sei, dass es fast so viele Reitwege wie Straßen habe und man von einer Seite der Stadt zur anderen reiten könne, ohne Asphalt zu betreten.

Das stimmte nicht ganz, denn es gab Schnittpunkte, an denen sich Pferde- und Fahrzeugverkehr kreuzten, so auch am Ende der Bury Road, wo sich eine Autoschlange bildete, während ein Lot nach dem anderen zum Trainingsgelände zog oder von da zurückkehrte.

»Wie komme ich zum Warren Hill?«, rief ich einem der jungen Reiter zu, die die Straße überqueren wollten. Er trug eine dunkelblaue Steppjacke und eine knallgelbe Kappe mit schwarzem Bommel über einem schwarzen Reithelm wie alle anderen im Lot.

»Da lang«, sagte er und zeigte hinter sich. »Hinter Long Hill. Da kommen wir gerade her.«

»Ich suche die Pferde von Ryan Chadwick«, sagte ich.

»Der arme Ryan«, antwortete er mit ehrlichem Bedauern. »So ein Pech mit Prince of Troy.«

»Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«

»Auf dem Polytrack. Seine Leute haben hellblaue Kappen mit roten Bommeln.«

Die Autos hielten an, und er trabte mit seinem Pferd auf die andere Straßenseite und dort den Reitweg entlang. Ich winkte ihm dankend zu und schaute mich um. Tatsächlich trugen alle Reiter eines Lots dieselben Kappenfarben, und daran ließen sich die Lots unterscheiden.

Auf dem Weg zum Warren Hill war ich von Pferden, die ihr Training noch vor sich, und solchen, die es hinter sich hatten, förmlich umzingelt.

So ergaben die farbigen Kappen und Bommeln einen Sinn.

Bei über sechzig Galopprenntrainern in und um Newmarket, die alle auf demselben Gelände arbeiteten, hätte ich Ryan Chadwicks Lot sonst niemals gefunden.

Pferde werden auf der Heide von Newmarket mindestens seit dem zwölf‌ten Jahrhundert trainiert, doch erst die Könige des Hauses Stuart sorgten dafür, dass Newmarket im siebzehnten Jahrhundert zum anerkannten Hauptsitz der Vollblutzucht und des Galopprennsports aufstieg.

Ich hatte Newmarket im Internet nachgesehen.

Rennbahntriumphe waren nicht das einzig Bemerkenswerte in der Geschichte der Stadt. In der heutigen High Street stand einst ein Königspalast, und dort wies König Charles I im März 1642 wütend eine Abordnung des Parlaments zurück, die ihn auf‌forderte, den Befehl über die Streitkräfte abzugeben – ein Vorfall, der faktisch den englischen Bürgerkrieg auslöste und Seine Majestät den Kopf kostete.

Der Palast wurde unter Cromwell abgerissen, und Pferderennen wurden dem puritanischen Geist jener Jahre entsprechend als gottlos verboten.

Zum Glück für die Stadt hatte Charles II jedoch des Vaters Liebe zum Pferd geerbt, und als 1660 die Monarchie wiederhergestellt wurde, baute der König einen neuen Palast und machte Newmarket zu seiner zweiten Heimat, inklusive eines Häuschens für seine Geliebte Nell Gwynne, das angeblich durch einen unterirdischen Geheimgang direkt mit den Königsgemächern verbunden war. Das Häuschen steht noch in der Palace Street, nur der Geheimgang ist bedauerlicherweise längst verschwunden.

Charles II war es auch, der die ersten amtlichen Rennen auf der Heide ausrichtete, und der heutige Name der Rennbahn von Newmarket, Rowley Mile, erinnert noch an den von seinem Lieblingspferd hergeleiteten Spitznamen des Königs, Old Rowley.

Diese interessanten, aber unnützen Informationen machten es mir allerdings nicht leichter, in dem Wust von Pferdeleibern bei der Morgenarbeit auf Warren Hill die Herren Ryan und Oliver Chadwick zu entdecken. Vielleicht hätte ich doch in Castleton House Stables auf die Rückkehr der Pferde warten sollen.

Außerdem wünschte ich mir allmählich, ich hätte Gummistiefel an den Füßen statt meiner blank geputzten schwarzen Lederschuhe.

Gerade kratzte ich mir wieder einen Klumpen schwerer Heideerde vom Spann, da sah ich ein halbes Dutzend hellblauer Kappen mit roten Bommeln an mir vorbeiziehen.

»Ryan Chadwick?«, fragte ich einen der Männer.

»Da oben«, antwortete er und wies den Hang hinauf, wo im oberen Drittel zwei Gestalten an der Seite standen. »Ein leichter Galopp noch an ihnen vorbei, dann sind wir fertig. Die Nächsten warten schon.«

Tatsächlich liefen rechts von mir sechs weitere Pferde mit hellblau behelmten und rot bebommelten Reitern eng im Kreis und harrten ihres Auf‌tritts.

Einer der beiden Männer am Berg schwenkte den Arm überm Kopf, und die ersten sechs Pferde rannten auf sie zu. Ich ging im Gras neben dem Außenrail langsam hinter ihnen her.

Bis ich Ryan und Oliver erreichte, waren beide Pferdereihen durch, und die zwei Männer verstauten ihre Ferngläser in braunen Lederetuis.

»Morgen!«, rief ich im Herankommen.

»Tag, Harry«, sagte Oliver und winkte mit der Hand, wenn auch nicht gerade herzlich. Allerdings stimmte mein Anblick ihn froher als seinen Sohn, der mein Erscheinen nur mit einem widerwilligen Brummen quittierte.

»Ich dachte, die Pferde wären schneller«, sagte ich.

»Nur leichter Galopp heute«, erklärte Oliver. »Damit sie in Form bleiben. Schnellen Galopp machen wir nur zweimal die Woche – mittwochs und samstags geht’s ran, natürlich nur, wenn sie nicht starten. Die Pferde sollen in Topform sein, wenn sie zur Rennbahn kommen. Wenn wir sie auf der Heide zu sehr fordern, gewinnen sie kein Rennen.«

Mir wurde klar, wie wenig ich von Körperschulung an sich und insbesondere beim Pferd verstand. Ich hatte mir vorgestellt, sie würden zur Stärkung ihrer Ausdauer jeden Tag Vollgas geben.

»Okay«, sagte Oliver entschieden und klatschte in die Hände. »Frühstückszeit. Kommen Sie mit?«

Er drehte sich um und stapf‌te übers Gras auf einen Land Rover zu, der an der nahen Straße stand.

»Eigentlich wollte ich mit Ryan unter vier Augen sprechen«, rief ich hinter ihm her.

Er blieb stehen und kam wieder zu mir, bis sein wütend vorgerecktes Kinn nur noch einen halben Meter von mir entfernt war. Ryan stand derweil nur da und sah mich schweigend an.

»Worüber?«, wollte Oliver wissen.

»Ich habe heute Morgen mit dem Scheich telefoniert«, sagte ich.

Ryan ließ die Schultern hängen, als verhieße das nichts Gutes. In Ryan Chadwicks Welt sah es gerade alles andere als rosig aus. Und ich schätzte, das lag nicht nur an dem Brand.

 

»Nun erzählen Sie schon, was der Scheich gesagt hat«, drängte Oliver, offensichtlich immer noch erregt und auf Schlimmes gefasst.

Ich hatte nochmals versucht, Ryan allein zu sprechen, aber Oliver ließ das nicht zu und bestand darauf, dass ihm als Miteigentümer des Stalls genau wie seinem Sohn mitzuteilen sei, was der Scheich gesagt hatte.

So kam es, dass wir drei dann bei Oliver in der Küche saßen, Kaffee tranken und uns durch einen kleinen Berg Toast futterten, den vermutlich Maria zum Warmhalten an den Herd gestellt hatte, auch wenn sie sich nicht blicken ließ.

Ich brachte ein paar reichlich mit Butter und Marmelade bestrichene Scheiben runter, obwohl ich um halb acht kurz im Hotel gefrühstückt hatte. Ein Morgen auf dem Trainingsgelände konnte erstaunlich appetitanregend sein. Kein Wunder, dass die Chadwicks lieber hinterher als vorher aßen.

»Der Scheich bat mich, sein Beileid auszusprechen«, sagte ich.

»Und weiter?«, fragte Ryan ungeduldig.

»Er möchte wissen, warum seine Pferde umgekommen sind.«

»Das wüssten wir alle gern«, meinte Oliver gereizt. »Was hat er sonst noch gesagt? Nichts zu seinen anderen Pferden?«

»Er habe vor, zwei Stuten von hier auf Declans Hof zu verlegen.«

Ich beobachtete die Männer genau, damit mir keine unbedachte Gefühlsregung entging. Aber sie hatten offensichtlich erwartet, dass ich das sagte. Kein Wimpernzucken. Innerlich knirschten sie vielleicht mit den Zähnen, doch anzumerken war ihnen davon nichts.

»Eine gute Idee«, sagte Ryan. »Declan versteht sich viel besser auf junge Stuten als ich. Er fördert sie.«

Schon gut, dachte ich.

Ich nahm ihm beinah ab, dass er es ehrlich meinte.

Aber nur beinah.

»Und die anderen?«, hakte Oliver nach. »Holt er die auch weg?«

»Er sagt, die können ruhig hier in Castleton House Stables bleiben.«

Die Anspannung in Olivers Nackenmuskeln ließ deutlich nach, und mir wurde klar, dass der Verbleib der sechs übrigen Karim-Pferde wahrscheinlich ausschlaggebend dafür war, ob sich der Stall halten konnte oder pleiteging.

Ein Klopfen an der Küchentür unterbrach unser Gespräch.

»Herein«, rief Oliver.

Die Tür öffnete sich ein wenig, und ein dichter roter Lockenschopf zeigte sich im Spalt.

»Entschuldigen Sie die Störung, Mr Ryan«, sagte eine leise Frauenstimme. »Es ist Viertel vor zehn, und wir haben noch nicht angemeldet.«

»Großer Gott!« Ryan sprang auf. »Gut gemacht, Janie. Ich erledige das sofort.«

Er eilte hinaus zum Stallbüro.

»Wer ist Janie?«, fragte ich.

»Die Stallsekretärin«, sagte Oliver. »Schon ewig hier.«

»Gestern war sie nicht da«, sagte ich.

»Doch. Sogar schon früher, aber ich hab sie heimgeschickt. Sie war erschüttert wegen der toten Pferde. Schon als Teenager war sie bei uns. Ich glaube, ohne sie könnten wir den Betrieb gar nicht mehr führen. Sehr ef‌fizient. Sie wird die Anmeldungen auf dem Computer vorbereitet haben. Ryan braucht nur noch zu bestätigen, dass sie korrekt sind, und sie vor zehn online an Weatherbys zu schicken.«

»Anmeldungen wofür?«

»Für den Start unserer Pferde. Alle Starter müssen bis zehn Uhr früh zwei Tage vor ihren Rennen angemeldet sein. Heute werden also die angemeldet, die am Donnerstag starten.«

Oliver kaschierte seinen Unmut über meine Unbeschlagenheit fast erfolgreich.

»Um für den Start angemeldet zu werden, muss ein Pferd natürlich genannt sein. Die Nennungsfrist endet meistens fünf Tage vor dem Rennen, besonders bei großen Rennen aber auch früher. Die Erstnennungen für das Derby im nächsten Monat etwa mussten vor knapp achtzehn Monaten durch sein, als die Pferde noch Jährlinge waren und noch nie ein Rennen bestritten hatten.«

»Woher weiß man denn in dem Stadium, aus welchem Pferd was wird?«

»Das weiß man nicht.« Oliver lachte. »Deshalb haben wir sie vorsorglich alle genannt, auch die damals noch Namenlosen. In dem Stadium sind sie einfach nur sechs Zentner Pferd.«

Allerhand, dachte ich. Als ob man einem Säugling für ein paar Hundert Pfund einen Platz in Eton oder Harrow reserviert in der Hoffnung, dass er dreizehn Jahre später die Noten hat, um reinzukommen.

Genauso machen das ja manche Leute.

»Muss ein Horror sein festzustellen, dass man einen Überflieger im Stall hat, der nicht genannt worden ist.«

»Ich habe mit meinen Besitzern vereinbart, dass grundsätzlich sämtliche Hengstfohlen genannt werden«, sagte Oliver, »und auch die meisten Stutfohlen. Man kann notfalls nachnennen, aber das kostet wesentlich mehr – fünfundachtzigtausend in der Woche vorm Rennen.« Er lachte erneut. »Was sich natürlich lohnt, wenn man siegt.«

Wenn man siegt, dachte ich.

In Newmarket schien sich alles ums Siegen zu drehen, und nicht nur auf der Rennbahn.