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I st der Tote männlich oder weiblich, fragte ich.

»Das kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen«, erwiderte der Mann, der in einem ziemlich verknitterten grauen Anzug vor mir saß.

»Können oder wollen nicht?«

»Beides.«

Ich saß in einem Vernehmungsraum der Polizei Newmarket, die wegen der Ereignisse in Castleton House Stables eine vorläufige Notfallzentrale eingerichtet hatte. Der von mir gewünschte Superintendent Bennett war meinem Gegenüber zufolge nicht abkömmlich gewesen.

»Sie werden mit mir vorliebnehmen müssen«, hatte er gesagt.

»Und Sie sind?«

»Detective Chief Inspector Eastwood«, hatte er erwidert. »Ich leite jetzt die Ermittlungen zum Brand in Castleton House Stables.«

Immerhin hatten sie mich nicht mit einem Untergebenen abgespeist. Ein DCI ging in Ordnung.

»Also, Mr Foster, was gibt es so Wichtiges, dass Sie mich dafür aus einer Besprechung mit meinen Mitarbeitern rufen?«

»Zoe Robertson ist aus ihrer Wohnung in Ealing verschwunden«, sagte ich. »Und zwar seit Sonntag.« Es war einen Moment still, während der Inspector die Information verarbeitete.

»Und wer ist Zoe Robertson?«, fragte er.

»Robertson ist ihr Ehename. Sie ist die Tochter von Oliver Chadwick. Die Schwester von Ryan.«

Er nickte und seufzte dann, als enthielte er mir etwas vor.

»Wollen Sie damit andeuten, dass sie das Brandopfer ist?«, fragte er.

»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Aber Zufälle behagen mir nicht.«

»Mir auch nicht, aber wenn ich auf alle Zufälle in meiner Laufbahn überreagiert hätte, wäre ich jetzt kein Chief Inspector. Was für Beweise haben Sie?«

»Keine. Ich fand aber, Sie sollten es wissen.«

»Ja, danke. Ist sie bei der Ortspolizei als vermisst gemeldet?«

»Das weiß ich nicht«, sagte ich. »Sie ist anscheinend nicht zum ersten Mal verschwunden, aber ihr Mann behauptet, sie hätte sich noch nie so lange nicht daheim gemeldet.«

Das Interesse des Kriminalbeamten ließ bereits spürbar nach, als glaubte er mir nicht recht, was ich erzählte.

»Woher haben Sie diese Details?«, fragte er.

»Ich war bei Declan Chadwick, als Peter Robertson anrief. Peter ist Zoes Mann.«

»Glaubt Mr Chadwick auch, dass das Brandopfer seine Schwester sein könnte?«

»Gesagt hat er es nicht«, antwortete ich. »Allerdings habe ich ihn auch nicht danach gefragt.«

Es war nicht nötig gewesen.

Declan hatte im Stallbüro ein paar Minuten gebraucht, um sich von der Nachricht, dass seine Schwester verschwunden war, zu erholen, und die Farbe war erst in sein Gesicht zurückgekehrt, nachdem er sich hingesetzt und ein Glas Wasser getrunken hatte.

»Was ist denn mit dir los?«, hatte Arabella gefragt, als er sich auf den Stuhl fallen ließ.

»Nichts«, brummelte er wenig überzeugend. »Mir geht’s gut.«

»Verschwindet sie öfter?«, hatte ich in der darauf‌folgenden Stille gefragt.

»Regelmäßig«, hatte Arabella in einem Ton geantwortet, als bestände da nicht nur kein Grund zur Sorge, sondern als wäre die ganze Geschichte inzwischen eher langweilig. »Zoe hat psychische Probleme. Eine Wochenbettdepression, die nicht weggegangen ist.«

Trotzdem behagten mir Zufälle nicht, und so berichtete ich jetzt eine Stunde später der Polizei davon und hoff‌te, im Gegenzug etwas von ihr zu bekommen.

»Haben Sie schon die Brandursache ermittelt?«, fragte ich den Chief Inspector.

Er sah mich an, während er etwas notierte.

»Wer sind Sie denn eigentlich, Mr Foster?«

»Harrison Foster«, sagte ich und reichte ihm meine Visitenkarte. »Ich vertrete Seine Hoheit Scheich Ahmed Karim bin Mohamed Al Hamadi. Ihm gehörten zwei der bei dem Brand umgekommenen Pferde, darunter Prince of Troy. Er möchte gern wissen, warum seine Pferde gestorben sind.«

Er betrachtete meine Karte.

»Rechtsanwalt, ja?«, fragte er in einem Ton, der erkennen ließ, dass er nicht viel von Anwälten hielt.

»Ja«, sagte ich.

»Simpson White«, las er von der Karte ab. »Hier in der Gegend kenne ich keine Kanzlei dieses Namens.«

»Londoner Firma«, sagte ich. »Wir sind auf Krisenmanagement spezialisiert.«

»Handelt es sich hier wirklich um eine Krise?«, fragte er.

»Für Ryan Chadwick schon. Auch für Scheich Karim. Der Favorit für das Derby ist unter äußerst verdächtigen Umständen zu Tode gekommen. Das würde ich schon eine Krise nennen.«

»Äußerst verdächtige Umstände …«, wiederholte der DCI langsam. »Wieso sagen Sie das?«

»Unbekannte Leiche entdeckt nach einem mitten in der Nacht ausgebrochenen Brand«, sagte ich. »Das würde ich schon als äußerst verdächtig bezeichnen, Sie nicht?«

»Ungeklärt«, sagte er.

»Demnach wissen Sie also nicht, wie das Feuer ausgebrochen ist.«

Da musste er mich einfach widerlegen.

»Eine Spur, die wir verfolgen, betrifft die gefundenen Reste eines Feuerzeugs. Die Metallteile haben das Inferno überstanden. Wir nehmen an, damit könnte der Brand entfacht worden sein, vielleicht unabsichtlich.«

Vielleicht auch absichtlich, dachte ich.

»Wurde es in der Nähe der Leiche gefunden?«

»Ja, direkt daneben, als hätte es in einer Tasche gesteckt.«

Mir fiel Ryans Theorie von dem rauchenden Obdachlosen ein.

»Haben Sie irgendwelche Zigarettenstummel gefunden?«

»Nein, aber dafür war das Feuer auch zu stark, selbst wenn welche da gewesen sein sollten.«

»Ein Handy vielleicht?«, fragte ich.

Er zögerte einen Moment, als überlege er, ob er mir weiter antworten sollte.

»Bis jetzt ist keins gefunden worden«, sagte er schließlich.

»Und sonst?«

Wieder ein Zögern. Er hatte mir schon mehr erzählt, als ich erwartet hatte.

»Bislang nichts«, sagte er. »Es wird noch kriminaltechnisch untersucht, ob ein Brandbeschleuniger im Spiel war – Benzin zum Beispiel.«

»Bei dem ganzen Schredderpapier am Boden braucht man kein Benzin, um ein Feuer zu entfachen.«

»Sicher nicht. Aber Sie ziehen voreilige Schlüsse, Mr Foster. Noch weist nichts darauf hin, dass der Brand gelegt wurde.«

»Wie soll es denn sonst passiert sein?«

»Das Opfer könnte ihn versehentlich ausgelöst haben, oder es gab einen Kurzschluss, oder was auch immer. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Ermittlungen uns zu der wahren Ursache führen.«

»Hat die Obduktion Anhaltspunkte geliefert?«, fragte ich.

»Das dürf‌te ich Ihnen nicht sagen, selbst wenn ich es wüsste. Erst, wenn der Coroner verständigt ist.«

»Eine Obduktion wird aber durchgeführt?«

»Selbstverständlich«, sagte der Inspector. »Wie schon die Presse berichtet, wurden die menschlichen Überreste heute Morgen aus dem Stall entfernt und zur Untersuchung durch einen Amtsarzt ins Krankenhaus Lowestof‌t überstellt.«

»Einer Ihrer Tatortbeamten sagte mir, es sei noch genug vom Körper übrig, um ein DNA -Profil zu erstellen. Vergleichen Sie das dann bitte mit dem von Zoe Robertson?«

Der DCI presste die Lippen aufeinander, als gefiele ihm nicht, dass der Tatortbeamte mit mir gesprochen hatte. Vielleicht war ihm aber auch nicht recht, dass ich ihm sagte, was zu tun sei.

»Natürlich«, antwortete er.

»Und teilen Sie mir das Ergebnis mit?«

»Wenn sich herausstellt, dass es wirklich die Überreste von Zoe Robertson sind, werden zuerst ihre nächsten Angehörigen verständigt, dann folgt eine Presseerklärung. Der können Sie die Ergebnisse entnehmen.« Er raff‌te seine Papiere zusammen. »So«, sagte er im Aufstehen, »kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Was ist mit den Pferden?«, fragte ich.

»Was soll damit sein?«

»Testen Sie deren DNA auch?«

»Warum sollten wir?«

»Um sicherzugehen, dass es wirklich die betreffenden Pferde sind.«

Der Inspector lachte. »Mann, sind Sie misstrauisch, Mr Foster.«

»Aus Erfahrung geworden«, versicherte ich ihm. »Testen Sie sie?«

»Nein, das haben wir nicht vor. Es wäre eine Verschwendung unserer begrenzten Ressourcen. Soweit ich weiß, sind alle Rennpferde zur Bestätigung ihrer Identität gechippt. In diesem Fall werden die Mikrochips die starke Hitze schwerlich überstanden haben, aber das spielt keine Rolle. Wären die Pferde vertauscht worden, würden ihre Mikrochips verhindern, dass sie als andere durchgehen.«

»Und als Deckhengst? Prince of Troy gäbe einen prima Hengst ab, wenn er vor dem Brand entführt worden sein sollte.«

»Aber nicht zur Rennpferdezucht«, sagte DCI Eastwood. »Und nur da würde er Gewinn bringen. Wir hatten hier vor Jahren den Fall der angeblichen Vertauschung zweier wertvoller Fohlen im Versteigerungsring. Ein Besitzer bezichtigte den anderen des Diebstahls. So was kommt hier schon mal vor. Ließ sich aber leicht aufklären, da seit 2001 die Abstammung aller Vollblutfohlen anhand ihrer DNA verifiziert wird. Ein Fohlen Prince of Troys könnte unmöglich als von einem anderen Hengst stammend ausgegeben werden. Seine DNA würde einfach nicht passen.«

»Ach so.« Diese wilde Theorie konnte ich also schon mal abhaken. »Was geschieht denn jetzt mit den Überresten?«

»Das liegt bei Mr Chadwick. Wenn wir die Tatortuntersuchung abgeschlossen haben, ist das Räumen und Reinigen hier seine Angelegenheit, nicht unsere, sofern er sich dabei an die Gesetze hält.«

Der Inspector öffnete die Tür, stand da und wartete darauf, dass ich hinausging. Für ihn war das Gespräch definitiv zu Ende.

»Seine Hoheit Scheich Karim hat mich angewiesen, in Newmarket zu bleiben, bis der Grund für den Tod seiner Pferde ermittelt ist. Er befürchtet, seine Entscheidung, zwei Stuten von Ryan zu Declan Chadwick zu verlegen, könnte die Missgunst zwischen den beiden Brüdern verstärkt haben und womöglich auch mit dem Feuer in einem gewissen Zusammenhang stehen.«

»Mr Foster, überlassen Sie die Detektivarbeit bitte uns.«

»Aber –«

»Kein Aber«, unterbrach mich der Inspector. »Ich verstehe Sie schon. Alle Szenarien werden durchgespielt, danke. Jetzt aber muss ich Sie bitten zu gehen, damit ich weiter die Beweislage sichten kann.«

»Was immer hilft«, sagte ich und ging zur Tür hinaus. »Sie haben meine Karte. Rufen Sie an, wenn Sie etwas von mir brauchen.«

Die Aussicht, einen Anruf‌ vom Herrn Chief Inspector zu bekommen, war vermutlich dünn bis nicht vorhanden, aber ich wollte mir nicht den Vorwurf der Polizeibehinderung einhandeln und hatte nicht die Absicht, Newmarket auf der Stelle zu verlassen.

 

»Tun Sie, was immer der Scheich Ihnen sagt. Er bezahlt uns, und zwar ganz ordentlich. Wenn er möchte, dass Sie in Newmarket bleiben, bleiben Sie da.« ASW war richtig in Fahrt am Telefon. »Ich sehe zu, dass Georgina mit dem Hotel einen Preisnachlass für einen längeren Aufenthalt aushandelt.«

»Ich brauche noch Informationen«, sagte ich.

»Schießen Sie los.«

»Näheres über die ganze Familie Chadwick und insbesondere über die Tochter, Zoe Robertson, und ihren Mann Peter.«

ASW fragte nicht, wozu ich diese Informationen brauchte. Wenn ich darum bat, ging er davon aus, dass sie gebraucht wurden. Das genügte ihm.

»Ich setze gleich unser Rechercheteam darauf an. Vorrangig. Bis morgen früh sollten Sie was haben.«

Simpson Whites Rechercheteam war der etwas hochtrabende Name für die beiden gerade erst der Schulbank entkommenen jungen Männer im Büro in der Motcomb Street, die als absolute Netzzauberer anscheinend alles über jeden herauszufinden wussten. Sie warfen sich die Ideen wie Bälle hin und her und konnten sich in so gut wie alles Digitale einhacken.

Niemandes Geheimnisse waren vor ihnen sicher.

Wissen ist Macht, behauptete ASW , und seine Mitarbeiter hatten mehr zu wissen als jeder andere.

Wir wünschten uns lediglich die Weisheit, gut damit umzugehen.

»Sonst noch was?«, fragte ASW .

»Rufus wäre immer willkommen«, sagte ich. »Der hat mehr Pferdewissen vergessen, als mir jemals eingehen wird. Er hätte viel Spaß hier.«

»Glaub ich gern, aber er ist noch in Italien. Anscheinend ist die gesamte Jahresproduktion der Weinfirma mit Milchsäurebakterien verseucht. Alles schon raus, Hunderttausende Flaschen von dem Dreckszeug auf Läden in ganz Europa verteilt. Und die sind hingegangen und haben öffentlich bestritten, dass es ihre Schuld ist. Eine Katastrophe wie bei Perrier ist das, und Rufus versucht, die Kernschmelze abzuwenden.«

Lieber er als ich, dachte ich.

Die Reaktion auf die Entdeckung von giftigem Benzol in Perriers »mit natürlicher Kohlensäure« versetztem Mineralwasser Anfang der 1990 er-Jahre dient im Krisenmanagement immer noch als Paradebeispiel dafür, wie man ein großes Problem nicht angeht. Statt eine kohärente Antwort zu liefern, stiftete das französische Unternehmen mit widersprüchlichen Aussagen Verwirrung und versorgte die Medien mit Falschinformationen insbesondere darüber, wie die »natürliche« Karbonisierung des Wassers vor sich ging. Der daraus resultierende Verlust an öffentlichem Vertrauen und Marktanteilen wurde nicht wieder wettgemacht.

In Newmarket mit Pferden festzuhängen war vielleicht doch ganz erträglich.

»Sonst noch was?«, fragte ASW erneut.

»Ich glaube nicht«, sagte ich. »Ein paar Tipps wären nicht schlecht. Am Donnerstag gehe ich vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben zum Pferderennen.«

»Mein einziger Tipp wäre: Lassen Sie Ihr Geld stecken«, versicherte ASW . »So etwas wie arme Buchmacher gibt es nicht.«

»Ich dachte, Sie zocken gern«, sagte ich überrascht.

»Schon«, antwortete er. »Aber nicht auf Pferde. Mein ganzes Leben ist ein Glücksspiel, aber ich hab’s lieber, wenn die Chancen für mich stehen, nicht gegen mich. Um ernsthaft zu zocken, müsste ich der Buchmacher sein.« Er lachte. »Okay, Sie bekommen die Rechercheergebnisse so bald wie möglich.«

Wir legten auf.

Am liebsten wären mir Zoe Robertsons Handy-Aufzeichnungen gewesen, dachte ich, aber da kam auch Simpson Whites Rechercheteam nicht dran, ohne das Gesetz zu brechen, und daraus würden eine Menge neue Probleme entstehen. Illegal erlangte Informationen waren nicht nur zu Recht in keinem Gerichtsverfahren zugelassen, sondern dass man sie überhaupt eingeholt hatte, rückte alles um sie herum in schlechtes Licht, so einwandfrei und legitim es auch sein mochte.

 

Um sechs ging ich von meinem Zimmer zur Hotelbar und bestellte einen Newmarket Gin Tonic.

Schwer zu glauben, dass es immer noch Dienstag und ich erst seit dreißig Stunden hier war. Es kam mir viel länger vor.

Nach meinem Gespräch mit Detective Chief Inspector Eastwood hatte ich mir eine Weile die Stadt angesehen und mir einige Notwendigkeiten gekauft wie Gummistiefel, ein Paar dicke Socken und einen Mantel. Auch Mitte Mai konnte es morgens noch sehr kalt sein.

Von Pferden und Pferderennen wegzukommen war in Newmarket schwierig bis unmöglich – nicht umsonst bezeichneten die Einheimischen es als »Hauptsitz«.

Der Hauptsitz des Jockey Clubs mit seinen roten Backsteinmauern und der lebensgroßen Statue des Pferdes Hyperion davor beherrscht das westliche Ende der High Street. Heutzutage ist es wenig mehr als ein Privatclub, in dem man Säle für Hochzeiten mieten kann, doch früher wurde von hier aus der britische Rennsport gelenkt und verwaltet, tagten die Stewards des Jockey Clubs hier an einem hufeisenförmigen Tisch und entschieden über die Zukunft derer, denen Fehlverhalten im Sport der Könige vorgeworfen wurde. Ruf und Lebensunterhalt standen auf dem Spiel, wenn die Beschuldigten auf einem kleinen Teppich am offenen Ende des Tischs stehend ihren Schicksalsspruch entgegennehmen mussten.

Mitte des neunzehnten Jahrhunderts besaßen die Mitglieder des Jockey Clubs eine solche Macht, dass sie den Bau eines Tunnels für die noch junge Eisenbahn durchsetzen konnten, um den unteren Teil des Trainingsgeländes am Warren Hill zu erhalten. Der kilometerlange Warren-Hill-Tunnel wird nach wie vor genutzt und ist seinem Namen zum Trotz wahrscheinlich der einzige Tunnel im ländlichen England, der unter einem gänzlich flachen Stück Land hindurchführt.

Newmarket bleibt bei allem rennsportlichen Renommee eine kleine Metropole mit gut zwanzigtausend Einwohnern, wenn auch nicht weniger als dreizehn Wettbüros. Den bizarrsten Hinweis darauf, dass es sich um eine Stadt mit einem einzigen Gewerbe, wenn auch nicht einem einzigen Pferd handelt, bietet das Schaufenster des örtlichen Bestatters, das neben nüchternen Grabsteinen in schwarzem und weißem Marmor einen blau lackierten, jockeygroßen Sarg voller Galopprennsportszenen zeigt.

Ich schlenderte mit meinem Glas durch die Hotelbar und sah mir die Fotos und Bilder an den Wänden an. Wie erwartet waren es fast durchweg Reitsportszenen, ein Bild jedoch erzählte die Geschichte des Hotels. Im achtzehnten Jahrhundert ursprünglich als Jagdhütte gebaut, war es im neunzehnten zum Rennstall umgestaltet worden und Mitte des zwanzigsten schließlich zum Kurhotel.

»Mr Foster?«, sagte eine sanfte weibliche Stimme, die mich aus der Geschichtsstunde zurück ins Hier und Jetzt holte.

»Ja?«, sagte ich und sah zwei junge Frauen mit leeren Sektgläsern vor sich an einem Ecktisch sitzen.

»Janie Logan«, sagte eine von ihnen. »Ich arbeite für Ryan Chadwick. Ich habe Sie heute Morgen in Castleton House Stables gesehen.«

»Ja, natürlich.« Ich erinnerte mich an den dichten roten Lockenschopf.

»Das ist meine Schwester Catherine. Sie hat heute Geburtstag.«

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich. »Darf ich Ihnen beiden etwas zu trinken bestellen?«

Die beiden schauten sich an und tauschten offensichtlich eine stumme Botschaft aus.

»Gern«, sagte Janie. »Wir haben Zeit. Danke.«

»Champagner?«, fragte ich mit Blick auf ihre leeren Gläser.

Wieder sahen die beiden erst einander und dann mich an.

»Das wäre reizend.«

Ich stellte meinen Drink bei ihnen ab und ging mit ihren leeren Gläsern zur Theke.

»Noch zwei Champagner bitte«, sagte ich dem Barmann.

»Die Damen hatten Prosecco«, meinte er trocken und zog fragend eine Braue hoch.

Im Nu hatte meine geballte Unsicherheit gegenüber Frauen mich wieder gepackt. Sollte ich ihnen noch einen Prosecco bestellen und dann vielleicht als Knicker dastehen? Oder spendierte ich ihnen das Original und wurde womöglich als Protz angesehen?

Entscheiden, entscheiden. Spring, aber wohin?

»Champagner«, sagte ich. Den hatte ich ihnen schließlich angeboten. Er goss das sprudelnde Gold in zwei frische Gläser, und ich brachte sie an den Tisch.

»Setzen Sie sich zu uns«, sagte Janie und zog noch einen Stuhl heran.

»Danke. Gern.« Ich setzte mich und hob meinen Gin Tonic. »Prost, und alles Gute zum Geburtstag, Catherine.«

Wir stießen darauf an.

»Oh, lecker«, sagte Catherine nach einem Schluck. »Ein wahrer Genuss. Danke schön. Und sagen Sie bitte Kate zu mir. Nur meine Mum nennt mich Catherine – und Janie, wenn sie mich rumkommandiert.«

»In Ordnung, Kate«, sagte ich. »Mach ich.«

Sie sah mir tief in die Augen und lächelte.

Meiner Unsicherheit half das nicht ab.

Ich war nervös. Kein mir sonderlich vertrauter Zustand. Bei der Arbeit war ich selbstbewusst, sicher und positiv, manche würden sogar sagen, arrogant; woher kam dann das Flattern in meinem Bauch, wenn eine hübsche junge Frau mich anlächelte?

»Sie beide sind also auf dem Weg zu einer Geburtstagsparty?«, fragte ich und bedauerte es auf der Stelle. Das war doch jetzt sicher zu forsch, als lüde ich mich selbst zum Mitkommen ein.

»Nur ein kleines Essen mit Freunden und Familie«, sagte Kate. »Für Partys bin ich jetzt zu alt.«

Sie sah aus wie um die dreißig.

»Unsinn«, sagte ich. »Meine Mutter meint, nichts geht über eine gute Party, und sie ist über sechzig.«

Was mach ich denn?, dachte ich in heillosem Schrecken.

Flirtregel Nummer 1 : Verlier nie ein Wort über deine Mutter.

Schnell das Thema wechseln.

»Also, Janie«, sagte ich. »Wie lange arbeiten Sie schon für Ryan Chadwick?«

»Für Mr Ryan jetzt fünf Jahre«, sagte sie. »Seit er das Ruder übernommen hat. Ich war im Stall inbegriffen.« Sie lachte. »Bei Mr Chadwick hab ich nach der Schule angefangen. Den Betrieb kenn ich auswendig.«

»Der Brand war sicher ein schwerer Schock«, sagte ich.

»Und ob. Die armen Pferde!« Jetzt hatte Janie Tränen in den Augen. »Ich darf gar nicht daran denken, wie sie gelitten haben. Besonders Prince of Troy. Er war unsere große Hoffnung. Herrliches Pferd.« Sie nahm ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und putzte sich die Nase.

»Janie ist eine Pferdenärrin«, sagte Kate. »Immer schon gewesen.«

»Sind Sie auch schon mal geritten?«, fragte ich.

»Klar«, erwiderte Janie. »Ich hab da als Pflegerin angefangen. Zuständig für zwei, die hab ich jeden Morgen bewegt. Schöne Zeit.«

»Was hat sich geändert?«, fragte ich.

»Sie ist gestürzt«, fiel Kate ein und bekam von ihrer Schwester einen strengen Blick dafür. »Schlimmer Beinbruch.«

»Vom Pferd gestürzt?«

»Natürlich vom Pferd!«, antwortete Janie scharf. »Das blöde Vieh hat mich vor seiner Box auf den Beton geknallt. Schien- und Wadenbein mehrfach gebrochen. Nach drei Monaten Gips vier in der Reha. Also bin ich aufs Büro umgestiegen, als Aushilfe, und seitdem mach ich da den Papierkram.« Sie trank ihr Glas aus und stand auf. »Komm, Catherine, wir müssen los, sonst wird’s zu spät.«

»Sehen Sie?«, sagte Catherine/Kate mit dem nächsten umwerfenden Lächeln in meine Richtung. Sie stand auf und sah mich mit einer Mischung aus Bedauern und Entschuldigung an. »Vielleicht trifft man sich ja noch mal.«

»Ganz bestimmt«, sagte ich.

Ich stand auf und schaute den beiden Schwestern auf dem Weg zur Tür nach. Kate drehte sich um und winkte.

Wow!, dachte ich.

Wie Tom in dem Film Vier Hochzeiten und ein Todesfall sagte: »Der Donnerschlag.«