Z u Fuß vom Hotel kommend, erschien ich pünktlich um elf an Tattersalls’ Hauptempfang.
In Castleton House Stables hatte viel Betrieb geherrscht, und den hatte ich mir im Vorübergehen eine Weile angeschaut. Die Polizei war offenbar mit ihrer Brandortuntersuchung fertig, und eine Ansammlung von Bulldozern, Baggern und Lkws räumte jetzt die Überreste des ausgebrannten Stallgebäudes und seiner toten Insassen weg. Zweifellos auf Kosten Olivers oder seiner Versicherung.
Ich ging weiter die High Street entlang und an den Gebäuden des Jockey Clubs vorbei, ehe ich nach links in The Avenue abbog und den Verkaufskomplex betrat.
An einem auktionsfreien Tag wie heute war der Parkplatz nahezu leer, aber wie jeden Tag beherrschte ihn ein mächtiger klassischer Torbogen aus Kalkstein mit wuchtigen Säulen, die ein reliefgeschmücktes Giebeldreieck trugen. Er hätte sich auch als Prunkeingang eines Königspalasts gut gemacht. Ihn hierher zu stellen, fand ich eigenartig.
»Willkommen bei Tattersalls, Mr Foster«, sagte die Empfangsdame. »Wir haben Sie erwartet. Nehmen Sie bitte einen Augenblick Platz.« Sie wies auf ein paar bequem gepolsterte Stühle. »Ich sage dem Vorsitzenden Bescheid, dass Sie da sind.«
Ich weiß nicht, was Kate ihnen erzählt hatte, aber bis auf den roten Teppich taten sie wirklich alles für mich.
Gut, dass ich im Anzug gekommen war.
Bald darauf erschien ein großer, schlanker Mann, ebenfalls im Anzug, und kam zielstrebig auf mich zu.
»Mr Foster?«, und er streckte die Hand aus. »Willkommen bei Tattersalls. Ich bin Geoffrey Atherton, Vorsitzender und Chefauktionator.«
Ich schüttelte ihm herzlich die Hand.
»Danke für Ihre Einladung«, sagte ich. »Ich hatte keine Ahnung, dass der Kauf von Pferden so eine große Angelegenheit ist. Sie haben ja ein imposantes Bauwerk da auf dem Parkplatz.«
»Den Tattersall-Bogen«, sagte er und nickte. »Das war der Eingang zum Auktionshaus, als wir Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in London saßen. In den 1960 ern haben wir ihn hierher versetzt.«
»Das Unternehmen besteht also schon lange«, sagte ich.
»Seit 1766 . Gegründet von Richard Tattersall, der am Hyde Park Corner Hunde verkauft hat.«
»Hunde?«
»Jagdhunde, genau gesagt. Aber nach dem täglichen Jagdhundeverkauf hat Richard immer auch ein paar Pferde angeboten, Reit- und Jagdpferde hauptsächlich. Bald stellte er dann fest, dass mit den Pferden mehr Geld zu machen war als mit den Hunden, auch wenn wir Hetzhunde noch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs verkauft haben und Pferde für die Jagd noch viel länger. Heute sind wir aber ein reines Vollblutverkaufsunternehmen. Rennpferde.«
Während dieser kleinen Ansprache hatte er mich wieder nach draußen geführt, und wir gingen über die perfekt gepflegten Rasenflächen zu einer Stelle, die uns freie Sicht auf einen Stallhof bot.
»Acht Höfe haben wir hier, mit über achthundert Boxen«, sagte Geoffrey. »Die Pferde müssen vor Auktionsbeginn zu besichtigen sein. Der Katalog sagt potenziellen Käufern, wo jedes Tier zu finden ist und gibt seinen Stammbaum über mindestens drei Generationen an.«
»Wie viele verkaufen Sie am Tag?«, fragte ich.
»Bis zu zweihundertfünfzig. Manchmal auch weniger, besonders an großen Tagen wie dem October Book One Sale. Dann kommen wir an jedem der drei Tage vielleicht nur auf hundertzwanzig.«
»Sind das die teuersten?«
»Davon gehen wir zwar aus, aber immer wieder werden welche aus Buch eins von gar nicht wenigen aus Buch zwei und drei überflügelt. Der Preis hängt einzig davon ab, was die Leute auf der Auktion für sie zu zahlen bereit sind. Der Deal steht erst, wenn der Hammer fällt.«
Wir gingen weiter zur Verkaufskoppel.
»Hier werden die Pferde vorgeführt, ehe sie in den Versteigerungsring kommen.«
Wie das Wartezimmer beim Zahnarzt, dachte ich. Nur, dass hier nicht das Pferd, sondern wahrscheinlich eher der Verkäufer nervös war, der inständig hoffte, dass sein Pferd einen guten Preis erzielte und ihm mehr einbrachte, als er investiert hatte.
In dem Moment kam Kate im Laufschritt übers Gras zu uns.
»Ah, da sind Sie ja, Mrs Williams.« Geoffrey wandte sich zu mir zu. »Mrs Williams haben Sie glaube ich gestern Abend auf der Rennbahn schon gesprochen.«
»Ja«, sagte ich und verkniff mir ein Lachen. »Mrs Williams war sehr entgegenkommend. Sie hat mich auf ein Glas in Ihre Loge eingeladen.«
»Ausgezeichnet«, sagte er.
Mrs Williams, sieh an. Gut, dass ich nicht namentlich nach ihr hatte fragen müssen.
Ich lächelte sie an. Sie trug die Tattersalls-Uniform mit den aufgestickten Rundbau-Logos.
»Das ist der Rundbau, von dem wir gesprochen haben«, sagte Kate. Sie wies auf einen sieben Meter hohen, runden Kuppelbau mit Säulen. Obendrauf stand eine Büste und auf einem Podest in der Mitte ein Fuchs.
»Im achtzehnten Jahrhundert befand er sich an der Hyde-Park-Ecke«, sagte Geoffrey. »Richard Tattersall hat ihn als Auktionspodium benutzt. Die Büste oben stellt George IV dar.«
»Weshalb der Fuchs?«, fragte ich.
»Füchse sind durch die Verbindung zum Handel mit Jagdhunden Teil unseres Erbes. Jägersleute waren dem Fuchs immer sehr zugetan.«
Aber nicht so sehr, dass sie aufgehört hätten, ihn quer durchs Land zu Tode zu hetzen. Sonderbare Welt. Ob der Rattenfänger auch Ratten mochte?
Wir gingen weiter durchs Auktionsgebäude selbst, ein achteckiges Amphitheater mit steil ansteigenden Sitzreihen und hoch angebrachten laternenartigen Fenstern, ganz und gar der Darstellung des Vollbluts als größtem verkaufsfähigen, Gut auf Erden geweiht.
»Jetzt sieht’s ein bisschen nach nichts aus«, meinte Kate, als wir eintraten, »aber an Verkaufstagen, besonders für Buch eins, geht es wirklich hoch her, dann ist hier kein Platz mehr frei. Wer zu spät kommt, muss in den Durchgängen sitzen.«
Der Ring in der Mitte war nicht kreisrund, sondern ein Oval, und die ganze Anlage war viel eleganter, als ich mir vorgestellt hatte. Ich nehme an, wenn man gewillt ist, vier Millionen Guineen für ein unerprobtes Rennpferd auszugeben, möchte man dabei eben einfach bequem sitzen.
»Mal abgesehen von dem glänzenden gelben Zeug, das man aus der Erde buddelt«, sagte Geoffrey, »Frankel war das am höchsten bewertete Rennpferd aller Zeiten, und er wurde auf einhundert Millionen Pfund geschätzt, rund vierzehnmal sein eigenes Gewicht in Gold, als er nach vierzehn Rennen ungeschlagen in die Zucht genommen wurde.«
»Hatten Sie ihn hier als Jährling verkauft?«, fragte ich.
»Leider nicht. Er wurde von seinem Besitzer gezüchtet, aber wir haben einige seiner Nachkommen verkauft.«
Und Kaufinteressierte rückten sicher in Schwärmen an, um Frankels Nachwuchs zu ersteigern in der Hoffnung, dass auch sie einen Unschlagbaren erwischten, der ihnen ihre Investition in der Zukunft um ein Vielfaches zurückzahlen würde. Und auf dem Vollblutmarkt war die Zukunft nie allzu fern, da die Erfolgreichsten meistens schon mit drei oder vier Jahren in die Zucht gestellt wurden.
»Die Pferde kommen von der Verkaufskoppel hier rein und werden herumgeführt, während die Bieter ihre Gebote abgeben«, erklärte Geoffrey. »Wenn der Zuschlag erfolgt, werden sie auf der anderen Seite herausgeführt und in ihre Box zurückgebracht. Sie dort abzuholen liegt dann in der Verantwortung des neuen Besitzers.«
»Nachdem sie bezahlt haben«, sagte ich.
»Allerdings«, lachte Geoffrey. »Sie dürfen aber sowieso nur mitbieten, wenn sie kreditwürdig sind. Darauf achten wir schon.«
»Sehr klug.«
»Sie dürfen versichert sein, dass wir Scheich Karim für überaus kreditwürdig halten.«
Ein dezenter Hinweis darauf, dass mich der Vorsitzende nicht bloß zu meinem Vergnügen herumführte. Hätte er mal geahnt, dass ich gar nicht die Rennsportinteressen des Scheichs vertrat, sondern nur über seinen Ruf in den Medien wachte! Wenn aber Kate ihm das nicht gesagt hatte, erfuhr er es von mir auch nicht.
»Würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen, Mr Foster?«, sagte er. »Mrs Williams wird den Rundgang mit Ihnen fortsetzen. Ich muss mich leider um einige Besprechungen kümmern.«
»Selbstverständlich, Geoffrey«, antwortete ich. »Herzlichen Dank für Ihre Zeit.«
Wir gaben uns die Hand.
»Ich freue mich darauf, Sie bei einer unserer Auktionen wiederzusehen«, sagte er.
»Ja, natürlich.«
Er drehte sich um und verließ den Auktionsring, zweifellos in Richtung seines Büros und seiner Besprechungen, sodass Kate und ich allein dort standen.
»Mrs Williams?«, sagte ich. »Wie erklärt sich das denn?«
»So heiße ich«, erwiderte sie. »Nach der Scheidung habe ich meinen Mädchennamen nicht wieder angenommen.«
»Warum nicht?«
»Aus Faulheit vermutlich. Nach der ganzen Mühe mit der Umstellung auf Williams hatte ich keine Lust, alles wieder rückgängig zu machen. Und so wild war ich auf Logan ohnehin nicht, weil der Held eines Science-Fiction-Films so hieß und sie mich in der Schule Loganella nannten. Hab ich gehasst.« Sie hielt inne. »Außerdem werde ich als Mrs unerwünschte Männer leichter los.«
»Passiert das oft?«, fragte ich.
»Öfter mal.«
»Mir hast du nicht gesagt, dass du eine Mrs wärst.«
»Weil du nicht unerwünscht bist.«
Ich lächelte sie an. »Gut. Was fehlt noch von dem Rundgang?«
»Wenig, das war’s eigentlich. Alles Interessante spielt sich hier ab. Hier wird das große Geld ausgegeben. Während der Auktion stehe ich hinter dem Podium da drüben.«
Sie wies auf ein erhöhtes Podest am Rand des Rings.
»Wenn der Hammer fällt, drückt mir der Auktionator eine Kaufbestätigung in die Hand, und ich muss zusehen, dass der Ersteigerer die unterschreibt, ehe er das Gebäude verlässt. Das weiße Blatt behalte ich, das gelbe bekommt der Käufer als Quittung. Aber ich muss ganz schön aufpassen, da einige zum Bieten gerade mal das Augenlid heben und andere sich hinten im Treppenaufgang verstecken, damit sie keiner sieht.«
»Wieso das denn?«
»Weiß der Himmel. Vielleicht denken sie, wenn jemand sie bieten sieht, geht der Preis hoch, und im Fall von Scheich Karim könnten sie recht haben.«
»Hör bloß auf«, sagte ich. »Dass der Direktor persönlich mich rumgeführt hat, ist mir schon peinlich genug.«
Sie lachte. »Das war seine Idee, nicht meine.«
»Aber du hättest ihn bremsen können.«
Sie sah mich an. »Warum hätte ich das denn tun sollen?«
Kate und ich gingen ins Verwaltungsgebäude, um den »Tattsfrauen«, ihren Kolleginnen, einen Besuch abzustatten, von denen ich einige schon in der Loge auf der Rennbahn kennengelernt hatte.
Auf der Tour von Schreibtisch zu Schreibtisch wurde mir klar, dass Kate mich als ihren ganz persönlichen VIP vorzeigte, einen, den der Direktor höchstselbst umhergeführt hatte. Und das wussten die Frauen natürlich. Warum auch nicht?, dachte ich. Wäre Kate bei Simpson White zu Besuch gewesen, hätte ich auch mit ihr angegeben.
»Du musst mal an einem Auktionstag vorbeikommen«, sagte Kate. »Dann wacht der Laden erst auf. Fahrer kämpfen um die Parkplätze, das Restaurant ist Wochen vorher ausgebucht, und zu sehen, wie die Reichen gegeneinander bieten, zieht einem die Schuhe aus. Freunde von mir kommen jeden Tag vorbei, nur um das mitzuerleben. Es ist die beste Bühnenshow am Ort, und es gibt sie gratis. Dass das Ganze kein Spiel, sondern todernst ist, macht es umso spannender. Vermögen und Ansehen erlangt und verliert man hier.«
»Du solltest beim Marketingteam sein«, scherzte ich.
»Bin ich schon.«