Y vonne hatte erklärt, sie habe erst ein Jahr danach erfahren, dass Zoe abgetrieben hatte. Aber Oliver hatte es sehr wohl gewusst. Er hatte den Eingriff vier Tage vor seiner Durchführung bezahlt.
Nicht die Patientin informieren.
Vielleicht hatte Zoe wirklich geglaubt, der Schwangerschaftsabbruch sei kostenlos über die Krankenkasse durchgeführt worden. Vielleicht glaubte sie auch, er sei ihr Geheimnis. Das hatte sie ihrer Mutter gegenüber angedeutet:
Angeblich wollte sie niemals jemandem davon erzählen.
Hieß das, jemand anderes als Zoe hatte es Oliver gesagt?
Wenn ja, dann kamen wohl nur zwei Namen in Betracht – die beiden Ärzte, Andrews und Benaud.
Ich war einmal mehr in dem Mercedes, auf der Rückfahrt nach Newmarket. Wieder rief ich Kate an.
»Tagchen«, meldete sie sich fröhlich. »Gerade hab ich an dich gedacht.«
»Schön«, sagte ich und lachte. »Könntest du mir noch einen Gefallen tun? Ruf bitte noch mal Janie an und frag, ob sie weiß, ob Oliver entweder einen Dr. Benaud gekannt hat, der vor siebzehn Jahren Allgemeinarzt in Newmarket war, oder einen Dr. Andrews, der eine Klinik in Cambridge geleitet hat.«
»Die Healthy-Woman-Klinik?«
»Ja, aber sag das möglichst nicht Janie.«
»Dr. Benaud oder Dr. Andrews?«
»Ja. Gavin Andrews ist vor sechs Jahren gestorben. Und Benaud spricht sich wie Richie Benaud, der Cricketspieler, mit einem stummen D am Schluss. Ich weiß nicht, ob er noch praktiziert oder überhaupt noch lebt.«
»Ich ruf Janie gleich an.«
»Danke.«
Danach rief ich ASW an, um ihn auf den aktuellen Stand zu bringen, was meine Erkundungen anging.
Er ließ mich ausreden, bevor er etwas sagte. »Sie meinen also, Sie wissen, warum die Pferde gestorben sind.« Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Der Pferde wegen waren wir schließlich vom Scheich beauftragt worden.
»Ja«, sagte ich. »Ich weiß es.«
»Und wer sie umgebracht hat?«
»Ja. Nur kann ich wahrscheinlich keine rechtsgültigen Beweise dafür vorlegen.«
»Und die Tote?«, fragte er. »Hat der Täter auch sie umgebracht?«
»Ich glaube ja.«
»Was wollen Sie also tun?«
»Daran arbeite ich noch.«
»Was ist mit der Polizei?«, fragte ASW .
»Sie muss natürlich eingeschaltet werden«, sagte ich. »Ich habe nur noch nicht entschieden, wie und wann. Erst brauche ich ein paar handfeste Beweise. Bis jetzt sind alles nur Indizien.«
»Seien Sie vorsichtig«, mahnte er.
»Klar«, sagte ich … aber wie vorsichtig? Ich brauchte eine Bestätigung, und die bekam ich vielleicht nur, wenn ich den Täter dazu brachte, Farbe zu bekennen.
»Können wir von uns aus etwas tun?«, fragte ASW .
»Ja. Zweierlei. Erstens, wenden Sie sich an das Chancery Lane Medical Laboratory. Schauen Sie, was Sie über eine Probe herausfinden können, die ihnen am 8 . August 2002 vom Healthy Woman Centre in Cambridge zugeschickt wurde. Insbesondere, ob das Labor einen DNA -Test an der Probe durchgeführt hat, und wenn ja, ob sie noch das Ergebnis haben. Und auch, ob sie in Verbindung damit noch andere Tests gemacht haben.«
»Andere Tests?«, fragte ASW .
»Zum Vergleich.«
»Ach so. Gut. Darum kümmere ich mich gleich selbst. Und das Zweite?«
Ich zögerte, weil ich noch überlegte, ob das Zweite wirklich eine gute Idee war.
»Ist Denzel im Büro?«, fragte ich.
Denzel stammte aus der Karibik und war die Nummer 9 der Simpson-White-Mitarbeiter. Unser Ex-Spezialeinheitler, unser Ex-Elitesoldat, unser Ausputzer.
Denzel war nicht sein richtiger Name, er wurde nur seit dem Militär wegen seiner unheimlichen Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Denzel Washington so genannt. Aber unser Denzel hatte nicht nur ein hübsches Gesicht. Er war eins dreiundneunzig groß, muskelbepackt und wusste seine Kräfte erfolgreich einzusetzen.
»Frag nicht, dann wirst du nicht belogen«, war Denzels Lieblingsspruch.
Also fragten wir nicht.
»Und ob er da ist«, antwortete ASW . »Er turnt herum wie ein Bär mit Kopfweh. Der hält’s hier kaum noch aus.«
»Gut«, sagte ich. »Ich kann ihn gebrauchen. Das Labor spielt vermutlich nicht mit, auch wenn sie die Ergebnisse noch haben; schicken Sie also Denzel bitte nach Ealing, damit er Peter Robertson die Daumenschrauben anlegt. Ich wüsste gern, wie viel er weiß, und insbesondere, ob er sagen kann, wer der Vater von Zoes abgetriebenem Fötus ist.«
Es war kurz still in der Leitung, als würde ASW im Kopf durchspielen, ob der mögliche Informationsgewinn die eventuell auf uns zukommenden rechtlichen Komplikationen aufwog.
Ich war einem kleinen Erpressungsversuch selbst nicht abgeneigt.
»Sagen Sie Denzel, er soll Mr Robertson in aller Deutlichkeit klarmachen, dass ich Beweise für seine Erpressungen habe und dass ich die, wenn er uns nicht gibt, was wir wollen, nicht nur der Polizei vorlege, sondern auch der Wohlfahrtsbehörde und dem Kinderschutz. Dann verliert er neben seiner Freiheit seine Wohnung und die Kinder. Hilft er uns, wahre ich Stillschweigen.«
»Geht das denn?«, fragte ASW .
»Ich weiß es nicht. Aber ich würde mein Bestes tun. So oder so dürfte es mit Peters kleinem Zubrot bald schlagartig und endgültig vorbei sein, weil das Druckmittel, das er benutzt, öffentlich bekannt wird. Entweder verrät er’s uns, oder er muss der Polizei sein dickes Bankkonto erklären.«
»Okay«, sagte ASW und traf seine Entscheidung. »Ich instruiere Denzel und schicke ihn gleich los, aber ich muss darauf bestehen, dass er sich jeglicher Gewalt enthält, erst recht, wenn kleine Kinder in der Nähe sind.«
Gern, dachte ich. Ich wusste, dass Denzel nur Gewalt anwandte, wenn es wie etwa zur Selbstverteidigung unumgänglich war. Meistens genügte es, sie anzudrohen, und aktuell war Peters Wohlergehen größeren Gefahren ausgesetzt als nur ein paar blauen Flecken.
»Vor allem interessiert mich, wer der Vater war.«
»Verstanden«, sagte er. »Ich melde mich, sobald wir was haben.«
Wir legten auf, aber mein Handy klingelte fast sofort wieder. Ich dachte, es wäre noch mal ASW , doch es war Kate.
»Von Dr. Benaud wusste Janie nichts«, sagte sie. »Aber Gavin Andrews war viele Jahre lang einer von Olivers Besitzern. Und sie haben jeden Dienstagabend zusammen gepokert. Janie sagt, sie weiß noch, wie fertig Oliver war, als der Doktor so plötzlich gestorben ist.«
Oliver Chadwick und Dr. Andrews waren also Kartenspielkameraden gewesen. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie der gute Doktor seinen Freund anrief und ihm erzählte, dass seine dreizehnjährige Tochter in der Klinik aufgekreuzt war und um eine Abtreibung gebeten hatte. Zum Teufel mit der ärztlichen Schweigepflicht. Seine Freundschaft ging vor.
Oliver dürfte gewusst haben, wo die Schwangerschaft herkam, und hatte getan, was jeder gute Vater unter den Umständen getan hätte – den Schwangerschaftsabbruch bezahlt und Stillschweigen darüber gewahrt, selbst gegenüber Frau und Tochter.
Aber das war noch nicht alles.
Er hatte seinen Freund gebeten, eine Probe des Fötus zu entnehmen und sie an ein Labor zu schicken – ziemlich sicher zur Feststellung der Identität des Vaters.
Was war dabei herausgekommen?
Ich konnte eine Vermutung wagen, aber auch das wäre schwerlich ein handfester Beweis.
Den größten Teil des Nachmittags tippte ich weiter meinen Bericht ab und wartete gespannt auf Neuigkeiten von Denzel aus Ealing.
ASW rief als Erster an und gab Bescheid, dass das Labor in der Chancery Lane wie befürchtet Testergebnisse nur an die betroffenen Patienten oder deren Ärzte herauszugeben bereit war, sofern kein Gerichtsbeschluss vorlag, und Ausnahmen gab es nicht.
»Sie wollten nicht mal preisgeben, ob sie sie noch haben«, sagte ASW . »Ich habe ihnen erklärt, dass die Patientin verstorben ist, aber das ändert nichts, i wo, es macht höchstens alles noch schlimmer. In dem Fall, sagten sie, darf nur auf Anordnung der Gerichtsmedizin etwas herausgegeben werden.«
Aussichtslos.
»Danke, dass Sie’s versucht haben«, sagte ich. »Hoffen wir, dass Denzel mehr Glück hat.«
Aber erst nach fünf rief er mich schließlich an.
»Tag, Harrison, mein Junge«, sagte er mit seiner tiefen, volltönenden karibischen Stimme. »Wiegetso?«
Er war der Einzige im Büro, der mich Harrison nannte und mich damit zum Schmunzeln brachte.
»Danke, Denzel, gut«, sagte ich. »Was gibt’s Neues?«
»Ich war bei Ihrem Peter Robertson.« Ein leises Lachen. »Allzu erfreut war er über meinen Besuch nicht, kann ich Ihnen sagen. Wollte mir die Tür vor der Nase zuknallen.« Er hörte sich gekränkt an. »Gut, dass ich meine festen Schuhe anhatte.« Wieder lachte er leise. »Hab ihn dann aber doch überredet, mich reinzulassen.«
Ich fragte nicht, wie. Daher wurde ich nicht belogen.
»Und?«, half ich nach. »Wie ging’s weiter?«
»Er hat nicht viel Nettes über Sie gesagt«, antwortete Denzel wieder lachend. »Das steht mal fest. Schon gar nicht, als er Ihren Spruch vom Kinderschutz und allem hörte. Stinksauer war er da.« Noch ein Lachen. »Er wünschte, er hätte Sie am Samstagnachmittag von der Treppe geschmissen. Also hab ich zart angedeutet, dass ich vielleicht ihn da runterschmeiße, wenn er nicht zackzack meine Fragen beantwortet.«
»Und hat er sie beantwortet?«
»Nicht sofort.« Lachen. »Also frag ich ihn, ob er weiß, was für Trümmer ein Großbildfernseher hinterlässt, wenn ich ihn aus dem vierten Stock werfe und seinen restlichen Kram hinterher. Und Sie glauben nicht, was er geantwortet hat!« Diesmal lachte er länger. »Er hat mir gedroht, die Bullen zu rufen. Sag ich, na los, ruf sie. Die brennen bestimmt darauf, mit einem Erpresser zu reden.«
»Wo waren denn da die Kinder?«
»Im selben Raum. Wir haben uns echt leise unterhalten, ganz diskret. Die Kinder waren in irgendwas im Fernsehen vertieft.«
»Sie haben den Fernseher also nicht rausgeworfen?«
Diesmal lachte er lauter. »Nee, natürlich nicht! Hätte ich aber, wenn er nicht doch mit ein paar Antworten rübergekommen wäre.«
»Was hat er erzählt?«
»Alles. Als er erst mal anfing, war er nicht mehr zu bremsen. Geheult hat er. Geschluchzt. Dass er seine Frau elend vermisst. Dass er sie trotz ihrer Probleme angebetet hat. Sich wünschte, sie hätte nie von dem Scheiß-DNA -Test erfahren. Bis dahin war sie im Aufwind, sagte er. Dann ging es wieder bergab mit ihr, und zwar schlimm.«
»Wie hatten sie von dem Test erfahren?«
»Sie hat offenbar den Arzt gewechselt, und der neue sagte, die Krankenunterlagen der alten Praxis seien angekommen. Aus einer Laune heraus wollte sie sich die ansehen. Ohne besonderen Grund. Einfach nur, weil es ging. Wegen etwas, das ihr da aufgefallen ist, hat sie dann aber weitere Unterlagen bei der Klinik angefordert, in der Sie waren. Und so kam sie zu dem Testlabor.«
Ganz einfach. Auf genau dem gleichen Weg wie ich.
Man muss aufpassen, was man sich wünscht.
Nur hatte sie ihre Ergebnisse offenbar mit Erfolg beim Chancery Lane Medical Laboratory angefordert und ich nicht.
»Das Labor hat also die Probe aus Cambridge DNA -getestet?«
»Ja, allerdings«, sagte Denzel. »Und Zoe als der Patientin haben sie das Profil geschickt.«
Bahn frei für die Eine-Million-Dollar-Frage.
»Und wer war nun der Vater?«
»Das ist das Dollste!«, sagte Denzel. »Peter behauptet, er weiß es immer noch nicht, und ich glaube ihm.«
»Bitte? Wieso weiß er das nicht?«
»Weil er zwar das Profil des Fötus hat, aber nichts, womit er es vergleichen kann.«
Und weil die Chadwick-Söhne es auch nicht wissen, dachte ich, erpresst er sie alle.
Aber Oliver wusste es. Da war ich mir sicher.
Es wäre sinnlos gewesen, sich mit so großem Aufwand die DNA des abgetriebenen Fötus zu besorgen, wenn er nicht auch Vergleichsproben von den Jungs eingeholt hätte. Vielleicht hatte er dazu einfach Haare von ihren Haarbürsten genommen oder Speichel von einem Glas.
Wie und wo an ein DNA -Profil heranzukommen war, wusste er sicher durch seine Arbeit mit den Pferden.
»Gibt es sonst noch was?«, fragte ich Denzel.
»Nee«, antwortete er. »Außer, dass eine der Chadwick-Frauen laut Peter wusste, was früher gelaufen war. Anscheinend war sie voriges Jahr hier, und Zoe hatte es ihr gesagt.«
Arabella, dachte ich. Und sie hatte sich umgebracht, nicht weil sie glaubte, ihr Mann habe einen Mord begangen, sondern weil sie von Zoe wusste, dass er Inzest begangen hatte. Das hatte sie für sich behalten und war trotzdem mit ihm verheiratet geblieben, und jetzt würden es alle erfahren. Das war die Schande, die sie nicht ertragen konnte. Hinzu kam, dass ihr Stillschweigen Zoe das Leben gekostet hatte.
Kate kam nach der Arbeit zu mir ins Hotel, als ich gerade im Internet recherchierte.
Wir setzten uns in der warmen Spätnachmittagssonne an einen Gartentisch und tranken zuerst eine Tasse Tee, dann bald darauf ein Glas gekühlten Weißwein.
»Hast du jetzt das Rätsel gelöst?«, fragte sie.
»Möglicherweise«, sagte ich.
Sie rieb sich aufgeregt die Hände. »Erzähl.«
»Nicht hier«, sagte ich. »Nachher. Wenn wir allein sind.«
Sie schien enttäuscht und beugte sich näher zu mir.
»Sprich halt leise. Das hört schon keiner.«
Doch ehe ich etwas sagen konnte, klingelte mein Handy. Es war Declan, und er klang höchst beunruhigt.
»Harry«, sagte er. »Hier ist ein Unglück passiert. Eine Stute des Scheichs hat sich in ihrer Box festgelegen.«
»Festgelegen?«
»Sie steckt mit untergeschlagenen Beinen unten an der Wand fest. Passiert selten, kommt aber vor. Nicht zu ändern.«
»Worin besteht das Unglück?«, fragte ich.
»Die Pferde geraten in Panik und schlagen mit jedem Bein aus, das sie noch bewegen können. So auch die Stute, und ich fürchte, sie hat sich die Fessel gebrochen.«
»Wie schlimm ist das?«
»Es kann tödlich sein«, erwiderte er. »Ich habe den Tierarzt gerufen und den Abdecker informiert.«
Als wären zwei tote Pferde nicht schon genug für den Scheich.
»Könnten Sie sich das mal ansehen?«, fragte Declan.
»Muss ich?«
»Ich denke schon. Die Entscheidung, ob sie eingeschläfert wird oder nicht, liegt bei Ihnen.«
»Entscheidet das nicht der Tierarzt?«
»Mag sein. Mir wäre es aber schon lieber, Sie wären hier und würden sich anhören, was er zu sagen hat. Vielleicht kann er den Fesselkopf richten und in Gips legen. Sollte sie keine Rennen mehr laufen können, kann sie immer noch eine gute Zuchtstute werden.«
»Na gut«, sagte ich widerstrebend. »Ich komme dann gleich.«
»Danke.«
Er legte auf.
»Probleme?«, fragte Kate.
»Ein Pferd des Scheichs hat sich in seiner Box festgelegen und anscheinend einen Fesselkopf gebrochen.«
Ich wusste zwar nicht genau, was ein Fesselkopf war, aber er musste irgendwo am Bein sein.
»Oje«, sagte Kate. »Das ist furchtbar. Vor Jahren ist das einem Hengstfohlen bei uns in einer Box passiert.«
»Und wie ging das aus?«
»Es musste eingeschläfert werden. Im Büro waren alle erschüttert.«
»Ich geh dann mal rüber zu Declan. Wartest du hier auf mich?«
»Kann ich nicht mitkommen?«
»Nein.« Das kam schroffer heraus, als es sollte.
»Warum nicht?«
»Ich möchte nicht, dass du dich wieder aufregst, falls das Pferd eingeschläfert werden muss.«
»Dann lass dich wenigstens von mir hinbringen«, sagte sie. »Ich warte draußen im Wagen.«
Ich lächelte sie an. »Das wäre großartig. Ich hol schnell mein Jackett. Ein bisschen Eleganz muss sein, wenn man Scheich Karim vertritt.«
Kate fuhr mich mit ihrem Mini zur Hamilton Road.
»Bald kann man auch wieder das Verdeck runterlassen«, sagte sie. »Ich liebe den Sommer.«
»Park an der Straße«, sagte ich.
Kate sah mich an.
»Ich geh durch den Hof.«
Kate hielt nah am Hofeingang, und ich stieg aus und beugte mich vor, um durchs offene Fenster mit ihr zu reden.
»Bleib hier«, sagte ich. »Verriegel die Türen und komm auf keinen Fall rein. Bin ich in einer halben Stunde nicht zurück, ruf die Polizei.«
Mit einem Mal sah sie sehr verängstigt aus. »Warum?«
Ich lächelte sie an. »Reine Vorsichtsmaßnahme. Als ich letztes Mal einen Hof der Chadwicks betreten habe, fand ich mich mit einem durchgedrehten Pferd zusammengesperrt in einem Stall wieder. Ich bin nicht scharf darauf, das noch mal zu erleben.«
»Dann geh nicht rein«, sagte sie mit einem Anflug von Panik.
»Es ist bestimmt alles gut«, sagte ich.
Sie war nicht sonderlich beruhigt.
»Lass mich bitte mitkommen.« Jetzt flehte sie.
»Nein«, sagte ich entschieden. »Versprich mir, dass du hierbleibst.«
Sie schwieg.
»Versprich es mir«, wiederholte ich streng.
»Na schön«, lenkte sie ein. »Ich verspreche es, aber es gefällt mir nicht.«
»Ich bleib nicht lange. Bin im Nu wieder da.«
Um mein neuerliches Lächeln zu erwidern, war sie viel zu besorgt.
Ich trat durch den Hofeingang und wählte als weitere Vorsichtsmaßname die Handynummer von DCI Eastwood.
»Tag, Chief Inspector«, sagte ich. »Möglicherweise habe ich ein paar Informationen, die Ihnen bei Ihrem Fall helfen könnten.«
»Was für Informationen?«, fragte er.
»Das möchte ich im Augenblick lieber nicht ausführen. Ich bin gerade in Declan Chadwicks Stallhof angekommen. Er hat mich gerufen, weil ein Pferd von Scheich Karim verletzt ist und vielleicht eingeschläfert werden muss.«
»Das tut mir leid«, sagte er.
»Aber wenn Sie dranbleiben, spreche ich nachher mit Ihnen.«
Ich erklärte, um was es mir ging.
»Gut«, sagte er. »Ich bin dann hier.«
Ich steckte das Handy sorgfältig in die Brusttasche meines Jacketts und trat in den Hof.
Declan erwartete mich.
»Ah, da sind Sie ja, Harry. Hier entlang.«
Er ging los, und ich folgte ihm.
»Ist der Tierarzt da?«, fragte ich.
»Noch nicht. Er ist unterwegs. Ein Pfleger ist bei dem Pferd.«
Ich sah mich um. Alles war still.
»Ist die Abendstallzeit vorbei?«, fragte ich.
»Um sechs allemal. Für später ist heutzutage kein Personal mehr zu kriegen. Aber ich geh vorsichtshalber nachher noch mal rum.«
»Ob sich auch keiner festgelegen hat?«
Er warf mir einen Blick zu. »Genau.«
Wir gingen weiter.
»Ach, übrigens«, sagte ich. »Ich habe gute Neuigkeiten für Sie. Die Polizei sagt, sie hat Bänder der Überwachungskameras, auf denen zu sehen ist, wie Zoe am Sonntagnachmittag in Newmarket den Zug besteigt.«
»Das sind gute Nachrichten«, befand Declan. »Ich hab’s ja gesagt.«
Wir kamen zu einem Stall, dessen Tür weit offen stand.
»Hier rein«, sagte Declan und trat zur Seite, um mir den Vortritt zu lassen.
Drinnen wartete kein durchgedrehtes Pferd auf mich. Nein, überhaupt kein Pferd und auch keine Pferdepfleger.
Nur die Chadwick-Männer, en gros.
Oliver, Ryan und Tony sowie Declan, der hinter mir hereinkam und die Tür schloss.
»Was wird das denn?«, sagte ich lachend. »Abrechnung zu viert?«
Keiner von ihnen lachte mit.