S ie wirkten alle sehr zufrieden mit sich, weil ich so brav in ihre kleine Falle spaziert war.
»Eine Freundin hat mich hergebracht«, sagte ich. »Sie wartet auf mich. Auch die Polizei weiß, dass ich hier bin. Noch einen Toten in einem Chadwick-Stall wegzuerklären dürfte schwierig sein. Selbst wenn Sie den Stall anzünden.«
»Ein Toter?«, erwiderte Oliver. »Wir sind doch nicht hier, um Sie umzubringen.«
»Sondern?«, fragte ich verärgert und ging in die Offensive. »Ich bin angelogen worden. Schon wieder. Wieso, Declan? Wieso haben Sie mir einen Bären über ein Pferd und seinen Fesselkopf aufgebunden? Ausgerechnet Sie?«
»Wir dachten, sonst kämen Sie nicht.«
»Na schön«, sagte ich. »Jetzt bin ich hier. Was wollen Sie, verdammt noch mal?«
Es war einen Moment still, als hätten sie nicht erwartet, dass ich so direkt sein würde.
Oliver beendete das Schweigen. »Wir möchten, dass Sie Newmarket noch heute verlassen und nie mehr wiederkommen.«
Ich starrte ihn an.
»Na, das wird nicht passieren.«
»Ich hab euch doch gesagt, mit ihm zu reden ist zwecklos«, kam es von Ryan.
»Was war denn Ihr Vorschlag, Ryan?«, fragte ich. »Mir die Nase zu brechen vielleicht, wie die von Declan?«
»Halten Sie den Mund!«, sagte Ryan und trat einen Schritt auf mich zu. Da erst sah ich, dass er etwas in der Hand hielt, eine Reitpeitsche, die er jetzt direkt auf mich richtete. Vielleicht wollte er mir doch nicht an die Nase, aber wenn er dachte, Angst vor Peitschenschlägen könnte mich aufhalten, täuschte er sich.
»Ich denke nicht dran«, sagte ich. »Sie alle vier halten schon viel zu lange den Mund. Nicht einer von Ihnen stellt sich dem großen Chadwick-Familiengeheimnis oder spricht es an, deshalb nehme ich Ihnen das jetzt mal ab.«
Ich schwieg und schaute in die Runde. Was für ein Haufen.
»Wo soll ich anfangen«, sagte ich. »Bei dem sexuellen Missbrauch von Zoe oder ihrer Abtreibung?«
Stille. Sie sahen sich nur gegenseitig an und dann mit hasserfüllten Augen mich.
»Na los, Herrschaften«, sagte ich. »Machen Sie mir jetzt nicht vor, dass Sie davon nichts wissen. Warum sonst hätten Sie Zoe Erpressungsgeld zahlen sollen?«
Ryan brach als Erster das Schweigen. Er kam noch zwei Schritte auf mich zu. »Das Geschwätz muss ich mir nicht länger anhören!«
»Die Wahrheit tut weh, was, Ryan?«, sagte ich. »Sonst zeigen Sie mir doch Ihre Bankauszüge zum Beweis dafür, dass Sie nicht gezahlt haben.«
Das konnte er nicht. Er hob die Peitsche wie zum Schlag.
»Na los«, sagte ich. »Für Körperverletzung hat die Polizei bestimmt noch Platz auf ihrer Liste«, sagte ich.
»Wie viel wollen Sie?« Olivers Stimme durchbrach die Anspannung des Augenblicks.
Ryan ließ den Arm sinken und beruhigte sich.
Ich auch.
»Was meinen Sie damit?«, sagte ich.
»Wie viel wollen Sie?«, wiederholte Oliver. »Sie sind doch wohl auf Geld aus.«
Ich lachte beinahe. »Nein«, sagte ich. »Geld nicht. Mir geht es um Gerechtigkeit. Für Ihre Tochter. Und für Scheich Karim.«
Aber vor allem für Zoe, dachte ich. Ich hatte sie nicht gekannt, im Lauf der vergangenen Woche aber ein gewisses Maß an Mitgefühl für sie entwickelt. Es war ihr nie möglich gewesen, wie ein normales Kind aufzuwachsen, frei von Sorgen. Diese vier Männer hatten sie benutzt und missbraucht, verletzt und weggestoßen. Und einer von ihnen hatte sie dann umgebracht.
»Jeder hat seinen Preis«, sagte Oliver zuversichtlich. »Wie viel?«
»Das können Sie sich nicht leisten«, sagte ich.
»Wetten, dass?«
Er meinte es ernst. Er dachte immer noch, er könne sich freikaufen.
»Zahl ihm nichts«, sagte Tony. »Der weiß nichts. Er blufft nur.«
Ich wandte mich zu ihm.
»Ist das so, Tony?«, sagte ich. »Wo bluffe ich denn? Wovon weiß ich nichts?«
»Sie wissen gar nichts«, sagte er.
»Ich weiß, dass Sie genau wie Declan und Ihr Vater an Zoe Erpressungsgeld gezahlt haben.«
»Das war kein Erpressungsgeld«, sagte Tony. »Ich habe nur meine Schwester und ihre Kinder unterstützt. Das ist nicht verboten.«
Die anderen nickten zustimmend. Langsam fassten sie wieder Selbstvertrauen. Zusammen waren sie stark. Ich musste zusehen, dass sie uneins wurden. Ryan war der Unausgeglichenste der vier. Ihn musste ich piesacken.
»Erzählen Sie doch mal, Ryan«, sagte ich, »warum haben Sie Declan in dem Hotel in Doncaster die Nase gebrochen? Worum ging’s bei dem Streit? Hatte es mit Zoe zu tun? Hat Declan Ihnen gesagt, Sie als der Älteste hätten es besser wissen müssen?«
»Halten Sie den Mund!«, herrschte er mich wieder an, diesmal vielleicht nervöser.
Ich wandte mich an Declan. »Was haben Sie zu ihm gesagt? Was war so schlimm, dass Ihr Bruder Ihnen dafür die Faust ins Gesicht gesetzt und Ihnen die Nase gebrochen hat?«
»Das geht Sie nichts an«, sagte er.
»Doch, es geht mich was an. Weil Sie mich heute hierhergelockt haben, geht’s mich was an, ganz zu schweigen davon, dass Sie mich zu einem durchgeknallten Pferd in den Stall gesperrt haben.«
»Das war ich nicht«, fuhr Declan auf.
»Passiert ist es aber.«
»Schade, dass der Gaul Sie nicht gekillt hat«, sagte Ryan.
Die Arroganz, mit der er das sagte, erkennbar stolz auf den Einfall, verriet mir, dass nicht Oliver, sondern Ryan für diese kleine Episode verantwortlich war. Unwillkürlich ging meine Hand zu der Naht an meinem rechten Ohr. Dafür schuldete ich ihm was.
»War das als Abschreckung gedacht?«, fragte ich.
»Nein«, sagte er lachend. »Sie sollten dabei draufgehen.«
»Kommt also noch versuchter Mord auf die Liste. Sie werden lange weg vom Fenster sein, Ryan.«
Er lachte erneut und schüttelte den Kopf. »Sie machen einfach immer weiter, was? Wie ein Moskito, der weggeklatscht gehört. Geben Sie’s zu, Sie haben gegen keinen von uns was in der Hand.« Er sah seinen Vater und seine Brüder an. »Suchen Sie sich also ein Loch, Sie subalternes Würmchen, kriechen Sie rein und lassen Sie uns in Frieden.«
Sein Selbstbewusstsein wuchs offensichtlich mit jeder Sekunde. Zeit, da mal etwas Luft rauszulassen.
»Sie vergessen offenbar, dass ich Scheich Karim vertrete.«
»Von mir aus können Sie die Königin von Saba vertreten«, gab Ryan wütend zurück.
So langsam ging ich hier unter. Ich brauchte einen Geschwisterzwist.
Zeit, meinen Trumpf auszuspielen.
Ich schaute die drei Söhne an.
»Hat Ihr Vater Ihnen nie gesagt, wer der Vater von Zoes ungeborenem Kind war?«
»Fangen Sie schon wieder mit dem Quatsch an?«, sagte Tony.
»Das ist doch kein Quatsch, Oliver, oder?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte er, aber mit einem nervösen Zittern in der Stimme, das wir alle hörten, und sein Gesicht war ziemlich blass geworden. Er begann zu schwitzen.
»Sagt Ihnen das Chancery Lane Medical Laboratory etwas?«, fragte ich ihn.
Wenn möglich, wurde er noch einen Hauch blasser. Die drei Söhne schauten statt meiner jetzt ihren Vater an.
»Hat er Ihnen das nicht gesagt? Ihr Vater hat über seinen Freund Dr. Gavin Andrews dem abgetriebenen Fötus eine Gewebeprobe entnehmen lassen, die zur Analyse an ein Labor geschickt wurde. Um ein DNA -Profil zu bekommen. Das hat er dann mit Ihren DNA s verglichen. Er weiß seit sechzehn Jahren, wer von Ihnen Zoe geschwängert hat.«
Die Söhne starrten Oliver immer noch an.
»Zoe selbst wusste nichts davon«, redete ich weiter. »Vor sechs Jahren fand sie das mit der Gewebeprobe heraus und besorgte sich das DNA -Profil des Fötus, wusste aber immer noch nicht, wer von Ihnen verantwortlich war. Deshalb hat sie Sie alle erpresst und gedroht, das Profil an die Presse weiterzugeben, wenn Sie nicht zahlten. Sie wussten, dass Sie bei einer Veröffentlichung des Profils praktisch gezwungen wären, einem Abgleich mit Ihrer eigenen DNA zuzustimmen. Also zahlten Sie. Regelmäßig, jeden Monat. Und Ihr Vater auch, um den Namen Chadwick aus den Klatschspalten herauszuhalten.«
Jetzt schauten sie alle vier mich an.
»Aber Ihr Vater kannte den Schuldigen von Anfang an. Nicht, dass der tatsächliche Erzeuger schlimmer gewesen wäre als die beiden anderen. Dass keiner von Ihnen mit Sicherheit sagen konnte, ich war es nicht, beweist zur Genüge, was da vor sich ging.«
Ich schwieg kurz, um das sacken zu lassen.
»Zoe war erst dreizehn«, sagte ich. »Ryan, Sie waren sechsundzwanzig. Declan, Sie waren vierundzwanzig. Wenigstens Sie beide hätten wissen müssen, dass das verkehrt war. Sie haben sich sogar um die Gunst Ihrer jungen Halbschwester gestritten.«
»Das war nicht der Grund«, sagte Declan.
»Halt’s Maul!«, schrie ihn Ryan an.
»Was denn dann?«, fragte ich. »Was war so beschämend, dass Ihre Frau sich lieber umgebracht hat, als damit zu leben, dass es bekannt wird?«
»War denn nicht Declans Verhaftung der Grund dafür?«, sagte Oliver.
»Nein – stimmt’s, Declan? Mit Mord konnte sie leben. Arabella hat sich umgebracht, weil sie wusste, dass das alles an den Tag kommen würde, und sie ertrug die Schande nicht, mit einem Mann verheiratet zu sein, der seine eigene Schwester geschwängert hat, das aber bei ihr nicht hinbekam.«
»Ich war das doch nicht«, sagte Declan entschieden. »Es wäre nicht gegangen. Mit vierundzwanzig hab ich ein Jahr lang in Amerika geritten.«
»Wusste Arabella das?«, fragte ich.
Aus Declans Schweigen ging hervor, dass sie es nicht gewusst hatte. Aber der frühere Inzest eines Ehemanns wird vermutlich auch eher selten am Frühstückstisch angesprochen.
»Ja, warum haben Sie denn gezahlt, wenn Sie wussten, dass Sie es nicht gewesen sein konnten?«
Declan schwieg, aber wir kannten die Antwort auch so – er hielt sich des Inzests für ebenso schuldig wie die anderen, ob er den Fötus gezeugt hatte oder nicht. Und das war richtig.
»Deshalb haben Sie in dem Hotel in Doncaster Ryan beschuldigt, der Vater zu sein«, sagte ich. »Und dafür hat er Ihnen die Nase gebrochen. Und Sie haben ihn nicht wegen Körperverletzung angezeigt, weil Sie Angst hatten, vor Gericht würde man wissen wollen, weshalb Sie sich gestritten hatten.«
Declan stand mit gesenktem Kopf da, und seine ganze Körpersprache gab mir recht, aber Ryan spielte nicht mit.
»Das ist eine verdammte Lüge!«, schrie er.
»Warum haben Sie ihn denn geschlagen?«, fragte ich.
Er starrte mich an. Keine Antwort.
»Ryan war aber nicht der Vater«, sagte Oliver leise in die Stille hinein.
Ryan der Wunderknabe, der in Olivers Augen nichts falsch machen konnte.
Nein, er war es natürlich nicht.
Wir alle sahen Chadwick senior an, aber von ihm kam nichts mehr. Also richteten sich die Blicke langsam auf Tony.
»O nein«, sagte er abwehrend und trat einen Schritt zurück. »Das könnt ihr mir nicht anhängen.«
»Wieso nicht?«, sagte ich. »Die Polizei hat die Profile von Declan und Ryan. Die sind in der britischen DNA -Datenbank, weil beide schon mal festgenommen wurden. Da das Profil aus dem Labor mit beiden nicht übereinstimmt, bleiben nur Sie.«
Jetzt bluffte ich wirklich, aber das konnte er nicht wissen.
»Geben Sie mir doch jetzt einfach eine DNA -Probe von sich zum Vergleich. Ein Kopfhaar von Ihnen genügt.«
Ich streckte ihm die Hand entgegen, doch er wich vor mir zurück.
»Kommen Sie schon, Tony«, sagte ich. »Ein Haar. Ihre DNA kann Sie entlasten.«
»Kann sie nicht«, sagte Oliver trocken.
Wir starrten ihn alle wieder an.
Fast sechzehn Jahre lang hatte er dieses Wissen geheim gehalten, das sich wie eine hungrige Raupe langsam durch sein Gehirn fraß. Und jetzt war es heraus.
Nicht, dass es mich überrascht hätte. Mir war schon lange der Verdacht gekommen, dass es Tony sein musste. Der von Oliver andauernd kritisierte dritte Sohn. Ich dachte daran zurück, wie Oliver mir gegenüber von ihm gesprochen hatte.
Zum Beispiel, als wir uns an meinem ersten Abend in Newmarket die Übertragung des Rennens in Windsor angesehen hatten: Tony hat nie sein volles Potenzial erreicht, weil ihm die Konzentration fehlt. Anders als Ryan. Ryan hätte das hier mühelos gewonnen. Declan auch.
Oder auf der Rennbahn in Newmarket am vergangenen Freitag, als Tony meinte, Momentums Tank sei leer: Unsinn. Du hast ihn einfach nicht vernünftig geritten.
Tony, der Jockey, den Oliver beim Derby nicht auf Prince of Troy haben wollte: Der steile Abstieg zur Tattenham Corner ist vielleicht der schwierigste Rennbahnabschnitt auf Erden. Dafür braucht man einen mit mehr Grips als Tony. Ryan, der kam da prima zurecht.
Tony, der Sohn, den er sechzehn Jahre hindurch fortwährend herabgesetzt hatte, weil er wusste, er hatte die eigene Schwester geschwängert.
Doch den Behörden hatte Oliver das nicht gemeldet. O nein. Stattdessen hatte er es vertuscht, seine Söhne um sich geschart und an der kurzen Leine gehalten, dabei aber seine Tochter geopfert und sie einem von Drogen und Depressionen, Hoffnungslosigkeit und Krankenhäusern bestimmten Leben überlassen.
Aber ich war noch nicht fertig. Wer den Fötus gezeugt hatte, wussten wir jetzt, doch wer hatte die Mutter umgebracht?
»Was haben Sie am Sonntag vor dem Brand gemacht?«, fragte ich Oliver. »Insbesondere zwischen halb vier und sechs am Sonntagnachmittag.«
»Das weiß ich nicht mehr«, antwortete er sofort.
»Aber Oliver«, sagte ich, »das können Sie doch besser. Die Polizei hat Sie das bestimmt auch schon gefragt.«
»Ich war zu Hause«, sagte er.
»Und womit beschäftigt?«
»Keine Ahnung«, antwortete er gereizt. »Sonntag ist mein Ruhetag. Wahrscheinlich habe ich vorm Fernseher gehangen.«
»Was haben Sie sich denn angeschaut?«
Er wurde ziemlich unruhig. »Warum muss ich mich fragen lassen, was ich mir angesehen habe?«
»Weil ich behaupte, Sie haben sich gar nichts angesehen. Sie haben sich in Ihrem Fernsehzimmer mit Zoe gestritten.«
»Seien Sie nicht albern«, sagte er.
»Deshalb waren Sie so geschockt, als sich herausstellte, dass sie die Tote im Stall war. Sie hatten Angst, die Polizei würde herausfinden, dass sie bei Ihnen gewesen war, und Ihnen vorwerfen, Sie hätten sie umgebracht.«
»Maria war doch bei mir«, erklärte er fest.
»Nein, war sie nicht. Maria lag mit Migräne oben im Bett, bis zu den Ohren vollgepumpt mit einer Mischung aus starken Schmerztabletten und Weißwein. Sie hörte den Streit unten und nahm irrtümlich an, die EastEnders liefen im Fernsehen. Aber da lag sie falsch, Oliver. Das waren Sie und Zoe.«
»Ich hab sie aber doch am Bahnhof abgesetzt«, warf Declan ein. »Sie haben mir selbst gesagt, dass sie den Zug genommen hat.«
»Ja«, antwortete ich. »Hat sie auch. Aber nicht den Zug um vier, wie Sie dachten. Erst den nächsten. Und in der Zwischenzeit ist sie zu Fuß nach Castleton House Stables, um Ihren Vater zu fragen, von welchem ihrer Brüder sie schwanger geworden war. Und Sie haben es ihr gesagt, stimmt’s, Oliver?«
»Aber ich habe sie nicht umgebracht«, antwortete Oliver mit einem Anflug von Panik.
»Das weiß ich«, sagte ich. »Denn das war Tony.«